Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten bei gerichtlich geltend gemachten Schadenersatzforderungen

Bei der Bildung einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten ist zwischen der Wahrscheinlichkeit des Bestehens der Verbindlichkeit und der Wahrscheinlichkeit der tatsächlichen Inanspruchnahme hieraus zu unterscheiden, da die beiden Voraussetzungen innewohnenden Risiken unterschiedlich hoch zu bewerten sein können.

Der Steuerpflichtige kann nach den Umständen des Einzelfalls nicht verpflichtet sein, eine Rückstellung für eine ungewisse Verbindlichkeit wegen eines gegen ihn geführten Klageverfahrens zu bilden, wenn nach einem von fachkundiger dritter Seite erstellten Gutachten sein Unterliegen im Prozess am Bilanzstichtag nicht überwiegend wahrscheinlich ist.

Der Grundsatz der Gesamtgewinngleichheit gebietet, dass eine Personengesellschaft, die gemäß § 4 Abs. 1 UmwStG an einen unzutreffenden Bilanzansatz in einer steuerlichen Schlussbilanz der übertragenden Kapitalgesellschaft gemäß § 3 Satz 1 UmwStG gebunden ist, diesen Bilanzierungsfehler beim Wechsel der Gewinnermittlungsart gewinnneutral korrigieren kann, wenn er sich bislang steuerlich nicht ausgewirkt hat.

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 16.12.2014, VIII R 45/12

Begründung:

Entscheidungsgründe

Das FG ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass die O-AG zur Bildung einer Rückstellung wegen ungewisser Verbindlichkeiten in der steuerlichen Übertragungsbilanz zum 31. Dezember 2003 verpflichtet gewesen ist (s. hierzu unter II.1.). Im Rahmen der Überleitungsrechnung wegen des Wechsels der Gewinnermittlungsart im Streitjahr 2004 ist daher für die Klägerin in der Gewinnfeststellung kein gewinnerhöhender Korrekturposten zu berücksichtigen

Die O-AG musste in ihrer steuerlichen Schlussbilanz i.S. des § 3 UmwStG zum 31. Dezember 2003 wegen des gegen sie geführten Klageverfahrens entgegen der Auffassung des FG keine Rückstellung für eine ungewisse Verbindlichkeit gegenüber der C-AG bilden. Das handelsrechtliche Passivierungsgebot von Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten (§ 249 Abs. 1 Satz 1 HGB) gehört zu den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung, die nach § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG für die Steuerbilanz.

Voraussetzung für die Bildung einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten ist das Bestehen einer nur ihrer Höhe nach ungewissen Verbindlichkeit oder die hinreichende Wahrscheinlichkeit des künftigen Entstehens einer Verbindlichkeit dem Grunde nach –deren Höhe zudem ungewiss sein kann– sowie ihre wirtschaftliche Verursachung in der Zeit vor dem Bilanzstichtag. Als weitere Voraussetzung muss der Schuldner ernsthaft mit seiner Inanspruchnahme rechnen. Zudem darf es sich bei den Aufwendungen nicht um (nachträgliche) Herstellungs- oder Anschaffungskosten eines Wirtschaftsguts handeln.

Es steht nicht im Ermessen des Kaufmanns, ob er eine Belastung annimmt und dafür eine Rückstellung bildet. Eine bloß subjektive Einschätzung liefe dem Prinzip der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zuwider. Deshalb muss das Vorhandensein der Belastung nach objektiven Gesichtspunkten beurteilt werden.

Ob das Bestehen oder Entstehen der Verbindlichkeit wahrscheinlich und die Inanspruchnahme hieraus zu erwarten ist, richtet sich somit nach den objektiven Verhältnissen des jeweiligen Bilanzstichtags unter Berücksichtigung der bis zur Bilanzaufstellung –oder spätestens bis zu dem Zeitpunkt, zu dem die Bilanz im ordnungsgemäßen Geschäftsgang (§§ 243 Abs. 3, 264 Abs. 1 HGB) aufzustellen gewesen wäre– bekannt werdenden wertaufhellenden Umstände Nach ständiger Rechtsprechung des BFH sind als “wertaufhellend” jedoch nur die Umstände zu berücksichtigen, die zum Bilanzstichtag bereits objektiv vorlagen und nach dem Bilanzstichtag, aber vor dem Tag der Bilanzerstellung lediglich bekannt oder erkennbar wurden.

