Steuerschuldnerschaft bei sog. “Bauleistungen”

§ 13b Abs. 2 Satz 2 UStG 2005 ist entgegen Abschn. 182a Abs. 11 UStR 2005 einschränkend dahingehend auszulegen, dass es für die Entstehung der Steuerschuld darauf ankommt, ob der Leistungsempfänger die an ihn erbrachte Werklieferung oder sonstige Leistung, die der Herstellung, Instandsetzung, Instandhaltung, Änderung oder Beseitigung von Bauwerken dient, seinerseits zur Erbringung einer derartigen Leistung verwendet.
Auf den Anteil der vom Leistungsempfänger ausgeführten bauwerksbezogenen Werklieferungen oder sonstigen Leistungen i.S. des § 13b Abs. 2 Satz 2 UStG 2005 an den insgesamt von ihm erbrachten steuerbaren Umsätzen kommt es entgegen Abschn. 182a Abs. 10 UStR 2005 nicht an.
BFH Urteil vom 22.8.2013, V R 37/10

Begründung (BFH)
Eine Umsatzsteuerfestsetzung kann nach § 27 Abs. 19 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) gegenüber dem leistenden Unternehmer nur dann (zu seinem Nachteil) geändert werden, wenn ihm ein abtretbarer Anspruch auf Zahlung der gesetzlich entstandenen Umsatzsteuer gegen den Leistungsempfänger zusteht. So entschied der Bundesfinanzhof (BFH) durch Urteil vom 23. Februar 2017 (V R 16, 24/16) in einem klassischen Bauträgerfall.
Umsatzbesteuerung bei Bauleistungen ist diffizil; für vom Bauhandwerker an einen Bauträger erbrachte Bauleistungen kann kraft Sonderregelung der leistungsempfangende Bauträger Umsatzsteuerschuldner sein, was den fiskalischen Erfolg der Umsatzbesteuerung jedenfalls erhöht. Allerdings hatte der BFH eine solche (damals durch Verwaltungsvorschrift konkretisierte) Übertragung der Steuerschuldnerschaft eingeengt (Urteil vom 22. August 2013 V R 37/10). Der Gesetzgeber besserte für die Zukunft nach und schuf eine Übergangsregelung für Altfälle (Stichtag: 15. Februar 2014), um bei Rückerstattung der gezahlten Steuern an den nur vermeintlichen Steuerschuldner (Bauträger) den eigentlichen Steuerschuldner (Bauhandwerker) nachträglich belasten zu können. So ist nach § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG die gegen den leistenden Unternehmer wirkende Steuerfestsetzung zu ändern, wenn der Leistungsempfänger die Erstattung der Steuer fordert und beide davon ausgegangen waren, dass der Leistungsempfänger die Steuer auf die vom Leistenden erbrachte Leistung schuldet; darüber hinaus wird die Erfüllungswirkung der Abtretung des Zahlungsanspruchs des Leistenden gegen den Leistungsempfänger an das Finanzamt (FA) geregelt (§ 27 Abs. 19 Sätze 2 ff. UStG).
Und so lag auch der Streitfall: Die Klägerin (eine GmbH) erbrachte Mauerarbeiten gegenüber einer Bauträger-GmbH. Jene wurde vom FA – entsprechend der allgemeinen Verwaltungsvorschrift – als steuerpflichtige Leistungsempfängerin in Anspruch genommen. Nach der einengenden BFH-Entscheidung beantragte die Bauträger-GmbH beim FA die Erstattung der Umsatzsteuer, die sie in der Annahme entrichtet hatte, Steuerschuldnerin zu sein. Das FA setzte daraufhin die Umsatzsteuer gegenüber der Klägerin fest. Hiergegen berief sich die Klägerin auf den Schutz ihres Vertrauens in die von der Finanzverwaltung praktizierte Rechtslage. Das Finanzgericht billigte die Umsatzsteuerfestsetzung, verpflichtete aber das FA dazu, das Angebot der Klägerin auf Abtretung ihres Anspruchs gegen die Bauträger-GmbH auf Zahlung der gesetzlich entstandenen Umsatzsteuer anzunehmen.
Der BFH bestätigte die Vorinstanz im Ergebnis. Die gesetzliche Übergangsregelung (§ 27 Abs. 19 UStG) schließt den allgemeinen Vertrauensschutz gegenüber einer belastenden Änderung (§ 176 Abs. 2 der Abgabenordnung) aus. Die Rechtslage entspricht nach der Entscheidung des BFH aber nur dann den unionsrechtlichen Prinzipien des Vertrauensschutzes, der Rechtssicherheit und der Neutralität, wenn die Befugnis des FA zur Änderung der Umsatzsteuerfestsetzung gegen den Leistenden voraussetzt, dass diesem ein abtretbarer Anspruch auf Zahlung der gesetzlich entstandenen Umsatzsteuer gegen den Leistungsempfänger tatsächlich zusteht. Der Bauhandwerker wird auf diese Weise vollständig von der Umsatzsteuer auf seine Leistungen entlastet; er steht dann so, wie er stünde, wenn alles von vornherein richtig beurteilt worden wäre.

Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers bei Bauleistungen

§ 13b Abs. 2 Satz 2 UStG ist dahingehend einschränkend auszulegen, dass bei Werklieferungen oder sonstigen Leistungen i.S. des § 13b Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 UStG die Steuerschuldnerschaft nur dann auf den Leistungsempfänger verlagert wird, wenn der Leistungsempfänger die an ihn erbrachte Werklieferung oder sonstige Leistung, die der Herstellung, Instandsetzung, Instandhaltung, Änderung oder Beseitigung von Bauwerken dient, seinerseits zur Erbringung einer derartigen Leistung verwendet.

BFH Urteil vom 11.12.2013, XI R 21/11

Begründung:

Das FG konnte bei seiner Entscheidung noch nicht berücksichtigen, dass nach der neueren Rechtsprechung des BFH  § 13b Abs. 2 Satz 2 UStG dahingehend einschränkend auszulegen ist, dass es für die Verlagerung der Steuerschuldnerschaft auf den Leistungsempfänger darauf ankommt, ob der Leistungsempfänger die an ihn erbrachte Werklieferung oder sonstige Leistung, die der Herstellung, Instandsetzung, Instandhaltung, Änderung oder Beseitigung von Bauwerken dient, seinerseits zur Erbringung einer derartigen Leistung verwendet. Dazu sind vom FG weitere Feststellungen zu treffen.

Ausgehend davon ist  im Hinblick auf das sich aus dem Unionsrecht ergebende Erfordernis der Rechtssicherheit § 13b Abs. 2 Satz 2 UStG dahingehend teleologisch einschränkend auszulegen, dass eine Verlagerung der Steuerschuldnerschaft auf den Leistungsempfänger nur dann in Betracht kommt, wenn der Leistungsempfänger die an ihn erbrachte Werklieferung oder sonstige Leistung, die der Herstellung, Instandsetzung, Instandhaltung, Änderung oder Beseitigung von Bauwerken dient, seinerseits zur Erbringung einer derartigen Leistung verwendet.

Entgegen der Auffassung des FA ist nicht entscheidungserheblich, ob sich die Beteiligten über die Handhabung der Steuerschuldnerschaft ursprünglich einig waren und ob möglicherweise der Leistungsempfänger dem Leistenden eine Freistellungsbescheinigung nach § 48b EStG vorgelegt hatte. Denn das Gesetz stellt den Übergang der Steuerschuldnerschaft zur Sicherung des Steueranspruchs nicht zur Disposition der Vertragsparteien.

 

Kein Steuerschuldner bei inländischen Betriebsstätte des leistenden Unternehmers

Der im Inland ansässige Leistungsempfänger schuldet die Steuer für eine Leistung eines Unternehmers mit Sitz im Ausland nicht, wenn objektiv feststeht, dass diese Leistung von dessen inländischer Zweigniederlassung erbracht wurde, und zwar unabhängig davon, ob der Leistungsempfänger subjektive Zweifel hinsichtlich der Ansässigkeit des Leistenden hatte oder hätte haben müssen.

BFH Beschluss vom 01.06.2011 XI B 104/10 BFHNV 2011 S. 1545

Begründung:

Das FG ging aufgrund der Angaben der Klägerin gegenüber dem Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt), der auf ihren Briefbögen verwendeten Anschrift und ihrer inländischen Kontoverbindung von einer inländischen Zweigniederlassung in den Streitjahren 2005 und 2006 aus. Die Steuerschuldnerschaft sei nicht auf die Empfänger der von der Klägerin erbrachten Leistungen übergegangen. Die Voraussetzungen des § 13b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes 2005 (UStG) seien nicht erfüllt. Für eine Anwendung der Zweifelsregelung in § 13b Abs. 4 Satz 3 UStG bestehe danach kein Raum.

