Bindung des FA an die vom Gutachterausschuss ermittelten Bodenrichtwerte bei der Grundstücksbewertung

Hat der Gutachterausschuss lediglich einen Bodenrichtwert für erschließungsbeitragspflichtiges Bauland ermittelt, darf das FA bei der Ermittlung des Grundstückswerts nicht von sich aus einen Zuschlag wegen der Erschließungsbeitragsfreiheit des Grundstücks vornehmen.

BFH Urteil vom 16.12.2009 – II R 15/09 (NV)

Begründung:

Der Wert unbebauter Grundstücke bestimmt sich nach § 145 Abs. 3 Satz 1 und 2 i.V.m. § 138 Abs. 4 BewG nach ihrer Fläche und den um 20 v.H. ermäßigten Bodenrichtwerten, die die Gutachterausschüsse auf den 1. Januar 1996 nach dem Baugesetzbuch in der beim Eintritt des Erbfalls geltenden Fassung (BauGB) ermittelt und den Finanzämtern mitgeteilt haben. Bei den Bodenrichtwerten handelt es sich nach § 196 Abs. 1 Satz 1 BauGB um durchschnittliche Lagewerte für den Boden, die die Gutachterausschüsse (§ 192 BauGB) aufgrund der Kaufpreissammlung (§ 193 Abs. 3, § 195 BauGB) für jedes Gemeindegebiet unter Berücksichtigung des unterschiedlichen Entwicklungszustands zu ermitteln haben. Der Steuerpflichtige kann nach § 145 Abs. 3 Satz 3 BewG einen niedrigeren gemeinen Wert nachweisen.

Wie sich aus dem in § 145 Abs. 3 Satz 1 BewG verwendeten Ausdruck "bestimmt sich" ergibt, sind die für die Bewertung unbebauter Grundstücke nach dieser Vorschrift maßgebenden, um 20 v.H. zu ermäßigenden Bodenrichtwerte, die die Gutachterausschüsse nach § 145 Abs. 3 Satz 2 BewG auf den 1. Januar 1996 ermittelt und den Finanzämtern mitgeteilt haben, für die Beteiligten im Steuerrechtsverhältnis verbindlich und einer gerichtlichen Überprüfung regelmäßig nicht zugänglich. Die Übertragung der Ermittlung der Bodenrichtwerte auf eine außerhalb der Steuerverwaltung eingerichtete, mit dieser allerdings durch die in § 192 Abs. 3 Satz 2 BauGB vorgeschriebene Mitwirkung eines Bediensteten der zuständigen Finanzbehörde mit Erfahrung in der steuerlichen Bewertung von Grundstücken als Gutachter bei der Ermittlung der Bodenrichtwerte personell verbundene Stelle beruht darauf, dass den Gutachterausschüssen aufgrund ihrer besonderen Sachkunde und Erfahrung (§ 192 Abs. 3 Satz 1 BauGB) und ihrer größeren Ortsnähe sowie der in hohem Maße von Beurteilungs- und Ermessenserwägungen abhängigen Wertfindung eine vorgreifliche Kompetenz bei der Feststellung von Bodenrichtwerten für die Bedarfsbewertung zukommt. Der Gesetzgeber beabsichtigt mit dieser Regelung eine Typisierung (§ 138 Abs. 3 Satz 1 BewG) und Vereinfachung der Bedarfsbewertung.

Soweit R 161 ErbStR 2003 "Ableitungen" des Bodenrichtwerts für die Fälle zulässt, in denen die vom Gutachterausschuss erstellte Richtwertkarte typische Merkmale des Bodenrichtwertgrundstücks bezeichnet oder entsprechend dem beitrags- und abgabenrechtlichen Zustand (erschließungsbeitragspflichtig und erschließungsbeitragsfrei) unterschiedliche Bodenrichtwerte nennt, entspricht dies insoweit der Intention des Gesetzgebers, als das FA in diesen Fällen nicht selbst einen "eigenen" Bodenrichtwert ermittelt, sondern lediglich eine vom Gutachterausschuss vorgegebene Differenzierung beachtet. So ist es etwa zulässig und geboten, den Bodenwert des zu bewertenden Grundstücks entsprechend der zulässigen Geschossflächenzahl anzupassen, wenn diese nicht der vom Gutachterausschuss für das Bodenrichtwertgrundstück angegebenen entspricht.

Über die bloße Beachtung der vom Gutachterausschuss vorgegebenen Differenzierungen hinaus dürfen die Finanzämter keine "eigenen" Bodenrichtwerte aus den von den Gutachterausschüssen mitgeteilten Bodenrichtwerten ableiten. Bei einer solchen Ableitung würde es sich um eine Schätzung handeln, die mit der gesetzlichen Verteilung der Zuständigkeiten zwischen den Gutachterausschüssen und den Finanzämtern sowie mit der vom Gesetzgeber beabsichtigten Typisierung und Vereinfachung der Bedarfsbewertung nicht vereinbar wäre. Ein solcher abgeleiteter Bodenrichtwert wäre nicht der vom Gutachterausschuss nach dem BauGB ermittelte Bodenrichtwert i.S. des § 145 Abs. 3 Satz 2 BewG, nach dem sich der Wert unbebauter Grundstücke gemäß § 145 Abs. 3 Satz 1 BewG "bestimmt"

Das FA durfte danach den vom Gutachterausschuss auf den 1. Januar 1996 ermittelten und ihm mitgeteilten Bodenrichtwert für erschließungsbeitragspflichtiges Bauland in X nicht um einen Zuschlag für Erschließungskosten erhöhen. In der Bodenrichtwertkarte ist ein solcher Zuschlag für erschließungsbeitragsfreie Grundstücke nicht vorgesehen. Die erforderliche Unterscheidung zwischen erschließungsbeitragspflichtigen und erschließungsbeitragsfreien Grundstücken in der Richtwertkarte kann nicht durch die Auskunft des Marktes X über die Höhe der Erschließungskosten oder die im finanzgerichtlichen Verfahren abgegebenen Stellungnahmen der Geschäftsstelle des Gutachterausschusses ersetzt werden. Es spielt dabei keine Rolle, dass die vom FA vorgelegten Schreiben des Gutachterausschusses von dessen Vorsitzenden unterzeichnet waren. Die Ermittlung der Bodenrichtwerte ist nämlich dem Gutachterausschuss selbst vorbehalten. Die vom FA vorgetragenen mündlichen Absprachen genügen ebenfalls nicht, da nur schriftliche Mitteilungen des Gutachterausschusses die erforderliche Nachprüfbarkeit gewährleisten.

Dass der Gutachterausschuss nicht bereit war, Bodenrichtwerte für erschließungsbeitragsfreies Bauland in X auf den 1. Januar 1996 zu ermitteln und dem FA mitzuteilen, geht zu Lasten des FA. Diese Günstigkeit der einzelvertraglich vereinbarten Fälligkeit ergibt sich im Streitfall aus der von dem Kläger als Arbeitnehmer intendierten günstigen steuerrechtlichen Auswirkung.