Nicht wertaufhellend, sondern wertbegründend und damit nicht zu berücksichtigen, sind solche Umstände, die am Bilanzstichtag objektiv noch nicht vorlagen. Hierzu gehören z.B. prozessbeendende Maßnahmen, die erst nach dem Bilanzstichtag erfolgen, wie etwa ein nach dem Bilanzstichtag ergangenes, das Verfahren beendendes Urteil, eine Klagerücknahme, ein Rechtsmittelverzicht oder der Abschluss eines Prozessvergleiches. Denn eine nach dem Bilanzstichtag getroffene Disposition oder (endgültige) Entscheidung über den Streitgegenstand vermag nicht rückwirkend oder “wertaufhellend” das tatsächlich zum Bilanzstichtag fortbestehende Risiko zu beseitigen. Die Umstände beruhen vielmehr auf Entschließungen oder Entscheidungen, die erst nach dem Bilanzstichtag getroffen wurden.

Zwischen der Wahrscheinlichkeit des Bestehens der Verbindlichkeit (“Ungewissheit” i.S. des § 249 HGB) und der Wahrscheinlichkeit der tatsächlichen Inanspruchnahme ist zu unterscheiden, da die beiden Voraussetzungen innewohnenden Risiken unterschiedlich hoch zu bewerten sein können. Das Bestehen der Verbindlichkeit ist nur anhand der rechtlichen Voraussetzungen der Anspruchsgrundlage zu prüfen. Auch hier kann sich indes ergeben, dass es nicht nur ungewiss, sondern unwahrscheinlich ist, ob die Anspruchsgrundlage erfüllt ist. So kann gerade bei gesetzlichen Schadenersatzansprüchen oder bei Rückforderungsansprüchen wie im Streitfall zu unterscheiden sein zwischen dem Risiko bzw. der Wahrscheinlichkeit des rechtlichen Bestehens einer Schadenersatz- oder Rückzahlungsverpflichtung dem Grunde nach und dem Risiko, ob der Gläubiger den Steuerpflichtigen –auch bei sicherer oder wahrscheinlich bestehender Verpflichtung– tatsächlich in Anspruch nehmen wird.

Die für die Rückstellungsbildung erforderliche Wahrscheinlichkeit der tatsächlichen Inanspruchnahme des Kaufmanns muss einzelfallbezogen im Wege einer Prognose anhand der erkennbaren tatsächlichen Verhältnisse beurteilt werden. Es müssen aus der Sicht des Bilanzstichtages mehr objektive Gründe für eine überwiegende Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme als dagegen sprechen. Dies ist regelmäßig dann der Fall, wenn der vermeintliche Gläubiger am Bilanzstichtag bereits im Klagewege gegen den Steuerpflichtigen vorgeht. Die “Gefahr” der Inanspruchnahme besteht dann solange fort, bis der Anspruch nicht rechtskräftig abgewiesen ist. Dies gilt auch dann, wenn der Steuerpflichtige als Beklagter zunächst in einer Instanz obsiegt hat. Denn für den Steuerpflichtigen besteht im maßgeblichen Zeitpunkt der Bilanzaufstellung (s. oben unter II.1.b bb) das Risiko, aufgrund einer Entscheidung der nachfolgenden Instanz in Anspruch genommen zu werden, jedenfalls dann weiter, wenn der Prozessgegner ein (nach den objektiven Erkenntnismöglichkeiten am Bilanzstichtag) nicht offensichtlich unzulässiges Rechtsmittel eingelegt hat oder noch einlegen kann.

