Medizinische Laborleistungen in der Umsatzsteuer

Medizinische Analysen, die von einem in privatrechtlicher Form organisierten Labor außerhalb der Praxisräume des praktischen Arztes durchgeführt werden, der sie angeordnet hat, können nach § 4 Nr. 14 Buchst. b UStG steuerfrei sein.

BFH Urteil vom 24.08.2017-V R 25/16 BFH/NV 2017, 1687

Sachverhalt:

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine GmbH, betrieb im Streitjahr 2009 ein medizinisches Labor. Die Klägerin untersuchte biologisches Probenmaterial (Blutproben oder Serum), das ihr von Ärzten und Heilpraktikern zugesandt wurde. Sie untersuchte diese Proben labortechnisch zur Bestimmung von IgG-Antikörpern beim Nachweis von Nahrungsmittelallergien. Krankheitsbilder, bei denen Therapeuten in Absprache mit den Patienten den Test einsetzten, waren chronische Magen-Darm-Probleme, chronische Hautprobleme, chronische Schmerzen, rheumatische Erkrankungen, Aufmerksamkeitsdefizite, Atemwegsbeschwerden und chronisches Übergewicht.

Ihre Aufträge erhielt die Klägerin von den jeweiligen Patienten, gegenüber denen sie ihre Leistungen auch abrechnete. Die Klägerin beschäftigte in ihrem Labor durchschnittlich vier Arbeitnehmer, von denen zwei die Berufsausbildung zur technischen Assistentin in der Medizin hatten. Die “Befundung” der Laborergebnisse wurde seitens der Klägerin durch einen Doktor der Biologie und einen Doktor der Chemie vorgenommen. Das Labor stand unter Leitung eines Allgemeinmediziners, der die Analytik der Testverfahren und auffällige Befunde kontrollierte.
Im Anschluss an eine Außenprüfung ging der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt –FA–) davon aus, dass die Leistungen der Klägerin steuerpflichtig seien und erließ einen entsprechenden Änderungsbescheid, der im Einspruchsverfahren geändert wurde. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.
Demgegenüber gab das Finanzgericht (FG) der Klage mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2016, 1825 veröffentlichen Urteil statt. Danach sind die Leistungen nach § 4 Nr. 14 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes i.d.F. des Streitjahres –2009– (UStG) steuerfrei. Unter Berücksichtigung von Art. 132 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) und der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) und des Bundesfinanzhofs (BFH) komme es für die Steuerfreiheit nicht auf ein zwischen dem Behandelnden und dem Patienten bestehenden Vertrauensverhältnis an.
Hiergegen wendet sich das FA mit der Revision. Die Steuerfreiheit erfordere ein Vertrauensverhältnis. Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Das Vertrauensverhältnis sei kein geeignetes Abgrenzungskriterium. Sie sei kein Zentrum oder Einrichtung i.S. von Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL. Hilfsweise sei auf sie weiterhin die 40 %-Grenze nach § 4 Nr. 16 Buchst. b UStG a.F. anzuwenden und die Sache insoweit an das FG zurückzuverweisen. Sie habe sich nicht auf technische Analysen beschränkt, sondern sei auch bei der Befunderhebung tätig geworden.
Begründung:

Die Revision des FA ist aus anderen als den geltend gemachten Gründen begründet. Das Urteil des FG ist aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). Das FG hat bei seinem Urteil nicht hinreichend berücksichtigt, dass medizinische Analysen, die –wie im Streitfall von einem in privatrechtlicher Form organisierten Labor– außerhalb der Praxisräume des sie anordnenden praktischen Arztes durchgeführt werden, nur nach § 4 Nr. 14 Buchst. b UStG, nicht aber auch nach Buchst. a dieser Vorschrift steuerfrei sind.
§ 4 Nr. 14 Buchst. a UStG befreit die “Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Physiotherapeut, Hebamme oder einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit durchgeführt werden”. Unionsrechtlich beruht dies auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL. Steuerfrei sind danach “Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der von dem betreffenden Mitgliedstaat definierten ärztlichen und arztähnlichen Berufe durchgeführt werden”.
§ 4 Nr. 14 Buchst. b UStG befreit “Krankenhausbehandlungen und ärztliche Heilbehandlungen einschließlich der Diagnostik, Befunderhebung, Vorsorge, Rehabilitation, Geburtshilfe und Hospizleistungen sowie damit eng verbundene Umsätze, die von Einrichtungen des öffentlichen Rechts erbracht werden”. Nach Satz 2 Doppelbuchst. bb sind diese Leistungen auch steuerfrei, wenn sie von “Zentren für ärztliche Heilbehandlung und Diagnostik oder Befunderhebung, die an der vertragsärztlichen Versorgung nach § 95 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch teilnehmen oder für die Regelungen nach § 115 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch gelten” erbracht werden. Unionsrechtlich beruht dies auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL. Steuerfrei sind danach “Krankenhausbehandlungen und ärztliche Heilbehandlungen sowie damit eng verbundene Umsätze, die von Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder unter Bedingungen, welche mit den Bedingungen für diese Einrichtungen in sozialer Hinsicht vergleichbar sind, von Krankenanstalten, Zentren für ärztliche Heilbehandlung und Diagnostik und anderen ordnungsgemäß anerkannten Einrichtungen gleicher Art durchgeführt beziehungsweise bewirkt werden”.