"Wenn es zweifelhaft ist, ob der Leistungsempfänger Werklieferungen oder sonstige Leistungen von einem im Erhebungsgebiet ansässigen Unternehmer erhalten hat, haftet er, falls er zur Einbehaltung und Abführung der ihm berechneten Umsatzsteuer verpflichtet ist. Dabei macht es keinen Unterschied, ob der Leistungsempfänger an der Ansässigkeit des Unternehmers im Erhebungsgebiet oder an seiner Ansässigkeit außerhalb des Erhebungsgebiets zweifelt. In beiden Fällen ist für den Leistungsempfänger unklar, ob der in den Leistungsaustausch einbezogene Unternehmer im Erhebungsgebiet ansässig ist, weshalb seine Einbehaltungs- und Abführungspflicht eingreift."

Die von der Klägerin zitierte Textpassage muss aber im Zusammenhang mit den unmittelbar vorangehenden Sätzen gesehen werden. Diese lauten folgendermaßen: "Wie der Senat entschieden hat, haftet der Leistungsempfänger indessen nach dem eindeutigen Wortsinn der Ermächtigung nur für die Steuer, die auf Umsätze eines (objektiv) nicht im Erhebungsgebiet ansässigen Unternehmers entfällt. Die Haftung besteht somit nicht, wenn der leistende Unternehmer wirklich im Erhebungsgebiet ansässig ist."

Steuerschuldnerschaft gem. § 13b Abs. 1 und 2 UStG

Steuerschuldnerschaft gem. § 13b Abs. 1 und 2 UStG auch für einen im Ausland ansässigen Leistungsempfänger

BFH Beschluss vom 6.4.2010, XI B 1/09

Begründung:

Die Klägerin ist ein schwedischer Reiseveranstalter. Die von ihr erbrachten Reiseleistungen enthalten eine Bündelung von Reisevorleistungen anderer Unternehmen sowie von Eigenleistungen. Diese erbringt sie an Privatkunden und Reisebüros in Schweden. Zu den Reisevorleistungen zählen u.a. auch die Beförderungsleistungen schwedischer Busunternehmen im In- und Ausland, darunter in Deutschland. Bei gemäß § 18 Abs. 11 des Umsatzsteuergesetzes 1999/2005 (UStG) durchgeführten Kontrollen des Zolls hatten die Busfahrer die Klägerin als Beförderer angegeben.

Streitig ist, ob der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt) die in Schweden ansässige Klägerin zu Recht als Leistungsempfängerin gemäß § 13b Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 1 UStG für die Umsatzsteuer auf diejenigen Beförderungsleistungen in Anspruch genommen hat, die ihr von den schwedischen Busunternehmern mit im Inland nicht zugelassenen Bussen in Deutschland erbracht worden sind.

Die Klägerin machte vor dem Finanzgericht (FG) geltend, § 13b Abs. 1 und 2 UStG seien nicht anzuwenden, wenn der Leistungsempfänger im Ausland ansässig und auch nicht im Inland registriert sei. Das ergebe sich zudem aus der Richtlinie. Das FG wies die Klage ab.

Aus dem Wortlaut des § 13b Abs. 1 und 2 UStG ergibt sich nichts dafür, dass –wie die Klägerin vorträgt– die Vorschrift nur auf solche Leistungsempfänger anzuwenden sei, die im Inland ansässig oder registriert sind oder für die eine Registrierung zumindest zumutbar sei. Nach § 13b Abs. 2 Satz 1 UStG i.V.m. § 13b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG schuldet der Leistungsempfänger, wenn er ein Unternehmer oder eine juristische Person des öffentlichen Rechts ist, die Steuer u.a. für steuerpflichtige Umsätze aus Werklieferungen und sonstigen Leistungen eines im Ausland ansässigen Unternehmers. Danach macht es keinen Unterschied, ob der Leistungsempfänger im In- oder Ausland ansässig ist.

Entgegen der von der Klägerin vertretenen Ansicht entspricht die Regelung auch der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (Richtlinie 77/388/EWG). Denn nach Art. 21 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 77/388/EWG können die Mitgliedstaaten, wenn die steuerpflichtige Dienstleistung von einem nicht im Inland ansässigen Steuerpflichtigen erbracht wird, gemäß den von ihnen festgelegten Bedingungen vorsehen, dass der Empfänger der steuerpflichtigen Dienstleistung die Steuer schuldet. Auch diese Regelung, die es den Mitgliedstaaten freistellt, ob sie einen entsprechenden Übergang der Steuerschuldnerschaft in ihrem nationalen Recht vorsehen, unterscheidet nicht zwischen Leistungsempfängern im In- oder Ausland.