Umsatzsteuerrechtliche Organschaft Anforderungen an organisatorische Eingliederung

Die organisatorische Eingliederung einer GmbH im Rahmen einer Organschaft (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG) kann sich daraus ergeben, dass der Geschäftsführer der GmbH leitender Mitarbeiter des Organträgers ist, der Organträger über ein umfassendes Weisungsrecht gegenüber der Geschäftsführung der GmbH verfügt und zur Bestellung und Abberufung des GmbH-Geschäftsführers berechtigt ist.

Offen bleibt, ob an der bisherigen Rechtsprechung festzuhalten ist, nach der es für die organisatorische Eingliederung ausreicht, dass bei der Organgesellschaft eine vom Willen des Organträgers abweichende Willensbildung ausgeschlossen ist.

BFH Urteil vom 7.7.2011, V R 53/10

Begründung:

Nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) wird die gewerbliche oder berufliche Tätigkeit nicht selbständig ausgeübt, wenn eine juristische Person nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen eines anderen Unternehmers eingegliedert ist (Organschaft).

Finanziell muss der Organträger in der Weise an der Organgesellschaft beteiligt sein, dass er seinen Willen durch Mehrheitsbeschluss in der Gesellschafterversammlung durchsetzen kan.

Die organisatorische Eingliederung setzt voraus, dass der Organträger die mit der finanziellen Eingliederung verbundene Möglichkeit der Beherrschung der Tochtergesellschaft in der laufenden Geschäftsführung wahrnimmt, wobei er die Organgesellschaft durch die Art und Weise der Geschäftsführung beherrschen mus.

Für die wirtschaftliche Eingliederung i.S. von § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG müssen die Unternehmensbereiche von Organträger und Organgesellschaft miteinander verflochten sein. Dabei kann die wirtschaftliche Eingliederung auf entgeltlichen Leistungen des Mehrheitsgesellschafters (Organträger) gegenüber seiner Tochtergesellschaft (Organgesellschaft) beruhen, wenn diesen für das Unternehmen der Organgesellschaft mehr als nur unwesentliche (geringfügige) Bedeutung zukommt. Es ist dann im Regelfall davon auszugehen, dass der Organträger aufgrund derartiger Leistungen auf die Organgesellschaft Einfluss nehmen kann, für ihn auch aufgrund der Möglichkeit zur Beendigung dieser Leistungsbeziehung eine "beherrschende Stellung" besteht.

Im Streitfall war die Klägerin nur finanziell, nicht aber auch organisatorisch in die M-GmbH eingegliedert.  Die M-GmbH war nicht in der Lage, die für sie aufgrund ihrer Mehrheitsbeteiligung bestehende Beherrschungsmöglichkeit in der Geschäftsführung der Klägerin auszuüben.

Keine Geschäftsveräußerung bei Übertragung eines an eine Organgesellschaft vermieteten Grundstücks an den Organträger

Eine Geschäftsveräußerung liegt nur vor, wenn der Erwerber die vom Veräußerer ausgeübte Unternehmenstätigkeit fortsetzt oder dies zumindest beabsichtigt .

Ist der Gegenstand der Geschäftsveräußerung ein Vermietungsunternehmen, muss der Erwerber umsatzsteuerrechtlich die Fortsetzung der Vermietungstätigkeit beabsichtigen .

Die Übertragung eines an eine Organgesellschaft vermieteten Grundstücks auf den Organträger führt nicht zu einer Geschäftsveräußerung, da der Organträger umsatzsteuerrechtlich keine Vermietungstätigkeit fortsetzt, sondern das Grundstück im Rahmen seines Unternehmens selbst nutzt.

BFH Urteil vom 6.5.2010, V R 26/09

Änderung der Rechtsprechung zur umsatzsteuerrechtlichen Organschaft

Verfügen mehrere Gesellschafter nur gemeinsam über die Anteilsmehrheit an einer GmbH und einer Personengesellschaft, ist die GmbH nicht finanziell in die Personengesellschaft eingegliedert (Änderung der Rechtsprechung)  

 Keine umsatzsteuerrechtliche Organschaft, wenn mehreren Gesellschaftern nur gemeinsam die Anteilsmehrheit an Besitz- und Betriebsgesellschaft zusteht.

BFH Urteil vom 22.4.2010, V R 9/09

Erläuterung

Mit Urteil vom 22. April 2010 V R 9/09 hat der Bundesfinanzhof (BFH) seine Rechtsprechung zur umsatzsteuerrechtlichen Organschaft (Konzernbesteuerung) geändert. Das Urteil betrifft die in der Praxis häufig anzutreffende Fallkonstellation der Betriebsaufspaltung zwischen Schwestergesellschaften, die nach dem jetzigen Urteil des BFH keine Organschaft bilden.

 

Bei der Klägerin handelte es sich um eine Kommanditgesellschaft (KG), die eine Reihe von entgeltlichen Leistungen an ihre Schwestergesellschaft, eine GmbH, erbrachte. Die GmbH betrieb Alten- und Pflegeheime und führte dabei steuerfreie Leistungen aus, so dass für sie keine Berechtigung zum Vorsteuerabzug bestand. An der KG und der GmbH waren drei Gesellschafter zu jeweils 1/3 beteiligt. Die KG ging davon aus, dass zwischen ihr als herrschender Organträger und der GmbH als beherrschte Organgesellschaft eine sog. Organschaft bestand und stützte dies darauf, dass sie die GmbH mittelbar über die gemeinsamen Gesellschafter beherrschen könne. Da alle Unternehmensteile einer derartigen Organschaft als einheitliches Unternehmen zu behandeln sind, und Leistungen zwischen diesen Unternehmensteilen nicht der Besteuerung unterliegen, war die KG weiter der Auffassung, dass sie ihre gegenüber der GmbH erbrachten Leistungen nicht zu versteuern habe. Für die GmbH wäre damit das Entstehen nichtabzugsfähiger Vorsteuerbeträge vermieden worden.