Zur Abgrenzung der Anwendungsbereiche von Art. 132 Abs. 1 Buchst. b und c MwStSystRL hat der EuGH im Urteil LuP vom 8. Juni 2006 C-106/05 (EU:C:2006:380) entschieden, dass bei medizinischen Analysen, die von –in privatrechtlicher Form organisierten– Laboren außerhalb der Praxisräume des praktischen Arztes durchgeführt werden, der sie angeordnet hat, zu prüfen ist, ob die Analysen unter Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (Richtlinie 77/388/EWG) fallen können. Der EuGH hat dies bejaht, da derartige Labore als Einrichtung “gleicher Art” wie “Krankenanstalten” und “Zentren für ärztliche Heilbehandlung und Diagnostik” anzusehen sind. Zu den nach dieser Bestimmung zu erfüllenden Voraussetzungen hat der EuGH entschieden, dass es der Steuerfreiheit nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG “immanent [ist], dass die Befreiung der medizinischen Analysen an Bedingungen geknüpft werden kann, die für die Ärzte, die die Analysen angeordnet haben, nicht gelten”. Der erkennende Senat hat sich dem angeschlossen und entschieden, dass “der EuGH die Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG von den ärztlichen Heilbehandlungen, die von einem in privatrechtlicher Form organisierten Labor nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG erbracht werden, nach dem Ort ab[grenzt], an dem die Leistungen erbracht werden. Nach Buchst. c sollen Leistungen steuerfrei sein, die außerhalb von Krankenhäusern (oder ähnlichen Einrichtungen) im Rahmen eines persönlichen Vertrauensverhältnisses erbracht werden, sei es in den Praxisräumen des Behandelnden, in der Wohnung des Patienten oder an einem anderen Ort, für alle anderen ärztlichen Leistungen soll Buchst. b eingreifen”
Der erkennende Senat ist dabei für die alte Rechtslage (vor der im Streitjahr maßgeblichen Änderung durch das Jahressteuergesetz 2009 vom 19. Dezember 2008 –JStG 2009– BGBl I 2008, 2794) davon ausgegangen, dass diese “der Richtlinie 77/388/EWG zugrunde liegende Systematik… sich aber nicht im Wege der Auslegung in das nationale Umsatzsteuergesetz übertragen [lässt], soweit es diesem Ansatz des europäischen Rechts schon dem Grunde nach nicht folgt. In § 4 Nr. 14 UStG 1980/1991/1993 finden sich sowohl Ärzte als auch klinische Chemiker, deren Leistungen nicht in der Arztpraxis oder der Wohnung des Patienten erbracht werden, als auch solche, bei denen dies der Fall ist. Durch das UStG 1980 wurde die Befreiung nach § 4 Nr. 14 UStG 1980/1991/1993 auf die klinischen Chemiker ausgedehnt, um eine Wettbewerbsbenachteiligung dieser Unternehmer gegenüber den Laborärzten zu verhindern (BTDrucks 8/2827, S. 14). Das nationale Gesetz knüpft damit hinsichtlich der Steuerbefreiung (auch der Laborärzte) in erster Linie an den Beruf an und nicht an den Ort der Leistung. Die von § 4 Nr. 14 UStG 1980/1991/1993 erfassten Umsätze können nicht gegen den Gesetzeswortlaut im Wege der Auslegung in den Anwendungsbereich des § 4 Nr. 16 Buchst. c UStG 1980/1991/1993 ‘umdefiniert’ werden. Es bleibt vielmehr dabei, dass sich in einem derartigen Fall der Steuerpflichtige auf das für ihn günstigere nationale Recht –wie hier § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG 1980/ 1991/1993– berufen kann, solange dieses nicht entsprechend den Vorgaben der Richtlinie 77/388/EWG angepasst wird”.

Diese vom erkennenden Senat für erforderlich gehaltene Anpassung hat das JStG 2009 vorgenommen. Wie sich aus der amtlichen Gesetzesbegründung (BTDrucks 16/10189, S. 74) ergibt, bezweckte der nationale Gesetzgeber damit ausdrücklich eine Anpassung an die unionsrechtliche Systematik: “Kriterium für die Abgrenzung des Anwendungsbereichs der beiden Befreiungstatbestände in Artikel 132 Abs. 1 Buchstabe b und c MwStSystRL ist weniger die Art der Leistung als vielmehr der Ort ihrer Erbringung. Der EuGH hat festgestellt, dass solche Leistungen nach Artikel 132 Abs. 1 Buchstabe b MwStSystRL von der Mehrwertsteuer zu befreien sind, die aus einer Gesamtheit von ärztlichen Heilbehandlungen in Einrichtungen mit sozialer Zweckbestimmung wie der des Schutzes der menschlichen Gesundheit bestehen, während Buchstabe c auf Leistungen anwendbar ist, die außerhalb von Krankenhäusern oder ähnlichen Einrichtungen im Rahmen eines persönlichen Vertrauensverhältnisses zwischen Patienten und Behandelndem, z.B. in den Praxisräumen des Behandelnden, in der Wohnung des Patienten oder an einem anderen Ort erbracht werden (vgl. EuGH-Urteil Dornier vom 6. November 2003 C-45/01, EU:C:2003:595, Rz 47)”. Dabei wurden die Leistungen der “Einrichtungen von Laborärzten oder klinischen Chemikern” entsprechend der unionsrechtlichen Systematik ausdrücklich dem neuen § 4 Nr. 14 Buchst. b Satz 2 Doppelbuchst. bb UStG zugeordnet (BTDrucks 16/10189, S. 75).

Danach ist das Urteil des FG aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen. Das FG wird im zweiten Rechtsgang die bislang –von seinem Rechtsstandpunkt aus zu Recht– fehlenden Feststellungen zur Anwendung von § 4 Nr. 14 Buchst. b Satz 2 Doppelbuchst. bb UStG nachzuholen haben. Dabei wird das FG auch zu entscheiden haben, ob diese Regelung im Hinblick auf einen unzulässigen Bedarfsvorbehalt unionsrechtswidrig sein könnte.
E
ine Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG kommt im Streitjahr 2009 aufgrund der bisherigen Feststellungen des FG nicht Betracht. Gegebenenfalls sind hierzu im zweiten Rechtsgang weitere Feststellungen zu treffen.

Überlassung einer Fitnesseinrichtung an die Mitarbeiter

Die Überlassung eine Fitnessstudio an die Mitarbeiter ist kein entgeltlicher Vorgang.