Die darüber hinaus erforderliche Prognose, ob das Bestehen der gerichtlich geltend gemachten Forderung überwiegend wahrscheinlich ist, bezieht sich –wie dargelegt– auf ein von der Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme zu unterscheidendes Risiko. Es ist anhand der Umstände des Einzelfalls zu beurteilen, ob die Verpflichtung dem Grunde nach rechtlich besteht. Dieses rechtliche Bestehen ist überwiegend wahrscheinlich, wenn nach allen am Bilanzstichtag objektiv gegebenen (und bis zur Aufstellung der Bilanz subjektiv erkennbaren) Umständen mehr Gründe für als gegen das Bestehen der Verbindlichkeit sprechen. Eine Verbindlichkeit, auch eine ungewisse, muss bereits eine wirtschaftliche Belastung darstellen

Danach kann es –worauf das FG maßgeblich abstellt– zwar für die Bildung einer Rückstellung nach den Umständen des Einzelfalls ausreichend sein, dass der Steuerpflichtige bei bereits gegen ihn gerichtlich geltend gemachten Ansprüchen in seiner Prognoseentscheidung zum Bilanzstichtag grundsätzlich von einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit des Bestehens der Verbindlichkeit ausgeht, wenn die Klage oder das Rechtsmittel nicht offensichtlich unzulässig, dem Grunde oder der Höhe nach willkürlich oder erkennbar nur zum Schein angestrengt worden ist und zum Bilanzstichtag keine weiteren objektiven Anhaltspunkte vorliegen, die eine genauere Prognose ermöglichen. Denn regelmäßig sind für den Ausgang des anhängigen Gerichtsverfahrens mehrere nicht zuverlässig zu prognostizierende Prozessereignisse entscheidend, wie etwa das Ergebnis einer Beweisaufnahme, das Verhalten des Prozessgegners (z.B. durch die Abgabe von überraschenden Prozesserklärungen) oder wie das Gericht über komplexe oder umstrittene Rechtsfragen entscheiden wird.

Sind jedoch weitere gewichtige objektive Umstände ersichtlich, die gegen ein Unterliegen im Prozess sprechen, sind auch diese im Rahmen der Prognoseentscheidung zu berücksichtigen, sofern es sich nicht um erst nach dem Bilanzstichtag eingetretene wertbegründende Tatsachen handelt. Zu diesen objektiven Umständen, die Eingang in die Prognose über den Ausgang des Verfahrens finden können, kann –wie im Streitfall– auch ein im Wertaufhellungszeitraum von fachkundiger dritter Seite erstelltes Gutachten gehören, welches zu dem Ergebnis kommt, das Unterliegen im Verfahren sei zum Bilanzstichtag nicht überwiegend wahrscheinlich. Die darauf gestützte Prognoseentscheidung des Steuerpflichtigen, die Klage werde als unbegründet abgewiesen, ist jedenfalls dann nicht zu beanstanden, wenn das eingeholte Gutachten sich mit allen vom Prozessgegner geltend gemachten Ansprüchen und den Fragen der prozessual notwendigen Beweiserhebung auseinandersetzt und der Ausgang des Rechtsstreits von der Entscheidung mehrerer ungeklärter Rechtsfragen sowie von einer noch nicht durchgeführten Beweisaufnahme abhängt

Zwar ist die O-AG vor dem 31. Dezember 2003 als steuerlichem Übertragungsstichtag gerichtlich in Anspruch genommen worden. Sie durfte jedoch im Rahmen ihrer Prognoseentscheidung auf das innerhalb des Wertaufhellungszeitraumes zur Erstellung der Bilanz zum 31. Dezember 2003 eingeholte Rechtsgutachten der Rechtsanwaltskanzlei W vertrauen und deshalb davon ausgehen, das Obsiegen der C-AG im Prozess und damit das Bestehen der Verbindlichkeit sei nicht überwiegend wahrscheinlich. Im Streitfall tritt hinzu, dass das besagte Gutachten auf Betreiben der finanzierenden Bank, eines fremden Dritten, eingeholt wurde.

