Privilegierung des Betriebsvermögens bei der Erbschaftsteuer ist in ihrer derzeitigen Ausgestaltung nicht in jeder Hinsicht mit der Verfassung vereinbar

Art. 3 Abs. 1 GG verleiht Steuerpflichtigen keinen Anspruch auf verfassungsrechtliche Kontrolle steuerrechtlicher Regelungen, die Dritte gleichheitswidrig begünstigen, das eigene Steuerrechtsverhältnis aber nicht betreffen. Anderes gilt jedoch, wenn Steuervergünstigungen die gleichheitsgerechte Belastung durch die Steuer insgesamt in Frage stellen.

Im gesamtstaatlichen Interesse erforderlich im Sinne des Art. 72 Abs. 2 GG ist eine bundesgesetzliche Regelung nicht erst dann, wenn sie unerlässlich für die Rechts- oder Wirtschaftseinheit ist. Es genügt vielmehr, dass der Bundesgesetzgeber problematische Entwicklungen für die Rechts- und Wirtschaftseinheit erwarten darf. Ob die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG gegeben sind, prüft das Bundesverfassungsgericht, wobei dem Gesetzgeber im Hinblick auf die zulässigen Zwecke einer bundesgesetzlichen Regelung und deren Erforderlichkeit im gesamtstaatlichen Interesse eine Einschätzungsprärogative zusteht.

Der Gleichheitssatz belässt dem Gesetzgeber im Steuerrecht einen weit reichenden Entscheidungsspielraum sowohl bei der Auswahl des Steuergegenstands als auch bei der Bestimmung des Steuersatzes. Abweichungen von der einmal getroffenen Belastungsentscheidung müssen sich ihrerseits am Gleichheitssatz messen lassen (Gebot der folgerichtigen Ausgestaltung des steuerrechtlichen Ausgangstatbestands). Sie bedürfen eines besonderen sachlichen Grundes. Dabei steigen die Anforderungen an die Rechtfertigung mit Umfang und Ausmaß der Abweichung.

Die Verschonung von Erbschaftsteuer beim Übergang betrieblichen Vermögens in §§ 13a und 13b ErbStG ist angesichts ihres Ausmaßes und der eröffneten Gestaltungsmöglichkeiten mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar.

    1. Es liegt allerdings im Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers, kleine und mittelständische Unternehmen, die in personaler Verantwortung geführt werden, zur Sicherung ihres Bestands und damit auch zur Erhaltung der Arbeitsplätze von der Erbschaftsteuer weitgehend oder vollständig freizustellen. Für jedes Maß der Steuerverschonung benötigt der Gesetzgeber allerdings tragfähige Rechtfertigungsgründe.
    2. Die Privilegierung des unentgeltlichen Erwerbs betrieblichen Vermögens ist jedoch unverhältnismäßig, soweit die Verschonung über den Bereich kleiner und mittlerer Unternehmen hinausgreift, ohne eine Bedürfnisprüfung vorzusehen.
    3. Die Lohnsummenregelung ist im Grundsatz verfassungsgemäß; die Freistellung von der Mindestlohnsumme privilegiert aber den Erwerb von Betrieben mit bis zu 20 Beschäftigten unverhältnismäßig.
    4. Die Regelung über das Verwaltungsvermögen ist nicht mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar, weil sie den Erwerb von begünstigtem Vermögen selbst dann uneingeschränkt verschont, wenn es bis zu 50 % aus Verwaltungsvermögen besteht, ohne dass hierfür ein tragfähiger Rechtfertigungsgrund vorliegt.

Ein Steuergesetz ist verfassungswidrig, wenn es Gestaltungen zulässt, mit denen Steuerentlastungen erzielt werden können, die es nicht bezweckt und die gleichheitsrechtlich nicht zu rechtfertigen sind.

Bundesverfassungsgericht Urteil vom 17.12.2014, 1 BvL 21/12

Begründung (Meldung Bundesverfassungsgericht):

Mit heute verkündetem Urteil hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts §§ 13a und 13b und § 19 Abs. 1 des Erbschaftsteuer‑ und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) für verfassungswidrig erklärt. Die Vorschriften sind zunächst weiter anwendbar; der Gesetzgeber muss bis 30. Juni 2016 eine Neuregelung treffen. Zwar liegt es im Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers, kleine und mittlere Unternehmen, die in personaler Verantwortung geführt werden, zur Sicherung ihres Bestands und zur Erhaltung der Arbeitsplätze steuerlich zu begünstigen. Die Privilegierung betrieblichen Vermögens ist jedoch unverhältnismäßig, soweit sie über den Bereich kleiner und mittlerer Unternehmen hinausgreift, ohne eine Bedürfnisprüfung vorzusehen. Ebenfalls unverhältnismäßig sind die Freistellung von Betrieben mit bis zu 20 Beschäftigten von der Einhaltung einer Mindestlohnsumme und die Verschonung betrieblichen Vermögens mit einem Verwaltungsvermögensanteil bis zu 50 %. §§ 13a und 13b ErbStG sind auch insoweit verfassungswidrig, als sie Gestaltungen zulassen, die zu nicht zu rechtfertigenden Ungleichbehandlungen führen. Die genannten Verfassungsverstöße haben zur Folge, dass die vorgelegten Regelungen insgesamt mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar sind. Die Entscheidung ist im Ergebnis und in der Begründung einstimmig ergangen; davon unberührt bleibt das von den Richtern Gaier und Masing sowie der Richterin Baer abgegebene Sondervotum.

Sachverhalt und Verfahrensgang:

Der Kläger des Ausgangsverfahrens ist Miterbe des 2009 verstorbenen Erblassers. Der Nachlass setzte sich aus Guthaben bei Kreditinstituten und einem Steuererstattungsanspruch zusammen. Das Finanzamt setzte die Erbschaftsteuer mit einem Steuersatz von 30 % nach Steuerklasse II fest. Der Kläger macht geltend, die nur für das Jahr 2009 vorgesehene Gleichstellung von Personen der Steuerklasse II und III sei verfassungswidrig. Einspruch und Klage, mit denen er eine Herabsetzung der Steuer erreichen wollte, blieben erfolglos. Im Revisionsverfahren hat der Bundesfinanzhof mit Beschluss vom 27. September 2012 dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt, ob § 19 Abs. 1 ErbStG in der 2009 geltenden Fassung in Verbindung mit §§ 13a und 13b ErbStG wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG verfassungswidrig ist. Die Gleichstellung von Personen der Steuerklassen II und III in § 19 Abs. 1 ErbStG sei zwar verfassungsrechtlich hinzunehmen, jedoch sei diese Vorschrift in Verbindung mit den Steuervergünstigungen der §§ 13a und 13b ErbStG gleichheitswidrig. Ergänzend wird hierzu auf die Pressemitteilung Nr. 53/2014 vom 12. Juni 2014 verwiesen.

