Bindung des Finanzamts an eine durch arglistige Täuschung des Steuerpflichtigen erreichte tatsächliche Verständigung

 

Das Finanzgericht ist nicht an eine durch arglistige Täuschung erreichte tatsächliche Verständigung gebunden, wenn die Anfechtung innerhalb eines Jahres nach Kenntnis erfolgt..

FG Berlin-Brandenburg Urteil vom 16.07.2015, 13 K 13063/13

Begründung:

Die tatsächliche Verständigung ist nicht durch Anfechtung des Beklagten unwirksam geworden. Nach § 124 Abs. 1 BGB kann die Anfechtung nur binnen Jahresfrist erfolgen. Die Frist beginnt im Falle der arglistigen Täuschung mit dem Zeitpunkt, in welchem der Anfechtungsberechtigte die Täuschung entdeckt (§ 124 Abs. 2 BGB). Ein bloßer Verdacht oder ein Kennenmüssen genügt hierfür nicht.

Da die Anfechtungsfrist nach alledem bereits im Juni 2008 begonnen hat, war die Jahresfrist zum Zeitpunkt der Anfechtungserklärung mit Schreiben vom 12. September 2011 bereits abgelaufen.

Tatsächliche Verständigung im Rahmen einer Außenprüfung

Die Frage, ob eine nachträgliche Genehmigung einer von Beamten der Außenprüfung abgeschlossenen tatsächlichen Verständigung durch den Veranlagungssachgebietsleiter möglich ist, ist in der Rechtsprechung des BFH geklärt.

BFH Beschluss vom 11.06.2014 – IX B 6/14 BFHNV 2014 S. 1496

Begründung:

Die vom Kläger aufgeworfene Frage, ob eine nachträgliche Genehmigung einer von Beamten der Außenprüfung abgeschlossenen tatsächlichen Verständigung nur durch den für die Steuerfestsetzung zuständigen Amtsträger möglich ist, ist zum einen in der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) geklärt  Zum anderen ist die Frage in einem zukünftigen Revisionsverfahren auch nicht klärungsfähig. Denn nach den insoweit nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen tatsächlichen Feststellungen des Finanzgerichts (FG) ist eine Genehmigung der tatsächlichen Verständigung durch den für die Steuerfestsetzung zuständigen Amtsträger nicht erfolgt. Insoweit folgt auch aus dem BFH-Urteil dass der bloße Erlass von Änderungsbescheiden nach Abschluss einer Außenprüfung keine Genehmigung einer tatsächlichen Verständigung darstellt.

Zulässigkeit und Grenzen einer tatsächlichen Verständigung

Eine tatsächliche Verständigung der Beteiligten darüber, in welchem Umfang ein Unternehmer Umsätze zum Regelsteuersatz und Umsätze zum ermäßigten Steuersatz ausgeführt hat, ist zulässig, wenn diese Aufteilung geschätzt werden muss. Eine Verständigung über einen vom Gesetz abweichenden Steuersatz, die unzulässig wäre, liegt darin regelmäßig nicht.

BFH Beschluss vom 22.02.2014 –XI B 85/13 BFHNV 2014 S. 828 ff.

Begründung:

Der Kläger hält folgende Rechtsfrage für klärungsbedürftig: “Geht ein in einer tatsächlichen Verständigung aufgeführter Steuersatz dem rechtlich zutreffenden Steuersatz vor, so dass es zulässig ist, eine tatsächliche Verständigung über den Steuersatz zu treffen?” Alternativ und kürzer formuliert der Kläger: “Kann im Rahmen einer tatsächlichen Verständigung eine bindende Regelung über den Steuersatz getroffen werden, ohne dass es auf den zu Grunde liegenden Sachverhalt ankommt?”

Diese Rechtsfrage ist im Streitfall nicht klärbar; denn das FG hat die tatsächliche Verständigung dahin gehend gewürdigt, dass keine Verständigung über Rechtsfragen, sondern über Tatfragen vorliegt.

