Ist die sog. Mindestbesteuerung verfassungswidrig

Es wird eine Entscheidung des BVerfG eingeholt, ob § 8 Abs. 1 KStG 2002 i.V.m. § 10d Abs. 2 Satz 1 EStG 2002 i.d.F. des Gesetzes zur Umsetzung der Protokollerklärung der Bundesregierung zur Vermittlungsempfehlung zum Steuervergünstigungsabbaugesetz vom 22. Dezember 2003 (BGBl I 2003, 2840, BStBl I 2004, 14) und ob § 10a Satz 2 GewStG 2002 i.d.F. des Gesetzes zur Änderung des Gewerbesteuergesetzes und anderer Gesetze vom 23. Dezember 2003 (BGBl I 2003, 2922, BStBl I 2004, 20) gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen.

BFH  Entscheidung vom 26.2.2014, I R 59/12

Begründung (BFH):

In seinem Urteil vom 22. August 2012 I R 9/11 hat der I. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) entschieden, dass die sog. Mindestbesteuerung gemäß § 10d Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes “in ihrer Grundkonzeption” nicht verfassungswidrig ist. Das Gericht ist nun aber davon überzeugt, dass das nur für den „Normalfall“ gilt, nicht jedoch dann, wenn der vom Gesetzgeber beabsichtigte, lediglich zeitliche Aufschub der Verlustverrechnung in einen endgültigen Ausschluss der Verlustverrechnung hineinwächst und damit ein sog. Definitiveffekt eintritt. Der I. Senat des BFH hat deswegen durch Beschluss vom 26. Februar 2014 I R 59/12 das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) im Rahmen eines Normenkontrollersuchens zur Verfassungsprüfung angerufen.

Die Einkommen- und Körperschaftsteuer soll die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Steuersubjekts abschöpfen. Ihre Bemessungsgrundlage ist deshalb das „Nettoeinkommen“ nach Abzug der Erwerbsaufwendungen. Fallen die Aufwendungen nicht in demjenigen Kalenderjahr an, in dem die Einnahmen erzielt werden, oder übersteigen sie die Einnahmen, so dass ein Verlust erwirtschaftet wird, ermöglicht es das Gesetz, den Verlustausgleich auch über die zeitlichen Grenzen eines Bemessungszeitraums hinweg vorzunehmen (sog. überperiodischer Verlustabzug). Seit 2004 ist dieser Verlustabzug begrenzt: 40 % der positiven Einkünfte oberhalb eines Schwellenbetrags von 1 Mio. € werden auch dann der Ertragsbesteuerung unterworfen, wenn bisher noch nicht ausgeglichene Verluste vorliegen (sog. Mindestbesteuerung). Damit wird die Wirkung des Verlustabzugs in die Zukunft verschoben.

Im Streitfall musste eine Kapitalgesellschaft eine ihr zustehende Geldforderung zu einem Bilanzstichtag in voller Höhe auf Null abschreiben, wodurch ein Verlust entstand. Zwei Jahre später kam zu einer gegenläufigen Wertaufstockung, was einen entsprechenden Gewinn zur Folge hatte. Eine vollständige Verrechnung des Verlusts mit dem Gewinn im Wege des Verlustabzugs scheiterte im Gewinnjahr an der Mindestbesteuerung. Zwischenzeitlich war die Kapitalgesellschaft insolvent geworden, so dass sich der nicht ausgeglichene Verlust steuerlich auch in der Folgezeit nicht mehr auswirken konnte. In dem dadurch bewirkten Definitiveffekt der Mindestbesteuerung sieht der BFH einen gleichheitswidrigen Eingriff in den Kernbereich des ertragsteuerrechtlichen Nettoprinzips. Darüber, ob das zutrifft, wird nun das BVerfG zu entscheiden haben.

