Die Begründung einer Erweiterungsanordnung nur mit dem Verweis auf § 4 Abs. 3 Satz 2 BpO 2000 ist im Hinblick auf § 121 Abs. 2 Nr. 2 AO ausnahmsweise dann ausreichend, wenn das FA dem Stpfl. die Gründe für die Erwartung nicht unerheblicher Änderungen der Besteuerungsgrundlagen bereits zuvor im Rahmen einer Besprechung mitgeteilt hat.
BFH Urteil vom 16.09.2014 – XR 30/13 BFHNV 2015 S.150
Begründung:
Zu Recht hat das FG ein berechtigtes Interesse des Klägers an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der nach Abschluss der Außenprüfung erledigten Prüfungsanordnungen vom 5. Oktober 2012 bejaht, da dieser insbesondere die aufgrund der getroffenen Feststellungen ergangenen Bescheide angefochten.
Das FG hat die Erweiterungsanordnungen vom 5. Oktober 2012 im Ergebnis zutreffend als rechtmäßig angesehen. Die Voraussetzungen für eine Erweiterung des Prüfungszeitraums haben vorgelegen (unter a). Darüber hinaus ist auch den Begründungsanforderungen Genüge getan (unter b). Der Erlass der Einspruchsentscheidungen führt zu keinem anderen Ergebnis.
Das FA war im Hinblick auf § 4 Abs. 3 Satz 2 BpO 2000 berechtigt, die ursprünglich für die Jahre 2008 bis 2010 angeordnete Außenprüfung in zeitlicher Hinsicht auf das Jahr 2007 zu erweitern. Gemäß § 193 Abs. 1 AO ist eine Außenprüfung bei Steuerpflichtigen zulässig, die –wie der Kläger– einen gewerblichen Betrieb unterhalten. Nach § 194 Abs. 1 Satz 2 AO kann eine Außenprüfung mehrere Steuerarten und Besteuerungszeiträume umfassen oder sich aber auch auf bestimmte Sachverhalte beschränken. Den Umfang der Außenprüfung hat gemäß § 196 AO die zuständige Finanzbehörde –im Streitfall das FA– in einer schriftlichen Prüfungsanordnung zu bestimmen. Die Bestimmung des Prüfungsumfangs ist eine von den Gerichten nur gemäß § 102 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zu überprüfende Ermessensentscheidung).
Die Finanzbehörden haben sich für die Ausübung ihres Ermessens durch die BpO 2000 dahin gebunden, dass bei Steuerpflichtigen, die –wie der Kläger– kein Großbetrieb oder Unternehmen i.S. der §§ 13 und 19 BpO 2000 sind, der Prüfungszeitraum in der Regel nicht mehr als drei zusammenhängende Besteuerungszeiträume umfassen soll (§ 4 Abs. 3 Satz 1 BpO 2000). Nach § 4 Abs. 3 Satz 2 BpO 2000 kann der Prüfungszeitraum aber u.a. dann drei Besteuerungszeiträume übersteigen, wenn mit nicht unerheblichen Änderungen der Besteuerungsgrundlagen zu rechnen ist. Diese Verwaltungsregelung ist als Maßnahme der Selbstbindung der Verwaltung bei der Ermessensausübung auch im gerichtlichen Verfahren zu beachten.
Die Feststellung, ob mit nicht unerheblichen Änderungen der Besteuerungsgrundlagen –und damit letztlich mit nicht unerheblichen Steuernachforderungen– zu rechnen ist, erfordert eine Voraussage, die durch Tatsachen gestützt sein. Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG, die für den erkennenden Senat bindend sind (§ 118 Abs. 2 FGO), bestand sowohl bei Erlass der Erweiterungsanordnungen als auch noch im Zeitpunkt der Einspruchsentscheidungen aufgrund konkreter, durch die Prüfung der Jahre 2008 bis 2010 aufgedeckter Umstände –nämlich der gewinnmindernden Berücksichtigung der Schuldzinsen für das auf dem Konto 705 geführte Darlehen, obwohl keine betriebliche Veranlassung erkennbar war– die begründete Vermutung, dass aufgrund vergleichbarer Verhältnisse mit einer nicht unerheblichen Änderung des Gewinns aus Gewerbebetrieb des Jahres 2007 zu rechnen war.
