Offenbare Unrichtigkeit bei manuelle Erfassung der Steuererklärung nach gescheiterter elektronischer Übermittlung (ELSTER)

Hat das FA die Daten aus der komprimierten und unterschriebenen Steuererklärung manuell erfasst, weil die elektronische Datenübermittlung nicht erfolgreich gewesen ist, kommt ein Berichtigung nach § 129 AO in Betracht.

Zur Klärung dieser tatsächlichen Vorfrage sind sämtliche Beweismittel zugelassen; nicht dieser Sachverhalt, sondern die bei der manuellen Eingabe der Daten vorgekommene Unrichtigkeit muss offenbar sein.

BFH Beschluss vom 04.03.2016 – IX B 113/15

Sachverhalt:

Das Finanzgericht (FG) hat festgestellt, dass die Einkommensteuererklärung 2008 der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) nicht als elektronische Datei an den Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt –FA–) übermittelt worden ist. Vielmehr haben die Kläger die von ihrem Steuerberater nach der fehlgeschlagenen elektronischen Übermittlung ausgedruckte komprimierte Steuererklärung unterschrieben und in Papierform an das FA gesandt. Die Veranlagungsstelle des FA hat sodann die Angaben aus dieser komprimierten Steuerklärung von Hand erfasst. Dabei sind die in der komprimierten Steuererklärung enthaltenen Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung zwar von der Bearbeiterin abgehakt (Kennziffer 120), dann jedoch nicht übernommen worden (Einkommensteuerbescheid vom 22. November 2010). Daraus hat das FG geschlossen, dass ein mechanischer Fehler (Übertragungsfehler) beim Erlass des Steuerbescheids in Betracht kam und vorlag, weil dem FA die elektronischen Erklärungsdaten bei der Veranlagung nicht vorlagen. Gegen diese tatsächlichen Feststellungen des FG haben die Kläger keine Verfahrensrügen erhoben. An sie wäre der Bundesfinanzhof (BFH) deshalb im Revisionsverfahren ebenso gebunden wie an die tatsächliche Würdigung des FG (§ 118 der Finanzgerichtsordnung –FGO–), da sie zumindest möglich ist.

Mit nach § 129 der Abgabenordnung (AO) berichtigtem Bescheid erfasste das FA am 19. April 2011 die unstreitig von den Klägern erzielten und auch erklärten Vermietungseinkünfte und änderte die Einkommensteuer entsprechend.

Die Kläger meinen, das FA sei zur Berichtigung nicht befugt gewesen. Ein Fehler bei der Auslegung und Anwendung des Rechts könne nicht ausgeschlossen werden. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das FG hat im Wesentlichen ausgeführt, die Sachbearbeiterin habe mit dem Haken bei Kennziffer 120 in der komprimierten Steuerklärung unzweifelhaft zum Ausdruck gebracht, dass die von den Klägern erklärten Einkünfte der Besteuerung hätten zugrunde gelegt werden sollen. Ein Rechtsanwendungsfehler sei danach auszuschließen. Deshalb sei die Berichtigung nach § 129 AO gerechtfertigt. Auf die Verletzung von Dienstvorschriften könnten sich die Kläger nicht mit Erfolg berufen; auch sei nicht zu fragen, ob der Fehler hätte vermieden werden können.

Begründung:

Die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO). Die hier allein streitige Frage, ob im konkreten Fall bei der Veranlagung ein Rechtsanwendungsfehler auszuschließen ist, hat das FG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu entscheiden (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO). Der BFH darf die tatsächliche Würdigung nur eingeschränkt überprüfen. Im Rahmen der Revision kontrolliert der BFH insbesondere, ob die Denkgesetze oder ob allgemeine Erfahrungssätze verletzt sind. Solche Fehler bei der Tatsachenwürdigung führen nach ständiger Rechtsprechung des BFH jedoch grundsätzlich nicht zur Zulassung der Revision, da es sich insofern grundsätzlich um (schlichte) Fehler bei der Rechtsanwendung handelt, die vom numerus clausus der Zulassungsgründe nicht erfasst werden. Nicht jeder Fehler bei der Rechtsanwendung kann die Zulassung der Revision rechtfertigen, weil das Zulassungsverfahren sonst die ihm zugedachte Filterwirkung nicht entfalten und nicht zur Entlastung des BFH beitragen könnte.

