Kein vorläufiger Rechtsschutz für Kernkraftwerksbetreiber

Ruft ein FG das BVerfG an oder richtet es an den EuGH ein Vorabentscheidungsersuchen, entfalten diese Vorlagen im Hinblick auf das Vorliegen ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit einer angefochtenen Verwaltungsentscheidung für den BFH keine Bindungswirkung.

Ein Antrag auf AdV, der mit ernstlichen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit oder Unionsrechtskonformität des der Steuerfestsetzung zugrunde liegenden Gesetzes begründet wird, ist abzulehnen, wenn nach den Umständen des Einzelfalls dem erforderlichen besonderen Interesse des Antragstellers an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes kein Vorrang vor dem öffentlichen Interesse am Vollzug des Gesetzes zukommt. Einer Prüfung der Verfassungsmäßigkeit oder Unionsrechtskonformität bedarf es in diesen Fällen grundsätzlich nicht. Dem Aufhebungsinteresse des Antragstellers ist nicht allein aufgrund der Befassung des BVerfG oder des EuGH der Vorrang einzuräumen.

BFH Beschluss vom 25.11.2014, VII B 65/14

Begründung (BFH)

Mit Beschluss vom 25. November 2014 (VII B 65/14) hat der VII. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) einen auf Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit und Unionsrechtskonformität der Kernbrennstoffsteuer gestützten Antrag eines Kernkraftwerksbetreibers auf Aufhebung der Vollziehung einer Steueranmeldung nach dem Kernbrennstoffsteuergesetz abgelehnt.

Mit Wirkung vom 1. Januar 2011 wurde in der Bundesrepublik Deutschland eine Steuer auf zur gewerblichen Stromerzeugung verwendete Kernbrennstoffe eingeführt. Die Steuer entsteht, wenn in einen Kernreaktor Brennelemente eingesetzt werden, die eine Kettenreaktion auslösen. Schuldner der Steuer sind die Betreiber von Kernkraftwerken. Diese haben sich in mehreren Fällen gegen die Zahlung der Steuer gerichtlich zur Wehr gesetzt.

Das Finanzgericht Hamburg (FG) hat die insoweit streitigen verfassungsrechtlichen und unionsrechtlichen Fragen dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bzw. dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) vorgelegt. Mit seiner Vorlage an das BVerfG vertritt das FG die Auffassung, dem Bund habe für die Einführung der Steuer die Gesetzgebungskompetenz gefehlt, denn es handele sich bei der Kernbrennstoffsteuer nicht um eine besondere Verbrauchsteuer, weil sie nicht auf Weitergabe der steuerlichen Belastung an den Stromverbraucher angelegt sei. Sein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH hat das FG insbesondere damit begründet, das geltende Unionsrecht stehe der Einführung einer nationalen Steuer auf zur Stromerzeugung verwendete Kernbrennstoffe entgegen.

Unter Hinweis auf seine Vorlagen an das BVerfG und den EuGH und die dort beschriebenen rechtlichen Zweifel hat das FG den Kraftwerksbetreibern vorläufigen Rechtsschutz mit der Folge gewährt, dass die Steuer einstweilen bis zur Entscheidung in der Hauptsache nicht zu entrichten ist. Gegen diese Entscheidung haben die für die Steuererhebung zuständigen Hauptzollämter Beschwerde beim BFH eingelegt.

Im Beschwerdeverfahren ist der BFH davon ausgegangen, trotz der Vorlagebeschlüsse des FG weder an dessen Rechtsauffassung gebunden noch an einer Interessensabwägung gehindert zu sein. Vielmehr hat er die angefochtenen Beschlüsse aufgehoben und die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abgelehnt. Dabei hat er die Frage nach der Steuerart der Kernbrennstoffsteuer, der Gesetzgebungskompetenz des Bundes und der Unionsrechtskonformität ausdrücklich offengelassen. Ausschlaggebend für seine Entscheidung war vielmehr die Erwägung, dass eine Aufhebung der Vollziehung in ihren praktischen Auswirkungen dem zeitweiligen Außerkraftsetzen des Kernbrennstoffsteuergesetzes gleichkäme. Dies könne nach der Rechtsprechung des BVerfG nur unter Beachtung strenger Voraussetzungen geschehen, die im Streitfall nicht vorlägen. Gegenüber dem Interesse der Kraftwerksbetreiber, die Steuer vorläufig nicht zahlen zu müssen, sei dem Geltungsanspruch des Gesetzes der Vorrang einzuräumen. Darüber hinaus sei das Interesse des Staates an einer geordneten Haushaltsführung zu berücksichtigen. Im Fall der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes würden dem Bundeshaushalt zumindest zeitweise jährlich ca. 1,3 Mrd. € entzogen.