Schuldhaftes Fristversäumnis bei Nichtbeachtung der üblichen Telefaxversendungszeit

Die übliche Telefaxversendungszeit umfasst nicht nur die rein technische Übertragungszeit, sondern auch einen Sicherheitszuschlag von 20 Minuten für den Fall einer etwaigen Belegung des Empfangsgeräts. Beginnt die Telefaxübermittlung so spät, dass unter Berücksichtigung der auf diese Weise ermittelten üblichen Telefaxversendungszeit kein rechtzeitiger Zugang des Schriftsatzes erwartet werden kann, liegt keine unverschuldete Fristversäumnis i.S. des § 56 FGO vor. Ob das Empfangsgerät tatsächlich belegt war, ist unerheblich.

BFH Beschluss vom 08.10.2015 – VII B 147/14 BFH/NV 2016, 214

Begründung:

Die Beschwerde ist unzulässig, da die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) sie nicht innerhalb der in § 116 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) bezeichneten Frist begründet hat.

Nach Verlängerung durch den Vorsitzenden (§ 116 Abs. 3 Satz 4 FGO) ist die Frist zur Begründung der Beschwerde am 13. November 2014 abgelaufen. Diese Frist hat die Klägerin nicht gewahrt. Ihr Bevollmächtigter hat zwar am 13. November 2014 um 23:50 Uhr die Faxübertragung der 30 Seiten umfassenden Beschwerdebegründung gestartet. Das Empfangsgerät des Gerichts hat die letzte Seite dieses Schriftsatzes, auf der sich die Unterschrift des Bevollmächtigten befand, aber erst nach Mitternacht am 14. November 2014 empfangen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) folgt daraus die Versäumung der Begründungsfrist.

Zwar kann eine Frist im Interesse des Rechtsschutz suchenden Bürgers bis zuletzt ausgeschöpft werden. Jedoch ist beim vollen Ausnutzen der Frist besondere Sorgfalt geboten. Wird ein fristwahrender Schriftsatz erst kurz vor Fristablauf per Telefax an das Gericht übermittelt, ist eine Fristversäumnis nur dann unverschuldet, wenn der Absender mit der Übermittlung so rechtzeitig begonnen hat, dass er unter gewöhnlichen Umständen mit dem Abschluss des Übermittlungsvorgangs noch vor Fristablauf rechnen konnte.

Im Streitfall hat der Bevollmächtigte die 30 Seiten umfassende Beschwerdebegründung nach seinem eigenen Vortrag erst um 23:40 Uhr fertiggestellt. Anschließend begann er mit dem Ausdruck des Schriftsatzes, um ihn in einem zweiten Schritt per Telefax an das Gericht zu übermitteln. Unabhängig davon, ob die durch fehlendes Druckerpapier verursachte Verzögerung beim Ausdruck entschuldbar war, hat er damit nicht den bei einer Telefaxübermittlung erforderlichen Sicherheitszuschlag berücksichtigt.

Sowohl der BFH als auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG), das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) und der Bundesgerichtshof (BGH) gehen davon aus, dass für den Fall einer Belegung des Empfangsgeräts ein Sicherheitszuschlag in der Größenordnung von 20 Minuten einkalkuliert werden muss. Zwar weist die Klägerin zutreffend darauf hin, dass das BVerfG in seinem Beschluss in BVerfGE 135, 126 lediglich positiv eine Erfüllung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt festgestellt hat, wenn über die zu erwartende Übermittlungsdauer hinaus ein Sicherheitszuschlag in der Größenordnung von 20 Minuten einkalkuliert wird. Der Senat hat aber bereits in seinem Beschluss in BFH/NV 2004, 519 ausdrücklich entschieden, dass der Übermittler eines Telefaxes mit Verzögerungen von 20 Minuten aufgrund der Belegung des Empfangsgeräts rechnen muss.

Die übliche Telefaxversendungszeit, deren Beachtung erforderlich ist, um ohne Verschulden von der rechtzeitigen Übermittlung eines fristwahrenden Schriftsatzes per Fax ausgehen zu können, umfasst im Ergebnis nicht nur die rein technische Übertragungszeit, sondern zusätzlich einen Sicherheitszuschlag von etwa 20 Minuten. Beginnt die Telefaxübermittlung so spät, dass unter Berücksichtigung der auf diese Weise ermittelten üblichen Telefaxversendungszeit kein rechtzeitiger Zugang des Schriftsatzes erwartet werden kann, liegt keine unverschuldete Fristversäumnis i.S. des § 56 FGO vor. Dabei kommt es für die zusätzliche Berücksichtigung des Sicherheitszuschlags nicht darauf an, ob sich die Telefaxübertragung tatsächlich wegen einer Belegung des Empfangsgeräts verlängert hat. Dem Einwand der Klägerin, dies widerspreche dem Schutzzweckzusammenhang, ist entgegenzuhalten, dass der Sicherheitszuschlag nicht isoliert zu betrachten ist, sondern in die Ermittlung einer einheitlichen üblichen Telefaxversendungszeit für vergleichbare Telefaxe eingeht. Dem entspricht auch die Gleichstellung der üblichen Telefaxversendungszeit mit den üblichen Postlaufzeiten durch das BVerfG in seinem Beschluss in BVerfGE 135, 126.

Für den Streitfall folgt daraus, dass der Bevollmächtigte nicht erst um 23:40 Uhr mit dem Ausdruck des Schriftsatzes hätte beginnen dürfen. Denn der Zeitraum zwischen dem möglichen Beginn der Telefaxübertragung und dem Ablauf der Frist war dadurch kürzer als die übliche Telefaxversendungszeit, die sich aus der voraussichtlichen technischen Übertragungszeit und einem Sicherheitszuschlag von etwa 20 Minuten zusammensetzt.