Insbesondere ist dabei die Würdigung des FG, dieser Sachverhalt sei erkennbar für die Entscheidung des FA ausschlaggebend gewesen, den Prüfungszeitraum auch auf das Jahr 2007 auszudehnen, in revisionsrechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden. Entgegen der Ansicht des Klägers ist dies durch den gefertigten Vermerk über die Besprechung zweifelsfrei dokumentiert. Da die Voraussetzungen für eine Ausdehnung des Prüfungszeitraums –wie vorstehend ausgeführt– tatsächlich vorlagen, ist die Entscheidung des FA unter Ermessensgesichtspunkten nicht zu beanstanden, insbesondere sind Anhaltspunkte für ein willkürliches, schikanöses oder unverhältnismäßiges Verhalten des FA nicht ersichtlich.
Dem Erfordernis, die Erweiterung der Außenprüfung zu begründen, ist vorliegend hinreichend Rechnung getragen worden.Als schriftlicher Verwaltungsakt ist die Erweiterung einer Prüfungsanordnung (§ 196 AO) nach § 121 Abs. 1 AO schriftlich zu begründen, soweit dies zu ihrem Verständnis erforderlich ist.
Nach ständiger Rechtsprechung muss, wenn das FA den Prüfungszeitraum über die von der Finanzverwaltung im Wege einer Selbstbindung ihres Ermessens festgelegten regelmäßig vorgesehenen Zeitgrenze hinaus verlängern will, die Anordnung so begründet werden, dass das FG in der Lage ist, seiner gerichtlichen Ermessenskontrolle (vgl. § 102 FGO) nachzukommen.
Wird die Ausdehnung des Prüfungszeitraums im Hinblick auf die Erwartung nicht unerheblicher Steuernachforderungen vorgenommen, so muss die erforderliche Zukunftsprognose –wie ausgeführt– auf Tatsachen gestützt werden. Diese Gesichtspunkte bestimmen und begrenzen die Anforderungen an den Begründungszwang des FA. Indessen sind auch in diesem Fall die konkreten Ermessenserwägungen nicht im Einzelnen darzustellen. Wird der Prüfungszeitraum –wie im Streitfall– im Rahmen einer Routineprüfung erweitert, so wird die mit der Durchführung der Außenprüfung verbundene generelle Belastung nicht wesentlich erhöht. Eine Begründung ist dann entbehrlich, wenn dem Adressaten des Verwaltungsakts die Auffassung der Finanzbehörde über die Sach- und Rechtslage bereits bekannt oder auch ohne schriftliche Begründung ohne Weiteres erkennbar ist (§ 121 Abs. 2 Nr. 2 AO).
Bei Heranziehung dieser Rechtsgrundsätze hat das FA die Prüfungserweiterung ausreichend begründet.Das FG hat für den Senat bindend festgestellt, dass das FA eine Prüfungserweiterung “wegen der auf dem Konto 705 gebuchten Schuldzinsen” vor Erlass der Erweiterungsanordnungen zwar nicht mit dem Kläger persönlich, wohl aber mit X besprochen hatte, der den Kläger später über das Gesagte informierte. Angesichts des von dem Prüfer über die Besprechung gefertigten Vermerks und nicht zuletzt der Einlassung des X in der mündlichen Verhandlung begegnet die Würdigung des FG, dem Kläger sei damit hinreichend bekannt gewesen, auf welchen Sachverhalt sich der in den Erweiterungsanordnungen angegebene Grund stützte, es sei mit nicht unerheblichen Änderungen der Besteuerungsgrundlagen zu rechnen, aus revisionsrechtlicher Sicht keinen Bedenken. Eine durchgreifende Verfahrensrüge hat der Kläger insoweit nicht erhoben. Insbesondere reicht es nicht aus, wenn er nun geltend macht, für ihn sei aus dem Gespräch nicht erkennbar gewesen, aus welchen konkreten Gründen eine Prüfungserweiterung in Betracht gekommen sei, zumal der Kläger selbst bei der maßgeblichen Besprechung gar nicht anwesend war.
Soweit das FA seine Prognose, es seien nicht unerhebliche Steuernachforderungen zu erwarten, in den Einspruchsentscheidungen mit den gewinnmindernd berücksichtigten Schuldzinsen für das erst Mitte des Jahres 2008 gewährte Darlehen (Konto 707) begründet hat, macht dies die Anordnung der Prüfungserweiterung unter den Gegebenheiten des Streitfalls nicht ermessenwidrig. Zu Recht ist das FG zunächst davon ausgegangen, dass das FA seine Prognose als Grundlage für die Erweiterung der Betriebsprüfung auf das Vorjahr 2007 hierauf nicht stützen konnte, da die Feststellungen auf einem besonders gelagerten, erst während des regulären Prüfungszeitraums beginnenden Sachverhalt basierten.