FG Munster Urteil vom 01.10.2015, 15 K 1994/13 U

Begründung:

Da die Klägerin die Eingangsleistungen für den Betrieb der Fitnesseinrichtung sowohl für entgeltliche Umsätze an andere Unternehmen des Konzernverbundes im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit als auch für unternehmensfremde (private) Zwecke ihrer eigenen Arbeitnehmer verwendet hat, war sie bei Leistungsbezug berechtigt – wie vorliegend auch geschehen – die bezogenen Eingangsleistungen im Zusammenhang mit dem Betrieb der Fitnesseinrichtung ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit zuzuordnen und den Vorsteuerabzug (z.B. aus der Anschaffung der Trainingsgeräte und der für die Räumlichkeiten gezahlten Miete) vorzunehmen. Entsprechend dieser Zuordnung hat sie die unentgeltlichen Zuwendungen an ihrer Mitarbeiter i.S.d. § 3 Abs. 9a Satz 1 Nr. 2 UStG der Besteuerung zu unterwerfen. Denn nach der Rspr. steht einem Unternehmer nur für den Fall, dass er bei Leistungsbezug beabsichtigt, eine von ihm bezogene Leistung ausschließlich für unternehmensfremde Zwecke i.S. von Art. 26 MwStSystRL, § 3 Abs. 9a UStG zu verwenden kein Vorsteuerabzug zu mit der Folge, dass er dann auch keine unentgeltliche Wertabgabe zu besteuern hat, da er die Eingangsleistungen in diesem Fall nicht für sein Unternehmen bezogen hat und es eines Korrektiv der Vorsteuer durch die Wertabgabenbesteuerung nicht bedarf

Vermietung von Abstellplätzen für Fahrzeuge

Vermietung von Abstellplätzen an Kfz-Händler kann umsatzsteuerpflichtig sein.

FG Niedersachsen Urteil vom 15.10.2015 5 K 220/12

Sachverhalt:

Fraglich ist, ob im Streitfall die Voraussetzungen des § 4 Nr. 12 Satz 2 Umsatzsteuergesetz (UStG) vorliegen.

Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks X. Es handelt sich um ein Grundstück, das teilweise bebaut ist. Das aufstehende Gebäude ist teilweise gewerblich und teilweise (2 Penthouse-Wohnungen) für private Wohnzwecke vermietet. Der ganz überwiegende Teil des Grundstücks besteht aus teilweise asphaltierten Flächen, die in ca. … Einheiten aufgeteilt und teilweise durch Hecken und Zäune abgetrennt sind. Die Klägerin vermietet diese Einheiten an verschiedene Mieter, die auf diesen Grundstücken den Handel mit Gebrauchtfahrzeugen betreiben. Sie stellen auf den Grundstücken Fahrzeuge aus, die regelmäßig nicht zum Straßenverkehr zugelassen sind und von Interessenten auf den angemieteten Grundstücken besichtigt und ggf. gekauft werden können. Einige der Mieter/Kraftfahrzeughändler haben auf dem Grundstück Unterstände, Wohnwagen oder Container aufgestellt, die sie für ihre Verkaufstätigkeit nutzen.

Der Prüfer unterwarf die Miete der Umsatzsteuer. Die Befreiungsvorschrift nach § 4 Nr. 12 Satz 2 UStG greife nicht ein.

Begründung:

Gemäß § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a UStG ist u. a. die Vermietung und Verpachtung von Grundstücken von der Umsatzsteuer befreit. Die Klägerin hat ein Grundstück vermietet, so dass diese Vermietungsleistung grundsätzlich unter die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a UStG fallen würde.

Nicht befreit ist nach § 4 Nr. 12 Satz 2 UStG die Vermietung von Plätzen für das Abstellen von Fahrzeugen. Mit der Vorschrift wird Art. 13 Teil B Buchst. b Nr. 2 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) (jetzt Art. 135 Abs. 2 Satz 1 Buchst. b der Richtlinie 2006/112/EG des Rates über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem vom 28. November 2006 (MwStSystRL) – ABl.EU Nr. L 347, 1) in nationales Recht umgesetzt. Nach der Richtlinienbestimmung befreien die Mitgliedstaaten die Vermietung und Verpachtung von Grundstücken mit Ausnahme der Vermietung von Plätzen für das Abstellen von Fahrzeugen.

 

Pharmarabatt und Umsatzsteuer

Die Änderung der Bemessungsgrundlage setzt gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG voraus, dass eine hinreichende Verknüpfung zu Leistungen besteht, die der Unternehmer tatsächlich an bestimmte Abnehmer ausgeführt hat.

BFH Urteil vom 30.01.2014-VR 1/13 BFHNV 2014 S. 911f

Begründung:

Hat sich die Bemessungsgrundlage für einen steuerpflichtigen Umsatz i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG geändert, hat der Unternehmer, der diesen Umsatz ausgeführt hat, den dafür geschuldeten Steuerbetrag gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG entsprechend zu berichtigen. Dies beruhte im Streitjahr unionsrechtlich auf Art. 11 Teil C Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG, wonach im Fall der Annullierung, der Rückgängigmachung, der Auflösung, der vollständigen oder teilweisen Nichtbezahlung oder des Preisnachlasses nach der Bewirkung des Umsatzes die Besteuerungsgrundlage unter von den Mitgliedstaaten festgelegten Bedingungen entsprechend vermindert wird.

Im Streitfall hat das FG die Voraussetzungen einer Berichtigung gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG zutreffend sowohl im Hinblick auf die Umsätze verneint, die die Klägerin vor der Zahlung ihres Anteils am Solidarbeitrag ausgeführt hatte, als auch im Hinblick auf später ausgeführte Umsätze.

