Vertrauensschutz anlässlich der Änderung der Rechtsprechung zum Vorsteuerabzug bei unrichtigem Steuerausweis

In Fällen, in denen aufgrund der Anwendung des § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO die Vorsteuer nach den Grundsätzen des BFH-Urteils Senatsurteil vom 19. Mai 1993 V R 110/88in zu berichtigen ist, erfordert die Berichtigung der Vorsteuer beim Leistungsempfänger nach Rechnungsberichtigung nicht, dass der Rechnungsaussteller die vom Leistungsempfänger an ihn bezahlte Umsatzsteuer bereits an den letzteren zurückgezahlt hat.

BFH Urteil vom 02.03.2016 – V R 16/15 (NV) BFH/NV 2016, 1074

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Festsetzung der Umsatzsteuer gemäß dem Antrag des FA und Abweisung der Klage im Übrigen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO). Die Klägerin war trotz der geänderten Rechtsprechung des BFH in den Jahren 1993 bis 1997 aus Vertrauensschutzgründen zum Abzug der ausgewiesenen Vorsteuer berechtigt (§ 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO). Sie musste sich daher im Jahr der Rechnungskorrektur (2004) nach der alten, aufgegebenen Rechtsprechung behandeln lassen.

Nach § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO darf bei der Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheids nicht zuungunsten des Steuerpflichtigen berücksichtigt werden, dass sich die Rechtsprechung eines obersten Gerichtshofs des Bundes geändert hat, die bei der bisherigen Steuerfestsetzung von der Finanzbehörde angewandt worden ist.

Zur Frage, ob der Vorsteuerabzug eine gesetzlich entstandene Steuer voraussetzt, hat sich die Rechtsprechung des Senats geändert. Nach der ursprünglichen Rechtsprechung des BFH war die unrichtig ausgewiesene Umsatzsteuer abziehbar , so dass z.B. auch ein Steuerausweis für eine steuerfreie Leistung zum Vorsteuerabzug berechtigte.

An dieser Rechtsprechung hat der BFH nicht festgehalten. Nach der  Rechtsprechungsänderung ist der Leistungsempfänger im Umfang eines unrichtigen Steuerausweises in einer Rechnung nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt, sodass z.B. ein Steuerausweis für eine steuerfreie Lieferung nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt.

Für die Anwendung des § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO bedarf es keiner ständigen Rechtsprechung. Es genügt bereits eine ausdrückliche oder jedenfalls eindeutige Entscheidung Das Senatsurteil stellt eine solche ausdrückliche und eindeutige Entscheidung dar. Das EuGH-Urteil Genius Holding (EU:C:1989:635) steht dem nicht entgegen. Es war zum Zeitpunkt des Senatsurteils bereits veröffentlicht und wurde in dem Senatsurteil berücksichtigt. Im Hinblick auf diese zeitliche Abfolge war das zuerst (1989) veröffentlichte EuGH-Urteil nicht geeignet, Zweifel an der Rechtsprechung des Senats aus dem Jahr 1993 zu begründen.

Die Anwendung des § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO hat zur Folge, dass zugunsten des Steuerpflichtigen die bisherige Rechtslage vor Änderung der Rechtsprechung weiterhin maßgeblich ist. Er ist deshalb hinsichtlich der Berechtigung zum Vorsteuerabzug so zu stellen, wie er bei Weitergeltung der bisherigen Rechtsprechung stünde.

Nach der bis zur Rechtsprechungsänderung maßgeblichen Rechtsauffassung war die unrichtig ausgewiesene Umsatzsteuer abziehbar. Der Leistungsempfänger hatte deshalb bei Berichtigung der Rechnung durch den Leistenden den –nach früherer Auffassung zu Recht– in Anspruch genommenen Vorsteuerabzug nach § 17 Abs. 1 Satz 3 UStG für den Besteuerungszeitraum zu berichtigen, in dem die Rechnung berichtigt worden war

Das FG hat der Klage zu Recht stattgegeben, soweit die unrichtig ausgewiesene Umsatzsteuer in Steuerbescheiden berücksichtigt war, die am 6. August 1998 nicht mehr aufgehoben oder geändert werden konnten. Insoweit greift § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO nicht ein. § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO setzt voraus, dass für die Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheids eine Korrekturgrundlage besteht. Soweit es daran fehlt, ist auch eine Berichtigung der Vorsteuer entsprechend der früheren Rechtsprechung im Besteuerungszeitraum der Rechnungsberichtigung ausgeschlossen.

Demgegenüber war die unrichtig ausgewiesene Umsatzsteuer, die in dem Umsatzsteuerbescheid für 1997 für die Klägerin und in den Umsatzsteuerbescheiden für 1995 und 1996 für die A KG berücksichtigt war, im Streitjahr zu berichtigen. Die Änderung dieser Bescheide war nach § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO ausgeschlossen und die Voraussetzungen für die Berichtigung des Vorsteuerabzugs entsprechend der alten Rechtsprechung waren im Streitfall erfüllt. Den Steuerbescheiden lag, wie das FG nunmehr festgestellt hat, ein unrichtiger Steuerausweis zugrunde, der im Streitjahr 2004 berichtigt wurde.

Die Klägerin kann gegen die Berichtigung im Streitjahr nicht einwenden, dass die berichtigten Rechnungen der T-GmbH über einen unveränderten Bruttobetrag ausgestellt sind und die T-GmbH die ursprünglich zu viel ausgewiesene Umsatzsteuer nicht an sie zurückgezahlt hat. Selbst wenn dies der Fall war, würde es nicht zur Unwirksamkeit der Berichtigung führen.

Für die Berichtigung der Vorsteuer beim Leistungsempfänger nach Rechnungsberichtigung ist auch nicht erforderlich, dass der Rechnungsaussteller die vom Leistungsempfänger an ihn bezahlte Umsatzsteuer bereits an den Letzteren zurückgezahlt hat. Rückzahlungsansprüche des Leistungsempfängers sind auf dem Zivilrechtsweg zu verfolge). Hieran hält der Senat jedenfalls für Sachverhalte fest, in denen –wie im Streitfall– die Änderung der ursprünglichen Steuerbescheide entsprechend dem Senatsurteil nach § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO ausgeschlossen ist und die Vorsteuer zu berichtigen ist.

Soweit die Finanzverwaltung die Berichtigung der Rechnung nur nach Rückzahlung der zu hoch ausgewiesenen Steuer zulassen will, betrifft dies mit dem Streitfall nicht vergleichbare Sachverhalte.

Wurde ein zu hoch ausgewiesener Rechnungsbetrag bereits vereinnahmt und steht dem Leistungsempfänger aus der Rechnungsberichtigung ein Rückforderungsanspruch zu, ist nach Auffassung der Finanzverwaltung die Berichtigung des geschuldeten Mehrbetrags erst nach einer entsprechenden Rückzahlung an den Leistungsempfänger zulässig.

Die Finanzverwaltung geiht dabei mit der Rechtsprechung seit dem Senatsurteil davon aus, dass der Leistungsempfänger die zu hoch ausgewiesene Steuer nicht als Vorsteuer abziehen kann (vgl. Abschn. 14c.1 Abs. 1 Satz 6 UStAE). Diese Rechtsprechung findet im Streitfall aber keine Anwendung. Der Senat muss daher nicht entscheiden, ob sich aus ihr Gründe ergeben, die Berichtigung der Rechnung nur nach Rückzahlung des Mehrbetrags an den Leistungsempfänger zuzulassen.

Auch der Höhe nach ist die Vorsteuerberichtigung nach §§ 14c, 17 UStG, soweit sie noch strittig ist, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das FG hat dazu keine ausdrücklichen Feststellungen getroffen, der Senat kann dies allerdings der Einspruchsentscheidung entnehmen. Daraus ergibt sich eine Minderung der Vorsteuer jedenfalls in dem Umfang, wie er dem Antrag des FA zugrunde liegt. Über eine weitere Minderung hat der Senat nicht zu entscheiden (§ 121 Satz 1 i.V.m. § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO).