BFH versagt vorläufigen Rechtsschutz gegen Solidaritätszuschlag

Die Erhebung des Solidaritätszuschlags zur Körperschaftsteuer für 2007 ist verfassungsgemäß.

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 15.06.2016 II B 91/15

Begründung:

Dem öffentlichen Interesse am Vollzug des Solidaritätszuschlags kommt Vorrang gegenüber dem Interesse des Steuerpflichtigen an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zu. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) mit Beschluss vom 15. Juni 2016 II B 91/15 unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls entschieden. Dem steht nicht entgegen, dass das Niedersächsische Finanzgericht mit Beschluss vom 21. August 2013 7 K 143/08 das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) erneut zur Klärung der Verfassungsmäßigkeit des Solidaritätszuschlaggesetzes angerufen hat.

Der Streitfall betraf das Jahr 2012. Vom Arbeitslohn der Antragsteller war der Solidaritätszuschlag einbehalten und an das Finanzamt abgeführt worden. Die Antragsteller begehrten die vorläufige Rückzahlung des von ihnen entrichteten Solidaritätszuschlags von ca. 715 €.

Der BFH lehnte dies ab. Das öffentliche Interesse am Vollzug des Solidaritätszuschlaggesetzes sei wegen der Sicherung einer geordneten Haushaltsführung vorrangig. Eine vorläufige Nichterhebung des Solidaritätszuschlags würde dazu führen, dass das Solidaritätszuschlaggesetz faktisch außer Kraft gesetzt werden würde. Dies hätte Einnahmenausfälle in Milliardenhöhe zur Folge. Es könne offen bleiben, ob der Vorlagebeschluss des Niedersächsischen Finanzgerichts ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der festgesetzten Solidaritätszuschläge begründen könne. Der BFH habe bereits früher entschieden, dass das Solidaritätszuschlaggesetz verfassungsgemäß sei (Urteile vom 21. Juli 2011 II R 52/10, BFHE 234, 250, BStBl II 2012, 43, und II R 50/09, BFH/NV 2011, 1685). Das BVerfG habe die dagegen erhobenen Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung angenommen.

Niedersächsisches Finanzgericht hält Solidaritätszuschlag für verfassungswidrig

Der 7. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts (NFG) hat aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 21.8.2013 in dem Klageverfahren mit dem Aktenzeichen 7 K 143/08 entschieden, dass das Verfahren nach Art. 100 Absatz 1 des Grundgesetzes (GG) ausgesetzt und eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) eingeholt wird. Das vorlegende Finanzgericht ist von der Verfassungswidrigkeit des Solidaritätszuschlaggesetzes 1995 (SolZG) auch aufgrund neuer Argumente weiterhin überzeugt und hält deshalb eine weitere Vorlage an das BVerfG für geboten.

Die neuen Argumente des 7. Senats des NFG beziehen sich auf Art. 3 Absatz 1 GG, also auf das verfassungsrechtliche Gebot, dass vor dem Gesetz alle Menschen gleich zu behandeln sind. Der Solidaritätszuschlag wird bei gleichgelagerten Sachverhalten in unterschiedlicher Höhe festgesetzt. Ausländische Einkünfte und inländische gewerbliche Einkünfte unterliegen wegen verschiedener steuerlicher Anrechnungsvorschriften nicht vollständig dem Solidaritätszuschlag. Folglich werden bei gleich hohem Einkommen Arbeitnehmer (wie der Kläger) durch den Solidaritätszuschlag stärker belastet als Gewerbetreibende und als Bezieher ausländischer Einkünfte. Nach Auffassung des 7. Senats des NFG ist damit der Gleichbehandlungsgrundsatz verletzt.