Wesentliche Erwägungen des Senats:

  1. Die Vorlage des Bundesfinanzhofs ist im Wesentlichen zulässig. Art. 3 Abs. 1 GG verleiht Steuerpflichtigen keinen Anspruch auf verfassungsrechtliche Kontrolle steuerrechtlicher Regelungen, die Dritte gleichheitswidrig begünstigen, das eigene Steuerrechtsverhältnis aber nicht betreffen. Anderes gilt jedoch, wenn Steuervergünstigungen die gleichheitsgerechte Belastung durch die Steuer insgesamt in Frage stellen. Für das Ausgangsverfahren kommt es zwar nicht unmittelbar auf die Auslegung und Anwendung der §§ 13a und 13b ErbStG an. Dennoch durfte der Bundesfinanzhof von ihrer Entscheidungserheblichkeit für das Ausgangsverfahren ausgehen. Die vom Bundesfinanzhof geltend gemachten Gleichheitsverstöße sind so erheblich, dass sie die erbschaftsteuerrechtliche Begünstigung für betriebliches Vermögen insgesamt erfassen; zudem ist die Privilegierung betrieblichen Vermögens in der Summe von solchem Gewicht, dass im Falle ihrer Verfassungswidrigkeit die Besteuerung nichtbetrieblichen Vermögens davon nicht unberührt bleiben könnte.
  2. Für die vorgelegten Normen besteht eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes nach Art. 105 Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 72 Abs. 2 GG. Im gesamtstaatlichen Interesse erforderlich im Sinne des Art. 72 Abs. 2 GG ist eine bundesgesetzliche Regelung nicht erst dann, wenn sie unerlässlich für die Rechts- oder Wirtschaftseinheit ist. Es genügt vielmehr, dass der Bundesgesetzgeber problematische Entwicklungen für die Rechts- und Wirtschaftseinheit erwarten darf. Ob diese Voraussetzungen gegeben sind, prüft das Bundesverfassungsgericht, wobei dem Gesetzgeber eine Einschätzungsprärogative im Hinblick auf diese Bedingungen einer bundesgesetzlichen Regelung und deren Erforderlichkeit im gesamtstaatlichen Interesse zusteht. Im vorliegenden Fall durfte der Bundesgesetzgeber davon ausgehen, dass ohne bundesgesetzliche Regelung eine Rechtszersplitterung mit nicht unerheblichen Nachteilen für Erblasser und Erwerber betrieblichen Vermögens wie auch für die Finanzverwaltung zu befürchten wäre.
  3. Die erbschaftsteuerliche Begünstigung des Übergangs betrieblichen Vermögens verstößt in Teilen gegen Art. 3 Abs. 1 GG.
  4. a) Der Gleichheitssatz belässt dem Gesetzgeber im Steuerrecht einen weit reichenden Entscheidungsspielraum sowohl bei der Auswahl des Steuergegenstands als auch bei der Bestimmung des Steuersatzes. Abweichungen von der einmal getroffenen Belastungsentscheidung müssen sich ebenfalls am Gleichheitssatz messen lassen. Sie bedürfen eines besonderen sachlichen Grundes, für den die Anforderungen an die Rechtfertigung mit Umfang und Ausmaß der Abweichung steigen.

Der Gesetzgeber ist nicht gehindert, mit Hilfe des Steuerrechts außerfiskalische Förderziele zu verfolgen. Er verfügt über einen großen Spielraum bei der Einschätzung, welche Ziele er für förderungswürdig hält und welche Verschonungen von der Steuer er zur Erreichung dieser Ziele vorsieht. Allerdings bleibt er auch hier an den Gleichheitssatz gebunden. Je nach Intensität der Ungleichbehandlung kann dies zu einer strengeren Kontrolle der Förderziele durch das Bundesverfassungsgericht führen.

  1. b) Die Verschonungsregelung als solche ist im Grundsatz mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar, bedarf beim Übergang großer Unternehmensvermögen aber der Korrektur.
  2. aa) Die Verschonungsregelung führt zu Ungleichbehandlungen der Erwerber betrieblichen und nichtbetrieblichen Vermögens, die ein enormes Ausmaß erreichen können. Nach §§ 13a und 13b ErbStG bleiben 85 % oder 100 % des Wertes von Betriebsvermögen, von land- und forstwirtschaftlichem Vermögen und von bestimmten Anteilen an Kapitalgesellschaften außer Ansatz, wenn die im Gesetz hierfür vorgesehenen weiteren Voraussetzungen erfüllt werden. Hinzu kommen Abschläge gemäß § 13a Abs. 2 ErbStG sowie die generelle Anwendung der günstigeren Steuerklasse gemäß § 19a ErbStG.
  3. bb) Der Gesetzgeber unterliegt einer strengeren Kontrolle am Maßstab der Verhältnismäßigkeit, weil die Unterscheidung zwischen begünstigtem und nicht begünstigtem Vermögen nicht nur einen Randbereich erfasst, denn mehr als ein Drittel des in den Jahren 2009 bis 2012 unentgeltlich übertragenen Vermögens wurde über §§ 13a und 13b ErbStG von der Erbschaftsteuer befreit. Außerdem haben die Erwerber vielfach nur geringen Einfluss darauf, ob das ihnen geschenkte oder von ihnen ererbte Vermögen dem förderungswürdigen Vermögen zuzuordnen ist.
  4. cc) Die Verschonungsregelung soll vor allem Unternehmen schützen, die durch einen besonderen personalen Bezug des Erblassers oder des Erben zum Unternehmen geprägt sind, wie es für Familienunternehmen typisch ist. Steuerlich begünstigt werden soll ihr produktives Vermögen, um den Bestand des Unternehmens und seiner Arbeitsplätze nicht durch steuerbedingte Liquiditätsprobleme zu gefährden. An der Legitimität dieser Zielsetzung bestehen aus verfassungsrechtlicher Sicht keine Zweifel.
  5. dd) Die §§ 13a und 13b ErbStG sind geeignet und im Grundsatz auch erforderlich, um die mit ihnen verfolgten Ziele zu erreichen. Der Gesetzgeber verfügt insoweit über einen weiten Einschätzungs- und Prognosespielraum. Vor diesem Hintergrund ist es ausreichend, dass er eine ernsthafte Gefahr von Liquiditätsproblemen bei der Besteuerung des unentgeltlichen Übergangs von Unternehmen vertretbar und plausibel diagnostiziert hat; eines empirischen Nachweises von Unternehmensgefährdungen nicht nur im Ausnahmefall bedarf es nicht. Die Verschonung von einer Bedürfnisprüfung abhängig zu machen, wäre schon deswegen nicht als milderes Mittel anzusehen, weil sie – insbesondere aufgrund von Bewertungsfragen – Erschwernisse bei der Erhebung der Erbschaftsteuer mit sich brächte. Auch die Stundung erwiese sich nicht als gleich wirksames milderes Mittel.
  6. ee) Die durch die Verschonungsregelung bewirkte Ungleichbehandlung ist im Grundsatz verhältnismäßig im engeren Sinne, auch soweit sie eine Steuerverschonung von 100% ermöglicht. Der Gesetzgeber ist weitgehend frei in seiner Entscheidung, welche Instrumente er dafür einsetzt, eine zielgenaue Förderung sicherzustellen. In Anbetracht des erheblichen Ausmaßes der Ungleichbehandlung stünde es nicht mit Art. 3 Abs. 1 GG in Einklang, eine umfassende Verschonung ohne jegliche Bedingungen zu gewähren.