Begrenzung der Verlustverrechnung bei der Gewerbesteuer ist verfassungsgemäß

Die Beschränkung der Verrechnung von vortragsfähigen Gewerbeverlusten durch Einführung einer jährlichen Höchstgrenze mit Wirkung ab 2004 ist mit dem GG vereinbar. Das gilt auch, soweit es wegen der Begrenzung zu einem endgültig nicht mehr verrechenbaren Verlust kommt.

BFH Urteil vom 20.9.2012, IV R 36/10

Begründung:

Mit Urteil vom 20. September 2012 IV R 36/10 hat der Bundesfinanzhof (BFH) die Verfassungsmäßigkeit der für die Gewerbesteuer seit 2004 geltenden Begrenzung der Verrechnung von Verlusten (sog. Mindestbesteuerung) bestätigt. In Jahren mit Gewinnen über 1 Mio. € darf der darüber hinausgehende Gewinn nur bis zu 60 % um verbleibende Verlustvorträge gekürzt werden. Dadurch kommt es zur Streckung der Verlustverrechnung über einen längeren Zeitraum. Sollte in Folgejahren bis zur Einstellung des Betriebs kein ausreichender Gewinn zur Verrechnung der gestreckten Verlustvorträge erzielt werden, bleibt es bei der endgültigen Besteuerung im Jahr der Verrechnungsbegrenzung. Dies hielt der BFH insbesondere auch deswegen für mit dem Grundgesetz vereinbar, weil bei der Gewerbesteuer ohnehin systembedingt kein umfassender Verlustausgleich möglich sei. Allerdings betonte der BFH in diesem Urteil und in einem weiteren Urteil vom gleichen Tag (Az. IV R 29/10), dass er von der Verfassungsmäßigkeit nur deshalb ausgehe, weil in besonderen Härtefällen Billigkeitsmaßnahmen möglich seien. Keine Billigkeitsmaßnahme sei aber geboten, wenn die Besteuerung und der endgültige Wegfall der gestreckten Verlustvorträge vom Unternehmer selbst veranlasst seien.

Das erstgenannte Urteil betraf eine Personengesellschaft, die ein Flugzeug verleast hatte. Bei Auslaufen des Leasings war das Flugzeug – wie von Anfang an geplant – verkauft worden und die Gesellschaft hatte ihre Tätigkeit eingestellt. Im Jahr des Verkaufs kam es zu einem Gewinn, der wegen der Regelung über die Mindestbesteuerung nicht durch an sich in ausreichender Höhe vorhandene Verluste aus Vorjahren ausgeglichen werden konnte. Die Verluste konnten auch später nicht mehr zum Ausgleich von Gewinnen genutzt werden, weil die Gesellschaft ihre Tätigkeit mit dem Verkauf des Flugzeugs beendet hatte. Der BFH hielt den für das Jahr 2004 ergangenen Gewerbesteuermessbescheid für rechtmäßig.

Im zweiten Fall hatte eine überschuldete Personengesellschaft nach Einstellung ihrer aktiven Tätigkeit zur Vermeidung eines Insolvenzverfahrens Gläubiger zum Verzicht auf ihre Forderungen bewegt. Dieser Verzicht führte zu einem Gewinn, der wegen der Mindestbesteuerung nicht voll mit Verlusten ausgeglichen werden konnte. Wegen Einstellung der Geschäftstätigkeit konnte es zu einem späteren Ausgleich der gestreckten Verlustvorträge nicht mehr kommen. Das Unternehmen hatte sich schließlich mit der Rechtmäßigkeit der Steuerfestsetzungen abgefunden, aber dann eine Billigkeitsmaßnahme beantragt. Eine solche konnte nach Meinung des BFH nicht beansprucht werden, weil das Unternehmen durch den von ihm angeregten Darlehensverzicht selbst die Ursache für den ansonsten nicht entstandenen Gewinn gesetzt habe.

 

Verlustverrechnung bei Einkünften aus privaten Veräußerungsgeschäften von Ehegatten

Eine Verlustverrechnung bei Einkünften aus privaten Veräußerungsgeschäften von Ehegatten ist möglich.