Dem folgte der BFH unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung nicht. Nach dem Urteil des BFH kann eine GmbH nicht mittelbar über mehrere gemeinsame Gesellschafter in eine Schwester-KG eingegliedert sein. Der BFH stützt dies insbesondere darauf, dass die Organschaft ein klares Über- und Unterordnungsverhältnis voraussetzt, an dem es zwischen Schwestergesellschaften zumindest für die jetzt entschiedene Fallkonstellation fehlt.

Vorsteuerberichtigung bei Organschaftsbeendigung

Ist das Entgelt für eine während des Bestehens einer Organschaft bezogene Leistung erst nach Beendigung der Organschaft uneinbringlich geworden, richtet sich der Vorsteuerberichtungsanspruch gegen das (frühere) Organ. Ist die Uneinbringlichkeit jedoch vor der Organschaftsbeendigung eingetreten oder erfolgt gleichzeitig durch die Insolvenzeröffnung sowohl die Organschaftsbeendigung als auch die Uneinbringlichkeit, richtet sich der Vorsteuerberichtungsanspruch gegen den (vormaligen) Organträger.

BFH Beschluss vom 05.12.2008 – V B 101/07 (BFHNV 2009 S. 432 f.)

Begründung:

In der Entscheidung ist der BFH von dem Rechtssatz ausgegangen, dass eine Vorsteuerberichtigung nicht gegenüber dem bisherigen Organträger, sondern gegenüber dem früheren Organ durchzuführen ist, wenn das Entgelt für eine während des Bestehens einer Organschaft bezogene Leistung erst nach Beendigung der Organschaft uneinbringlich geworden ist.

Dieser Entscheidung lag ein Sachverhalt zugrunde, in der die Organschaft durch Übertragung einer Beteiligung mehrere Jahre vor der Insolvenz der (früheren) Organgesellschaft beendet worden war. Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn, wie im Streitfall, die Uneinbringlichkeit vor der Organschaftsbeendigung eingetreten ist oder durch die Insolvenzeröffnung sowohl die Organschaftsbeendigung als auch die Uneinbringlichkeit gleichzeitig erfolgen. Hier richtet sich nach ständiger Rechtsprechung der Vorsteuerberichtigungsanspruch gegen den Organträger

Organisatorische Eingliederung als Voraussetzung für eine umsatzsteuerrechtliche Organschaft

Die Voraussetzungen der umsatzsteuerrechtlichen Organschaft bestimmen sich allein nach
§ 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG.
Die aktienrechtliche Abhängigkeitsvermutung nach § 17 AktG hat insoweit keine Bedeutung.
Die organisatorische Eingliederung setzt voraus, dass der Organträger eine von seinem Willen abweichende Willensbildung in der Organgesellschaft verhindern kann.

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 5.12.2007, V R 26/06

Begründung:
Für die Annahme einer Organschaft ist es nicht erforderlich, dass sich alle drei in § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG genannten Merkmale einer Eingliederung gleichermaßen deutlich feststellen lassen. Nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse kann die Selbständigkeit auch dann fehlen, wenn die Eingliederung auf einem der drei Gebiete nicht vollkommen ist.
Allerdings reicht es nicht aus, dass eine Eingliederung nur in Bezug auf zwei der drei Merkmale besteht. Von der finanziellen Eingliederung kann daher z.B. nicht auf die wirtschaftliche Eingliederung geschlossen werden. Ebenso wenig folgt aus der finanziellen die organisatorische Eingliederung.
Die organisatorische Eingliederung setzt voraus, dass die mit der finanziellen Eingliederung verbundene Möglichkeit der Beherrschung der Tochtergesellschaft durch die Muttergesellschaft in der laufenden Geschäftsführung wirklich wahrgenommen wird.
Es kommt darauf an, dass der Organträger die Organgesellschaft durch die Art und Weise der Geschäftsführung beherrscht oder aber zumindest durch die Gestaltung der Beziehungen zwischen dem Organträger und der Organgesellschaft sichergestellt ist, dass eine vom Willen des Organträgers abweichende Willensbildung bei der Organtochter nicht möglich ist.
Die organisatorische Eingliederung kann sich aus einer personellen Verflechtung über die Vertretungsorgane von Organträger und Organgesellschaft wie z.B. bei einer Personenidentität in den Leitungsgremien ergeben. Personenidentität liegt z.B. dann vor, wenn ein Einzelunternehmer als Organträger bei der abhängigen juristischen Person über eine organschaftliche Vertretungsberechtigung verfügt.
Im Streitfall liegt keine Personenidentität in den Vertretungsorganen vor, da die Klägerin über zwei Geschäftsführer verfügte. Im Hinblick auf die für beide Geschäftsführer bestehende Einzelvertretungsbefugnis war es dem Mehrheitsgesellschafter B auch nicht möglich, eine von seinem Willen abweichende Willensbildung in der Organgesellschaft zu verhindern.