Unverhältnismäßig ist die Privilegierung betrieblichen Vermögens, soweit sie über kleine und mittlere Unternehmen ohne eine Bedürfnisprüfung hinausgreift. Hier erreicht die Ungleichbehandlung schon wegen der Höhe der steuerbefreiten Beträge ein Maß, das ohne die konkrete Feststellung der Verschonungsbedürftigkeit des erworbenen Unternehmens mit einer gleichheitsgerechten Besteuerung nicht mehr in Einklang zu bringen ist. Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, präzise und handhabbare Kriterien zur Bestimmung der Unternehmen festzulegen, für die eine Verschonung ohne Bedürfnisprüfung nicht mehr in Betracht kommt.

  1. c) Die Verschonungsregelung der §§ 13a und 13b ErbStG verstößt auch in Teilen ihrer Ausgestaltung gegen Art. 3 Abs. 1 GG.
  2. aa) Nicht zu beanstanden ist allerdings die Festlegung der begünstigten Vermögensarten. Die Mindestbeteiligung von über 25 % bei Kapitalgesellschaften scheidet bloße Geldanlagen aus. Bei einer Beteiligung von über 25 % durfte der Gesetzgeber von einer unternehmerischen Einbindung des Anteilseigners in den Betrieb ausgehen; im Übrigen ist die Festlegung einer Mindestbeteiligung durch die Typisierungs- und Vereinfachungsbefugnis des Gesetzgebers gedeckt. Sie ist auch nicht verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt, weil das Gesetz auf die Verhältnisse beim Erblasser abstellt und auf Erwerberseite kein personaler Einfluss auf das Unternehmen mehr vorhanden sein muss. Der Gesetzgeber darf an einer übergreifenden Systematik, die insgesamt gute Gründe hat, auch dort festhalten, wo auf andere Weise bessere Lösungen möglich sind.

Die generelle Begünstigung des Erwerbs von Anteilen an Personengesellschaften ist mit dem Gleichheitssatz vereinbar. Sie findet ihre Grundlage in der unterschiedlichen zivilrechtlichen Behandlung des Vermögens von Personen- und Kapitalgesellschaften; der Gesetzgeber bewegt sich insoweit im Rahmen seines Einschätzungs- und Typisierungsspielraums. Auch bei land- und forstwirtschaftlichen Betrieben durfte der Gesetzgeber von einer unternehmerischen Einbindung jeglicher Beteiligung ausgehen; diese Betriebe werden zudem in besonders hohem Maße als Familienbetriebe ohne größere Kapitaldecke geführt.

  1. bb) Die Lohnsummenregelung ist im Grundsatz mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar, nicht jedoch die Freistellung von Betrieben mit nicht mehr als 20 Beschäftigten. Sie verfolgt das legitime Ziel, Arbeitsplätze zu erhalten. Die Entscheidung des Gesetzgebers für die Lohnsummenregelung anstelle einer strikten Bindung an den Erhalt der konkreten Arbeitsplätze liegt innerhalb seines Gestaltungsspielraums.

Die Freistellung von Betrieben mit nicht mehr als 20 Beschäftigten verstößt jedoch gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Die Regelung verfolgt insbesondere das Ziel der Verwaltungsvereinfachung. Erwerber von Betrieben mit bis zu 20 Beschäftigten werden jedoch unverhältnismäßig privilegiert. Nach den Ausführungen des Bundesfinanzhofs weisen weit über 90 % aller Betriebe in Deutschland nicht mehr als 20 Beschäftigte auf. Betriebe können daher fast flächendeckend die steuerliche Begünstigung ohne Rücksicht auf die Erhaltung von Arbeitsplätzen beanspruchen, obwohl der mit dem Nachweis und der Kontrolle der Mindestlohnsumme verbundene Verwaltungsaufwand nicht so hoch ist wie teilweise geltend gemacht wird. Die Grenze einer zulässigen Typisierung wird überschritten, da das Regel-Ausnahme-Verhältnis der gesetzgeberischen Entlastungsentscheidung faktisch in sein Gegenteil verkehrt wird. Sofern der Gesetzgeber an dem gegenwärtigen Verschonungskonzept festhält, wird er die Freistellung von der Lohnsummenpflicht auf Betriebe mit einigen wenigen Beschäftigten begrenzen müssen.

