Vorrang des Auskunfsersuchens gegenüber des Vorlageverlangen

Ein als Auskunftsersuchen bezeichnetes Schreiben eines Finanzamts an eine Bank, das § 93 AO als Rechtsgrundlage für die Pflicht, Auskünfte zu erteilen, benennt, ist regelmäßig als Auskunfts- und nicht als Vorlageverlangen zu beurteilen.

BFH Urteil vom 30.03.2011 IR 75/10

Begründung:

Nach § 107 Satz 1 AO erhalten Auskunftspflichtige und Sachverständige, die die Finanzbehörde als Dritte zu Beweiszwecken herangezogen hat, auf Antrag eine Entschädigung in entsprechender Anwendung des Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetzes. Eine Entschädigung wird folglich nur Personen gewährt, die von der Finanzbehörde als Auskunftspflichtige (§ 93 AO) oder Sachverständige (§ 96 AO), nicht dagegen ausschließlich als Vorlageverpflichtete (§ 97 AO) herangezogen worden sind. Verlangt das FA sowohl Auskünfte als auch die Vorlage von Urkunden (kombiniertes Auskunfts- und Vorlageverlangen), besteht ebenfalls ein Anspruch auf Entschädigung gemäß § 107 Satz 1 AO.

Ein "reines" Vorlageverlangen i.S. des § 97 AO liegt vor, wenn keinerlei eigenes Wissen des in Anspruch Genommenen abgefragt wird. Das ist nur dann der Fall, wenn das FA die vorzulegenden Unterlagen so konkret und eindeutig benennt, dass sich die geforderte Tätigkeit des Vorlageverpflichteten auf rein mechanische Hilfstätigkeiten wie das Heraussuchen und Lesbarmachen der angeforderten Unterlagen beschränkt.

Die Finanzbehörden müssen einen Sachverhalt allerdings in erster Linie durch die Einholung von Auskünften aufklären. Das Vorlageverlangen ist nur hilfsweise zulässig, weil Aufklärungsmaßnahmen Eingriffscharakter haben und deshalb unter mehreren Möglichkeiten das mildeste Mittel auszuwählen ist. Die Vorlage von Kontoauszügen als Urkunden i.S. des § 97 AO darf das FA im Besteuerungsverfahren eines Bankkunden gemäß § 97 Abs. 2 Satz 1 AO von der Bank im Regelfall daher erst dann verlangen, wenn der Vorlagepflichtige eine Auskunft nicht erteilt hat, die Auskunft unzureichend ist, Bedenken gegen ihre Richtigkeit bestehen oder das Vorliegen steuerrelevanter Tatsachen nur durch die Vorlage eines Schriftstückes beweisbar ist.

Da es sich bei der Subsidiaritätsklausel in § 97 Abs. 2 Satz 1 AO um eine Vorschrift im Interesse und zugunsten des Vorlagepflichtigen handelt, berechtigt allein die Tatsache, dass die Vorlage einer Urkunde in der Sache das geeignetste Aufklärungsmittel ist, die Finanzbehörde nicht dazu, von vornherein von einem Auskunftsersuchen abzusehen und sofort die Urkundenvorlage zu verlangen. Das FA hat das Vorliegen eines atypischen und das unmittelbare Vorlageverlangen rechtfertigenden Falles darzulegen.