Der Nachweis der erforderlichen Berufsqualifikation kann sich aus der Zulassung des Heileurythmisten zur Teilnahme an den Verträgen zur Integrierten Versorgung mit Anthroposophischer Medizin nach §§ 140a ff. SGB V (i.d.F. vor dem Gesetz zur Stärkung der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 16. Juli 2015) ergeben. Die Steuerbefreiung erstreckt sich auf sämtliche heileurythmische Heilbehandlungsleistungen des Leistungserbringers.
BFH Urteil vom 26.07.2017 – XI R 3/15 BFH/NV 2017, 1692
Sachverhalt
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) war im Streitjahr (2010) als Heileurythmistin selbständig tätig. Ihr waren das “Diplom für Eurythmie” des Instituts für Waldorfpädagogik X sowie das “Heileurythmie-Diplom” der Schule für Eurythmische Heilkunst Y verliehen worden. Sie war Mitglied im Berufsverband Heileurythmie e.V. (BVHE) und seit dem 28. September 2009 “nach § 6 Absatz 3 des (Rahmen-)Vertrages zur Durchführung Integrierter Versorgung mit Anthroposophischer Medizin nach §§ 140a ff [des Fünften Buches Sozialgesetzbuch] SGB V vom 18.01.2006 (IKK Z) bzw. vom 16./28.06.2006 (Rahmenvertrag mit der BKK A sowie beigetretenen Krankenkassen)… zur Teilnahme an den Verträgen zur Durchführung Integrierter Versorgung mit Anthroposophischer Medizin nach §§ 140a ff SGB V” (IV-Verträge) zugelassen.
Diese Teilnahmeberechtigung wird vom BVHE nur speziell ausgebildeten Heilmittelerbringern mit der durch den BVHE ausgestellten Berechtigung zur Führung der Berufsbezeichnung oder solchen Heilmittelerbringern, die eine durch den BVHE bestätigte Gleichwertigkeit ihrer Qualifikation nachweisen können, erteilt, wenn der Leistungserbringer die im IV-Vertrag genannten Voraussetzungen nachweist und die Regelungen des Vertrags anerkennt.
Sämtliche von der Klägerin im Streitjahr erbrachten Leistungen als Heileurythmistin erfolgten aufgrund ärztlicher Verordnungen. In ihrer Umsatzsteuer-Jahreserklärung für das Streitjahr erklärte sie diese Umsätze mit 40.034 EUR als nach § 4 Nr. 14 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes (UStG) steuerfrei.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt –FA–) behandelte mit Umsatzsteuerbescheid für 2010 vom 20. Oktober 2011 diese Umsätze mit dem Bruttobetrag als steuerpflichtig.
Der Einspruch der Klägerin hatte nur soweit Erfolg, als das FA Vorsteuerbeträge in Höhe von 1.500 EUR schätzte, Umsätze von 448,80 EUR, die die Klägerin im Rahmen von IV-Verträgen ausgeführt hatte, als steuerfrei behandelte und im Übrigen die Umsatzsteuer aus den Nettobeträgen ermittelte. Im Übrigen wies es den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 7. November 2013 als unbegründet zurück.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Es entschied, die Umsätze der Klägerin aus ihrer Tätigkeit als Heileurythmistin seien nach § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG steuerfrei. Als Mitglied im BVHE habe sie die im Versorgungsvertrag genannten Voraussetzungen nachgewiesen, die Regelungen des Vertrags anerkannt und sei seit dem 28. September 2009 zur Teilnahme an den IV-Verträgen zugelassen. Damit sei der berufliche Befähigungsnachweis erbracht, weshalb die von der Klägerin erbrachten heileurythmischen Heilbehandlungsleistungen auch in den Fällen von der Umsatzsteuer befreit seien, in denen die Erstattung der Leistungen durch die Krankenkassen daran gescheitert sei, dass diese mit dem BVHE (noch) keine entsprechenden IV-Verträge abgeschlossen haben.
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung des § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG.Das FG habe die von der Klägerin ausgeführten Heilbehandlungsleistungen insgesamt als steuerfrei behandelt, obwohl die nach § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG erforderliche berufliche Qualifikation nur für den die IV-Verträge betreffenden Teil der Umsätze vorgelegen habe. Der Bundesfinanzhof (BFH) habe mit Urteil vom 8. März 2012 V R 30/09 die bereits für Versorgungsverträge geltenden Grundsätze auf IV-Verträge übertragen. Da der Befähigungsnachweis der selbständigen Fachkräfte auf den Umfang der im Versorgungsvertrag vereinbarten Leistungen beschränkt sei und nur für diese Heilbehandlungsleistungen die Kosten von den Krankenkassen getragen würden, müsse das Gleiche für den Befähigungsnachweis und damit für den Umfang der Steuerbefreiung in den Fällen gelten, in denen die Fachkräfte in IV-Verträge eingebunden sind. Die Fachkraft erhalte bei entsprechendem Qualifikationsnachweis für den zwischen Berufsverband und Krankenkasse geschlossenen IV-Vertrag eine Teilnahmeberechtigung und erkenne damit die Regelungen des Vertrags an. Die Heilbehandlungsleistungen der Fachkraft seien Bestandteil des Versorgungsvertrages, weshalb der Qualifikationsnachweis auf die Leistungen aus dem jeweiligen IV-Vertrag beschränkt sei. Die außerhalb der IV-Verträge erzielten Umsätze seien steuerpflichtig, weil es sich insoweit nicht um eine ähnliche heilberufliche Tätigkeit mit beruflichem Befähigungsnachweis handele. Entsprechend seien diese Leistungen auch nicht von Krankenkassen erstattet worden, obgleich eine ärztliche Verordnung vorlag.