Auch wenn das FA die Erweiterung der Betriebsprüfung in zeitlicher Hinsicht auf das Jahr 2007 somit nicht mit dem erst Mitte des Jahres 2008 gewährten Darlehen “707” begründen konnte, hat es doch in der Einspruchsentscheidung zum Darlehen “705” zumindest diejenigen tatsächlichen Feststellungen getroffen, die die Begründung der Prüfungserweiterung ohne Weiteres getragen hätten.
Zwar macht der Kläger zu Recht geltend, entscheidend sei die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung. Es stellt indes keinen Ermessensfehler dar, wenn eine Behörde ihre Entscheidung auf mehrere Ermessenserwägungen stützt, von denen zwar eine oder einzelne fehlerhaft sind, die Behörde aber zum Ausdruck gebracht hat, dass bereits jede einzelne der Ermessenserwägungen sie dazu veranlasst hat, die von ihr getroffene Entscheidung vorzunehmen, also insofern bereits allein tragend ist (Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 20. Aufl., § 114 Rz 6a, m.w.N.). Für die Rechtmäßigkeit der Entscheidung genügt es, dass ein selbständig tragender Grund rechtlich fehlerfrei ist.
Der Senat kann offenlassen, ob die Formulierung in der Einspruchsentscheidung vom 10. Dezember 2012, wonach die Annahme einer nicht unerheblichen Nachforderung “Allein aus der Doppelberücksichtigung der Schuldzinsen im Rahmen der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung und den Einkünften aus Gewerbebetrieb” nur auf die für das Streitjahr nicht einschlägigen Feststellungen zum Darlehen bezogen sind oder auch die ursprünglichen zutreffenden Erwägungen zum Konto 705 umfassten. Jedenfalls konnte ein objektiver Empfänger die Einspruchsentscheidung nicht in dem Sinn verstehen, das FA halte die ursprünglichen (zutreffenden) Erwägungen nicht mehr aufrecht (vgl. § 44 FGO). Das FA hat im Tatbestand seiner Einspruchsentscheidung die Feststellungen zu beiden Darlehen (705 und 707) angesprochen. In den Gründen der Einspruchsentscheidung sind keine Ausführungen enthalten, wonach an den ursprünglichen dem X bekannt gegebenen Erwägungen (s. oben bei II.2.b bb) nicht mehr festgehalten werde.
Bei einer solchen Sachlage war das FA gemäß § 102 Satz 2 FGO befugt, die von ihm bereits im Verwaltungsverfahren angestellten zutreffenden Erwägungen hinsichtlich des Verwaltungsakts zu verdeutlichen (Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 102 Rz 20). Dies hat das FA getan, indem es im Klageverfahren seine Erwägungen hinsichtlich der über das Konto 705 gebuchten Schuldzinsen als maßgeblichen Grund für die Prüfungserweiterung hervorgehoben hat. Mit seiner Klageerwiderung hat das FA nichts in das Verfahren eingeführt, was den Rahmen des § 102 Satz 2 FGO hätte sprengen können, sondern lediglich an Stelle der bisherigen Begründungsbruchstücke präzise und korrekt mitgeteilt, warum die Prüfungserweiterung erlassen wurde und erlassen werden durfte.
Jedenfalls bei Vorliegen einer solchen Konstellation war die Verdeutlichung der Ermessenserwägungen im Rahmen des finanzgerichtlichen Verfahrens auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil Gegenstand des Prozesses eine die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts betreffende Fortsetzungsfeststellungsklage war. Es spricht nichts dafür, dass nach Auffassung der Rechtsbehelfsstelle des FA nur beide Gründe zusammen die Entscheidung rechtfertigen sollten. Vielmehr ist angesichts der Umstände des Streitfalls davon auszugehen, dass das FA die Entscheidung zur Prüfungserweiterung (weiterhin) auch dann getroffen hätte, wenn es nicht fehlerhaft davon ausgegangen wäre, die Erwartung nicht unerheblicher Änderungen der Besteuerungsgrundlagen im Streitjahr 2007 auch mit den zu Unrecht als Betriebsausgaben berücksichtigten Schuldzinsen für das (private) Darlehen “707” begründen zu können. Dies folgt neben den Tatsachenfeststellungen zum Darlehen “705” auch daraus, dass das FA in der Einspruchsentscheidung Bezug auf die BFH-Rechtsprechung zum Ausmaß der zu erwartenden Mehrsteuern genommen hat. Ihm war damit bewusst, dass in betraglicher Hinsicht jeder Sachverhalt für sich allein eine Prüfungserweiterung rechtfertigte, es insoweit mithin gerade keiner Kumulation bedurfte.