Bereitstellungsentgelte als pauschalierte Entschädigung nicht umsatzsteuerbar

So genannte Bereitstellungsentgelte, die ein Speditionsunternehmen erhält, wenn eine Zwangsräumung kurzfristig von dem Gerichtsvollzieher abgesagt wird, stellen eine pauschalierte Entschädigung dar und unterliegen mangels eines Leistungsaustauschs nicht der Umsatzsteuer.

BFH Urteil vom 30.6.2010, XI R 22/08

Begründung:

Zwischen der Leistung und dem erhaltenen Gegenwert muss ein unmittelbarer Zusammenhang bestehen, wobei die gezahlten Beträge die tatsächliche Gegenleistung für eine bestimmbare Leistung darstellen, die im Rahmen eines zwischen dem Leistenden und dem Leistungsempfänger bestehenden Rechtsverhältnisses, in dem gegenseitige Leistungen ausgetauscht werden, erbracht wurde. Dabei bestimmt sich in erster Linie nach dem der Leistung zugrunde liegenden Rechtsverhältnis, ob die Leistung des Unternehmers derart mit der Zahlung verknüpft ist, dass sie sich auf die Erlangung einer Gegenleistung (Zahlung) richtet.

Echte Entschädigungs- oder Schadensersatzleistungen sind demgegenüber kein Entgelt im Sinne des Umsatzsteuerrechts, wenn die Zahlung nicht für eine Lieferung oder sonstige Leistung an den Zahlungsempfänger erfolgt, sondern weil der Zahlende nach Gesetz oder Vertrag für den Schaden und seine Folgen einzustehen hat.

Entsprechend diesen Grundsätzen hat der EuGH in seinem Urteil Societé thermale d’Eugénie-les-Bains (Slg. 2007, I-6415, BFH/NV Beilage 2007, 424) entschieden, dass die von einem Gast an einen Hotelbetreiber als Angeld geleisteten Beträge in Fällen, in denen der Erwerber von der ihm eröffneten Möglichkeit des Rücktritts Gebrauch macht und der Hotelbetreiber diese Beträge einbehält, als pauschalierte Entschädigung zum Ausgleich des infolge des Vertragsrücktritts des Gastes entstandenen Schadens –ohne direkten Bezug zu einer entgeltlichen Dienstleistung– und als solche nicht als mehrwertsteuerpflichtig anzusehen sind.

Da die Zahlung des Angelds zum einen kein Entgelt für eine eigenständige, bestimmbare Leistung darstelle, die der Hotelbetreiber seinem Gast erbracht habe, und die Einbehaltung des Angelds nach einer Stornierung zum anderen den Zweck habe, die Folgen der Nichterfüllung des Vertrags auszugleichen, falle weder die Zahlung noch die Einbehaltung des Angelds unter Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 77/388/EWG (Rz 35 des Urteils). Das Angeld sei keine Gegenleistung für eine der Mehrwertsteuer unterliegende Reservierungsleistung, die sich bereits direkt aus dem Beherbergungsvertrag ergebe, sondern eine pauschalierte Entschädigungszahlung, bei der es normal sei, dass der Betrag des entstandenen Schadens und das einbehaltene Angeld in den meisten Fällen nicht übereinstimmten (Rz 23 f. und 32 f. des Urteils).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze stellen die sog. Bereitstellungsentgelte eine pauschalierte Entschädigung und kein Entgelt für eine Dienstleistung dar. Nach der zwischen der Klägerin und den Gerichtsvollziehern getroffenen Vereinbarung erhält sie 30 % der für eine tatsächlich durchgeführte Räumung vereinbarten Pauschale, wenn die Zwangsräumung innerhalb von vier Tagen vor dem Räumungstermin vom zuständigen Gerichtsvollzieher abgesagt wird.

Wird ein Speditionsvertrag vorzeitig gekündigt, so behält der Unternehmer grundsätzlich den Anspruch auf die vereinbarte Vergütung. Er muss sich jedoch gemäß § 649 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) ersparte Aufwendungen oder dasjenige, was er durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft erzielt oder zu erwerben böswillig unterlässt, anrechnen lassen (vgl. z.B. Beschluss des Landgerichts Frankfurt vom 19. September 2005  2/9 T 614/05, Deutsche Gerichtsvollzieherzeitung 2006, 115). Für den Fall der Kündigung eines Frachtvertrages ist in § 415 Abs. 2 des Handelsgesetzbuches (HGB) ausdrücklich geregelt, dass der Frachtführer entweder die vereinbarte Fracht unter Anrechnung bestimmter Beträge oder "ein Drittel der vereinbarten Fracht (Fautfracht)" verlangen kann.

Da ein Gerichtsvollzieher Nichtkaufmann ist, unterliegt der Speditionsvertrag nicht den Vorschriften des HGB, sondern des BGB. Es steht den Vertragspartnern jedoch frei, den Inhalt ihres Rechtsverhältnisses einschließlich der Folgen eines eventuellen Rücktritts oder der etwaigen Nichterfüllung ihrer Verpflichtungen unter Beachtung zwingender Vorschriften und der öffentlichen Ordnung zu bestimmen (EuGH-Urteil Societé thermale d’Eugénie-les-Bains in Slg. 2007, I-6415, BFH/NV Beilage 2007, 424, Rz 28 f.). Dabei muss es ihnen insbesondere gestattet sein, eine Rechtsfolge, die der Gesetzgeber für Kaufleute für den Fall der Kündigung als vorteilhaft angesehen und deshalb wahlweise vorgesehen hat, ausdrücklich zu vereinbaren.

Die vertraglich vereinbarte pauschale Kündigungsentschädigung kann umsatzsteuerrechtlich nicht anders qualifiziert werden als die in § 415 Abs. 2 Nr. 2 HGB ausdrücklich geregelte. Deshalb gilt für beide Fälle, dass es sich jedenfalls nicht um ein Leistungsentgelt handelt und die pauschale Entschädigung daher nicht der Umsatzsteuer unterliegt. Die Entscheidung, dass die sog. Bereitstellungsentgelte nicht als Leistungsentgelte zu beurteilen sind, steht auch im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH in dem oben zitierten Urteil Societé thermale d’Eugénie-les-Bains (Slg. 2007, I-6415, BFH/NV Beilage 2007, 424). Das "Angeld" und die Bereitstellungsentgelte sind vergleichbar, so dass es sich in beiden Fällen um eine pauschalierte Kündigungsentschädigung ohne Entgeltcharakter handelt.