Verjährungshemmende Wirkung einer Steuerfahndungsprüfung

Die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 5 Satz 1 AO endet – auch im Falle einer nach Abgabe der Steueranmeldung wegen § 168 Satz 2 AO noch nicht festgesetzten Steuer – erst, wenn die auf Grund der Ermittlungen der Fahndungsprüfung zu erlassenden Bescheide unanfechtbar geworden sind.

BFH Urteil vom 17.12.2015 – V R 59/14 BFH/NV 2016, 531

Sachverhalt:

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) –eine zwischenzeitlich im Handelsregister gelöschte und nicht wieder eingetragene GmbH– übte im Streitjahr 2000 das Gewerbe aus. Einzelvertretungsberechtigter Geschäftsführer war X.

Am 4. September 2001 gab die Steuerfahndungsstelle des Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt –FA–) gegenüber dem Geschäftsführer X die Eröffnung des Steuerstrafverfahrens bekannt. Die Fahndungsprüfung betraf u.a. Ermittlungen wegen Hinterziehung der Umsatzsteuer für 2000. Ausweislich eines Vermerks des FA wurde das gegenüber X eingeleitete Steuerstrafverfahren am 4. Juni 2006 eingestellt.

In den Steuerakten befindet sich eine nicht bekanntgegebene Umsatzsteuerberechnung für 2000 vom 18. März 2003. Danach ging das FA von einer festzusetzenden Umsatzsteuerschuld von 49.084,02 EUR aus. Auf dem dazugehörigen Prüfhinweis ist handschriftlich „intern” vermerkt.

Am … Juni 2006 wurde die Klägerin –nachdem der Eigenantrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen mangels Masse am Anfang 2003 abgewiesen worden war– wegen Vermögenslosigkeit im Handelsregister gelöscht.

Begründung:

Im Streitfall steht der nach § 168 Satz 2 AO erforderlichen Zustimmung zu der am 13. Juli 2010 beim FA eingereichten (korrigierten) Umsatzsteuer-Jahreserklärung für 2000 oder dem Erlass einer davon abweichenden Steuerfestsetzung (§ 167 Abs. 1 Satz 1 Alternative 1 AO) der Ablauf der Festsetzungsfrist nicht entgegen.

Die reguläre Festsetzungsfrist für die Festsetzung der Umsatzsteuer für 2000 begann mit Ablauf des 31. Dezember 2003 und endete grundsätzlich mit Ablauf des 31. Dezember 2007. Nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO beginnt die Festsetzungsfrist, wenn eine Steueranmeldung einzureichen ist, mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steueranmeldung eingereicht wird, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahrs, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist. Die Jahresumsatzsteuer entsteht mit Ablauf des Besteuerungszeitraums, im Streitfall also mit Ablauf des Kalenderjahrs 2000. Damit beginnt die Festsetzungsfrist spätestens mit Ablauf des 31. Dezember 2003. Die vierjährige Festsetzungsfrist des § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO endete damit regulär mit Ablauf des 31. Dezember 2007. Feststellungen, die zu einer Verlängerung der Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO führen könnten, hat das FG nicht getroffen und sind auch nicht ersichtlich.

Rechtsfehlerhaft hat das FG die Hemmung der Festsetzungsfrist nach § 171 Abs. 5 AO verneint. Beginnen die mit der Steuerfahndung betrauten Dienststellen vor Ablauf der Festsetzungsfrist beim Steuerpflichtigen mit Ermittlungen der Besteuerungsgrundlagen, so läuft die Festsetzungsfrist nach § 171 Abs. 5 Satz 1 AO insoweit nicht ab, bevor die auf Grund der Ermittlungen zu erlassenden Steuerbescheide unanfechtbar geworden sind. Voraussetzung für die verjährungshemmende Wirkung der Fahndungsprüfung ist, dass Ermittlungshandlungen vor Ablauf der Festsetzungsfrist tatsächlich vorgenommen worden sind. Darüber hinaus muss für den Steuerpflichtigen erkennbar sein, dass in seinen Steuerangelegenheiten ermittelt wird. Für Steueransprüche, die nicht Gegenstand der Fahndungsprüfung waren, kann keine Ablaufhemmung eintreten. Beim Steuerpflichtigen ist mit den Ermittlungen begonnen worden, wenn sich die Ermittlungshandlungen gegen den betroffenen Steuerschuldner selbst oder –wie im Streitfall– gegen das Vertretungsorgan des Steuerschuldners. Nach den Feststellungen des FG hat die Steuerfahndung am 4. September 2001 dem Geschäftsführer X der Klägerin die Eröffnung des Steuerstrafverfahrens u.a. wegen Hinterziehung der Umsatzsteuer für 2000 eröffnet. Damit hat sie spätestens zu diesem Zeitpunkt –und somit vor Ablauf der regulären Festsetzungsfrist– mit den für den Steuerpflichtigen erkennbaren Ermittlungen von Besteuerungsgrundlagen begonnen.

