Kein Anspruch des Leistungsempfängers auf Erstattung nicht geschuldeter Umsatzsteuer aus § 37 Abs. 2 AO bei Insolvenz des Rechnungsausstellers

Dem EuGH-Urteil Reemtsma (EU:C:2007:167) ist kein unionsrechtliches Gebot zu entnehmen, einen Anspruch des Leistungsempfängers aus § 37 Abs. 2 AO auf Erstattung zu Unrecht vom Leistenden in Rechnung gestellter Umsatzsteuer gegen den Fiskus anzuerkennen, wenn eine Erstattung vom Leistenden wegen dessen Insolvenz nicht mehr (vollständig) erreicht werden kann.

Die Regelungen, die das deutsche Umsatzsteuer- und Abgabenrecht zum Schutz des Leistungsempfängers bereithält, der die zu Unrecht in Rechnung gestellte Umsatzsteuer an den Rechnungsaussteller gezahlt hat, werden den Anforderungen, die der EuGH an eine systemgerechte Abwicklung zu Unrecht erhobener und gezahlter Umsatzsteuer stellt, grundsätzlich gerecht.

BFH Urteil vom 30.06.2015 VII R 30/14

Begründung:

37 Abs. 2 AO regelt keinen Rückzahlungsanspruch des Leistungsempfängers, der die in der ihm gestellten Rechnung ausgewiesene Umsatzsteuer dem Rechnungsaussteller gezahlt hat.

Die in der Literatur vereinzelt vertretene Auffassung, bei der Umsatzsteuer müsse der Leistungsempfänger als derjenige angesehen werden, auf dessen Rechnung die Zahlung bewirkt worden ist, wenn der Steuerpflichtige zur Rückabwicklung nicht in der Lage ist, steht nicht nur zu dem klaren Wortlaut des § 37 Abs. 2 AO in Widerspruch, sondern auch zur Zielsetzung der Norm, dem Fiskus zur Vereinfachung im Massengeschäft komplexe Prüfungen des “wahren” Leistungserbringers zu ersparen.

Zwar ist ihm nach der gegenwärtigen Rechtsprechung der zur Neutralisierung der wirtschaftlichen Belastung mit der Umsatzsteuer führende Vorsteuerabzug gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG –unabhängig von einer späteren Rechnungsberichtigung– versagt, wenn die erbrachten Leistungen –wie im Streitfall– in Deutschland nicht steuerbar waren. Denn das Recht auf Vorsteuerabzug besteht nur für diejenigen Steuern, die geschuldet werden, d.h. mit einem der Umsatzsteuer unterworfenen Umsatz in Zusammenhang stehen; das Recht auf Vorsteuerabzug erstreckt sich nicht auf eine Steuer, die ausschließlich deshalb geschuldet wird, weil sie in der Rechnung ausgewiesen ist.

Allerdings bieten die Billigkeitsregelungen der §§ 163 (abweichende Festsetzung von Steuern aus Billigkeitsgründen) und 227 AO (Erstattung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis) eine hinreichende Möglichkeit, trotz Nichtvorliegens der materiell-umsatzsteuerrechtlichen Voraussetzungen den Vorsteuerabzug –jedenfalls im wirtschaftlichen Ergebnis– geltend zu machen, um auf diesem Weg den im Insolvenzverfahren nicht zu realisierenden Teil der gegen den Rechnungsaussteller gerichteten, zivilrechtlichen Forderung vom Finanzamt gutgebracht zu bekommen.