Die Klägerin ist im Hinblick auf frühere Umsätze nicht zur Steuerberichtigung berechtigt. Das FG hat seine Entscheidung insoweit darauf gestützt, dass die Absprache zwischen den Arzneimittelherstellern und der Bundesregierung keinerlei Zusammenhang zwischen dem Solidarbeitrag und zuvor ausgeführten Lieferungen von zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen abgegebenen Arzneimitteln hergestellt habe. Auslöser für den Solidarbeitrag sei die im Gesetzentwurf vom 16. Oktober 2001 zunächst vorgesehene Preisreglementierung für die Jahre 2002 und 2003 gewesen, aufgrund dessen der VfA der Bundesregierung einen einmaligen Solidarbeitrag für das Jahr 2002 angeboten habe. Die Arzneimittelhersteller und die Bundesregierung hätten sodann Einvernehmen darüber erzielt, dass der Beitrag den gesetzlichen Krankenkassen zu Beginn des Jahres 2002 zugutekommen und im Gegenzug dafür in den Jahren 2002, 2003 auf jegliche staatliche Preisregulierung im festbetragsfreien Markt verzichtet werden sollte. Demgemäß habe die GmbH erst nach der Verabschiedung des Gesetzes auf das Treuhandkonto gezahlt. Der Solidarbeitrag sei sogar erst nach Inkrafttreten des –keine Preisreglementierungen enthaltenen– AABG an die gesetzlichen Krankenkassen verteilt worden. Es bestehe kein Anhaltspunkt für eine Rückbeziehung des Solidarbeitrags in Form einer nachträglichen Entgeltminderung. Der Solidarbeitrag sei ersichtlich darauf gerichtet gewesen, das Inkrafttreten von Preisreglementierungen für die Jahre 2002 und 2003 zu verhindern. Er sollte damit allein für die Zukunft wirken. Unerheblich sei, dass die Beitragsanteile der Mitglieder des VfA auf Basis der Umsätze des Zeitraums von Juli 2000 bis Juni 2001 berechnet worden seien, da es sich hierbei lediglich um eine Modalität für die Aufteilung des Solidarbeitrags zwischen den einzelnen Herstellern gehandelt habe. Diese verbandsinterne Aufteilung des Gesamtbeitrags habe keinen Einfluss auf die Zweckbestimmung des Solidarbeitrags gehabt und damit keinen unmittelbaren Zusammenhang zwischen den einzelnen Beitragsanteilen und früheren Umsätzen hergestellt. Gleiches gelte für den Umstand, dass der im letztlich in Kraft getretenen AABG kodifizierte Verteilungsschlüssel für den Solidarbeitrag auf die Arzneimittelausgaben der gesetzlichen Krankenkassen des Jahres 2001 Bezug genommen habe.

Im Gegensatz zu dem EuGH-Urteil Elida Gibbs in Slg. 1996, I-5339 bestanden zwischen der Klägerin und den gesetzlichen Krankenkassen keine unmittelbaren Rechtsbeziehungen, wie sie dann gegeben sind, wenn der Kunde eines Händlers vom Hersteller einen Rabatt erhält. Denn der Klägerin war schon die genaue Anzahl der von ihr belieferten gesetzlichen Krankenkassen nicht bekannt. Demgegenüber erfolgte die Rabattierung durch Hersteller im EuGH-Urteil Elida Gibbs in Slg. 1996, I-5339 für im jeweiligen Einzelfall feststehende Lieferungen.

Das EuGH-Urteil Glawe in Slg. 1994, I-1679 betrifft eine Fallgestaltung, bei dem als Entgeltminderung zu berücksichtigende “Spielgewinne” durch den Automatenbetreiber nur an den unmittelbaren Empfänger der eigenen Leistung auszuzahlen waren. Das Urteil beruht maßgeblich auf dem Umstand, dass eine gesetzlich genau bestimmte Gewinnquote zugunsten der Spieler bestand. Demgegenüber diente die Zahlung des Solidarbeitrags im Streitfall dazu, eine gesetzliche Regelung, die die Höhe des Entgelts beeinflusst hätte, zu verhindern.

Die Klägerin ist auch im Hinblick auf später ausgeführte Umsätze nicht zur Steuerberichtigung berechtigt. Nach dem Urteil des FG hat der Solidarbeitrag auch nicht zu einer Minderung der Bemessungsgrundlage für die nach seiner Erbringung erfolgten Leistungen geführt. Auch insoweit fehle es am erforderlichen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Zuwendung des Leistungserbringers und einem Umsatz oder einer Mehrheit von Umsätzen. Der übereinstimmende Wille der Arzneimittelhersteller sowie der Bundesregierung sei darauf gerichtet gewesen, dass durch die Zahlung von insgesamt 400 Mio. DM ein Finanzierungsbeitrag an die gesetzlichen Krankenversicherungen geleistet werden sollte, der die im ursprünglichen Gesetzentwurf geplante Einführung eines Zwangsrabatts entbehrlich machen sollte. Hieraus ergebe sich, dass mit dem Solidarbeitrag gerade nicht der Zweck einer Entgeltminderung, sondern der Zweck einer sonstigen Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung zur Abwendung einer Preis- und damit Entgeltverminderung, verfolgt worden sei. Auf die tatsächliche Umsatzentwicklung in der Folgezeit sei es nicht angekommen. Die konkrete Verteilung der Gesamtsumme auf die einzelnen gesetzlichen Krankenkassen sei nicht Gegenstand der “Verpflichtungserklärung” gewesen.

Auch dies lässt keinen Rechtsfehler erkennen. Hierfür spricht bereits, dass die Berichtigung gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG eine bereits erbrachte Leistung voraussetzt, wie sich auch aus Art. 11 Teil C Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG ergibt. Zwar geht der Senat in seiner Rechtsprechung auch davon aus, dass es zur Berichtigung noch im Voranmeldungszeitraum der Leistungserbringung kommen kann. Eine Berichtigung vor der Leistungserbringung kommt demgegenüber nicht in Betracht.

Leistungsaustausch oder Schadensersatz

Ob die Voraussetzungen für einen Leistungsaustausch vorliegen, ist nicht nach zivilrechtlichen, sondern ausschließlich nach den vom Unionsrecht geprägten umsatzsteuerrechtlichen Maßstäben zu beurteilen.

Entschädigungen oder Schadensersatzzahlungen sind grundsätzlich kein Entgelt im Sinne des Umsatzsteuerrechts, wenn die Zahlung nicht für eine Lieferung oder sonstige Leistung an den Zahlenden erfolgt, sondern weil der Zahlende nach Gesetz oder Vertrag für einen Schaden einzustehen hat.

Ob eine Leistung des Unternehmers vorliegt, die derart mit der Zahlung verknüpft ist, dass sie sich auf die Erlangung einer Gegenleistung richtet, bestimmt sich in erster Linie nach dem der Leistung zugrunde liegenden Rechtsverhältnis. Deshalb sind bei Leistungen aufgrund eines gegenseitigen Vertrages die Voraussetzungen eines Leistungsaustausches regelmäßig erfüllt.

Die Voraussetzungen für einen entgeltlichen Leistungsaustausch liegen vor, wenn ein Steuerpflichtiger auf eine ihm, sei es auf gesetzlicher Grundlage oder vertraglicher Grundlage, zustehende Rechtsposition gegen Entgelt verzichtet.

BFH Urteil vom 16.01.2014-VR 22/13 BFHNV 2014 S. 736 ff

Begründung:

Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG unterliegen der Umsatzsteuer die Lieferungen und sonstigen Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt.

