Verlust einer Darlehensforderung sowie Aufwendungen zur Tilgung einer Bürgschaftsverpflichtung

Der Verlust einer Darlehensforderung sowie Aufwendungen zur Tilgung einer Bürgschaftsverpflichtung und Zahlungen auf Lieferantenverbindlichkeiten können auch dann zu Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit führen, wenn der Arbeitnehmer einer GmbH in einem Verwandtschaftsverhältnis zum alleinigen Gesellschafter steht.

BFH Urteil vom 07.05.2015 – VI R 55/14

Sachverhalt:

Streitig ist, ob Aufwendungen eines angestellten Geschäftsführers im Zusammenhang mit einer Bürgschaft und einem Darlehen sowie die Zahlung diverser Rechnungen zugunsten des Arbeitgebers einkünftemindernd zu berücksichtigen sind.

Begründung:

Die bisherigen Feststellungen des FG tragen nicht dessen Schlussfolgerung und Gesamtwürdigung, dass die Zins- und Tilgungsleistungen (einschließlich der Kosten der notariellen Zwangsvollstreckungsunterwerfung) des Klägers an die D-Bank aus der Bürgschaftsverbindlichkeit vom … November 2004, der Verlust seiner Darlehensforderung gegenüber der GmbH in Höhe von 50.000 EUR und die laufenden Zinsaufwendungen zur Refinanzierung dieses Darlehens sowie die Zahlung diverser Rechnungen der GmbH für den Wareneinkauf und die Inanspruchnahme sonstiger Dienstleistungen nicht zu Werbungskosten bei dessen Einkünften aus § 19 des Einkommensteuergesetzes (EStG) führen.

Werbungskosten sind nach § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen. Nach ständiger Rechtsprechung liegen Werbungskosten vor, wenn die Aufwendungen durch den Beruf bzw. durch die Erzielung steuerpflichtiger Einnahmen veranlasst sind. Das ist der Fall, wenn ein objektiver Zusammenhang mit dem Beruf besteht und die Aufwendungen subjektiv zur Förderung des Berufs getätigt werden. Diese Grundsätze gelten auch für nachträgliche Werbungskosten, die entstehen können, wenn der Arbeitnehmer nach Beendigung des Dienstverhältnisses Aufwendungen im Zusammenhang mit demselben erbringen muss. In einem solchen Fall muss bereits zu dem Zeitpunkt, in dem der Grund für die Aufwendungen gelegt wird, der dargestellte berufliche Zusammenhang bestehen.

Danach können grundsätzlich auch Ausgaben zur Tilgung einer Bürgschaftsverbindlichkeit (einschließlich der damit in Zusammenhang stehenden Nebenleistungen) Werbungskosten sein. Werden sie als nachträgliche Werbungskosten geltend gemacht, muss demgemäß bereits die Übernahme der Bürgschaftsverpflichtung beruflich veranlasst gewesen sein.

Ist der Steuerpflichtige nicht nur Arbeitnehmer einer Gesellschaft, sondern auch deren Gesellschafter, kann die Übernahme einer Bürgschaft allerdings auch durch seine Gesellschafterstellung veranlasst sein. Stehen Aufwendungen mit mehreren Einkunftsarten in einem objektiven Zusammenhang, sind sie, sofern –wie im Streitfall– keine gesetzliche Kollisionsregelung besteht, bei der Einkunftsart zu berücksichtigen, zu der sie nach Art und Weise die engere Beziehung haben. Maßgebend sind insoweit die Gesamtumstände des jeweiligen Einzelfalls (im Zeitpunkt der Übernahme der Bürgschaft). Dabei ist die Höhe der Beteiligung –neben anderen Umständen nur ein wesentliches Sachverhaltselement mit Indizwirkung hinsichtlich des Veranlassungszusammenhangs.

Allerdings geht die Rechtsprechung davon aus, dass die Übernahme einer Bürgschaft oder anderer Sicherheiten durch einen Gesellschafter-Geschäftsführer mit nicht nur unwesentlicher Beteiligung am Stammkapital der Gesellschaft regelmäßig weniger durch die berufliche Tätigkeit, sondern eher durch die Gesellschafterstellung veranlasst ist. Denn ein fremder, nicht mit dem Arbeitgeber durch eine Kapitalbeteiligung verbundener Arbeitnehmer wird nur in Ausnahmefällen bereit sein, zugunsten seines offenbar gefährdeten Arbeitsplatzes das Risiko einer Bürgschaft zu übernehmen. Diese Beurteilung (Regelvermutung) entspricht auch der überwiegenden Meinung in der Literatur.

