Festsetzung der Erbschaftsteuer für den Vorerbfall nach dem Tod des Vorerben

Die Erbschaftsteuer für den Vorerbfall ist nach dem Tod des Vorerben regelmäßig gegen den Nacherben und nur ausnahmsweise gegen den Erben des Vorerben festzusetzen.

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 13.4.2016, II R 55/14

Sachverhalt:

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist die Alleinerbin der im Januar 2012 verstorbenen Erblasserin …, die ihrerseits alleinige Vorerbin ihres im Jahr 2007 verstorbenen Ehemannes E war. Bis zu dem mit dem Tod der Vorerbin eingetretenen Nacherbfall war Testamentsvollstreckung angeordnet. Nacherbin ist nach dem Erbschein vom 9. März 2012 die Tochter des E.

Nachdem der Testamentsvollstrecker im Februar 2010 die vom Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt –FA–) angeforderte Erbschaftsteuererklärung eingereicht hatte, setzte das FA die Erbschaftsteuer für den Vorerbfall durch Bescheid vom 23. April 2012, der zuletzt mit Bescheid vom 10. Mai 2013 geändert wurde, gegen die Klägerin fest. Der Einspruch blieb erfolglos.

Begründung:

Entgegen der Ansicht des FG sind die gegen die Klägerin ergangenen Steuerfestsetzungen rechtswidrig und verletzen sie in ihren Rechten. Der Vorerbe gilt nach § 6 Abs. 1 ErbStG als Erbe. Er erwirbt den Nachlass gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alternative 1 ErbStG von Todes wegen und schuldet daher nach § 20 Abs. 1 Satz 1 ErbStG die Erbschaftsteuer für diesen Erwerb. Das Erbschaftsteuerrecht knüpft damit an die zivilrechtliche Stellung des Vorerben an, der gemäß § 2100 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) bis zum Eintritt der Nacherbfolge Erbe ist. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Besteuerung des Erwerbs des Vorerben bestehen nicht.

Mit dem Eintritt des Falles der Nacherbfolge hört der Vorerbe nach § 2139 BGB auf, Erbe zu sein, und fällt die Erbschaft dem Nacherben an. Der Nacherbe ist Erbe des ursprünglichen Erblassers. Er haftet nach § 1967 Abs. 1 und 2 BGB für die Nachlassverbindlichkeiten, und zwar auch für die Verbindlichkeiten, die nicht vom Erblasser herrühren, sondern als Erbfallschulden den Erben als solchen treffen, soweit der Erblasser nicht ausnahmsweise ausschließlich den Vorerben mit Vermächtnissen oder Auflagen belasten wollte. Der Vorerbe haftet für die Nachlassverbindlichkeiten lediglich nach Maßgabe des § 2145 BGB, insbesondere für Eigenverbindlichkeiten, die aber zugleich Nachlassverbindlichkeiten sein können, für die auch der Nacherbe haftet.

Für die aufgrund des Vorerbfalls entstandene Erbschaftsteuer haftet danach (auch) der Nacherbe. Die Erbschaftsteuer ist eine Verbindlichkeit, die den Vorerben als solchen trifft, und somit als Erbfallschuld eine Nachlassverbindlichkeit i.S. des § 1967 BGB, die allerdings nach dem insoweit konstitutiv wirkenden § 10 Abs. 8 ErbStG bei der Bemessung der Erbschaftsteuer des Vorerben nicht abzugsfähig ist (BFH-Urteil vom 20. Januar 2016 II R 34/14, BFH/NV 2016, 851). Es gibt weder einen zivilrechtlichen noch einen erbschaftsteuerrechtlichen Grund, die Erbschaftsteuerschuld insoweit anders als sonstige Nachlassverbindlichkeiten zu behandeln und anzunehmen, dass die Steuerschuld allein auf den Erben des Vorerben übergehe und der Nacherbe dafür nicht hafte. § 20 Abs. 1 Satz 1 ErbStG, wonach Steuerschuldner der Erwerber ist, ist eine allgemein für Erwerbe von Todes wegen und durch Schenkung unter Lebenden geltende Vorschrift, die die Anwendung der beim Eintritt des Nacherbfalls geltenden erbrechtlichen Regelungen des § 1967 BGB auf die Erbschaftsteuerschuld des Vorerben nicht ausschließt. Die Anwendung dieser Regelungen ist sachgerecht, weil der Vorerbe nach § 2139 BGB mit dem Eintritt des Falles der Nacherbfolge aufhört, Erbe zu sein, und somit er selbst bzw. sein Erbe zivilrechtlich nicht mehr Erwerber des Vorerbschaftsvermögens ist, und der Nacherbe im Verhältnis zum Vorerben (oder dessen Erben) gemäß § 20 Abs. 4 ErbStG dessen Erbschaftsteuerschuld zu tragen hat.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 6 Abs. 2 Satz 1 ErbStG, wonach beim Eintritt der Nacherbfolge diejenigen, auf die das Vermögen übergeht, den Erwerb als vom Vorerben stammend zu versteuern haben. Diese Regelung betrifft nicht nur das aktive Nachlassvermögen, sondern auch die entsprechenden Nachlassverbindlichkeiten des Vorerben und steht daher der sich aus den maßgeblichen zivilrechtlichen Vorschriften ergebenden Beurteilung, dass diese Erwerber (Nacherben) auch für die durch die Vorerbschaft veranlasste Erbschaftsteuer haften, nicht entgegen.