  1. cc) Die Behaltensfrist von fünf oder sieben Jahren ist im Grundsatz mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar, zumal sie durch Lohnsummenregelung und Verwaltungsvermögenstest angemessen ergänzt wird.
  2. dd) Die Regelung über das Verwaltungsvermögen ist nicht mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. Die Ziele des Gesetzgebers, nur produktives Vermögen zu fördern und Umgehungen durch steuerliche Gestaltung zu unterbinden, sind zwar legitim und auch angemessen. Dies gilt jedoch nicht, soweit begünstigtes Vermögen mit einem Anteil von bis zu 50 % Verwaltungsvermögen insgesamt in den Genuss der steuerlichen Privilegierung gelangt. Ein tragfähiger Rechtfertigungsgrund für eine derart umfangreiche Einbeziehung von Vermögensbestandteilen, die das Gesetz eigentlich nicht als förderungswürdig ansieht, ist nicht erkennbar. Das Ziel, steuerliche Gestaltungsmöglichkeiten zu unterbinden, kann die Regelung kaum erreichen; im Gegenteil dürfte sie die Verlagerung von privatem in betriebliches Vermögen eher begünstigen. Auch ein spürbarer Verwaltungsvereinfachungseffekt ist nicht erkennbar, denn der Anteil des Verwaltungsvermögens ist auch für die Anwendung der 50 %-Regel zu ermitteln. Schließlich ist die Regelung nicht mit der Typisierung des § 13b Abs. 4 ErbStG in Einklang zu bringen, nach der jedes Unternehmen über nicht begünstigungsfähiges Verwaltungsvermögen im Umfang von 15 % des gesamten Betriebsvermögens verfügen soll.
  3. ee) Ein Steuergesetz ist verfassungswidrig, wenn es – über den atypischen Einzelfall hinaus – Gestaltungen zulässt, mit denen Steuerentlastungen erzielt werden können, die es nicht bezweckt und die gleichheitsrechtlich nicht zu rechtfertigen sind. Dies ist der Fall bei Gestaltungen, welche die Lohnsummenpflicht durch Betriebsaufspaltungen umgehen, welche die 50 %-Regel in Konzernstrukturen nutzen und bei sogenannten Cash-Gesellschaften.

(1) Da bereits die Freistellung von Betrieben mit bis zu 20 Beschäftigten von der Pflicht zur Einhaltung der Mindestlohnsumme eine unverhältnismäßige Privilegierung darstellt, gilt dies erst recht für Gestaltungen, die die unentgeltliche Übertragung von Betrieben mit mehr als 20 Beschäftigten ohne Einhaltung der Lohnsummenvorschrift ermöglichen. Der Bundesfinanzhof führt als Gestaltungsbeispiel an, dass ein Betrieb mit mehr als 20 Beschäftigten in eine Besitzgesellschaft und eine Betriebsgesellschaft aufgespalten wird. Indem § 13a Abs. 1 Satz 4 ErbStG es zulässt, dass die Bindung an die Lohnsumme auf diese Weise umgangen wird, verstößt er gegen Art. 3 Abs. 1 GG.

(2) Da der Verwaltungsvermögenstest dem „Alles-oder-Nichts-Prinzip“ folgt, ist die Beteiligung an einer Gesellschaft insgesamt nicht dem Verwaltungsvermögen zuzuordnen, wenn ihr Anteil an Verwaltungsvermögen 50 % oder weniger beträgt. Bei mehrstufigen Konzernstrukturen kann dies zu einem Kaskadeneffekt führen. Bei einer Beteiligung auf unterer Stufe mit einem Verwaltungsvermögen von bis zu 50 % entsteht dort insgesamt begünstigtes Vermögen, das auf der nächsthöheren Beteiligungsstufe vollständig als begünstigtes Vermögen gewertet wird, obwohl bei einer Gesamtbetrachtung des Konzerns der Verwaltungsvermögensanteil überwiegt. Indem die Vorschrift des § 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 ErbStG solche Konzerngestaltungen zulässt, verstärkt sie den ohnehin bereits im Hinblick auf die Grundform der 50 %-Regel festgestellten Gleichheitsverstoß.

(3) Eine „Cash-GmbH“ ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, deren Vermögen ausschließlich aus Geldforderungen besteht. Bis zum 7. Juni 2013 rechneten Geldforderungen nicht zum Verwaltungsvermögen. Für die steuerliche Privilegierung von Geldvermögen in einer ausschließlich vermögensverwaltenden „Cash-Gesellschaft“ sprechen offensichtlich keine Gründe von solchem Gewicht, dass sie eine vollständige und in der Höhe unbegrenzte Besserstellung gegenüber sonstigem nicht betrieblichem Geldvermögen oder sonstigem Verwaltungsvermögen tragen könnten.

  1. Die festgestellten Gleichheitsverstöße erfassen die §§ 13a und 13b ErbStG insgesamt; dies gilt für die Ursprungsfassung des Erbschaftsteuerreformgesetzes vom 24. Dezember 2008 und alle Folgefassungen. Aufgrund der festgestellten Gleichheitsverstöße erweisen sich wichtige Elemente der §§ 13a und 13b ErbStG als verfassungswidrig. Ohne sie können die restlichen ‑ nicht beanstandeten ‑ Bestandteile nicht mehr sinnvoll angewandt werden. Auch § 19 Abs. 1 ErbStG, der die Besteuerung begünstigten wie nicht begünstigten Vermögens gleichermaßen betrifft, ist in der Verbindung mit §§ 13a und 13b ErbStG für unvereinbar mit Art. 3 Abs. 1 GG zu erklären. Die genannten Normen gelten bis 30. Juni 2016 fort; der Gesetzgeber ist verpflichtet, bis spätestens zu diesem Zeitpunkt eine Neuregelung zu treffen. Die Fortgeltung der verfassungswidrigen Normen begründet keinen Vertrauensschutz gegenüber einer bis zur Urteilsverkündung rückwirkenden Neuregelung, die einer exzessiven Ausnutzung der gleichheitswidrigen §§ 13a und 13b ErbStG die Anerkennung versagt.

