Verzicht auf die Kleinunternehmerregelung im Insolvenzfall

Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens steht die Befugnis, auf die Kleinunternehmerregelung zu verzichten, dem Insolvenzverwalter zu. Er übt dieses Recht für das gesamte Unternehmen des Insolvenzschuldners aus.

BFH Urteil vom 20.12.2012, V R 23/11 

Begründung:

Nach ständiger Rechtsprechung des Senats gilt der Grundsatz der Unternehmenseinheit auch nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Unternehmers fort. Bedingt durch die Erfordernisse des Insolvenzrechts besteht das Unternehmen nach Verfahrenseröffnung jedoch aus mehreren Unternehmensteilen, zwischen denen einzelne umsatzsteuerrechtliche Berechtigungen und Verpflichtungen nicht miteinander verrechnet werden können. Zu unterscheiden sind der vorinsolvenzrechtliche Unternehmensteil, gegen den Insolvenzforderungen zur Tabelle anzumelden sind (§§ 174 ff. InsO), der die Insolvenzmasse betreffende Unternehmensteil, gegen den Masseverbindlichkeiten geltend zu machen sind, sowie ggf. das vom Insolvenzverwalter freigegebene Vermögen, bei dem Steueransprüche gegen den Insolvenzschuldner persönlich ohne insolvenzrechtliche Einschränkungen geltend gemacht werden können.

Diese aus insolvenzrechtlichen Gründen bestehenden Unterschiede bei der Durchsetzung des umsatzsteuerrechtlich einheitlichen Steueranspruchs ändern aber nichts an dem Grundsatz, dass der Insolvenzschuldner umsatzsteuerrechtlich nur ein einziges Unternehmen hat. Daher muss die Summe der gegenüber dem Insolvenzverwalter und der gegenüber dem Insolvenzschuldner festgesetzten Umsatzsteuer die nach den Vorschriften des Umsatzsteuergesetzes entstandene Jahresumsatzsteuer für das gesamte Unternehmen ergeben.

Die Befugnis, den Verzicht nach § 19 Abs. 2 UStG zu erklären, steht ab der Eröffnung des Insolvenzverfahrens dem Insolvenzverwalter zu, da das Verwaltungs- und Verfügungsrecht nach § 80 Abs. 1 InsO auf ihn übergeht. Im Streitfall hat der Insolvenzverwalter danach entsprechend der Rechtsprechung des Senats durch die Abgabe von Umsatzsteuerjahreserklärungen auf die Anwendung der Kleinunternehmerregelung verzichtet.

Ein danach durch den Insolvenzverwalter erklärter Verzicht erstreckt sich trotz der Beschränkung auf den Umfang der Verwaltungsbefugnis nach § 34 Abs. 3 der Abgabenordnung auf das gesamte Unternehmen und damit auch auf den Unternehmensteil, dessen Umsätze der Insolvenzschuldner nach Insolvenzeröffnung selbst zu versteuern hat, da sich sonst aus der Summe der gegenüber dem Insolvenzverwalter und der gegenüber dem Insolvenzschuldner festgesetzten Umsatzsteuer nicht die nach den Vorschriften des Umsatzsteuergesetzes entstandene Jahresumsatzsteuer für das gesamte Unternehmen ergäbe. Hierfür spricht auch, dass eine Versteuerung von Umsätzen durch den Insolvenzverwalter als Regelfall und die Versteuerung von Umsätzen durch den Insolvenzschuldner z.B. aufgrund einer Freigabe von vom Insolvenzbeschlag erfassten Vermögen als Ausnahmefall anzusehen ist.

 

BFH stärkt Umsatzsteueranspruch im Insolvenzfall

Vereinnahmt der Insolvenzverwalter eines Unternehmers das Entgelt für eine vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausgeführte Leistung, begründet die Entgeltvereinnahmung nicht nur bei der Ist-, sondern auch bei der Sollbesteuerung eine Masseverbindlichkeit i.S. von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO (Fortführung des BFH-Urteils vom 29. Januar 2009 V R 64/07, BFHE 224, 24, BStBl II 2009, 682, zur Istbesteuerung).

BFH Urteil vom 9.12.2010, V R 22/10

Erläuterungen:

Mit Urteil vom 9. Dezember 2010 V R 22/10 hat der Bundesfinanzhof (BFH) eine in der Praxis der Insolvenzverwaltung häufig anzutreffende Fallgestaltung verworfen und damit sichergestellt, dass aus einem vom Insolvenzverwalter vereinnahmten Entgelt einschließlich Umsatzsteuer im Regelfall auch die Umsatzsteuer an das Finanzamt abgeführt werden muss.

Wird über das Vermögen eines Unternehmers, der umsatzsteuerpflichtige Leistungen erbringt, das Insolvenzverfahren eröffnet, vereinnahmen Insolvenzverwalter häufig Forderungen aus Leistungen, die der Unternehmer bis zur Verfahrenseröffnung erbracht hat. Diese Forderungen setzen sich aus dem sog. Entgelt und dem Umsatzsteueranteil für die erbrachte Leistung zusammen. Zieht der Insolvenzverwalter z.B. eine Forderung über 1.190 € ein, ist hierin bei Leistungen, die dem Regelsteuersatz von 19 % unterliegen, ein Umsatzsteueranteil von 190 € enthalten.

Bisher wurde die Forderung in der Praxis der Insolvenzverwaltung in voller Höhe für die Masse vereinnahmt, so dass der Fiskus den Umsatzsteueranspruch nur als sog. Insolvenzforderung zur sog. Insolvenztabelle anmelden konnte und er lediglich wie ein Insolvenzgläubiger quotal befriedigt wurde. Trotz der Vereinnahmung des vollen Steueranteils von 190 € durch den Insolvenzverwalter erhielt der Fiskus danach bei einer Insolvenzquote von z.B. 5 % nur 9,50 €. Der BFH ist dem für den Sonderfall der sog. Istbesteuerung bereits in der Vergangenheit entgegentreten, so dass die vom Insolvenzverwalter vereinnahmte Umsatzsteuer für eine vor Verfahrenseröffnung erbrachte Leistung in diesem Fall eine voll zu befriedigenden Masseverbindlichkeit ist.

Nach dem jetzt veröffentlichten Urteil des BFH im Verfahren V R 22/10 gilt dies auch, wenn der Unternehmer wie im Regelfall der sog. Sollbesteuerung unterliegt. Der BFH begründet sein Urteil mit dem Entstehen mehrerer Vermögensmassen im Insolvenzfall. Dem Urteil kommt große Bedeutung für die Praxis der Unternehmensinsolvenz zu, da die Insolvenzverwalter hier typischerweise Forderungen aus vor Verfahrenseröffnung erbrachten Leistungen beitreiben. Das Urteil führt im Vergleich zur bisher allgemein geübten Praxis zu einer deutlichen Schmälerung der Insolvenzmasse, zu deren Lasten nun auch im Fall der Sollbesteuerung der volle Umsatzsteueranteil als Masseverbindlichkeit an den Fiskus auszukehren ist.