Finanzgericht Köln Urteil vom 20.04.2012,  4 K 1027/09

Begründung:

Zwar hat der Beklagte zu Recht die in den Jahren 2005 und 2006 erwirtschafteten Gewinne aus privaten Veräußerungsgeschäften der Klägerin mit den in diesen Jahren erwirtschafteten Verlusten aus privaten Veräußerungsgeschäften des Klägers verrechnet. Denn § 23 Abs. 3 Satz 8 EStG bestimmt, dass Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäfte bis zur Höhe des Gewinns, den der Steuerpflichtige im gleichen Kalenderjahr aus privaten Veräußerungsgeschäften erzielt hat, ausgeglichen werden dürfen. Zwar handelt es sich bei Eheleuten nicht um einen Steuerpflichtigen sondern um zwei verschiedene Steuerpflichtige. Die Befugnis zur Verrechnung von negativen Einkünften eines Ehegatten mit positiven Einkünften des anderen Ehegatten in ihrem Entstehungsjahr ergibt sich jedoch aus § 26b EStG. Nach § 26b EStG werden bei der Zusammenveranlagung von Ehegatten die Einkünfte, die die Ehegatten erzielt haben, zusammengerechnet und den Ehegatten gemeinsam zugerechnet und, soweit nichts anderes vorgeschrieben ist, die Ehegatten sodann gemeinsam als Steuerpflichtiger behandelt. § 26b EStG regelt die Zusammenveranlagung in drei Abschnitten: Erstens die von Ehegatten erzielten Einkünfte werden unter Beachtung des Prinzips der Individualbesteuerung auch bei der Zusammenveranlagung als jeweils individuell erzielte Einkünfte anerkannt und als solche jeweils für sich ermittelt. Zweitens werden diese so ermittelten individuellen Einkünfte der jeweiligen Ehegatten zusammengerechnet und ihnen gemeinsam zugerechnet. Drittens werden die Ehegatten – wie es § 26b EStG im letzten Halbsatz formuliert – sodann als ein Steuerpflichtiger behandelt (Schneider in Kirchhof/Söhn, EStG, § 26b EStG Rz. B 2).

Im Streitfall erfolgte die Verrechnung der Gewinne der Klägerin aus privaten Veräußerungsgeschäften mit den Verlusten des Klägers aus privaten Veräußerungsgeschäften auf der zweiten Stufe der Zusammenveranlagung, die darin besteht, dass die Einkünfte den Ehegatten gemeinsam zugerechnet werden. Diese gemeinsame Zurechnung beinhaltete auch die Verrechnung von Verlusten des einen Ehegatten mit Gewinnen des anderen Ehegatten in ihrem jeweiligen Entstehungsjahr.

Zu Recht hat der Beklagte auch die verbleibenden Gewinne der Klägerin aus privaten Veräußerungsgeschäften mit den zum 31.12. des jeweiligen Vorjahres festgestellten Verlustvorträgen aus privaten Veräußerungsgeschäften verrechnet. Dies gilt jedenfalls insoweit, als er sie von den Verlustvorträgen der Klägerin abzog. Diese Verrechnung folgt unmittelbar aus § 23 Abs. 3 Satz 9 EStG. Nach dieser Vorschrift mindern die Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften nach Maßgabe des § 10d EStG die Einkünfte, die der Steuerpflichtige in dem unmittelbar vorangegangenen Veranlagungszeitraum oder in den folgenden Veranlagungszeiträumen aus privaten Veräußerungsgeschäften nach § 23 Abs. 1 EStG erzielt hat.

Zu Unrecht hat der Beklagte jedoch die Gewinne der Klägerin aus privaten Veräußerungsgeschäften auch anteilig von den für den Kläger festgestellten Verlustvorträgen aus privaten Veräußerungsgeschäften abgezogen. Da die für die Ehefrau zum 31.12. des jeweiligen Vorjahres festgestellten Verlustvorträge aus privaten Veräußerungsgeschäften höher als ihre im Folgejahr erwirtschafteten Gewinne waren, waren diese Gewinne vielmehr in vollem Umfang von den für die Klägerin festgestellten Verlustvorträgen abzuziehen. Die von dem Beklagten vorgenommene anteilige Verrechnung von Gewinnen der Klägerin aus privaten Veräußerungsgeschäften mit für den Kläger festgestellten Verlustvorträgen aus privaten Veräußerungsgeschäften verstieß gegen den Grundsatz der Individualbesteuerung. Dieser besagt, dass Einkünfte derjenigen Person zuzurechnen sind, die sie erzielt hat. Dieser Grundsatz wird auch durch die Bestimmung des § 26b EStG nicht beeinträchtigt. Demgegenüber kann der Beklagte sich nicht auf § 62d EStDV berufen. Zwar bestimmt § 62d Abs. 2 Satz 2 EStDV, dass verbleibende negative Einkünfte aus einem Zeitraum der Zusammenveranlagung für den Verlustvortrag in Veranlagungszeiträume, in denen eine Zusammenveranlagung nicht stattfindet, auf die Ehegatten nach dem Verhältnis aufzuteilen sind, in dem die auf die einzelnen Ehegatten entfallenden Verluste im Veranlagungszeitraum der Verlustentstehung zueinander stehen.

Diese Vorschrift betrifft aber nur den speziellen Fall, dass Ehegatten von der Zusammenveranlagung zur getrennten Veranlagung übergehen. Sie beruht auf der Ermächtigung des § 26a Abs. 3 EStG. Ihr Anwendungsbereich ist entsprechend dieser Ermächtigung eng begrenzt. § 26a Abs. 3 EStG bestimmt, dass die Anwendung des § 10d EStG für den Fall des Übergangs von der getrennten Veranlagung zur Zusammenveranlagung und von der Zusammenveranlagung zur getrennten Veranlagung, wenn bei beiden Ehegatten nicht ausgeglichene Verluste vorliegen, durch Rechtsverordnung der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates geregelt wird.Im Streitfall liegt kein derartiger Wechsel der Veranlagungsart vor. Sowohl in den Streitjahren als auch in den Jahren davor und danach wurden die Kläger zusammenveranlagt. Für eine Anwendung des § 62d Abs. 2 Satz 2 EStDV ist deshalb kein Raum.

Entgegen der Ansicht des Beklagten enthält § 62d Abs. 2 Satz 2 EStDV auch keinen allgemeinen Rechtsgedanken dergestalt, dass bei durchgehender Zusammenveranlagung verbleibende negative Einkünfte von Ehegatten für den Verlustvortrag nach dem Verhältnis aufzuteilen sind, in dem die auf die einzelnen Ehegatten entfallenden Verluste im Veranlagungszeitraum der Verlustentstehung zueinander stehen. Eine derartig weite Auslegung des Geltungsbereichs des § 62d EStDV ist nicht zulässig. Denn bei ihr würden die Grenzen der durch § 26a Abs. 3 EStG eingeräumten Ermächtigung (Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG) überschritten.

 

Erstmalige gesonderte Verlustfeststellung bei negativem Gesamtbetrag der Einkünfte

Bezugspunkt für eine Änderung der bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte nicht ausgeglichenen Verluste ist nicht der Einkommensteuerbescheid, sondern grundsätzlich der Verlustfeststellungsbescheid des Verlustentstehungsjahres.

Ist der verbleibende Verlustabzug erstmals gesondert festzustellen, ist der "bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte nicht ausgeglichene Verlust" nach den einschlägigen materiell-rechtlichen Regelungen in § 10d EStG zu bestimmen.

 BFH Urteil vom 14. Juli 2009 IX R 52/08