Das FA beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Entgegen der Auffassung des FA könne die berufliche Befähigung des Leistungserbringers nicht geteilt und auf Umsätze aus den IV-Verträgen beschränkt, sondern nur einheitlich beurteilt werden. Aus dem BFH-Urteil vom 12. August 2004 V R 18/02 ergebe sich nichts anderes. Ihre –der Klägerin– einmal festgestellte berufliche Befähigung als Heileurythmistin erstrecke sich auf sämtliche Heileurythmie-Leistungen.
Begründung:
Die Revision ist unbegründet; sie ist daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). Das FG hat zu Recht entschieden, dass die von der Klägerin im Streitjahr erbrachten Heilbehandlungsleistungen steuerfrei sind.
Umsatzsteuerfrei nach § 4 Nr. 14 Buchst. a Satz 1 UStG sind Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Physiotherapeut, Hebamme oder einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit durchgeführt werden.
Diese Vorschrift setzt Art. 132 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) in nationales Recht um. Danach befreien die Mitgliedstaaten Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der von dem betreffenden Mitgliedstaat definierten ärztlichen und arztähnlichen Berufe durchgeführt werden, von der Steuer.
Der Begriff “Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin” ist ein autonomer unionsrechtlicher Begriff und umfasst Leistungen, die zur Diagnose, Behandlung und, so weit wie möglich, Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen dienen.
Diese Voraussetzungen sind vorliegend nach den (unstreitigen) Feststellungen des FG erfüllt, da die jeweils auf ärztliche Verordnung hin erbrachten heileurythmischen Leistungen der Klägerin dem Zweck der Behandlung und, soweit möglich, der Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen der Leistungsempfänger dienten.
Auch den für die Steuerbefreiung der Heilbehandlungsleistung erforderlichen beruflichen Befähigungsnachweis hat die Klägerin –wie das FG zutreffend angenommen hat– erbracht. Zwar ergibt sich ihre berufliche Qualifikation nicht aus berufsrechtlichen Regelungen. Wie das FG festgestellt hat, ist eine berufsrechtliche Regelung über Ausbildung, Prüfung, staatliche Anerkennung sowie staatliche Erlaubnis und Überwachung der Berufsausübung für das Berufsbild des Heileurythmisten in der Bundesrepublik Deutschland bislang nicht erlassen worden. Die von der Klägerin erworbene Qualifikation (“Diplom für Eurythmie” des Instituts für Waldorfpädagogik X bzw. “Heileurythmie-Diplom” der Schule für Eurythmische Heilkunst Y) kann somit nicht auf einer derartigen berufsrechtlichen Regelung beruhen und steht ihr auch nicht gleich, da die Diplome nicht von staatlichen, sondern von privaten Ausbildungsinstituten verliehen wurden.
Der Nachweis der für die Leistungserbringung erforderlichen Berufsqualifikation der Klägerin ergibt sich auch nicht aus einer “regelmäßigen” Kostentragung durch Sozialversicherungsträger (vgl. hierzu Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 29. Oktober 1999 2 BvR 1264/90, BVerfGE 101, 132, BStBl II 2000, 155). Hiervon gehen die Beteiligten übereinstimmend aus.
Die Klägerin hat jedoch den Nachweis ihrer beruflichen Qualifikation durch ihre Teilnahmeberechtigung an den IV-Verträgen erbracht.Die für Versorgungsverträge und Gesamtvereinbarungen geltenden Grundsätze gelten auch für Integrierte Versorgungsverträge nach den §§ 140a ff. SGB V (i.d.F. vor dem Gesetz zur Stärkung der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 16. Juli 2015, BGBl I 2015, 1211), die Berufsverbände von Leistungserbringern mit gesetzlichen Krankenkassen abschließen, sofern der jeweilige Berufsverband die Teilnahmeberechtigung der Leistungserbringer davon abhängig macht, dass die in den Verträgen enthaltenen Qualifikationsanforderungen erfüllt werden.
Die vom BVHE vor dem Streitjahr abgeschlossenen Integrierten Versorgungsverträge mit gesetzlichen Krankenkassen betreffen die Versorgung mit Anthroposophischer Medizin, zu der auch die Heileurythmie gehört.Die Klägerin war nach den Feststellungen des FG ordentliches Mitglied des BVHE und konnte damit als Leistungserbringerin in die integrierte Versorgung mit Anthroposophischer Medizin einbezogen werden.
Sie erfüllte ferner die in den IV-Verträgen konkret benannten Qualifikationsanforderungen, da sie nach Erwerb des “Diploms für Eurythmie” des Instituts für Waldorfpädagogik X sowie des “Heileurythmie-Diploms” der Schule für Eurythmische Heilkunst Y seit dem 28. September 2009 zur Teilnahme an den IV-Verträgen zugelassen war.
Hieraus ergibt sich der für die Steuerfreiheit erforderliche Befähigungsnachweis gleichermaßen wie für eine Rehabilitationseinrichtung, die auf Grund eines Versorgungsvertrags gemäß § 11 Abs. 2, §§ 40, 111 SGB V mit Hilfe von Fachkräften Leistungen zur medizinischen Rehabilitation erbringt, soweit diese Fachkräfte die in dem Versorgungsvertrag benannte Qualifikation haben.
Ist –wie vom FG im Streitfall festgestellt (§ 118 Abs. 2 FGO)– die erforderliche berufliche Qualifikation nachgewiesen, erstreckt sich die Steuerbefreiung auf sämtliche erbrachten Heilbehandlungsleistungen (vgl. Michel, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2012, 893). Anders als das FA meint, lässt sich die einmal nachgewiesene berufliche Qualifikation nicht teilen, soweit die nämlichen Leistungen –wie hier– auf Basis der IV-Verträge und außerhalb der IV-Verträge erbracht wurden.