Dies ist hier der Fall; denn das FG hat die tatsächliche Verständigung auf Seiten 9 bis 11 seines Urteils dahin gehend ausgelegt, die Beteiligten hätten sich über Fragen des Sachverhalts einigen wollen und sich hierüber auch tatsächlich geeinigt. Das FG verstehe den Inhalt der tatsächlichen Verständigung vom 7. November 2008 dahin gehend, dass sich die Beteiligten über die tatsächlichen Umstände, die die Grundlage der rechtlichen Entscheidung über die steuerliche Behandlung der Umsätze darstellten, verständigt haben.

Insbesondere ist geklärt, dass der BFH die Zulässigkeit tatsächlicher Verständigungen grundsätzlich anerkennt. Die Bindungswirkung einer derartigen Vereinbarung setzt u.a. voraus, dass sie sich auf Sachverhaltsfragen –nicht aber auf Rechtsfragen– bezieht  und dass die tatsächliche Verständigung nicht zu einem offensichtlich unzutreffenden Ergebnis führt.

Diese Grenzen wurden im Streitfall eingehalten. Die Beteiligten haben keine  “tatsächliche Verständigung über den Steuersatz” in der Weise getroffen, dass sie in der von ihnen getroffenen tatsächlichen Verständigung einen vom Gesetz (§ 12 des Umsatzsteuergesetzes –UStG–) abweichenden Steuersatz festgelegt hätten. Sie haben sich vielmehr (lediglich) darüber verständigt, in welchem Umfang Umsätze ausgeführt worden sind, auf die der Regelsteuersatz (§ 12 Abs. 1 UStG) anwendbar ist, und in welchem Umfang Umsätze ausgeführt worden sind, die dem ermäßigten Steuersatz (§ 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG) unterliegen. Dies ist rechtlich nicht zu beanstanden.

Bindung an tatsächliche Verständigung

Eine während einer Betriebsprüfung getroffene "tatsächliche Verständigung" kann in zeitlicher Hinsicht nur dann über den Prüfungszeitraum hinaus bindend sein, wenn sie von allen Beteiligten in diesem Sinne verstanden worden ist oder werden musste (Bestätigung der Rechtsprechung).

Da es sich bei der Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes um einen verzichtbaren Mangel handelt, setzt die schlüssige Rüge, das FG habe rechtsfehlerhaft auf die Beziehung von Akten verzichtet, Erläuterungen dazu voraus, dass die unterlassene Aktenbeziehung nach § 295 ZPO gerügt worden ist oder aus welchen Gründen eine solche Rüge dem sachkundig Vertretenen nicht möglich war.

BFH Beschluss vom 06.12.2012 – I B 8/12 BFHNV 2013 S. 703

Begründung:

Die hiergegen erhobene Nichtzulassungsbeschwerde ist zurückzuweisen.

Das FG hat die zukunftsgerichtete Wirkung tatsächlicher Verständigungen bei sog. Dauersachverhalten im Grundsatz offen gelassen und –in concreto– jedenfalls an die Voraussetzungen gebunden, dass die Verständigung von allen Beteiligten in einem solchen (bindenden) Sinne verstanden worden ist oder verstanden werden musste. Da es zudem den vorliegenden Sachverhalt dahin gewürdigt hat, dass diese Voraussetzung bei den Vertretern der Finanzverwaltung nicht gegeben gewesen sei, hat es die beantragte Vernehmung des Zeugen X zu Recht abgelehnt, weil es die unter Beweis gestellte Tatsache –nämlich die Würdigung der tatsächlichen Verständigung durch die Vertreter der Klägerin– mangels Entscheidungserheblichkeit als wahr unterstellen konnte.

 

Tatsächliche Verständigung über den Ort der Geschäftsführung

Das FA kann im Steuerfestsetzungsverfahren einer GmbH bei bestehender tatsächlicher Unsicherheit mit der Gesellschaft eine bindende tatsächliche Verständigung darüber treffen, wo in der Vergangenheit deren "Ort der Geschäftsleitung" i.S. von § 10 AO bzw. des einschlägigen DBA (hier: Art. 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. c DBA-Frankreich) gewesen ist.

BFH Beschluss vom 22.08.2012 – IB 86/87/11 BFHNV 2013 S. 6

Begründung:

Der weitere Einwand, das FG habe sich nicht mit dem Vorbringen der Klägerin befasst, die tatsächliche Verständigung habe zu einem offensichtlich unzutreffenden Ergebnis geführt, weil damit ein in Wirklichkeit nicht bestehender Ort der Geschäftsleitung im Inland fingiert worden sei, geht an den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz vorbei. Danach hat zum Zeitpunkt des Abschlusses der tatsächlichen Verständigung zwischen den Beteiligten Unsicherheit darüber bestanden, ob sich der Ort der Geschäftsleitung in Deutschland (R) oder in Frankreich (…) befunden hat. Wenn sich die Beteiligten vor dem Hintergrund dieser Unsicherheit im Rahmen einer tatsächlichen Verständigung für die einzelnen Jahre auf jeweils einen der beiden Orte festlegen, ist nicht ersichtlich, warum dieses Ergebnis "offensichtlich unzutreffend" sein sollte. Die Klägerin hat ihre gegenteilige Beurteilung damit begründet, dass nach ihrer (späteren) Sichtweise der Ort ihrer Geschäftsleitung im Streitjahr auch nach dem Kenntnisstand des FA eindeutig in Frankreich belegen war. Das ist indes mit dem von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt nicht zu vereinbaren. Dass der Einwand der Klägerin auf der Grundlage der tatrichterlichen Feststellungen unbegründet war, verstand sich mithin von selbst und musste vom FG nicht näher ausgeführt werden.

 

 

 

Bindungswirkung einer tatsächlichen Verständigung, Änderung aufgrund nachträglich bekannt gewordener Tatsachen

Es ist hinreichend geklärt, unter welchen Voraussetzungen eine tatsächliche Verständigung die Beteiligten bindet. Die Frage, ob das FG die Reichweite der getroffenen Verständigung zutreffend beurteilt hat, reicht in ihrer Bedeutung nicht über den Einzelfall hinaus.

Soweit Betriebseinnahmen bereits in einem (Schätzungs-)Bescheid erfasst sind, führen diesbezügliche Tatsachen oder Beweismittel nicht mehr zu einer höheren Steuer.

BFH Beschluss vom 28.04.2011 – III B 78/10 BFHNV 2ß11 S. 1108

Begründung:

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat die Zulässigkeit tatsächlicher Verständigungen grundsätzlich anerkannt. Unter welchen Voraussetzungen eine tatsächliche Verständigung die Beteiligten bindet, ist in der Rechtsprechung hinreichend geklärt. Insbesondere macht es keinen Unterschied, ob eine tatsächliche Verständigung zwischen den Beteiligten bereits im Verwaltungsverfahren oder erst im finanzgerichtlichen Verfahren getroffen wird.

Anmerkung:

Zweck der tatsächlichen Verständigung ist es, zu jedem Zeitpunkt des Besteuerungsverfahrens hinsichtlich bestimmter Sachverhalte, deren Klärung schwierig, aber zur Festsetzung der Steuer notwendig ist, den möglichst zutreffenden Besteuerungssachverhalt i.S. des § 88 der Abgabenordnung (AO) einvernehmlich festzulegen. Die Bindungswirkung einer derartigen Vereinbarung setzt voraus, dass sie sich auf Sachverhaltsfragen, nicht aber auf Rechtsfragen, bezieht, dass der Sachverhalt die Vergangenheit betrifft, dass die Sachverhaltsermittlung erschwert ist, dass auf Seiten der Finanzbehörde ein für die Entscheidung über die Steuerfestsetzung zuständiger Amtsträger beteiligt ist und dass die tatsächliche Verständigung nicht zu einem offensichtlich unzutreffenden Ergebnis führt.

Daneben muss von Seiten der Finanzverwaltung der für die Besteuerung maßgebende Beamte bei der Vereinbarung mitgewirkt bzw. zugestimmt haben.

Bindungswirkung einer tatsächlichen Verständigung

Die tatsächliche Verständigung ist die einvernehmliche Festlegung auf den maßgeblichen Besteuerungssachverhalt, die nicht einseitig widerrufbar ist.

Die Bindungswirkung einer tatsächlichen Verständigung entfällt, wenn sie zu einem offensichtlich unzutreffenden Ergebnis führt.

