AdV bei Vertrauen des vorsteuerabzugsberechtigten Leistungsempfängers auf die vom Lieferanten angegebene Rechnungsanschrift

Ob an der Rechtsprechung des BFH festzuhalten ist, wonach Vertrauensgesichtspunkte nicht bei der Festsetzung der Umsatzsteuer, sondern ggf. nur im Rahmen einer Billigkeitsmaßnahme berücksichtigt werden können, wenn der zum Vorsteuerabzug berechtigte Leistungsempfänger auf die Angaben des Lieferanten vertraute und sich diese Angaben – wie hier die Rechnungsanschrift – später als falsch herausstellen, ist nicht im AdV-Verfahren, sondern im Hauptsacheverfahren zu klären.

BFH Beschluss vom 26.09.2014 – XI S 14/14 BFHNV 2015 S. 158

Begründung:

Der Antrag ist zulässig. Der Antrag ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang auch begründet.
Nach § 69 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 FGO ist die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts ganz oder teilweise auszusetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen. Ernstliche Zweifel i.S. von § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO liegen dann vor, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Bescheids neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung entscheidungserheblicher Tatfragen. Die Entscheidung hierüber ergeht bei der im AdV-Verfahren gebotenen summarischen Prüfung aufgrund des Sachverhalts, der sich aus dem Vortrag der Beteiligten und der Aktenlage ergibt.

Ist der angegriffene Steuerbescheid bereits Gegenstand eines anhängigen Revisionsverfahrens, bestehen ernstliche Zweifel, wenn unter Berücksichtigung der eingeschränkten Prüfungsmöglichkeiten des Revisionsgerichts ernstlich mit der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Steuerbescheids zu rechnen ist. Das bedeutet, dass bei vermutlichem Durcherkennen des BFH auf die Erfolgsaussichten des Revisionsverfahrens, bei voraussichtlicher Zurückverweisung auf die Erfolgsaussichten des dann fortgesetzten Klageverfahrens abzustellen ist. Im Fall einer Zurückverweisung bestehen ernstliche Zweifel allerdings auch dann, wenn sich aufgrund der bisherigen Feststellungen des FG nicht absehen lässt, ob die Klage letztlich Erfolg haben wird.

Nach diesen Maßgaben bestehen im Streitfall insoweit ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Umsatzsteuerbescheids, als das FA darin den Vorsteuerabzug aus Rechnungen der D versagt hat.
Die Angabe einer Anschrift, an der im Zeitpunkt der Rechnungsausstellung keinerlei geschäftliche Aktivitäten stattfinden, reicht als zutreffende Anschrift für eine zum Vorsteuerabzug berechtigende Rechnung (grundsätzlich) nicht aus. Gleichwohl kann nach den Umständen des Einzelfalls auch die Angabe eines “Briefkastensitzes” mit postalischer Erreichbarkeit als Anschrift, die die Voraussetzungen des § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG erfüllt, genügen. Unter welchen besonderen Umständen die Angabe einer Anschrift mit nur postalischer Erreichbarkeit als zutreffende Anschrift für eine zum Vorsteuerabzug berechtigende Rechnung ausreichend sein könnte, ist höchstrichterlich nur insoweit geklärt, dass es jedenfalls bei einer GmbH, die in großem Umfang mit Kraftfahrzeugen handelt, nicht ausreicht, wenn sich unter der in der Rechnung angegebenen Anschrift keine eigenen Geschäftsräume, sondern lediglich eine nicht in Anspruch genommene Telefonleitung und eine Briefempfangsstelle finden.

Unentschiedenheit oder Unsicherheit besteht dagegen in der Beurteilung der Rechtsfrage, ob mit Blick auf die Rechtsprechung des EuGH der Leistungsempfänger zum Abzug der Vorsteuerbeträge berechtigt ist, wenn er auf die Angaben des Lieferanten vertraute und sich diese Angaben später als falsch herausstellen.
Insoweit könnte die Klägerin –obgleich § 15 UStG den Schutz des guten Glaubens an die Erfüllung der Vorsteuerabzugsvoraussetzungen nicht vorsieht und Vertrauensschutzgesichtspunkte deshalb grundsätzlich nicht bei der Steuerfestsetzung nach den gesetzlichen Vorschriften des UStG, sondern ggf. nur im Rahmen einer Billigkeitsmaßnahme gemäß § 163, § 227 AO berücksichtigt werden können zum Vorsteuerabzug berechtigt sein (vgl. auch FG Münster in EFG 2014, 395, nach die Angabe eines Scheinsitzes dem Vorsteuerabzug nicht entgegensteht, wenn sich für den Leistungsempfänger keine Zweifel an der in der Rechnung angegeben Anschrift hätten ergeben müssen).