Die Besteuerung einer Lieferung oder sonstigen Leistung nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG setzt das Bestehen eines unmittelbaren Zusammenhangs zwischen der erbrachten Leistung und dem empfangenen Gegenwert voraus. Der Leistungsempfänger muss identifizierbar sein; er muss einen Vorteil erhalten, der zu einem Verbrauch im Sinn des gemeinsamen Mehrwertsteuerrechts führt. Demgegenüber sind Entschädigungen oder Schadensersatzzahlungen grundsätzlich kein Entgelt im Sinne des Umsatzsteuerrechts, wenn die Zahlung nicht für eine Lieferung oder sonstige Leistung an den Zahlenden erfolgt, sondern weil der Zahlende nach Gesetz oder Vertrag für einen Schaden und seine Folgen einzustehen. In diesen Fällen besteht kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Zahlung und der Leistung.

Ob eine Leistung des Unternehmers vorliegt, die derart mit der Zahlung verknüpft ist, dass sie sich auf die Erlangung einer Gegenleistung (Zahlung) richtet, bestimmt sich in erster Linie nach dem der Leistung zugrunde liegenden Rechtsverhältnis. Bei Leistungen aufgrund eines gegenseitigen Vertrages, durch den sich eine Vertragspartei zu einem Tun, Dulden oder Unterlassen und die andere sich hierfür zur Zahlung einer Gegenleistung verpflichtet, sind die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 UStG regelmäßig erfüllt, falls der leistende Vertragspartner Unternehmer ist.

Ob die Voraussetzungen für einen Leistungsaustausch vorliegen, ist dabei nicht nach zivilrechtlichen, sondern ausschließlich nach den vom Unionsrecht geprägten umsatzsteuerrechtlichen Maßstäben zu. Deshalb kommt es –entgegen der Auffassung des FG– auf die Frage, ob nach deutschem Zivilrecht objektive oder subjektive Unmöglichkeit der ursprünglich geschuldeten Leistung vorliegt und ob die Zahlung zivilrechtlich als Schadensersatz bezeichnet wird, nicht an.

Die Voraussetzungen für einen entgeltlichen Leistungsaustausch liegen insbesondere dann vor, wenn ein Steuerpflichtiger auf eine ihm, sei es auf gesetzlicher oder vertraglicher Grundlage, zustehende Rechtsposition gegen Entgelt verzichtet. Auch der Verzicht, ganz oder teilweise eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit auszuüben, ist gemäß § 3a Abs. 4 Nr. 9 UStG eine sonstige Leistung.

Dem steht auch nicht das EuGH-Urteil vom 18. Juli 2007  entgegen. Darin hat der EuGH entschieden, dass das Angeld bei Reservierung einer Beherbergungsleistung keine Gegenleistung für eine eigenständige, bestimmbare Leistung, sondern eine Entschädigung zum Ausgleich des infolge des Vertragsrücktritts des Gastes entstandenen Schadens darstellt. Das Angeld soll ein Zeichen für den Abschluss des Beherbergungsvertrages, ein Anreiz für seine Erfüllung und eine pauschalierte Entschädigung sein. An einer eigenständigen bestimmbaren Gegenleistung fehlt es, weil der Hotelier nur seinen sich aus dem Beherbergungsvertrag ergebenden Pflichten nachkommt und keine weitere Dienstleistung erbringt, mit der das Angeld in unmittelbarem Zusammenhang stehen könnte. Damit ist der vorliegende Sachverhalt nicht vergleichbar.

Anforderungen an die Rechnungserstellung

Zur Identifizierung einer abgerechneten Leistung (§ 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 5 UStG) können andere Geschäftsunterlagen herangezogen werden, wenn das Abrechnungsdokument selbst darauf verweist und diese eindeutig bezeichnet. Die in Bezug genommenen Geschäftsunterlagen müssen der Rechnung nicht beigefügt sein.

BFH Urteil vom 16.1.2014, V R 28/13

Begründung (BFH):

Mit Urteil vom 16. Januar 2014 V R 28/13 hat der Bundesfinanzhof (BFH) entschieden, dass zur Identifizierung einer abgerechneten Leistung in der Rechnung auf andere Geschäftsunterlagen verwiesen werden kann, ohne dass diese Unterlagen der Rechnung beigefügt sein müssen.

Zum Vorsteuerabzug berechtigt ist nur, wer eine Rechnung i.S. der §§ 14, 14a des Umsatzsteuergesetzes besitzt, in der u.a. der Umfang und die Art der sonstigen Leistung angegeben ist. Solche Leistungsbeschreibungen sind erforderlich, um die Erhebung der Umsatzsteuer und ihre Überprüfung durch die Finanzverwaltung zu sichern. Im Streitfall hatte der Kläger Rechnungen erhalten, die zur Beschreibung der ihm gegenüber erbrachten Dienstleistung ausdrücklich auf bestimmte Vertragsunterlagen verwiesen. Diese Vertragsunterlagen waren den Rechnungen allerdings nicht beigefügt. Das Finanzamt (FA) versagte den Abzug der Vorsteuerbeträge. Das Finanzgericht (FG) bestätigte diese Entscheidung. Nach seiner Ansicht fehlte es in den Rechnungen an einer hinreichenden Leistungsbeschreibung für die erbrachten Dienstleistungen. Daran ändere auch die Bezugnahme auf bestimmte Vertragsunterlagen nichts, weil diese Unterlagen den Rechnungen nicht beigefügt worden seien.

Dem folgte der BFH nicht. Eine Rechnung muss Angaben tatsächlicher Art enthalten, welche die Identifizierung der abgerechneten Leistungen ermöglicht. Zur Identifizierung der abgerechneten Leistung können andere Geschäftsunterlagen herangezogen werden. Voraussetzung ist dabei lediglich, dass die Rechnung selbst auf diese anderen Unterlagen verweist und eindeutig bezeichnet. Solche Vertragsunterlagen müssen zwar existent, aber den Rechnungen nicht beigefügt sein. Das FA und das FG müssen daher ordnungsgemäß in Bezug genommene Vertragsunterlagen bei der Überprüfung der Leistungsbeschreibung berücksichtigen.