Der erst im Mai 2004 zwischen den Parteien des Rechtsstreits geschlossene Vergleich war hingegen als wertbegründende Tatsache bei der Prognoseentscheidung zum 31. Dezember 2003 nicht zu berücksichtigen, wovon das FG zutreffend ausgegangen ist. Zwar hat die O-AG erst danach auf Grundlage des Verschmelzungsvertrages vom … August 2004 die Bilanz der O-AG vom 31. Dezember 2003 zur jeweils handels- und steuerrechtlichen Übertragungsbilanz bestimmt. Beide Bilanzen sind jedoch nach den Regelungen über die Aufstellung des Jahresabschlusses aufzustellen (vgl. § 17 Abs. 2 Satz 4 UmwG), sodass im Streitfall der erst im Rückwirkungszeitraum abgeschlossene Vergleich als wertbegründender Umstand nicht zum Ansatz einer Rückstellung in der steuerlichen Übertragungsbilanz führt

Berechtigung und Berechnung von Recyclingkosten

Ein Unternehmen, das Bauabfälle aufkauft und zwecks Weiterveräußerung aufbereitet, kann im Hinblick auf die gesetzlichen Regelungen folgende Entsorgungsverpflichtung eine Rückstellung für die nach dem jeweiligen Bilanzstichtag anfallenden Aufbereitungskosten bilden, wenn nach Sachlage überwiegend wahrscheinlich ist, dass es aus dieser öffentlich-rechtlichen Verpflichtung in Anspruch genommen wird.

Zur Bemessung der Höhe dieser Rückstellung.

BFH Urteil vom 21. September 2005 X R 29/03

Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG i.V.m. § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB sind in der Steuerbilanz für ungewisse Verbindlichkeiten Rückstellungen zu bilden.
Voraussetzung für die Bildung einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs das Bestehen einer, dem Betrage nach ungewissen Verbindlichkeit oder die hinreichende Wahrscheinlichkeit der Entstehung einer Verbindlichkeit dem Grunde nach –deren Höhe zudem ungewiss sein kann– und ihre wirtschaftliche Verursachung in der Zeit vor dem Bilanzstichtag. Zudem ist erforderlich, dass der Schuldner ernsthaft mit der Inanspruchnahme rechnen muss.

Auch für Verpflichtungen, die sich aus öffentlichem Recht ergeben (Geld- oder Sachleistungsverpflichtungen), können Rückstellungen gebildet werden, wenn die öffentlich-rechtliche Verpflichtung hinreichend konkretisiert ist, weil sie auf ein bestimmtes Handeln innerhalb eines bestimmten Zeitraums zielt. Dies ist regelmäßig bei Erlass einer behördlichen Verfügung oder bei Abschluss einer entsprechenden verwaltungsrechtlichen Vereinbarung der Fall. Bei einem entsprechend konkreten Gesetzesbefehl kann sich auch allein aus dem Gesetz eine Verpflichtung ergeben, die zur Bildung einer Rückstellung führt. Weiter ist erforderlich, dass an die Verletzung der Verpflichtung Sanktionen geknüpft sind, so dass sich der Steuerpflichtige der Erfüllung der Verpflichtung im Ergebnis nicht entziehen kann.

Bei Unternehmen, die gegen Bezahlung von Bau- und Abbruchunternehmen Bauabfälle annehmen, diese aufbereiten und die dabei gewonnenen Stoffe als Füllmaterial veräußern, wird angesichts der umweltrechtlichen Vorschriften in der Regel eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung der vorstehend beschriebenen Art gegeben sein, die zur Bildung einer Rückstellung für Bauschuttverarbeitung berechtigt.

Rückstellungsfähig ist infolgedessen nur ein Teil der auf den Kläger im Folgejahr zukommenden Recyclingkosten. Der Senat erachtet es für angemessen, diesen Teil nach den Kosten zu bemessen, die der Kläger bei einer Entsorgung der Abfälle durch Ablagerung aufwenden müsste, weil er aus dieser Art der Entsorgung keine weiteren Einnahmen mehr erzielt. Es ist sachgerecht, die übrigen im Folgejahr aufzuwendenden Recyclingkosten dem zur Verwertung bestimmten Teil der Abfälle zuzuordnen, mit dem der Kläger weitere Erlöse in dem auf die Abnahme der Abfälle folgenden Jahr anstrebt. Dies hat das FG verkannt, wenn es sämtliche vom Kläger errechneten, im Folgejahr für die Entsorgung der im Streitjahr angenommenen Abfälle entstehenden Recyclingkosten der Rückstellung zugeführt hat.