Die danach gehemmte Festsetzungsfrist ist nicht abgelaufen, bevor die auf Grund der Ermittlungen zu erlassenden Steuerbescheide unanfechtbar geworden sind. Nach § 171 Abs. 5 Satz 1 AO ist die Dauer der Ablaufhemmung mit der Unanfechtbarkeit der auf Grund der Ermittlungen zu erlassenden Bescheide verknüpft. Dies hat zur Folge, dass der Erlass eines (Änderungs-)Bescheids im Anschluss an eine Fahndungsprüfung grundsätzlich ohne zeitliche Begrenzung zulässig ist. Unerheblich ist demnach, dass diese Bescheide innerhalb eines bestimmten Zeitraums nach Abschluss der Ermittlungen ergehen oder ihre Umsetzung über einen längeren Zeitraum unterbleibt.

Nach diesen Maßstäben kommt es entgegen der Auffassung des FG für den Ablauf der nach § 171 Abs. 5 AO gehemmten Festsetzungsfrist nicht darauf an, ob auf Grund der Fahndungsprüfung Umsatzsteuerbescheide „ergangen” sind. Sind auf Grund der Ermittlungen der Fahndungsprüfung Steuerbescheide zu erlassen, enden die Ablaufhemmung und damit die Festsetzungsfrist erst, wenn diese Steuerbescheide unanfechtbar werden. Im Regelfall endet die –gehemmte– Festsetzungsfrist, wenn die Fahndungsprüfung Besteuerungsgrundlagen ermittelt, die in dem bisherigen Steuerbescheid noch nicht erfasst waren und zu einer geänderten –unanfechtbaren– Steuerfestsetzung führen. Dies gilt auch dann, wenn die ermittelten Besteuerungsgrundlagen zu einer erstmaligen –unanfechtbaren– Steuerfestsetzung führen.

Ebenso ist es im Falle einer –nach Abgabe der Steueranmeldung wegen § 168 Satz 2 AO– noch nicht festgesetzten Steuer. Auch hier endet die Ablaufhemmung des § 171 Abs. 5 Satz 1 AO erst, wenn die auf Grund der Ermittlungen der Fahndungsprüfung noch zu erlassenden Bescheide unanfechtbar geworden sind. Denn soweit Besteuerungsgrundlagen noch nicht festgesetzt und Gegenstand der Fahndungsprüfung sind, ergibt sich stets eine in einem Steuerbescheid zu berücksichtigende Änderung der Besteuerungsgrundlagen, weil sich die Ermittlungen zwangsläufig auf diese auswirken. Dies gilt auch bei zu Gunsten des Steuerpflichtigen gewonnenen Erkenntnissen. Folgt z.B. aus den Ermittlungen der Fahndungsprüfung, dass Angaben eines Steuerpflichtigen in einer Steuererklärung, die bisher noch nicht Gegenstand einer Steuerfestsetzung waren, beanstandungsfrei sind, müssen daher auch diese durch die Fahndungsprüfung gewonnenen Erkenntnisse umgesetzt werden, wenn und soweit die Prüfung –wie im Streitfall– vor Ablauf der Festsetzungsfrist begonnen hat. Die Ablaufhemmung des § 171 Abs. 5 Satz 1 AO ist somit nur dann ohne Bedeutung, wenn sich auf Grund einer Fahndungsprüfung keine Änderung der Besteuerungsgrundlagen ergibt.

Im Streitfall konnte danach die Umsatzsteuerfestsetzung für 2000 nur dann unterbleiben, wenn sich auf Grund der Ermittlungen der Fahndungsprüfung keine Änderungen gegenüber der bisherigen Bescheidlage ergeben hätten, da die Umsatzsteuer für 2000 Gegenstand der Fahndungsprüfung war und die Festsetzungsfrist im Streitfall noch gehemmt ist. Keine Änderungen hätten sich auf Grund der Ermittlungen nur dann ergeben können, wenn die Erkenntnis gewonnen worden wäre, dass die Klägerin keine Unternehmerin i.S. des § 2 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes ist. Nur in diesem Fall hätte eine Umsatzsteuerfestsetzung unterbleiben können. Die Unternehmereigenschaft der Klägerin ist indes nicht streitig.