Das Durchführen von Kursen für Angehörige von Demenzkranken sind nach § 4 S. 1 Nr. 16 k UStG steuerfrei sofern diese im Auftrag eines Sozialversicherers durchgeführt wurden.
Niedersächsisches Finanzgericht 16. Senat, Urteil vom 19.04.2013, 16 K 239/12
Begründung (FG):
Der angefochtene Bescheid über die Festsetzung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung für Januar 2012 vom 28. März 2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19. Juli 2012 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung -FGO-). Das FA hat die Umsätze der Klägerin zu Unrecht der Umsatzsteuer unterworfen.
Die Umsätze aus den von Klägerin durchgeführten Kursen für Angehörige von Demenzerkrankten sind jedenfalls nach richtlinienkonformer Auslegung des § 4 S. 1 Nr. 16k UStG steuerfrei.
Nach § 4 S. 1 Nr. 16k UStG 2009 sind von den unter § 1 Abs. 1 Nr. 1 fallenden Umsätzen steuerfrei „ die mit dem Betrieb von Einrichtungen zur Betreuung oder Pflege körperlich, geistig oder seelisch hilfsbedürftiger Personen eng verbundenen Leistungen, die von Einrichtungen, bei denen im vorangegangenen Kalenderjahr die Betreuungs- oder Pflegekosten in mindestens 40 Prozent der Fälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder der Sozialhilfe oder der für die Durchführung der Kriegsopferversorgung zuständigen Versorgungsverwaltung einschließlich der Träger der Kriegsopferfürsorge ganz oder zum überwiegenden Teil vergütet worden sind, erbracht werden.“
Die Vorschrift soll Art. 132 Abs. 1 Buchst. g i.V.m. Art. 133 und 134 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) umsetzen.
Für die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL genügt es, dass zwei Voraussetzungen erfüllt sind, und zwar
– zum einen, dass es sich um Leistungen handelt, die mit der Fürsorge oder der sozialen Sicherheit verbunden sind, und
– zum anderen, dass diese Leistungen von Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder anderen Einrichtungen, die von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit im Wesentlichen sozialem Charakter anerkannt worden sind, erbracht werden.
Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Denn eng mit der sozialen Fürsorge verbunden sind alle in den Sozialgesetzbüchern nach Art und Umfang beschriebenen Leistungen
Die Klägerin hat die Kurse für Angehörige von Demenzerkrankten aufgrund einer Vereinbarung mit der einem Träger der Sozialversicherung (§ 12 und §§ 21, 21a SGB I), der B-GEK, erbracht. Grundlage für diese Vereinbarung war § 45 SGB XI, wonach Pflegekurse für Angehörige und ehrenamtliche Pflegepersonen gesetzlich vorgesehen sind. Nach dieser Vorschrift sollen die Pflegekassen für Angehörige und sonstige an einer ehrenamtlichen Pflegetätigkeit interessierte Personen Schulungskurse unentgeltlich anbieten, um soziales Engagement im Bereich der Pflege zu fördern und zu stärken, Pflege und Betreuung zu erleichtern und zu verbessern sowie pflegebedingte körperliche und seelische Belastungen zu mindern. Die Kurse sollen Fertigkeiten für eine eigenständige Durchführung der Pflege vermitteln. Nach § 1 Abs. 1 SGB I (Allgemeiner Teil) soll das Recht des Sozialgesetzbuches zur Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit und sozialer Sicherheit Sozialleistungen einschließlich sozialer Hilfe gestalten. Leistungen wie die von der Klägerin im Rahmen des § 45 SGB XI gegenüber der B-GEK erbrachten Leistungen sind danach eng mit der sozialen Fürsorge verbunden.
Der Begriff "Einrichtung" ist grundsätzlich weit genug, um auch private Einheiten mit Gewinnerzielungsabsicht zu erfassen. Die Anerkennung eines Unternehmers als einer Einrichtung mit sozialem Charakter kann dabei insbesondere auch aus der Übernahme der Kosten für seine Leistungen durch Krankenkassen oder andere Einrichtungen der sozialen Sicherheit abgeleitet werden. Maßgebend ist insoweit, dass es sich ihrer Art nach um Leistungen handelt, für die die Kosten von den Sozialversicherungsträgern übernehmbar waren. Die Klägerin erbringt ihre Leistungen aufgrund vertraglicher Vereinbarung mit der B-GEK und rechnet die Kosten mit dieser ab. Das genügt.
Nach dem oben zitierten Wortlaut von § 4 S. 1 Nr. 16k UStG ist es nicht ausgeschlossen, Schulungskurse, die wie die der Klägerin im Auftrage einer Pflegekasse für Angehörige von Demenzerkrankten durchgeführt werden als eng mit Pflegeleistungen verbundene Umsätze und damit als steuerbefreit anzusehen. Die Kurse kommen – was zwischen den Beteiligten unstrittig ist – den Demenzerkrankten zu Gute und sind nach § 45 Abs.1 SGB XI vorgesehen. Dass unter die Befreiung des § 4 S. 1 Nr. 16k UStG, wie der Beklagte meint, ausschließlich Betreuungs- und Pflegeleistungen privater Altenheime fallen und dass die mit der Betreuung und Pflege steuerbefreiten eng verbundenen Leistungen direkt am Pflegebedürftigen selbst erbracht werden müssen, geht so aus der Vorschrift nicht hervor. Es ist daher Raum für eine richtlinienkonforme Auslegung, welche das oben gefundene Ergebnis, wonach die Klägerin für sich die Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL in Anspruch nehmen kann, berücksichtigt. Danach ist es im Lichte der Richtlinie geboten, die von der Klägerin durchgeführten Kurse als eng mit Pflegeleistungen verbundene Umsätze i.S.v § 4 S. 1 Nr. 16k UStG anzusehen. Dass die Gesundheitsprävention der Angehörigen in den Kursen mit im Fokus steht, ist dabei durch § 45 Abs. 1 SGB XI und der hierzu zwischen der Klägerin und der B-GEK geschlossenen Rahmenvereinbarung mit abgedeckt und für eine effektive Betreuung und Pflege Demenzerkrankter im häuslichen Umfeld wie die Klägerin dem Gericht im Termin zur mündlichen Verhandlung am 19. April 2013 überzeugend dargetan hat auch zwingend erforderlich.
Die übrigen Voraussetzungen des § 4 S. 1 Nr. 16k UStG sind gegeben. Der Begriff der „Einrichtung“ ist von dem oben dargestellten gemeinschaftlichen Begriff der Einrichtung in Art. 132 MwStSystRL abgeleitet, so dass die Klägerin als natürliche Person hierunter fällt. Die Leistungen der Klägerin werden schließlich zu 100 % von der B-GEK, also einer gesetzlichen Trägerin der Sozialversicherung, vergütet, so dass es sich bei der Klägerin um eine sowohl von Art. 132 Buchst. g MwStSystRL als auch von § 4 S. 1 Nr. 16k UStG anerkannte Einrichtung handelt.
Das FA hat danach zu Unrecht den angefochtenen Bescheid über die Festsetzung der Umsatzsteuervorauszahlung für den Monat Januar 2012 erlassen.