Abweichende Meinung der Richter Gaier und Masing sowie der Richterin Baer:

Wir stimmen der Entscheidung zu, sind aber der Ansicht, dass zu ihrer Begründung ein weiteres Element gehört: das Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG. Es sichert die Entscheidung weiter ab und macht ihre Gerechtigkeitsdimension erst voll sichtbar. Die Erbschaftsteuer dient nicht nur der Erzielung von Steuereinnahmen, sondern ist zugleich ein Instrument des Sozialstaats, um zu verhindern, dass Reichtum in der Folge der Generationen in den Händen weniger kumuliert und allein aufgrund von Herkunft oder persönlicher Verbundenheit unverhältnismäßig anwächst. Dass hier auch in Blick auf die gesellschaftliche Wirklichkeit eine Herausforderung liegt, zeigt die Entwicklung der tatsächlichen Vermögensverteilung. Verwies schon Böckenförde in seinem Sondervotum zur Vermögensteuer für das Jahr 1993 darauf, dass 18,4 % der privaten Haushalte über 60 % des gesamten Nettogeldvermögens verfügten, lag dieser Anteil bereits im Jahr 2007 in den Händen von nur noch 10 %. Die Schaffung eines Ausgleichs sich sonst verfestigender Ungleichheiten liegt in der Verantwortung der Politik ‑ nicht aber in ihrem Belieben. Wie der Senat schon für die Gleichheitsprüfung betont, belässt die Verfassung dem Gesetzgeber dabei einen weiten Spielraum. Aufgrund seiner Bindung an Art. 20 Abs. 1 GG ist er aber besonderen Rechtfertigungsanforderungen unterworfen, je mehr von dieser Belastung jene ausgenommen werden, die unter marktwirtschaftlichen Bedingungen leistungsfähiger sind als andere. Die in der Entscheidung entwickelten Maßgaben tragen dazu bei, dass Verschonungsregelungen nicht zur Anhäufung und Konzentration größter Vermögen in den Händen Weniger führen.

Niedersächsisches Finanzgericht hält Solidaritätszuschlag für verfassungswidrig

Der 7. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts (NFG) hat aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 21.8.2013 in dem Klageverfahren mit dem Aktenzeichen 7 K 143/08 entschieden, dass das Verfahren nach Art. 100 Absatz 1 des Grundgesetzes (GG) ausgesetzt und eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) eingeholt wird. Das vorlegende Finanzgericht ist von der Verfassungswidrigkeit des Solidaritätszuschlaggesetzes 1995 (SolZG) auch aufgrund neuer Argumente weiterhin überzeugt und hält deshalb eine weitere Vorlage an das BVerfG für geboten.

Die neuen Argumente des 7. Senats des NFG beziehen sich auf Art. 3 Absatz 1 GG, also auf das verfassungsrechtliche Gebot, dass vor dem Gesetz alle Menschen gleich zu behandeln sind. Der Solidaritätszuschlag wird bei gleichgelagerten Sachverhalten in unterschiedlicher Höhe festgesetzt. Ausländische Einkünfte und inländische gewerbliche Einkünfte unterliegen wegen verschiedener steuerlicher Anrechnungsvorschriften nicht vollständig dem Solidaritätszuschlag. Folglich werden bei gleich hohem Einkommen Arbeitnehmer (wie der Kläger) durch den Solidaritätszuschlag stärker belastet als Gewerbetreibende und als Bezieher ausländischer Einkünfte. Nach Auffassung des 7. Senats des NFG ist damit der Gleichbehandlungsgrundsatz verletzt.

Der 7. Senat des NFG hatte in demselben Klageverfahren bereits mit Beschluss vom 25.11.2009 dem BVerfG die Rechtsfrage vorgelegt, ob das SolZG gegen die Finanzverfassung und damit gegen das allgemeine Freiheitsrecht des Steuerpflichtigen (Art. 2 Absatz 1 GG) verstößt. Eine Kammer des BVerfG erklärte diese Vorlage mit Beschluss vom 8.9.2010 (Aktenzeichen: 2 BvL 3/10) für unzulässig, weil sie die Bindungswirkung einer Senatsentscheidung des BVerfG aus dem Jahre 1972 zu einer anderen Ergänzungsabgabe nicht hinreichend beachtet habe, so dass bislang noch keine inhaltliche verfassungsrechtliche Überprüfung des SolZG durch einen kompletten Senat des BVerfG vorliegt.

Nachfolgende Auszüge aus den Orientierungssätzen des insgesamt 70 Seiten umfassenden Beschlusses geben einen Überblick darüber, welche Erwägungen für den 7. Senat des NFG maßgebend waren.

1. Die Regelung der Bemessungsgrundlage des Solidaritätszuschlags verstößt gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Absatz 1 GG. Inländische und ausländische Einkünfte sowie inländische Einkünfte untereinander (gewerbliche und nichtgewerbliche) werden ungleich behandelt. So werden gewerbliche und ausländische Einkünfte durch bestimmte Reduzierungen der Bemessungsgrundlagen von dem Solidaritätszuschlag teilweise entlastet (dazu §§ 35, 34c des Einkommensteuergesetzes und § 26 des Körperschaftsteuergesetzes). Für diese Ungleichbehandlungen fehlen hinreichend tragfähige Rechtfertigungsgründe. Eine Begünstigung der gewerblichen Einkünfte bei der Erhebung des Solidaritätszuschlags gegenüber nichtgewerblichen Einkünften war vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt; ausweislich der Gesetzesbegründung soll die Belastung aller Steuerpflichtigen entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit erfolgen. Auf die Feststellungen des Bundesrechnungshofs hat das Bundesministerium der Finanzen eingeräumt, dass ausländische Einkünfte derzeit nur eingeschränkt in die Berechnung des Solidaritätszuschlags einbezogen werden.

2. Nach den Rechtsgrundsätzen des BVerfG zur Rechtsstaatlichkeit des Besteuerungseingriffs des Staates gegenüber dem Bürger als Teil der verfassungsmäßigen Ordnung im Sinne des Art. 2 Absatz 1, 20 Absatz 3 GG und unter Beachtung der Vorstellungen (Motive) des Verfassungsgebers kann überdies nicht begründet werden, dass der Solidaritätszuschlag nach dem SolZG 1995 noch eine zulässige Ergänzungsabgabe im Sinne des Art. 105 Absatz 2, 106 Absatz 1 Nr. 6 GG ist, mit der der Kläger auch im Streitjahr 2007 noch belastet werden darf. Die Gesetzgebungs- bzw. die Gesetzfortführungskompetenz für den Solidaritätszuschlag sind im Streitjahr 2007 entfallen. Das SolZG 1995 verletzt im Streitjahr 2007 die Finanzverfassung und damit die verfassungsmäßige Ordnung im Sinne der Art. 2 Absatz 1, 20 Absatz 3 GG und verstößt mithin gegen das allgemeine Freiheitsrecht des Steuerpflichtigen und gegen das Rechtsstaatsprinzip. Der Gesetzgeber hat sich nicht an die vom Verfassungsgeber gesetzten Regeln der Finanzverfassung gehalten.