Haftet nach dem Eintritt des Nacherbfalls neben dem Nacherben auch der Vorerbe oder dessen Erbe für die durch den Vorerbfall ausgelöste Erbschaftsteuer, sind sie Gesamtschuldner i.S. des § 44 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) und schulden jeweils die gesamte Leistung (§ 44 Abs. 1 Satz 2 AO), soweit sich für den Vorerben oder dessen Erben aus § 2145 BGB keine Haftungsbeschränkung ergibt. Das zuständige Finanzamt hat nach seinem pflichtgemäßen Ermessen (§ 5 AO) zu entscheiden, gegen welchen Gesamtschuldner es die Erbschaftsteuer festsetzt. Da der Nacherbe im Verhältnis zum Vorerben oder dessen Erben gemäß § 20 Abs. 4 ErbStG die Erbschaftsteuerschuld des Vorerben zu tragen hat, entspricht es regelmäßig pflichtgemäßem Ermessen, die Steuer gegen den Nacherben festzusetzen.

Die Ermessensentscheidung bedarf nach Maßgabe des § 121 Abs. 1 AO einer Begründung, soweit diese zum Verständnis des Steuerbescheids erforderlich und nicht nach § 121 Abs. 2 AO entbehrlich ist. Setzt das Finanzamt die Steuer gegen den Erben des Vorerben fest, liegt eine Ausnahme von der regelmäßig gebotenen Steuerfestsetzung gegenüber dem Nacherben vor, die im Allgemeinen einer Begründung bedarf.

Die Inanspruchnahme des Erben des Vorerben als Gesamtschuldner braucht nur dann nicht begründet zu werden, wenn sie einer Vereinbarung zwischen diesem und dem Nacherben entspricht oder der Erbe des Vorerben bei der Herausgabe der Vorerbschaft an den Nacherben (§ 2130 Abs. 1 BGB) die zur Entrichtung der Erbschaftsteuer erforderlichen Mittel zurückbehalten hat oder vergleichbare Besonderheiten vorliegen. Eine Begründung ist auch entbehrlich, wenn die Steuerfestsetzung gegen den Nacherben aus Rechtsgründen, etwa wegen Festsetzungsverjährung, nicht mehr möglich ist –dann entfällt bereits mangels einer Auswahlmöglichkeit eine Ausübung des Ermessens– oder infolge dessen wirtschaftlicher Situation keinen Erfolg verspricht und dies dem Erben des Vorerben bekannt oder ohne weiteres erkennbar ist. Insoweit gelten dieselben Grundsätze wie für die Schenkungsteuer und die Grunderwerbsteuer, wenn das Finanzamt denjenigen der Gesamtschuldner, der nach den Vereinbarungen der Vertragsparteien nicht verpflichtet ist, die Steuer zu tragen, in Anspruch nimmt.

Fehlt die erforderliche Begründung und wird sie auch nicht in zulässiger Form nachgeholt, ist der gegen den Erben des Vorerben ergangene Steuerbescheid bereits aus diesem Grund rechtswidrig und aufzuheben.