Die Nichtvornahme strafrechtlicher Ermittlungen ist keine in jedem Fall zu unterstellende Grundlage einer tatsächlichen Verständigung.

BFH Urteil vom 21.09.2009 VIII R 78/06 BFH NV 2010 S. 593ff

Begründung:

Das Rechtsinstitut der "tatsächlichen Verständigung" entspringt einem praktischen Bedürfnis nach Verfahrensförderung, Verfahrensbeschleunigung und Rechtsfrieden. Es ist vom Bundesfinanzhof (BFH) in mittlerweile ständiger Rechtsprechung grundsätzlich anerkannt.

Dabei geht es darum, in Fällen, in denen über den für die Besteuerung maßgeblichen Sachverhalt eine anderweitig nicht einfach zu behebende Unklarheit besteht, den möglichst zutreffenden Besteuerungssachverhalt i.S. des § 88 der Abgabenordnung (AO) einvernehmlich festzulegen und insoweit Unsicherheiten und Ungenauigkeiten zu beseitigen.

Gleich, ob man mit der ganz herrschenden Meinung im Schrifttum in der tatsächlichen Verständigung einen öffentlich-rechtlichen Vertrag erblickt oder eine anderweitige, am Grundsatz von Treu und Glauben zu messende Übereinkunft kommt der Verständigung Bindungswirkung zu.

Unwirksam ist eine tatsächliche Verständigung, die zu einem offensichtlich unzutreffenden Ergebnis führt. Entgegen der Auffassung der Kläger hat das FG ohne Rechtsverstoß kein offensichtlich unzutreffendes Ergebnis angenommen. Die tatsächliche Würdigung des FG ist möglich und damit gemäß § 118 Abs. 2 FGO für den Senat bindend. Das FG konnte die Unterschrift des steuerlichen Beraters des Klägers unter die tatsächliche Verständigung als Umstand werten, der gegen offensichtlich unzutreffende Einnahmeerhöhungen spricht, ebenso wie den weiteren Umstand, dass die sachliche Unrichtigkeit des Verständigungsergebnisses erstmals rd. zweieinhalb Jahre nach der Verständigung gerügt wurde. Die im erstinstanzlichen Verfahren erhobenen Einwendungen, es habe an einer Plausibilitätsprüfung bezüglich der Einnahmeerhöhungen gefehlt, es dürfe nicht verwerflich sein, private Gelder auf das Geschäftskonto einzuzahlen, Eingänge in Höhe von 116.000 DM seien "erklärbar" und als Privateinlagen "zu werten", musste das FG nicht als Beleg für eine offensichtliche Unrichtigkeit des Verständigungsergebnisses werten.

Ein einseitiger Widerruf der eigenen Verständigungserklärung ist grundsätzlich nicht möglich (Klein/Rüsken, a.a.O., § 162 Rz 33), und zwar auch dann nicht, wenn der Steuerpflichtige bei Abschluss der tatsächlichen Verständigung nicht steuerlich beraten war. Es bedarf deshalb keiner weiteren Auseinandersetzung mit dem von den Klägern nunmehr betonten Umstand, dass ihr damaliger Steuerberater das Mandat erst zwei Monate zuvor übernommen habe und deshalb angeblich mit dem Sachverhalt noch nicht vertraut gewesen sei.

Tatsächliche Verständigung

Die abstrakten Grenzen für den Abschluss einer sog. tatsächlichen Verständigung sind in der Rechtsprechung in ausreichendem Maße geklärt; damit ist auch geklärt, dass eine trennscharfe Abgrenzung zwischen Tatfrage und Rechtsfrage nicht in allen Fällen nach abstrakten Maßstäben im Vorhinein möglich ist. Bei der Anwendung des § 160 Abs. 1 Satz 1 AO ist im Übrigen zu berücksichtigen, dass der Tatbestand nach seiner Struktur sowohl bei der Entscheidung "dem Grunde nach" als auch "der Höhe nach" Tatsachenelemente aufweist.

BFH Beschluss vom 31.08.2009 – I B 21/09 BFH NV 2010 S. 163ff.