 

Organschaft in der Insolvenz

Es ist ernstlich zweifelhaft, ob die Zusammenfassung mehrerer Personen zu einem Unternehmen durch die umsatzsteuerrechtliche Organschaft nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens fortbesteht. Dies gilt gleichermaßen für die Insolvenzeröffnung beim Organträger wie auch bei der Organgesellschaft.

BFH Beschluss vom 19.3.2014, V B 14/14

Begründung:

Mit Beschluss vom 19. März 2014 (V B 14/14) äußert der Bundesfinanzhof (BFH) ernstliche Zweifel am Fortbestand der umsatzsteuerrechtlichen Konzernbesteuerung (Organschaft) im Insolvenzfall.

Die umsatzsteuerrechtliche Organschaft führt zu einer Zusammenfassung mehrerer Unternehmen zu einem Steuerpflichtigen. Leistungsbeziehungen zwischen diesen Unternehmen werden nicht mehr besteuert. Die Konzernobergesellschaft (Organträger) ist Steuerschuldner auch für die Umsätze, die andere eingegliederte Konzerngesellschaften (Organgesellschaften) gegenüber Dritten ausführen. Soweit die Steuerschuld des Organträgers auf der Umsatztätigkeit einer Organgesellschaft beruht, steht dem Organträger ein zivilrechtlicher Ausgleichsanspruch gegen die Organgesellschaft zu. Die Organschaft soll nach ihrer gesetzlichen Konzeption der Steuervereinfachung dienen.

Im Streitfall wurde sowohl über das Vermögen des Organträgers als auch bei den Organgesellschaften das Insolvenzverfahren eröffnet und jeweils Eigenverwaltung angeordnet. Aufgrund der Eigenverwaltung gingen Finanzamt (FA) und Finanzgericht davon aus, dass die Organschaft fortbestanden habe. Danach hatte der Organträger die Umsätze der Organgesellschaften auch während des Insolvenzverfahrens weiter zu versteuern. Dem trat der BFH mit seinem –im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ergangenen und zur amtlichen Veröffentlichung bestimmten– Beschluss entgegen. Danach ist es grundsätzlich zweifelhaft, ob die Organschaft im Insolvenzverfahren fortbestehen kann. Dies gilt unabhängig davon, ob das Insolvenzgericht einen Insolvenzverwalter bestellt oder Eigenverwaltung anordnet.

Der BFH begründet seine Entscheidung mit den aufgrund der Insolvenzeröffnung nur noch eingeschränkten Möglichkeiten zur Anspruchsdurchsetzung. So ist im Insolvenzverfahren des Organträgers die auf die Umsatztätigkeit der Organgesellschaft entfallende Umsatzsteuer keine Masseverbindlichkeit und kann daher vom FA nicht durch Steuerbescheid gegen den Organträger festgesetzt werden. In der Insolvenz der Organgesellschaft ist der Organträger zudem nicht berechtigt, seinen zivilrechtlichen Ausgleichsanspruch gegen die Organgesellschaft als Masseverbindlichkeit geltend zu machen. Die Entscheidung im Hauptsacheverfahren steht noch aus.

Haftung des Abtretungsempfängers für Umsatzsteuer bei Abtretung von Forderungen durch Globalzession

Die Haftung des Abtretungsempfängers nach § 13c UStG umfasst alle Formen der Abtretung –auch die Globalzession– von Forderungen des Abtretenden aus Umsätzen.

Hat ein vorläufiger Insolvenzverwalter aufgrund richterlicher Ermächtigung eine zur Sicherheit abgetretene Forderung eingezogen und den Erlös an den Abtretungsempfänger weitergeleitet, haftet der Abtretungsempfänger nach § 13c UStG für die im vereinnahmten und an ihn weitergeleiteten Forderungsbetrag enthaltene Umsatzsteuer.

Die Haftung nach § 13c UStG kann nicht durch eine zivilrechtliche Vereinbarung ausgeschlossen werden, nach der es sich bei dem weitergeleiteten Betrag um einen Nettobetrag ohne Umsatzsteuer handeln soll.

BFH Urteil vom 20.3.2013, XI R 11/12

Begründung:

Wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet (Haftungsschuldner), wie der Abtretungsempfänger einer Forderung unter den Voraussetzungen des § 13c UStG, kann nach § 191 Abs. 1 Satz 1 AO durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden.

Soweit der leistende Unternehmer den Anspruch auf die Gegenleistung für einen steuerpflichtigen Umsatz i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG an einen anderen Unternehmer abgetreten und die festgesetzte Steuer, bei deren Berechnung dieser Umsatz berücksichtigt worden ist, bei Fälligkeit nicht oder nicht vollständig entrichtet hat, haftet der Abtretungsempfänger nach Maßgabe des § 13c Abs. 2 UStG für die in der Forderung enthaltene Umsatzsteuer, soweit sie im vereinnahmten Betrag enthalten ist (§ 13c Abs. 1 Satz 1 UStG). Ist die Vollziehung der Steuerfestsetzung in Bezug auf die in der abgetretenen Forderung enthaltene Umsatzsteuer gegenüber dem leistenden Unternehmer ausgesetzt, gilt die Steuer insoweit als nicht fällig (§ 13c Abs. 1 Satz 2 UStG). Soweit der Abtretungsempfänger die Forderung an einen Dritten abgetreten hat, gilt sie in voller Höhe als vereinnahmt (§ 13c Abs. 1 Satz 3 UStG).

Gemäß § 13c Abs. 2 Satz 1 UStG ist der Abtretungsempfänger ab dem Zeitpunkt in Anspruch zu nehmen, in dem die festgesetzte Steuer fällig wird, frühestens ab dem Zeitpunkt der Vereinnahmung der abgetretenen Forderung. Bei der Inanspruchnahme nach § 13c Abs. 2 Satz 1 UStG besteht abweichend von § 191 AO kein Ermessen (§ 13c Abs. 2 Satz 2 UStG). Die Haftung ist der Höhe nach begrenzt auf die im Zeitpunkt der Fälligkeit nicht entrichtete Steuer (§ 13c Abs. 2 Satz 3 UStG). Soweit der Abtretungsempfänger auf die nach § 13c Abs. 1 Satz 1 UStG festgesetzte Steuer Zahlungen i.S. des § 48 AO geleistet hat, haftet er nicht (§ 13c Abs. 2 Satz 4 UStG).