Nach Auffassung des Sächsischen FG im Beschluss vom 4. April 2014 4 V 297/13 bestehen Zweifel daran, ob der Vorsteuerabzug ausschließlich mit der Begründung versagt werden kann, dass es sich bei der angegebenen Rechnungsanschrift um einen sog. “Scheinsitz” handelt, so dass die erforderliche “zutreffende” Anschrift des leistenden Unternehmers in der Rechnung fehlt. Das FG Berlin-Brandenburg hält es für ernstlich zweifelhaft, dass allein wegen einer (objektiv) fehlerhaften Anschrift im Abrechnungsdokument der Vorsteuerabzug versagt werden kann (Beschluss vom 3. April 2014 7 V 7027/14, EFG 2014, 1445).

Angesichts dieser ungeklärten Rechtslage war die beantragte AdV zu gewähren, soweit das FA den Vorsteuerabzug aus den Rechnungen der D in dem angefochtenen Umsatzsteuerbescheid versagte. Denn ist –wie hier– die Rechtslage nicht eindeutig, ist über die zu klärenden Fragen grundsätzlich nicht im summarischen Beschlussverfahren zu entscheiden; die Klärung muss vielmehr dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben Insoweit ist bei summarischer Prüfung ein Erfolg der Antragstellerin im Revisionsverfahren nicht auszuschließen.

Die Vollziehung des angefochtenen Umsatzsteuerbescheides war ferner auszusetzen, soweit das FA eine Lieferung eines Porsche besteuert hat. Das FG vermochte –was unwidersprochen blieb– keine entsprechende Lieferung der Klägerin festzustellen. Danach besteht Unklarheit in der Beurteilung einer entscheidungserheblichen Tatfrage. Im Übrigen bestehen an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Umsatzsteuerbescheids keine ernstlichen Zweifel. Das Revisionsverfahren hat insoweit voraussichtlich keinen Erfolg. Bei den in den Rechnungen an die B abgerechneten Umsätzen hat es sich –mit Ausnahme des vorgenannten Porsche– um steuerpflichtige Lieferungen gehandelt.

Zwar kann sich die gemäß § 17a Abs. 2 Nr. 2, § 17c Abs. 2 Nr. 9 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung a.F. erforderliche Angabe des Bestimmungsorts –wie die Antragstellerin sinngemäß vorbringt– unter Berücksichtigung aller Umstände im Einzelfall aus der Rechnungsanschrift des Abnehmers ergeben. Dies gilt jedoch im Grundsatz nur, wenn davon auszugehen ist, dass der Gegenstand der Lieferung auch zum Unternehmenssitz des Abnehmers versendet oder befördert wird. Das ist hier nicht der Fall. Denn nach den Feststellungen des FG ist der Verbleib der streitgegenständlichen Fahrzeuge “völlig unklar”.
Die betreffenden Lieferungen sind auch nicht nach § 6a Abs. 4 Satz 1 UStG steuerfrei. Die Frage des Gutglaubensschutzes stellt sich –wovon das FG zutreffend ausgegangen ist– erst dann, wenn der Unternehmer seinen Nachweispflichten nachgekommen ist. Maßgeblich ist hierfür die formelle Vollständigkeit, nicht aber die inhaltliche Richtigkeit der Beleg- und Buchangaben, da § 6a Abs. 4 Satz 1 UStG das Vertrauen auf unrichtige Abnehmerangaben schützt. Im Streitfall fehlt es an einem belegmäßigen Nachweis des Bestimmungsorts, weil dieser –wie vorstehend unter II.2.d aa ausgeführt– nicht ohne weiteres mit der Unternehmensanschrift des B gleichgesetzt werden kann.