3. Der Solidaritätszuschlag darf als Ergänzungsabgabe allein zur Deckung vorübergehender Bedarfsspitzen im Bundeshaushalt erhoben werden, weil sich die Ergänzungsabgabe im Vergleich zu den sonstigen Steuern, die in der Finanzverfassung aufgezählt sind, wie die seltene Ausnahme zur Regel verhält. Zwar muss eine Ergänzungsabgabe nicht von vornherein befristet erhoben werden, jedoch verbietet der Ausnahmecharakter der Ergänzungsabgabe eine dauerhafte, eine immerwährende Erhebung dieser Steuer. Dies ergibt sich aus den Gesetzesmaterialien zur Einführung des Finanzierungsinstruments der Ergänzungsabgabe in das Grundgesetz im Jahre 1955. Die Fortführung des Solidaritätszuschlags widerspricht auch deshalb den erkennbaren Vorstellungen des Verfassungsgebers, weil es in den letzten Jahren immer wieder umfassende und auf Dauer angelegte allgemeine und punktuelle Steuerermäßigungen gab, obwohl der Solidaritätszuschlag weitgehend unverändert erhoben worden ist. Der Bundesrat hat es im Jahr 1954 ausdrücklich als „nicht vertretbar" erachtet, das Zuschlagsrecht (Ergänzungsabgabe) im Zusammenhang mit einer Steuertarifsenkung auszuüben und dadurch die steuerliche Entlastung zum Teil wieder aufzuheben (Bundestags-Drucksache 2/484 vom 29. 4.1954, S. 1).

4. Der Annahme einer Bindungswirkung für das vorlegende Finanzgericht gemäß § 31 Absatz 1 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes (BVerfGG) steht die Unterschiedlichkeit der Vorlagegegenstände zwischen dem des vorliegenden Vorlagebeschlusses und dem der Entscheidung des BVerfG vom 9.2.1972 1 BvL 16/69 (BVerfGE 32, S. 333) sowie die Divergenz zwischen den jeweiligen verfassungsrechtlichen Maßstäben entgegen. Soweit mit dem vorliegenden Beschluss eine Verletzung des Gleichheitssatzes nach Art. 3 Absatz 1 GG durch die Bestimmung der Bemessungsgrundlage nach § 3 SolZG geltend gemacht wird, ist überdies der bisherigen Rechtsprechung des BVerfG eine Bindungswirkung nach § 31 Absatz 1 BVerfGG nicht zu entnehmen, da eine verfassungsgerichtliche Entscheidung über die Vereinbarkeit des § 3 SolZG (einschließlich vergleichbarer Vorgängervorschriften früherer Ergänzungsabgaben) mit Art. 3 Absatz 1 GG bislang nicht getroffen worden ist.

Das Aktenzeichen des BVerfG lautet: 2 BvL 6/14.

 

Verfassungswidrigkeit eines sog. Treaty override

Erhält ein in Italien ansässiger Gesellschafter einer deutschen Personengesellschaft Zinsen für ein von ihm der Gesellschaft gewährtes Darlehen, so können diese Zinsen nach dem DBA-Italien 1989 in Deutschland nicht als gewerbliche Gewinne besteuert werden (Bestätigung der ständigen Spruchpraxis). Ein deutsches Besteuerungsrecht kann sich insoweit aber infolge der in § 50d Abs. 10 Satz 1 EStG 2002 i.d.F. des JStG 2009 angeordneten Umqualifizierung von Sondervergütungen i.S. von § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 Halbsatz 2 EStG (1997) in abkommensrechtliche Unternehmensgewinne ergeben, wenn der Gesellschafter über keine anderweitige Betriebsstätte verfügt (Abgrenzung zum Senatsurteil vom 8. September 2010 I R 74/09, BFHE 231, 84, und Fortführung des Senatsurteils vom 12. Juni 2013 I R 47/12, BFHE 242, 107). Gleiches ergibt sich nunmehr aus § 50d Abs. 10 Satz 1 EStG 2009 i.d.F. des AmtshilfeRLUmsG.

Eine sog. Mitunternehmerbetriebsstätte wird jedenfalls nicht durch die bloße Verwaltung eines Darlehens begründet.

Es wird eine Entscheidung des BVerfG darüber eingeholt,

a) ob § 50d Abs. 10 Satz 1 EStG 2002 i.d.F. des JStG 2009 gegen Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 und Art. 25 GG verstößt, weil hierdurch Vergütungen i.S. des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 Halbsatz 2 EStG (1997) –hier Zinsen für ein Gesellschafterdarlehen– für Zwecke der Anwendung eines Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung ausschließlich als Unternehmensgewinne gelten, obwohl das Besteuerungsrecht für die Vergütungen in einem solchen Abkommen völkerrechtlich dem anderen Vertragsstaat als dem Ansässigkeitsstaat des Zahlungsempfängers zugewiesen wird (hier nach Art. 11 Abs. 1 DBA-Italien 1989) und Deutschland lediglich ein Quellensteuerrecht zusteht (hier nach Art. 11 Abs. 2 DBA-Italien 1989);

b) ob in gleicher Weise § 50d Abs. 10 Satz 1 EStG 2009 i.d.F. des AmtshilfeRLUmsG gegen Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 und Art. 25 GG verstößt, weil hierdurch eine Vergütung i.S. des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 Halbsatz 2 EStG (1997) für Zwecke der Anwendung des Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung ebenfalls ausschließlich als Teil des Unternehmensgewinns des vergütungsberechtigten Gesellschafters gilt;

c) ob § 52 Abs. 59a Satz 8 EStG 2002 i.d.F. des JStG 2009 (nunmehr § 52 Abs. 59a Satz 11 EStG 2002 i.d.F. des AmtshilfeRLUmsG) und § 52 Abs. 59a Satz 10 EStG 2009 i.d.F. des AmtshilfeRLUmsG wegen Verstoßes gegen das Rückwirkungsverbot (Art. 20 Abs. 3 GG) verfassungswidrig sind.