"§ 13c UStG begründet unter bestimmten Voraussetzungen einen Haftungstatbestand für die Fälle, in denen ein Unternehmer eine Kundenforderung abtritt und der Abtretungsempfänger die Forderung einzieht oder an einen Dritten überträgt. Mit der Festsetzung der Haftungsschuld wird ein Gesamtschuldverhältnis im Sinne des § 44 AO begründet.

Die Regelung dient der Vermeidung von Umsatzsteuerausfällen, die dadurch entstehen, dass der abtretende Unternehmer häufig finanziell nicht mehr in der Lage ist, die von ihm geschuldete Umsatzsteuer zu entrichten, weil der Abtretungsempfänger die Forderung eingezogen hat. Der Abtretungsempfänger war bisher nicht verpflichtet, diese Umsatzsteuer, die zivilrechtlich Bestandteil der abgetretenen Forderung ist, an das Finanzamt abzuführen.

Weiter wird ausgeführt: "Der Abtretungsempfänger muss die abgetretene Forderung ganz oder teilweise vereinnahmt haben. Hat er sie teilweise vereinnahmt, erstreckt sich die Haftung nur auf die Umsatzsteuer, die im tatsächlich vereinnahmten Betrag enthalten ist. Hat er sie ganz oder teilweise an einen Dritten übertragen, gilt dieses Rechtsgeschäft insoweit als Vereinnahmung, d. h. der Abtretungsempfänger kann für die im Gesamtbetrag der weiterübertragenen Forderung enthaltene Umsatzsteuer in Haftung genommen werden. Dies gilt unabhängig davon, welche Gegenleistung der ursprüngliche Abtretungsempfänger für die Übertragung der Forderung erhalten hat.

Entscheidend ist im Streitfall vielmehr, dass der vorläufige Insolvenzverwalter die der Klägerin von der GmbH abgetretenen Forderungen in Höhe von 102.548,27 EUR eingezogen und diesen Betrag mit der darin enthaltenen Umsatzsteuer in Höhe von 16.373,26 EUR durch die Überweisung von 250.000 EUR zur Abgeltung der Absonderungsrechte der Klägerin weitergeleitet hat. Dadurch konnte die Klägerin über den eingezogenen Forderungsbetrag einschließlich Umsatzsteuer verfügen.

Die Weiterleitung des Betrags von 102.548,27 EUR an die Klägerin entsprach im Übrigen –ohne dass es darauf für die Anwendung des § 13c UStG ankommt– der Rechtslage. Denn der vorläufige Insolvenzverwalter hatte aufgrund richterlicher Ermächtigung die der Klägerin zur Sicherheit abgetretenen Forderungen vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens eingezogen, so dass ihr ein Anspruch auf Herausgabe der Erlöse zustand.

 

 

Zuordnungsentscheidung bei gemischt-genutzten Wirtschaftsgütern

Ist ein Gegenstand sowohl für unternehmerische Zwecke als auch für nichtunternehmerische Zwecke vorgesehen (gemischte Nutzung), kann der Steuerpflichtige (Unternehmer) den Gegenstand

a) insgesamt seinem Unternehmen zuordnen,

b) ihn in vollem Umfang in seinem Privatvermögen belassen oder

c) ihn im Umfang der tatsächlichen unternehmerischen Verwendung seinem Unternehmensvermögen zuordnen (Zuordnungswahlrecht).

Diese Zuordnungsgrundsätze gelten auch bei Herstellung oder Erwerb eines Gegenstands durch zwei eine Gemeinschaften bildende Ehegatten.

Die sofort bei Leistungsbezug zu treffende Zuordnungsentscheidung ist "zeitnah" zu dokumentieren.

Keine "zeitnahe" Dokumentation der Zuordnungsentscheidung liegt vor, wenn die Zuordnungsentscheidung dem Finanzamt erst nach Ablauf der gesetzlichen Abgabefrist von Steuererklärungen (31. Mai des Folgejahres) mitgeteilt wird

BFH Urteil vom 18.04.2012 – XI R 14/10 BFHNV 2012 S. 1828 ff

Begründung:

Der Unternehmer kann nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG die gesetzlich geschuldete Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuer abziehen. Ausgeschlossen ist der Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG für Leistungen, die der Unternehmer für steuerfreie Umsätze verwendet. Diese Vorschriften beruhen auf Art. 17 Abs. 2 Buchst. a der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern. Danach ist der Steuerpflichtige, soweit er Gegenstände und Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet, befugt, die im Inland geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert oder erbracht werden, von der von ihm geschuldeten Steuer abzuziehen. Bei richtlinienkonformer Auslegung wird für das Unternehmen i.S. des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG eine Leistung daher nur bezogen, wenn sie zur (beabsichtigten) Verwendung für Zwecke einer nachhaltigen und gegen Entgelt ausgeübten Tätigkeit bezogen wird, die im Übrigen steuerpflichtig sein muss, damit der Vorsteuerabzug nicht nach § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG ausgeschlossen ist

Ist ein Gegenstand –wie das nach den Feststellungen des FG und dem übereinstimmenden Vorbringen der Beteiligten im Streitfall hergestellte Einfamilienhaus– sowohl für den unternehmerischen Bereich als auch für den nichtunternehmerischen privaten Bereich des Unternehmers vorgesehen (gemischte Nutzung), wird der Gegenstand nur dann für das Unternehmen bezogen, wenn und soweit der Unternehmer ihn seinem Unternehmen zuordnet (vgl. EuGH-Urteil vom 8. März 2001 C-415/98 –Bakcsi–, Slg. 2001, I-1831, Leitsatz 1 sowie Rz 25). Insoweit hat der Steuerpflichtige (Unternehmer) nach ständiger Rechtsprechung des EuGH und BFH ein Zuordnungswahlrecht. Er kann den Gegenstand insgesamt seinem Unternehmen zuordnen oder ihn in vollem Umfang in seinem Privatvermögen belassen oder den Gegenstand entsprechend dem –geschätzten– unternehmerischen Nutzungsanteil seinem Unternehmen und im Übrigen seinem nichtunternehmerischen Bereich zuordnen.

