Keine Restschuldbefreiung bei Lottogewinn in Millionenhöhe

Beantragt der Steuerschuldner währen der insolvenzrechtlichen Wohlverhaltensphase einen Erlass der restlichen Steuern aus persönlichen Billigkeitsgründen (schlechte wirtschaftliche Lage und daraus angeblich resultierende Gesundheitsprobleme), so kann es den daraufhin gewährten Erlass nach § 130 AO zurücknehmen, wenn sich herausstellt, dass der Steuerschuldner im Zeitpunkt des Erlassantrages einen Lottogewinn in Millionenhöhe verschwiegen hat.

Einem Rechtsstreit hierüber fehlt das Rechtsschutzbedürfnis, wenn vom Insolvenzgericht eine Restschuldbefreiung erteilt wurde, die nicht mehr widerrufen werden kann.

Es spricht unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen der Gläubiger im Insolvenzverfahren, dem Sinn und Zweck der Restschuldbefreiung, einem Schuldner einen Verbleib im sog. „Schuldturm” zu ersparen sowie grundlegenden Gerechtigkeitsvorstellungen, bei einer Restschuldbefreiung nicht nur den Anfall einer Erbschaft (§ 295 Abs. 1 Nr. 2 InsO), sondern auch einen Lottogewinn in Millionenhöhe zu berücksichtigen.

BFH Beschluss vom 09.03.2016 – VB 82/15

Sachverhalt:

Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) betrieben einen Gewerbebetrieb. Wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten wurde am … November 2011 das Verbraucherinsolvenzverfahren eröffnet.

Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt –FA–) meldete Steuerforderungen von 42.710,76 EUR (Kläger) und 1.741,31 EUR (Klägerin) an. Das Verfahren wurde am 12. September 2012 bzw. am 11. Dezember 2012 aufgehoben. Während des dritten Jahres der Wohlverhaltensphase wandte sich der Kläger mit Schreiben vom 22. August 2014 bzw. die Klägerin mit Schreiben vom 17. September 2014 an das FA und beantragten einen Steuererlass. Der Kläger erhalte eine Altersrente von nur 1.166,38 EUR und die Klägerin von 192,96 EUR. Der Insolvenzantrag belaste die Kläger wirtschaftlich und gesundheitlich schwer. Um das Verfahren zu beenden, hätten sich die Kinder der Kläger bereitgefunden, einen Betrag von 40.000 EUR den Gläubigern zur Verfügung zu stellen, der entsprechend der Konkursquote auf die Gläubiger aufgeteilt werden könne. Nach Zahlung der auf das FA entfallenden Beträge von 5.880 EUR (14,7 %) bzw. von 233,78 EUR (3,6 %) müsse das FA als Gegenleistung erklären, dass sich die Steuerforderungen damit erledigt hätten. Das FA nahm das Angebot an und erklärte am 22. bzw. 29. September 2014 den Erlass der restlichen Steuerschulden.

Nachdem das FA aufgrund einer Grunderwerbsteuermitteilung über den Kauf eines Hauses in der Wohlverhaltensphase erfahren hatte, dass die Kläger im Juli 2014 einen Lottogewinn über 1.010.057 EUR erhalten hatten, nahm es den gewährten Erlass am 15. Dezember 2014 nach § 130 Abs. 2 Nr. 3 der Abgabenordnung (AO) zurück.

Begründung:

Das FG hat das wesentliche Vorbringen des Klägers, wonach der erhebliche Lottogewinn nicht zum Insolvenzvermögen nach § 35 der Insolvenzordnung (InsO) gehört, weil er weder im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch im Zeitraum bis zum Abschluss als Neuvermögen angefallen ist, und er deshalb nicht verpflichtet sei, dem FA hiervon Mitteilung zu machen, im Tatbestand ausführlich wiedergegeben und sich in seinen Gründen damit auseinandergesetzt. Es hat ausgeführt, dass dieser Umstand zwar nicht bei der Feststellung des Insolvenzvermögens, wohl aber bei der Frage der Gewährung eines Billigkeitserlasses für den Erlass der restlichen Steuerschulden zu berücksichtigen sei. Die Kläger haben somit nicht schlüssig einen Verfahrensfehler in Form der Verletzung des rechtlichen Gehörs dargelegt.

Im Übrigen bedarf es keiner Klärung in einem Revisionsverfahren, dass das FA bei der Gewährung eines Billigkeitserlasses aus persönlichen Gründen nicht auf bestimmte Erwägungen beschränkt ist, sondern allgemein berücksichtigen kann, dass es nicht der Billigkeit entspricht, Steuerschulden zu erlassen, wenn ein Steuerschuldner sich nicht –wie nach § 227 AO vorausgesetzt– in einer wirtschaftlichen Notlage befindet, sondern aufgrund eines beträchtlichen Lottogewinns die Steuerschulden in einem Schlage hätte tilgen können und dass ein bereits gewährter Erlass nach § 130 AO zurückgenommen werden kann, wenn im Erlassantrag der Lottogewinn verheimlicht und wahrheitswidrig auf eine angeblich wegen der Steuerschulden bestehende schwere Gesundheitsgefährdung hingewiesen wurde.

Es erscheint auch insolvenzrechtlich nicht ausgeschlossen, dass eine Restschuldbefreiung, mit der nach dem Sinn und Zweck des Gesetzes dem Schuldner ein lebenslänglicher „Schuldturm” erspart werden sollte, dann nicht mehr erforderlich ist und mit den Grundsätzen der Billigkeit nicht mehr zu vereinbaren ist, wenn dies wegen der durch überraschende Umstände völlig geänderten Vermögensverhältnisse nicht mehr erforderlich erscheint. Der mit der Erteilung der Restschuldbefreiung verbundene Eingriff in die Gläubigerrechte ist dann durch sachliche Gründe nicht mehr zu rechtfertigen. Auch in § 295 InsO ist geregelt, dass ein –wie beim Lottogewinn– nicht erwirtschafteter Erbschaftanfall während der Wohlverhaltensphase wegen des Risikos der Ausschlagung immerhin zur Hälfte an die Gläubiger auszukehren ist. Denn –so die amtliche Begründung– „in diesem Falle wäre es unbillig, dem Schuldner die Restschuldbefreiung zu gewähren, ohne dass er dieses Vermögen antasten muss” (BTDrucks 12/2443, S. 192).