BFH Entscheidung vom 11.12.2013, I R 4/13

Begründung (BFH) 

 

Mit Beschluss vom 11. Dezember 2013 I R 4/13 hat der Bundesfinanzhof (BFH) dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) erneut die Frage vorgelegt, ob der Gesetzgeber durch ein sog. Treaty override gegen Verfassungsrecht verstößt.

Bereits mit Beschluss vom 10. Januar 2012 I R 66/09 hatte der BFH im Hinblick auf die Regelung des § 50d Abs. 8 des Einkommensteuergesetzes (EStG) dem BVerfG eine entsprechende Vorlagefrage vorgelegt. Konkreter Hintergrund des aktuellen Vorlagebeschlusses ist nun die Regelung des § 50d Abs. 10 EStG. Danach gelten sog. Sondervergütungen, die der im Ausland ansässige Gesellschafter einer inländischen Personengesellschaft von der Gesellschaft z.B. für seine Tätigkeit im Dienst der Gesellschaft oder für die Hingabe eines Darlehens bezieht, bei Anwendung eines Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA) „zum Zwecke der Anwendung des Abkommens“ als Unternehmensgewinne und nicht als Arbeitslohn oder Zinsen. Die Folge ist: Das Besteuerungsrecht für diese Einkünfte steht Deutschland zu. Nach der Rechtsprechung des BFH handelt es sich bei derartigen Einkünften nach dem jeweiligen anzuwendenden DBA aber um Arbeitslohn oder Zinsen, was regelmäßig zur Folge hat, dass das Besteuerungsrecht für diese Einkünfte dem Wohnsitzstaat des Gesellschafters und damit nicht Deutschland zusteht.

Im Streitfall betraf das den in Italien wohnenden Gesellschafter einer inländischen KG, der der KG ein Darlehen gewährt hatte. Er wollte die dafür vereinnahmten Zinsen in Italien versteuern, was ihm das Finanzamt mit Blick auf § 50d Abs. 10 EStG jedoch versagte.

Der BFH ist wie schon im Vorlagebeschluss I R 66/09 davon überzeugt, dass dies nicht in Einklang mit der verfassungsmäßigen Ordnung steht. Das Gesetz setzt sich im Ergebnis einseitig über die völkerrechtlich vereinbarte Qualifikation der Darlehenszinsen hinweg; der Völkerrechtsvertrag wird gebrochen. Da der deutsche Gesetzgeber vor allem in der jüngeren Vergangenheit in erheblichem Maße von dem seit langem umstrittenen Mittel des Treaty overriding Gebrauch gemacht hat, steht zu erwarten, dass sich noch weitere Regelungen an diesen Maßstäben messen lassen müssen.

 

 

Verfassungswidrigkeit eines sog. Treaty override

Es wird eine Entscheidung des BVerfG darüber eingeholt, ob § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG 2002 i.d.F. des Steueränderungsgesetzes 2003 insoweit gegen Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 und Art. 25 sowie Art. 3 Abs. 1 GG verstößt, als hierdurch für die Einkünfte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen aus nichtselbständiger Arbeit die völkerrechtlich in einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung vereinbarte Freistellung der Einkünfte (hier: nach Art. 23 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 i.V.m. Art. 15 Abs. 1 DBA-Türkei 1985 i.V.m. dem dazu ergangenen Zustimmungsgesetz vom 27. November 1989) bei der Veranlagung ungeachtet des Abkommens nur gewährt wird, soweit der Steuerpflichtige nachweist, dass der Staat, dem nach dem Abkommen das Besteuerungsrecht zusteht, auf dieses Besteuerungsrecht verzichtet hat oder dass die in diesem Staat auf die Einkünfte festgesetzten Steuern entrichtet wurden.

BFH Entscheidung vom 10.1.2012, I R 66/09

Begründung (BFH):

Mit Beschluss vom 10. Januar 2012 I R 66/09 hat der Bundesfinanzhof (BFH) dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die seit langem schwelende Frage vorgelegt, ob der Gesetzgeber durch ein sog. Treaty override gegen Verfassungsrecht verstößt.

Konkreter Hintergrund dieses Vorlagebeschlusses ist die Regelung des § 50d Abs. 8 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Danach wird für die Einkünfte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen aus nichtselbständiger Arbeit die völkerrechtlich in einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA) vereinbarte Freistellung der Einkünfte ungeachtet des Abkommens nur gewährt, soweit der steuerpflichtige Arbeitnehmer nachweist, dass der Staat, dem nach dem Abkommen das Besteuerungsrecht zusteht, auf dieses Besteuerungsrecht verzichtet hat oder dass die in diesem Staat auf die Einkünfte festgesetzten Steuern entrichtet wurden. Das Gesetz setzt sich unter diesen Voraussetzungen im Ergebnis einseitig über die völkerrechtlich vereinbarte Freistellung der Arbeitslöhne hinweg; der Völkerrechtsvertrag wird gebrochen.

Der BFH ist davon überzeugt, dass dies nicht in Einklang mit der verfassungsmäßigen Ordnung und dem Gleichheitssatz steht. Die herkömmliche, früher auch vom BVerfG vertretene Rechtauffassung, wonach es dem Gesetzgeber unbenommen bleibt, den Völkerrechtsvertrag zu „überschreiben“, lasse sich nach zwischenzeitlich wohl gewandelter Sicht des BVerfG nicht länger aufrechterhalten: Zum einen laufe § 50d Abs. 8 EStG der in Art. 25 des Grundgesetzes niedergelegten materiell-rechtlichen Wertentscheidung zum Vorrang der allgemeinen Regeln des Völkerrechts zuwider, ohne dass dafür ein tragfähiger Rechtfertigungsgrund vorliege. Ein solcher Rechtfertigungsgrund sei insbesondere nicht darin zu sehen, dass der Steuerpflichtige in beiden Vertragsstaaten unbesteuert bleiben und sog. weiße Einkünfte erzielen könne. Zum anderen sieht der BFH Gleichheitsverstöße darin, dass der betreffende Arbeitnehmer, der im Ausland arbeitet, infolge der Regelung in § 50d Abs. 8 EStG unbeschadet des Abkommens so behandelt wird wie ein Arbeitnehmer, der im Inland arbeitet, und überdies, dass das Gesetz ihn im Ergebnis gegenüber einem Steuerpflichtigen mit anderen Einkünften als solchen aus nichtselbständiger Arbeit benachteiligt.

