Steuerfreie Einnahmen aus der Aufnahme von Pflegepersonen in den eigenen Haushalt

Leistungen, die aus öffentlichen Mitteln der Jugendhilfe für die Aufnahme von Pflegepersonen in einen Haushalt über Tag und Nacht als Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII gewährt werden, sind auch dann eine steuerfreie Beihilfe zur Erziehung i.S. des § 3 Nr. 11 EStG, wenn die Betreuung über privatrechtliche Institutionen durch Verträge mit den Erziehungsstellen abgewickelt und im Rahmen dieser Vertragsbeziehungen die öffentlichen Mittel von den Institutionen an die Erzieher – wie im Streitfall für die Aufnahme von zwei Pflegekindern – ausgezahlt werden.

Die Auffassung, bei einer Betreuung von bis zu fünf Kindern sei die Pflege regelmäßig nicht als erwerbsmäßig anzusehen und diene deshalb unmittelbar der Förderung der Erziehung i.S. des § 3 Nr. 11 EStG), ist nicht zu beanstanden.

Privathaushalte der Erzieher sind keine Einrichtungen i.S. des § 34 SGB VIII, für die keine steuerfreien Beihilfen i.S. des § 3 Nr. 11 EStG in Betracht kommen.

Sonstige betreute Wohnformen i.S. des § 34 SGB VIII sind nur gegeben, wenn sie als Einrichtung einen institutionalisierten Rahmen für die Betreuung bieten; dazu gehören nicht lediglich angemietete Wohnungen oder die bloße Überlassung von Wohnraum wie z.B. eines Zimmers im Haushalt der betreuenden Person.

BFH Urteil vom 05.11. 2014 – VIII R 27/11, BFH/NV 2015, 960
Begründung:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Kläger und Revisionskläger (Kläger) Beträge zu versteuern haben, die die Klägerin für die Aufnahme von Pflegekindern in ihren Haushalt erhalten hat. Die Kläger sind Eheleute und haben im Dezember 2003 zwei Pflegekinder in ihren Haushalt aufgenommen.

Grundlage der Haushaltsaufnahme waren mit dem Verbund sozialtherapeutischer Einrichtungen e.V. (VSE) geschlossene Erziehungsstellenverträge. Danach hatte die Klägerin als VSE-Erziehungsstelle jeweils eine Pflegeperson in den Haushalt aufzunehmen, zu versorgen und zu betreuen.

Für die vertraglich zu erbringenden Leistungen standen der Klägerin im Streitjahr pauschal pro Kind und Monat ein Pflegegeld von 432 EUR, jeweils eine Pauschale für Sonderaufwendungen im Einzelfall von 67 EUR und für Fortbildung von 26 EUR sowie ein Honorar von 1.832 EUR zu. Mit den vereinbarten Zahlungen sollten alle vertraglichen Ansprüche der Klägerin erfüllt sein; weitergehende Ansprüche setzten einen Antrag an den VSE sowie dessen schriftliche Genehmigung voraus.

Nach der Leistungsbeschreibung der VSE für Erziehungsstellen ist eine Familie eine Erziehungsstelle, in der eine Fachkraft (entsprechend §§ 72, 72a des Achten Buches Sozialgesetzbuch –SGB VIII–) im Sinne der Betriebserlaubnis nach §§ 45 ff. SGB VIII im Auftrag der VSE in der Regel zwei Kinder in den Haushalt über Tag und Nacht –in Ausübung einer selbständigen Tätigkeit– aufnimmt, versorgt und betreut.

Nachdem die Kläger in ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr keine Angaben zu den Einnahmen aus der Betreuungstätigkeit gemacht und erklärungsgemäß veranlagt worden waren, erhielt der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) aufgrund einer Kontrollmitteilung eines anderen Finanzamtes Kenntnis über die Zahlung von Honorarleistungen an die Klägerin in Höhe von 3.063,40 EUR für die Betreuung von Pflegekindern im Jahr 2003.

Im Übrigen wies es den Einspruch, mit dem im Wesentlichen die Steuerfreiheit der Zahlungen nach § 3 Nr. 11 EStG geltend gemacht wurde, als unbegründet zurück.

Ausweislich der Erziehungsstellenverträge mit der Klägerin und der eigenen Leistungsbeschreibung des VSE handele es sich bei den Erziehungsstellen um ein Angebot gemäß § 34 SGB VIII. Pflegesatzzahlungen an Betreiber von Einrichtungen im Sinne dieser Vorschrift seien aber nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) keine Beihilfen zur Förderung der Erziehung i.S. des § 3 Nr. 11 EStG, so dass auch für deren Weiterleitung an Dritte nichts anderes gelten könne.

Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil sowie der Einkommensteueränderungsbescheid des FA für 2003 vom 14. April 2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 6. Mai 2010 sind aufzuheben. Zu Unrecht hat das FG die Steuerfreiheit der Einnahmen verneint, die die Klägerin aus ihrer –dem Grunde nach den Einkünften aus sonstiger selbständiger Arbeit zurechenbaren– Erziehertätigkeit erzielt hat.

Nach § 3 Nr. 11 Satz 1 EStG sind u.a. Bezüge aus öffentlichen Mitteln steuerfrei, die als Beihilfe zu dem Zweck bewilligt werden, die Erziehung unmittelbar zu fördern. Öffentliche Mittel sind solche, die aus einem öffentlichen Haushalt stammen, d.h. haushaltsmäßig als Ausgaben festgelegt und verausgabt.

Diese Voraussetzung ist auch gewahrt, wenn die derart in einem Haushaltsplan ausgewiesenen Mittel nicht unmittelbar aus einer öffentlichen Kasse, sondern mittelbar über Dritte gezahlt werden, sofern über die Mittel nur nach Maßgabe der haushaltsrechtlichen Vorschriften verfügt werden kann und ihre Verwendung im Einzelnen gesetzlich geregelter Kontrolle.

Die Pflege- und Erziehungsgelder werden im Rahmen der öffentlichen Jugendhilfe von den Jugendämtern gezahlt. Ihrer Zuordnung zu Zahlungen „aus öffentlichen Mitteln” steht nach der Rechtsprechung nicht entgegen, dass zur Begründung von Pflegeverhältnissen u.a. der Abschluss zivilrechtlicher Pflegeverträge –z.B. zwischen Jugendamt und Pflegeeltern– für erforderlich gehalten wird. Die mit dem Abschluss solcher Verträge verbundenen Zahlungen an Pflege- und Erziehungsgeldern stellen trotz der in zivilrechtliche Form gekleideten Übertragung des Erziehungsrechts eine haushaltsplanmäßige Verausgabung „öffentlicher Mittel” dar.

Eine unmittelbare Förderung der Erziehung im Sinne der Vorschrift liegt nach der Rechtsprechung vor, wenn die Zuwendungen öffentlicher Mittel die Erziehung ohne ein Dazwischentreten weiterer Ereignisse beeinflussen.

Dies ist insbesondere für Zahlungen zu bejahen, mit denen die Zahlungsempfänger der Notwendigkeit des Gelderwerbs zum Lebensunterhalt enthoben und dadurch zeitlich in die Lage versetzt werden, sich der Erziehung zu.

Die Erziehung im Sinne der Vorschrift als „planmäßige Tätigkeit zur körperlichen, geistigen und sittlichen Formung junger Menschen” erfasst alle Bestrebungen, Vorgänge und Tätigkeiten, die den Entwicklungsvorgang beeinflussen. Ihrer unmittelbaren Förderung dienen öffentliche Beihilfen selbst dann, wenn sie auch den Unterhalt des zu Erziehenden mit abdecken.

Für die Frage, ob die an Pflegeeltern gezahlten Erziehungsgelder die „Erziehung fördern” oder ob sie auch noch anderen Zwecken dienen, kommt es nämlich nach der BFH-Rechtsprechung entscheidend auf Inhalt und Durchführung des Pflegeverhältnisses an.

Nach dieser Rechtsprechung kann regelmäßig kein Zweifel daran bestehen, dass an Pflegeeltern geleistete Erziehungsgelder dazu bestimmt sind, zu Gunsten der in den Haushalt der Pflegeeltern dauerhaft aufgenommenen und wie leibliche Kinder betreuten Kinder und Jugendlichen „die Erziehung zu fördern”.

Solche Zweifel hat der BFH lediglich für Leistungen zu Gunsten sog. Kostkinder gesehen. Denn insoweit ist zu berücksichtigen, ob die Zuschüsse nicht vor allem die Unterbringung und Verköstigung abgelten sollen (vgl. zur steuerlichen Würdigung der Unterbringung, Verköstigung und der allgemeinen Betreuung von Kindern in Kinderheimen:

Demgemäß hat der BFH die von Jugendämtern an Pflegeeltern geleisteten Erziehungsgelder als nach § 3 Nr. 11 EStG steuerfrei beurteilt. Mit der Zahlung der Pflegegelder sei keine vollständige Ersetzung des sachlichen und zeitlichen Aufwands der Pflegeeltern beabsichtigt. Zuwendungen an Pflegeeltern ähnelten in vielerlei Hinsicht Zahlungen, die die leiblichen Eltern für die Erziehung ihrer Kinder ebenfalls steuerfrei erhielten.

Diesen Leistungen gegenübergestellt hat der BFH als steuerpflichtige Einnahmen Zahlungen an Personen, die Kinder nur des Erwerbs wegen in ihren Haushalt aufgenommen haben.

Danach sind öffentliche Zuwendungen für die Übernahme der Heimerziehung keine Beihilfen i.S. des § 3 Nr. 11 EStG, wenn die dafür gezahlten Beträge –pauschal– die tatsächlichen Kosten in angemessenem Umfang nach Maßgabe der zugrunde gelegten Pflegesätze hinsichtlich der Personal- und Sachkosten umfassen.

Dementsprechend hat der BFH auch die von den Jugendämtern an die Betreuer von sog. Tagesgroßpflegestellen gezahlten Erziehungsgelder nicht als nach § 3 Nr. 11 EStG steuerfrei angesehen sie dienten nicht ausschließlich und nicht prägend der Erziehung, sondern auch der Unterbringung, Verpflegung und allgemeinen Betreuung.

