Vereinbarkeit der Pauschalbesteuerung gemäß § 6 InvStG mit dem Unionsrecht

Die Regelung des § 6 InvStG unterfällt nicht der Stillhalteklausel des Art. 64 Abs. 1 AEUV.

Inländischen Anteilsscheininhabern eines Investmentfonds mit Sitz in den Vereinigten Staaten von Amerika steht zur Vermeidung der pauschalen Ermittlung der Kapitalerträge gemäß §§ 2, 6 InvStG die Möglichkeit zu, die Besteuerungsgrundlagen des ausländischen Investmentvermögens gemäß § 5 Abs. 1 InvStG nachzuweisen (entgegen BMF-Schreiben vom 28. Juli 2015, BStBl I 2015, 610).

BFH Urteil vom 17.11.2015, VIII R 27/12

Begründung (BFH)

In Deutschland ansässige Anleger, die in Investmentfonds mit Sitz in den USA investiert haben, können eine pauschale Ermittlung der steuerpflichtigen Kapitalerträge aus diesen Fonds nach § 6 des Investmentsteuergesetzes (InvStG) vermeiden, wie der Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteil vom 17. November 2015 VIII R 27/12 entschieden hat.

In- und ausländische Investmentfonds haben gemäß § 5 Abs. 1 InvStG gesetzlich vorgegebene Pflichtangaben zu veröffentlichen. Kommt der Fonds dem nicht nach, muss der inländische Anleger seine steuerpflichtigen Einkünfte aus dem Fonds nach § 6 InvStG pauschal ermitteln. Er hat dann grundsätzlich die Ausschüttungen auf die Investmentanteile und einen Zwischengewinn sowie 70 % des Mehrbetrags anzusetzen, der sich zwischen dem ersten im Kalenderjahr festgesetzten Rücknahmepreis und dem letzten im Kalenderjahr festgesetzten Rücknahmepreis eines Investmentanteils ergibt. Mindestens muss der Anleger Erträge in Höhe von 6 % des letzten im Kalenderjahr festgesetzten Rücknahmepreises für den Investmentanteil ansetzen.

Der VIII. Senat des BFH sah in seiner Entscheidung die Voraussetzungen für eine pauschale Ermittlung der Erträge gemäß § 6 InvStG aus den US-Investmentfonds der Revisionsklägerin nicht als erfüllt an. Grundlage ist hierfür das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union in der Rechtssache van Caster und van Caster vom 9. Oktober 2014 C 326/12 (EU:C:2014:2269). Danach darf ein inländischer Anleger mit Investmentanteilen an einem Fonds mit Sitz im EU-/EWR-Ausland die Pflichtangaben gemäß § 5 Abs. 1 InvStG selbst machen, um die Pauschalbesteuerung seiner Erträge gemäß § 6 InvStG abzuwehren.

Nach dem Urteil des BFH gilt dies nun auch –entgegen einem Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 28. Juli 2015 (BStBl I 2015, 610)– für inländische Anleger, die Investmentanteile an einem Investmentfonds mit Sitz in den USA halten. Der VIII. Senat hat die Entscheidung der Vorinstanz aufgehoben und den Streitfall an diese zurückverwiesen, damit die Revisionsklägerin die Gelegenheit hat, die gesetzlichen Pflichtangaben selbst vorzulegen. Für inländische Anleger, die Investmentanteile an einem Fonds mit Sitz in einem Drittstaat halten, kann die Pauschalbesteuerung gemäß § 6 InvStG nunmehr durch eine individuelle Nachweisführung vermieden werden, wenn der inländischen Finanzverwaltung aufgrund eines Doppelbesteuerungsabkommens Deutschlands mit dem Sitzstaat des Fonds oder aufgrund einer anderen Rechtsgrundlage ein Auskunftsanspruch gegen die ausländische Finanzverwaltung zusteht, der es ermöglicht, die Angaben des Steuerpflichtigen zu den Besteuerungsgrundlagen des ausländischen Fonds zu verifizieren.

Der VIII. Senat hat schließlich bestätigt, dass der Nachweis zu den Pflichtangaben gemäß § 5 Abs. 1 InvStG durch den inländischen Anleger so zu führen ist, wie die Finanzverwaltung es im BMF-Schreiben 28. Juli 2015 (BStBl I 2015, 610) vorgegeben hat. Erleichterungen zu Gunsten der Steuerpflichtigen in Form einer Schätzung der Besteuerungsgrundlagen des Fonds sind nur in einem engen Rahmen zulässig.

Vorsteuerberichtigung bei Berufung auf eine Steuerfreiheit nach dem Unionsrecht

Die für den ursprünglichen Vorsteuerabzug maßgeblichen Verhältnisse ändern sich i.S. des § 15a Abs. 1 Satz 1 UStG, wenn sich der Steuerpflichtige während des Berichtigungszeitraums auf die Steuerfreiheit der gleichbleibenden Verwendungsumsätze gemäß Art. 13 Teil B Buchst. f der Richtlinie 77/388/EWG beruft.

BFH Urteil vom 15.9.2011, V R 8/11

Erläuterung (BFH):

Mit Urteil vom 15. September 2011 V R 8/11 hat der Bundesfinanzhof (BFH) entschieden, dass die Vorsteuer zu berichtigen ist, wenn sich der Unternehmer nachträglich auf eine im nationalen Recht nicht vorgesehene Steuerbefreiung des Unionsrechts beruft.
Der Streitfall betraf einen Spielhallenbetreiber. Dieser hatte für den Erwerb von Geldspielautomaten die Vorsteuer abgezogen, da Umsätze mit Geldspielautomaten nach nationalem Recht steuerpflichtig sind. Nachdem der Gerichtshof der Europäischen Union im Gegensatz dazu entschieden hatte, dass derartige Umsätze nach dem Unionsrecht steuerfrei sind, machte der Unternehmer dies für sich geltend. Das Finanzamt akzeptierte die Steuerfreiheit der Automatenumsätze, ging aber zu Lasten des Unternehmers davon aus, dass er den zuvor für den Erwerb der Geldspielautomaten in Anspruch genommenen Vorsteuerabzug nach § 15a des Umsatzsteuergesetzes (UStG) zu berichtigen habe.
Der BFH hat die Rechtsauffassung des Finanzamts bestätigt. Die von § 15a UStG vorausgesetzte Änderung der Verhältnisse liegt darin, dass der Unternehmer beim Erwerb der Geldspielgeräte das Erbringen steuerpflichtiger Automatenumsätze beabsichtigt hat, wohingegen die Umsätze aufgrund der späteren Berufung auf das Unionsrecht steuerfrei waren.
Die Entscheidung des BFH ist über den entschiedenen Einzelfall hinaus für alle Fälle von Bedeutung, in denen sich Unternehmer nachträglich auf Steuerbefreiungen des Unionsrechts berufen, die im nationalen Recht nicht zutreffend umgesetzt sind.