Der 7. Senat des NFG hatte in demselben Klageverfahren bereits mit Beschluss vom 25.11.2009 dem BVerfG die Rechtsfrage vorgelegt, ob das SolZG gegen die Finanzverfassung und damit gegen das allgemeine Freiheitsrecht des Steuerpflichtigen (Art. 2 Absatz 1 GG) verstößt. Eine Kammer des BVerfG erklärte diese Vorlage mit Beschluss vom 8.9.2010 (Aktenzeichen: 2 BvL 3/10) für unzulässig, weil sie die Bindungswirkung einer Senatsentscheidung des BVerfG aus dem Jahre 1972 zu einer anderen Ergänzungsabgabe nicht hinreichend beachtet habe, so dass bislang noch keine inhaltliche verfassungsrechtliche Überprüfung des SolZG durch einen kompletten Senat des BVerfG vorliegt.

Nachfolgende Auszüge aus den Orientierungssätzen des insgesamt 70 Seiten umfassenden Beschlusses geben einen Überblick darüber, welche Erwägungen für den 7. Senat des NFG maßgebend waren.

1. Die Regelung der Bemessungsgrundlage des Solidaritätszuschlags verstößt gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Absatz 1 GG. Inländische und ausländische Einkünfte sowie inländische Einkünfte untereinander (gewerbliche und nichtgewerbliche) werden ungleich behandelt. So werden gewerbliche und ausländische Einkünfte durch bestimmte Reduzierungen der Bemessungsgrundlagen von dem Solidaritätszuschlag teilweise entlastet (dazu §§ 35, 34c des Einkommensteuergesetzes und § 26 des Körperschaftsteuergesetzes). Für diese Ungleichbehandlungen fehlen hinreichend tragfähige Rechtfertigungsgründe. Eine Begünstigung der gewerblichen Einkünfte bei der Erhebung des Solidaritätszuschlags gegenüber nichtgewerblichen Einkünften war vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt; ausweislich der Gesetzesbegründung soll die Belastung aller Steuerpflichtigen entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit erfolgen. Auf die Feststellungen des Bundesrechnungshofs hat das Bundesministerium der Finanzen eingeräumt, dass ausländische Einkünfte derzeit nur eingeschränkt in die Berechnung des Solidaritätszuschlags einbezogen werden.

2. Nach den Rechtsgrundsätzen des BVerfG zur Rechtsstaatlichkeit des Besteuerungseingriffs des Staates gegenüber dem Bürger als Teil der verfassungsmäßigen Ordnung im Sinne des Art. 2 Absatz 1, 20 Absatz 3 GG und unter Beachtung der Vorstellungen (Motive) des Verfassungsgebers kann überdies nicht begründet werden, dass der Solidaritätszuschlag nach dem SolZG 1995 noch eine zulässige Ergänzungsabgabe im Sinne des Art. 105 Absatz 2, 106 Absatz 1 Nr. 6 GG ist, mit der der Kläger auch im Streitjahr 2007 noch belastet werden darf. Die Gesetzgebungs- bzw. die Gesetzfortführungskompetenz für den Solidaritätszuschlag sind im Streitjahr 2007 entfallen. Das SolZG 1995 verletzt im Streitjahr 2007 die Finanzverfassung und damit die verfassungsmäßige Ordnung im Sinne der Art. 2 Absatz 1, 20 Absatz 3 GG und verstößt mithin gegen das allgemeine Freiheitsrecht des Steuerpflichtigen und gegen das Rechtsstaatsprinzip. Der Gesetzgeber hat sich nicht an die vom Verfassungsgeber gesetzten Regeln der Finanzverfassung gehalten.