Etwas anderes gilt, wenn der Rechtsfehler besonders schwerwiegend und deshalb geeignet ist, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu beschädigen. Anhaltspunkte dafür liegen im Streitfall nicht vor. Ob darüber hinaus die Revision auch dann zugelassen werden sollte, wenn ein Finanzgericht einen neuen allgemeinen Erfahrungssatz aufgestellt hat, der im Interesse gleichmäßiger Rechtsanwendung Gegenstand einer revisionsrechtlichen Prüfung sein kann (dazu Gräber/Ratschow, Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 96 Rz 135 ff.), bedarf im Streitfall keiner Entscheidung, denn das FG hat einen solchen allgemeinen Erfahrungssatz nicht aufgestellt.

Da die Beurteilung der Streitfrage mithin allein von der tatsächlichen Würdigung der Einzelfallumstände abhängt, hat die Rechtssache keine grundsätzliche, d.h. über den Einzelfall hinausweisende, Bedeutung. Zwar hat das FG Sachsen-Anhalt den Leitsatz aufgestellt, solange die Akten in Papierform geführt würden, liege eine offenbare Unrichtigkeit i.S. von § 129 AO nicht vor, wenn zur Feststellung eines eventuellen Erfassungsfehlers ein Abgleich des Akteninhalts mit dem EDV-Speicher der Finanzverwaltung erforderlich werde (FG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 6. Mai 2010 5 K 98/08, Entscheidungen der Finanzgerichte 2010, 1757). Die Kläger meinen, im Streitfall sei das FG von dieser Entscheidung abgewichen, indem es zur Feststellung des Erfassungsfehlers (sachverständige) Zeugen vernommen und den Inhalt des Datenspeichers der Finanzverwaltung ermittelt habe.

Letzteres trifft zwar zu, betrifft aber zunächst nur die Frage, ob überhaupt ein Erfassungsfehler in Betracht kommt. Das wäre nicht der Fall, wenn dem FA bei der Veranlagung die Daten aus der Steuerklärung auch in elektronischer Form vorgelegen hätten, so dass eine manuelle Erfassung nicht erforderlich gewesen wäre. Diese Frage hat indes noch nichts mit dem Fehler selbst und seiner Ursache zu tun, sondern betrifft nur die Umstände, unter denen die Veranlagung stattgefunden hat. Ob der Fehler dann tatsächlich auf einem mechanischen Versehen beruht oder durch einen die Berichtigung nach § 129 AO ausschließenden Denkprozess beeinflusst gewesen sein kann, wird dadurch nicht präjudiziert.

Im Übrigen hat der BFH das zitierte Urteil des FG Sachsen-Anhalt zwar im Ergebnis bestätigt. Er hat damit aber nicht den vom FG in seinem Leitsatz herausgestellten Rechtsgrundsatz gebilligt, sondern lediglich ausgeführt, dass er an die tatsächliche Würdigung des FG gebunden sei.

Im Streitfall fehlt es bereits deshalb an einer Abweichung im Grundsätzlichen (Divergenz), weil das FG keine Grundsätze aufgestellt, sondern lediglich die von ihm festgestellten Umstände gewürdigt hat. Ob das FG Sachsen-Anhalt von der Rechtsprechung des BFH abgewichen ist, könnte auch in einem Revisionsverfahren nicht geklärt werden.

Ein Verfahrensmangel ist schon nicht hinreichend dargelegt. Es kann dahinstehen, ob und in welchen Fällen das Gericht einen nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingegangenen nicht nachgelassenen Schriftsatz überhaupt berücksichtigen muss. Soweit die Kläger inzident auch rügen, dass sie sich auf die vom FG in der mündlichen Verhandlung erstmals erwähnte Rechtsprechung nicht spontan hätten erklären können, hätten sie in der mündlichen Verhandlung die Vertagung oder zumindest einen Schriftsatznachlass beantragen müssen. Im Übrigen haben die Kläger auch nicht dargelegt, was die unterbliebene Sachverhaltsermittlung ihres Erachtens hätte zu Tage fördern sollen und weshalb bei Berücksichtigung dessen das Urteil anders hätte ausfallen können