Die Zuordnung eines Gegenstands zum Unternehmen erfordert eine durch Beweisanzeichen gestützte Zuordnungsentscheidung des Unternehmers, die zeitnah zu dokumentieren ist. Dabei ist die Geltendmachung des Vorsteuerabzugs regelmäßig ein gewichtiges Indiz für, die Unterlassung des Vorsteuerabzugs ein ebenso gewichtiges Indiz gegen die Zuordnung eines Gegenstands zum Unternehmen. Auch die bilanzielle und ertragsteuerrechtliche Behandlung kann ggf. ein Indiz für die umsatzsteuerrechtliche Behandlung sein. Gibt es keine Beweisanzeichen für eine Zuordnung zum Unternehmen, kann diese nicht unterstellt werden. Aus dem Grundsatz des Sofortabzugs der Vorsteuer folgt, dass die Zuordnungsentscheidung schon bei Anschaffung oder Herstellung des Gegenstands zu treffen ist.

Der V. Senat des BFH hat in mehreren Entscheidungen jüngst geklärt, dass die Zuordnungsentscheidung spätestens und mit endgültiger Wirkung in einer "zeitnah" erstellten Umsatzsteuererklärung für das Jahr, in das der Leistungsbezug fällt, nach außen dokumentiert werden kann, wobei insoweit der 31. Mai des Folgejahres als letztmöglicher Zeitpunkt in Betracht kommt.

 

Erledigung einer Aufrechnungserklärung durch Möglichkeit der Saldierung nach § 16 UStG

Können wegen Eröffnung eines Insolvenzverfahrens positive Umsatzsteuerbeträge und negative Berichtigungsbeträge (§ 16 Abs. 2 UStG) im Rahmen einer Steuerfestsetzung durch Bescheid des FA nicht mehr saldiert werden, erledigt sich der Streit um die Wirksamkeit einer hinsichtlich dieser Beträge vom FA abgegebenen Aufrechnungserklärung, sobald die Steuer für das mit Insolvenzeröffnung endende (Rumpf-)Steuerjahr berechnet werden kann und nicht ausnahmsweise von der Aufrechnungserklärung als solcher fortbestehende Rechtswirkungen ausgehen, welche die Rechte des Schuldners berühren.

Da ein über die Wirksamkeit der Aufrechnung ergangener Abrechnungsbescheid in der Regel die Feststellung enthält, dass aufgrund der Berichtigung entstehende Vergütungsbeträge oder Erstattungsbeträge nicht auszukehren sind, bleibt eine Klage gegen den Abrechnungsbescheid zulässig. Ist der Berichtigungstatbestand vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens eingetreten, ist der Abrechnungsbescheid aufgrund des § 16 UStG ungeachtet des § 96 Abs. 1 InsO als rechtmäßig zu bestätigen.

BFH Urteil vom 25.7.2012, VII R 44/10

Begründung:

Gerät ein Steuerpflichtiger in Insolvenz, besteht für das Finanzamt oftmals nur dann eine aussichtsreiche Möglichkeit, offene Umsatzsteuerforderungen aus der Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu realisieren, wenn es seine Forderungen gegen Zahlungsansprüche des betreffenden Unternehmens (etwa aus Vorsteuerüberhängen in anderen Veranlagungszeiträumen) aufrechnen kann. Die Insolvenzordnung lässt eine solche Aufrechnung im Insolvenzverfahren (und damit eine abgesonderte Befriedigung eines Insolvenzgläubigers) zwar grundsätzlich zu; sie verbietet sie jedoch, soweit der Insolvenzgläubiger dem Schuldner erst nach Eröffnung des Verfahrens etwas schuldig geworden ist (§ 96 Abs. 1 Nr. 1 der Insolvenzordnung – InsO -). Das war nach der bisherigen, langjährigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) dann nicht der Fall – eine Aufrechnung also zulässig -, wenn der Anspruch des Steuerpflichtigen zwar steuerrechtlich erst während des Insolvenzverfahrens entstanden war, jedoch auf dem Ausgleich einer vor Verfahrenseröffnung erfolgten Steuerfestsetzung beruhte, insbesondere etwa einer Umsatzsteuerberichtigung wegen Uneinbringlichwerden des Entgelts. Der BFH hat jetzt mit Urteil vom 25. Juli 2012 VII R 29/11 diese bisher durch die dem Steuerrecht eigentümliche besondere Verknüpfung von Umsatzsteuerfestsetzung und Umsatzsteuerberichtigung (§ 17 Abs. 2 des Umsatzsteuergesetzes – UStG -) gerechtfertigte Rechtsprechung aufgegeben: Eine Aufrechnung sei nur dann zulässig, wenn der Berichtigungstatbestand schon vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens eingetreten ist, wie es bei der Berichtigung von Vorsteuerbeträgen zu Lasten des Insolvenzschuldners häufig der Fall sein wird.

Im Streitfall wurde jedoch eine Berichtigung der Umsatzsteuer zu Gunsten des insolventen Unternehmers deshalb erforderlich, weil dessen Geschäftspartner (nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens des Unternehmers) ebenfalls in Insolvenz geraten, das von diesem geschuldete Leistungsentgelt also uneinbringlich geworden war. Gegen den dadurch ausgelösten Umsatzsteuererstattungsanspruch des Unternehmers darf das Finanzamt Insolvenzforderungen nicht verrechnen.

In einem weiteren Urteil vom gleichen Tag (VII R 44/10) hat der BFH erkannt, einer Entscheidung über die Zulässigkeit einer während des Insolvenzverfahrens erklärten Aufrechnung bedürfe es dann nicht, wenn Forderung und Gegenforderung im selben Besteuerungszeitraum entstanden und deshalb nach der Rechtsprechung des V. Senats des BFH (Urteil vom 24. November 2011 V R 13/11) gegeneinander zu verrechnen seien (sog. Saldierung gemäß § 16 UStG). Hier seien die Aufrechnungsverbote des § 96 InsO nicht zu beachten. Da diese Saldierung in einem Steuerfestsetzungsbescheid nicht mehr vorgenommen werden könne, wenn vor Ablauf des betreffenden Steuerjahres das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, greife jene Verrechnung gleichsam automatisch; ein Streit über die Zulässigkeit einer zuvor vom Finanzamt erklärten Aufrechnung sei damit erledigt.