„Personen, die ein fremdes Kind versorgen und erziehen, erhalten in bestimmten Fällen wegen der Kosten, die dadurch typischerweise entstehen, finanzielle Leistungen aus öffentlichen Mitteln (Pflegegeld im weiteren Sinne). Diese Leistungen werden entweder in einem einheitlichen Betrag gezahlt oder sie setzen sich zusammen aus einem Betrag, der unmittelbar der Sicherung des Lebensbedarfs des Kindes dient (Pflegegeld im engeren Sinne), und aus einem Erziehungsbeitrag (Erziehungsgeld).

Nach dem Ergebnis der Erörterungen mit den obersten Finanzbehörden der Länder in der Sitzung ESt I/90 – außerhalb der Tagesordnung – stellen sowohl das Pflegegeld im engeren Sinne als auch das Erziehungsgeld steuerfreie Einnahmen nach § 3 Nr. 11 EStG dar. Dies gilt auch bei Tages- oder Kurzzeitpflege. Voraussetzung ist jedoch, daß es sich um eine auf Dauer angelegte Pflege handelt und die Pflege nicht erwerbsmäßig betrieben wird. Erwerbsmäßig wird die Pflege betrieben, wenn das Pflegekind die wesentliche Erwerbsgrundlage darstellt. Bei einer Betreuung von bis zu fünf Kindern kann ohne nähere Prüfung unterstellt werden, dass die Pflege nicht erwerbsmäßig betrieben wird.”

„Sowohl das Pflegegeld als auch die anlassbezogenen Beihilfen und Zuschüsse aus öffentlichen Mitteln sind Beihilfen im Sinne des § 3 Nr. 11 EStG, die die Erziehung unmittelbar fördern, sofern eine Erwerbstätigkeit nicht vorliegt. Werden mehr als sechs Kinder im Haushalt aufgenommen, wird eine Erwerbstätigkeit vermutet. Bei einer Betreuung von bis zu sechs Kindern ist ohne weitere Prüfung davon auszugehen, dass die Pflege nicht erwerbsmäßig betrieben wird.”

Nach diesen Grundsätzen ist abweichend von der Auffassung der Vorinstanz die Steuerfreiheit der im Streitfall bezogenen Einnahmen aus erzieherischer Tätigkeit gemäß § 3 Nr. 11 EStG gegeben.

Die Einnahmen der Klägerin sind öffentliche Mittel, weil sie unstreitig konkret bezogen auf die von der Klägerin betreuten Kinder jeweils von dem zuständigen Jugendamt auf der Grundlage der durch Haushaltsplan der Gebietskörperschaft bereitgestellten Haushaltsmittel bewilligt wurden.

Der Umstand, dass diese bewilligten Zahlungen über einen zwischengeschalteten Träger an die Klägerin als Erziehende auf der Grundlage eines Vertrages zwischen ihr und dem Träger geleistet wurden, steht der Annahme „öffentlicher Mittel” i.S. des § 3 Nr. 11 EStG nicht entgegen.

Allerdings hat die Finanzverwaltung zur Vollzeitpflege im Wege der Abwicklung über einen zwischengeschalteten Träger mit Wirkung von diesem Tag an die Steuerfreiheit geleisteter Zahlungen nach § 3 Nr. 11 EStG an die Voraussetzung geknüpft, dass

– der Pflegeperson das ihr zustehende Pflegegeld direkt vom örtlichen Jugendamt bewilligt worden ist, so dass das Geld bei dem zwischengeschalteten freien Träger nur einen so genannten durchlaufenden Posten darstellt;
– zur Annahme eines durchlaufenden Postens eindeutige und unmissverständliche vertragliche Regelungen zwischen Jugendamt, freiem Träger und der Pflegeperson/Erziehungsstelle i.S. des § 33 SGB VIII bestehen (vertragliche Vereinbarung zwischen allen Parteien, dass das vom Jugendamt zweckgebunden an den freien Träger ausgezahlte Pflegegeld unverändert an die Pflegeperson weitergeleitet wird und sich durch diese formale, organisatorische Abwicklung dem Grunde und der Höhe nach am Pflegegeldanspruch der Pflegeperson nichts ändert) und
– Vollmacht und Erklärung der Pflegeperson vorliegen, mit der Weiterleitung des Pflegegeldes des örtlichen Jugendamts über den freien Träger einverstanden zu sein.

Diese Rechtsauffassung der Finanzverwaltung steht der Annahme „öffentlicher Mittel” im Sinne von in einem öffentlichen Haushalt als Ausgaben festgelegten und entsprechend verausgabten) nicht entgegen.

Diese Voraussetzung ist nach ständiger Rechtsprechung schon dann gewahrt, wenn die in einem Haushaltsplan ausgewiesenen Mittel nicht unmittelbar aus einer öffentlichen Kasse, sondern mittelbar über Dritte gezahlt werden, sofern über die Mittel nur nach Maßgabe der haushaltsrechtlichen Vorschriften verfügt werden kann und ihre Verwendung im Einzelnen gesetzlich geregelter Kontrolle unterliegt