Im Streitfall klagte der Geschäftsführer und Arbeitnehmer einer inländischen Kapitalgesellschaft, der für die Gesellschaft in der Türkei gearbeitet hatte. Er beanspruchte, mit seinem Arbeitslohn aus dieser Tätigkeit in Deutschland steuerbefreit zu werden, weil das Besteuerungsrecht hierfür nach dem DBA-Türkei nicht Deutschland, sondern der Türkei gebühre. Das Finanzamt berief sich indessen auf § 50d Abs. 8 EStG. Der Kläger habe nicht nachgewiesen, dass er in der Türkei entsprechende Einkommensteuer bezahlt oder dass die Türkei auf das ihr zustehende Besteuerungsrecht verzichtet habe. Auf die abkommensrechtliche Freistellung komme es daher nicht an.

Das Normenkontrollersuchen, über das das BVerfG nun zu entscheiden haben wird, betrifft unmittelbar nur die Vorschrift des § 50d Abs. 8 EStG. Mittelbar steht jedoch – und darin liegt letztlich die Brisanz des Ersuchens – eine Vielzahl einschlägiger Regelungen auf dem Prüfstand des Verfassungsgerichts: Der deutsche Gesetzgeber hat vor allem in der jüngeren Vergangenheit in erheblichem Maße von dem seit langem umstrittenen Mittel des Treaty overriding Gebrauch gemacht, auch, um eine „Keinmalbesteuerung“ zu vermeiden. Erst in letzter Zeit geht Deutschland verstärkt dazu über, entsprechende Klauseln zum Rückfall des Besteuerungsrechts an den Wohnsitzstaat bei besagter „Keinmalbesteuerung“ in den jeweiligen Abkommen selbst zu verankern oder auch ein Abkommen zu kündigen. Ein Beispiel für eine solche Kündigung wie für solche abkommenseigenen Rückfallklauseln gibt gerade das DBA-Türkei in seiner alten Fassung aus dem Jahre 1985 und seiner nunmehr neuverhandelten Fassung vom 19. September 2011.

 

Verfassungswidrigkeit der Grunderwerbsteuerpflicht von Grundstücksübertragungen zwischen Partnern einer eingetragenen Lebensgemeinschaft

Grundstücksübertragungen zwischen Partnern einer eingetragenen Lebenspartnerschaft unterliegen seit Dezember 2010 nicht mehr der Grunderwerbsteuer. Zuvor allerdings waren Grundstückserwerbe innerhalb einer solchen Lebensgemeinschaft – anders als zwischen Ehegatten – grunderwerbsteuerpflichtig. Diese steuerliche Benachteiligung von Lebenspartnern gegenüber Ehegatten hält der 8. Senat des Finanzgerichts Münster für verfassungswidrig. Das ergibt sich aus dem heute veröffentlichten Beschluss vom 24. März 2011, mit dem das Finanzgericht dem Bundesverfassungsgericht die Frage der Verfassungswidrigkeit der Regelung des § 3 Nr. 4 GrEStG a.F. vorgelegt hat (Az. 8 K 2430/09 GrE).

 Im Streitfall hatten die Kläger, die im Jahr 2002 eine eingetragene Lebenspartnerschaft begründet hatten, im Januar 2009 voneinander entgeltlich Grundbesitz erworben. Das Finanzamt setzte hierfür jeweils Grunderwerbsteuer fest. Die Kläger hielten dies für rechtswidrig. Sie beriefen sich auf die bei Grundstücksübertragungen zwischen Ehegatten geltende Steuerbefreiung des § 3 Nr. 4 GrEStG.

 Zum Hintergrund: Nach § 3 Nr. 4 GrEStG in der bis Dezember 2010 geltenden Fassung konnten lediglich Ehegatten voneinander grunderwerbsteuerfrei Grundbesitz erwerben. Durch das Jahressteuergesetz 2010 vom 8. Dezember 2010 (BGBl I. 2010, Seite 1768) hat der Gesetzgeber – wohl unter dem Eindruck der kurz vorher ergangenen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur verfassungswidrigen Benachteiligung von Lebenspartnern im Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht – die Grunderwerbsteuerbefreiung des § 3 Nr. 4 GrEStG ausdrücklich auch auf Partner einer eingetragenen Lebenspartnerschaft erweitert. Allerdings soll die Befreiung erstmals für nach dem 13. Dezember 2010 stattfindende Grundstücksübertragungen gelten (§ 23 Abs. 9 GrEStG).

 Nach Auffassung des 8. Senats verstößt der für „Altfälle“ nach wie vor geltende Ausschluss eingetragener Lebenspartner von der Steuerbefreiung des § 3 Nr. 4 GrEStG gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Die Befreiungsvorschrift knüpfe an familienrechtliche Beziehungen an, die in einer Lebenspartnerschaft und einer Ehe in gleicher Weise bestünden. Das Lebenspartnerschaftsgesetz entspreche in vielen Bereichen – insbesondere bei den gegenseitigen Unterhalts- und Beistandspflichten  – den eherechtlichen Regelungen. Es seien daher keine Gründe mehr dafür ersichtlich, die Lebenspartnerschaft gegenüber der Ehe steuerlich zu benachteiligen. Die für Grundstückserwerbe bis Mitte Dezember 2010 wirkende Ungleichbehandlung zwischen Ehegatten und Lebenspartnern sei – so das Gericht – auch nicht dadurch gerechtfertigt, dass nur aus einer Ehe gemeinsame Kinder hervorgehen könnten. Denn die Vorschrift des § 3 Nr. 4 GrEStG differenziere nicht zwischen kinderlosen Ehen und solchen, aus denen Kinder hervorgegangen seien.

 Der 8. Senat hat das hier anhängige Klageverfahren bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ausgesetzt.

Feststellung der Verfassungswidrigkeit eines Steuergesetzes durch das BVerfG – Kein rückwirkendes Ereignis und keine neue Tatsache

Die Änderung eines Steuerbescheids wegen nachträglich bekannt gewordener Tatsachen gemäß § 173 AO kommt nicht in Betracht, wenn das FA bei ursprünglicher Kenntnis der Tatsachen nicht anders hätte entscheiden können.

Die Feststellung der Verfassungswidrigkeit eines Steuergesetzes durch das BVerfG ist keine Tatsache i.S. von § 173 AO.




 

BFH Urteil vom 12. Mai 2009 IX R 45/08