Kein Ermessen bei Inanspruchnahme des Arbeitnehmers für nicht einbehaltene und abgeführte Lohnsteuer durch Einkommensteueränderungsbescheid

 

Es ist durch die Rechtsprechung des BFH geklärt, dass die Inanspruchnahme des Arbeitnehmers für nicht einbehaltene und abgeführte Lohnsteuer durch einen Einkommensteueränderungsbescheid keine Ermessensentscheidung ist (vgl. BFH-Urteil vom 17.05.1985 VI R 137/82).

Bezieht das für die Veranlagung des Arbeitnehmers zuständige Wohnsitz-Finanzamt durch Einkommensteueränderungsbescheide bisher im Lohnsteuerabzugsverfahren nicht berücksichtigte Lohnteile in die Veranlagung ein, ist § 42d Abs. 3 Satz 2 EStG nicht einschlägig.

BFH Beschluss vom 11.07.2016 – VI B 14/16 BFH/NV 2016, 1540

Begründung:

Die Beschwerde ist –bei erheblichen Bedenken gegen ihre Zulässigkeit– jedenfalls unbegründet und daher zurückzuweisen.

Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) haben mit ihrer Beschwerde keine grundsätzlich bedeutsame Rechtsfrage aufgeworfen.

Sie halten die Rechtsfrage für grundsätzlich bedeutsam, ob § 42d des Einkommensteuergesetzes (EStG) Auswirkungen auf das Veranlagungsverfahren hat und die Finanzbehörde nach Änderung eines Einkommensteuerbescheids nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) die Vorschrift des § 42d EStG beachten und ein Ermessen bei der Auswahl des Schuldners der Lohnsteuer ausüben muss.

Dieser Frage kommt keine grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zu. Denn es ist –worauf der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt –FA–) zu Recht hinweist– durch die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) geklärt, dass die Inanspruchnahme des Arbeitnehmers für nicht einbehaltene und abgeführte Lohnsteuer durch einen Einkommensteueränderungsbescheid keine Ermessensentscheidung ist. Insoweit geht der Verweis der Kläger auf § 42d Abs. 3 Satz 1 EStG ins Leere. Liegen deshalb die Voraussetzungen für eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO vor, weil die Finanzbehörde –wie im Streitfall– nachträglich erfahren hat, dass der bisherigen Steuerfestsetzung beispielsweise ein zu niedriger Arbeitslohn zugrunde gelegt wurde, ist die Finanzbehörde zum Erlass eines entsprechenden Änderungsbescheids verpflichtet.

Der beschließende Senat hat explizit ausgeführt, dass die von der Rechtsprechung zur Inanspruchnahme des Arbeitgebers entwickelten Ermessenskriterien auf die Inanspruchnahme des Arbeitnehmers durch Einkommensteuerbescheid nicht anwendbar sind. Der Senat hat weiter ausgeführt, dass der Arbeitnehmer sich nicht auf § 42d Abs. 3 Satz 2 EStG berufen kann. Denn nach dieser Vorschrift kann das Betriebsstätten-FA die Steuerschuld oder die Haftungsschuld nach pflichtgemäßem Ermessen gegenüber jedem der Gesamtschuldner geltend machen. Auch im vorliegenden Fall hat jedoch nicht etwa das Betriebsstätten-FA (§ 41a Abs. 1 EStG) vom Kläger durch Lohnsteuernachforderungsbescheid zu Unrecht nicht einbehaltene Lohnsteuerbeträge nachgefordert, sondern das für die Veranlagung des Klägers zuständige Wohnsitz-FA hat durch Einkommensteueränderungsbescheide bisher im Lohnsteuerabzugsverfahren nicht berücksichtigte Lohnteile in die Veranlagung einbezogen. § 42d Abs. 3 Satz 2 EStG ist daher nicht einschlägig.

Selbst wenn eine Inanspruchnahme des Arbeitnehmers im Lohnsteuerabzugsverfahren nach § 42d Abs. 3 Satz 4 EStG ausgeschlossen ist, kann der Arbeitnehmer im Veranlagungsverfahren gleichwohl uneingeschränkt in Anspruch genommen werden.