3. Der Solidaritätszuschlag darf als Ergänzungsabgabe allein zur Deckung vorübergehender Bedarfsspitzen im Bundeshaushalt erhoben werden, weil sich die Ergänzungsabgabe im Vergleich zu den sonstigen Steuern, die in der Finanzverfassung aufgezählt sind, wie die seltene Ausnahme zur Regel verhält. Zwar muss eine Ergänzungsabgabe nicht von vornherein befristet erhoben werden, jedoch verbietet der Ausnahmecharakter der Ergänzungsabgabe eine dauerhafte, eine immerwährende Erhebung dieser Steuer. Dies ergibt sich aus den Gesetzesmaterialien zur Einführung des Finanzierungsinstruments der Ergänzungsabgabe in das Grundgesetz im Jahre 1955. Die Fortführung des Solidaritätszuschlags widerspricht auch deshalb den erkennbaren Vorstellungen des Verfassungsgebers, weil es in den letzten Jahren immer wieder umfassende und auf Dauer angelegte allgemeine und punktuelle Steuerermäßigungen gab, obwohl der Solidaritätszuschlag weitgehend unverändert erhoben worden ist. Der Bundesrat hat es im Jahr 1954 ausdrücklich als „nicht vertretbar" erachtet, das Zuschlagsrecht (Ergänzungsabgabe) im Zusammenhang mit einer Steuertarifsenkung auszuüben und dadurch die steuerliche Entlastung zum Teil wieder aufzuheben (Bundestags-Drucksache 2/484 vom 29. 4.1954, S. 1).

4. Der Annahme einer Bindungswirkung für das vorlegende Finanzgericht gemäß § 31 Absatz 1 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes (BVerfGG) steht die Unterschiedlichkeit der Vorlagegegenstände zwischen dem des vorliegenden Vorlagebeschlusses und dem der Entscheidung des BVerfG vom 9.2.1972 1 BvL 16/69 (BVerfGE 32, S. 333) sowie die Divergenz zwischen den jeweiligen verfassungsrechtlichen Maßstäben entgegen. Soweit mit dem vorliegenden Beschluss eine Verletzung des Gleichheitssatzes nach Art. 3 Absatz 1 GG durch die Bestimmung der Bemessungsgrundlage nach § 3 SolZG geltend gemacht wird, ist überdies der bisherigen Rechtsprechung des BVerfG eine Bindungswirkung nach § 31 Absatz 1 BVerfGG nicht zu entnehmen, da eine verfassungsgerichtliche Entscheidung über die Vereinbarkeit des § 3 SolZG (einschließlich vergleichbarer Vorgängervorschriften früherer Ergänzungsabgaben) mit Art. 3 Absatz 1 GG bislang nicht getroffen worden ist.

Das Aktenzeichen des BVerfG lautet: 2 BvL 6/14.

 

Solidaritätszuschlag für verfassungswidrig ?

Das Niedersächsisches Finanzgericht hält den Solidaritätszuschlag für verfassungswidrig.

Niedersächsisches Finanzgericht  21. August 2013, 7 K 143/08

Begründung (FG):

Aufgrund der verschiedenen Anrechnungsvorschriften bei der Festsetzung der Einkommensteuer – z.B. bei ausländischen Einkünften (§ 34c EStG) bzw. bei der Gewerbesteuer (§ 35 EStG) – wird Solidaritätszuschlag in unterschiedlicher Höhe bei gleichgelagerten Sachverhalten festgesetzt. Hierfür liegt nach Auffassung des vorlegenden Gerichts ein sachlicher Rechtfertigungsgrund nicht vor. Damit verstößt die Regelung gegen das Gleichbehandlungsgebot aus Art. 3 Abs. 1 GG.

Das Niedersächsische Finanzgericht hatte in diesem Verfahren bereits mit Beschluss vom 25.11.2009 dem BVerfG die Frage vorgelegt, ob das SolZG gegen die Finanzverfassung und gegen das allgemeine Freiheitsrecht des Steuerpflichtigen verstößt. Das BVerfG hatte diese Vorlage allerdings für unzulässig erklärt und deshalb keine materiell-rechtliche Prüfung vorgenommen (BVerfG, Beschluss vom 08.09.2010 – Az.: 2 BvL 3/10). Der Vorlagebeschluss des 7. Senats vom heutigen Tage stützt sich nunmehr auf die oben dargestellten neuen rechtlichen Erwägungen.