Von einer durch das Arbeitsverhältnis veranlassten Bürgschaftsübernahme kann daher bei einem Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH mit nicht nur unwesentlicher Beteiligung nur ausnahmsweise beim Vorliegen besonderer Umstände im Einzelfall ausgegangen werden. Sie kann z.B. gegeben sein, wenn ein Gesellschafter-Geschäftsführer sich im Hinblick darauf verbürgt, dass er sich in seiner spezifischen Funktion als Arbeitnehmer (Geschäftsführer) schadensersatzpflichtig gemacht hat, oder wenn er sich im Hinblick auf eine Tätigkeit als Geschäftsführer verbürgt hat, die seine Inanspruchnahme als Haftender rechtfertigen würde. Solche besonderen Umstände sind allerdings nicht nur dann anzunehmen, wenn ein Gesellschafter-Geschäftsführer sich in seiner Funktion als Arbeitnehmer schadensersatzpflichtig gemacht hat oder in dieser Funktion als Haftender in Frage kommt; es können vielmehr auch andere Gründe in Betracht kommen. Daher ist nach der Rechtsprechung des Senats auf alle Umstände des jeweiligen Einzelfalles abzustellen.

Von den gleichen Grundsätzen ist nach dem Urteil des Senats bei der Übernahme einer Bürgschaft durch einen Geschäftsführer einer GmbH auszugehen, der mit der GmbH nicht gesellschaftsrechtlich, sondern durch private –etwa wie im Streitfall familiäre– Beziehungen verbunden ist.

Auch der Verlust eines an den Arbeitgeber ausgereichten Arbeitnehmerdarlehens kann zu Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit führen, wenn der Arbeitnehmer das Risiko des Darlehensverlusts aus beruflichen Gründen bewusst auf sich genommen hat. Als Indiz für solche beruflichen Gründe gilt nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats etwa der Umstand, dass ein außenstehender Dritter, insbesondere eine Bank, kein Darlehen mehr gewährt hätte und daher jedenfalls nicht die Nutzung des Geldkapitals zur Erzielung von Zinseinkünften im Vordergrund steht. Allerdings kann auch in diesen Fällen der Steuerpflichtige aus anderen, nicht im Arbeitsverhältnis liegenden Gründen das Darlehen gegeben haben, wenn er etwa mit seinem Arbeitgeber und Darlehensnehmer auch gesellschaftsrechtlich oder aufgrund privater Beziehungen verbunden und das Darlehen gesellschaftsrechtlich/privat veranlasst ist. Um in diesen Fällen entscheiden zu können, ob das Darlehen aus im Arbeitsverhältnis, aus im Gesellschaftsverhältnis liegenden oder aus privaten Gründen gewährt worden ist, ist eine Würdigung der Gesamtumstände des Einzelfalls erforderlich. Dabei ist u.a. die Höhe der Beteiligung des Arbeitnehmers bzw. das außersteuerliche Näheverhältnis, das Verhältnis der Höhe der Lohneinkünfte im Vergleich zu den möglichen Beteiligungserträgen (Renditeentwicklungen und -erwartungen) sowie die Frage, welche Konsequenzen sich für den Arbeitnehmer hätten ergeben können (z.B. der Verlust des Arbeitsplatzes), wenn er seinem Arbeitgeber die entsprechende Finanzierungsmaßnahme nicht gewährt hätte, zu berücksichtigen. Auch ist danach zu fragen, ob ein fremder, nicht beteiligter oder nicht privat verbundener Arbeitnehmer nach Maßgabe dieser Grundsätze bereit gewesen wäre, dem Arbeitgeber ein entsprechend risikobehaftetes Darlehen auszureichen.

Nach diesen Maßstäben hält die Entscheidung des FG, die vom Kläger geltend gemachten Aufwendungen seien nicht als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit anzuerkennen, revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand. Die bislang festgestellten Tatsachen tragen nicht die Würdigung des FG, dass der Kläger die streitigen Aufwendungen nicht aus beruflichen, sondern aus diese „überlagernden” familiären Gründen getragen hat. Mangels Spruchreife geht die Sache an das FG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurück.