Vorsteuerabzug bei gemischter Nutzung eines Marktplatzes

Verwendet eine Stadt ihren Marktplatz sowohl für wirtschaftliche wie auch für hoheitliche Zwecke, kann sie diesen nicht in vollem Umfang ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit zuordnen und ist deshalb nur anteilig zum Vorsteuerabzug berechtigt.

BFH Urteil vom 03.08.2017 – V R 62/16 BFH/NV 2018, 301

Sachverhalt:
Die Beteiligten streiten um den Vorsteuerabzug aus den Kosten für die Errichtung und Gestaltung eines sog. Marktplatzes durch die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin). Klägerin ist die Stadt X. Diese erhielt bereits im Jahre … die staatliche Anerkennung als Heilbad und das Recht, die Bezeichnung “Bad” im Stadtnamen zu führen.
In den Streitjahren (2009 und 2010) errichtete die Klägerin in der Stadtmitte auf dem Gelände eines ehemaligen Supermarktes einen als “Marktplatz” bezeichneten Platz, bestehend aus einer Bühnenanlage mit Zuschauertribüne, Ruhebänken sowie einem Geräte- und Abstellraum. Weiterhin wurden Basaltsäulen errichtet und Hinweistafeln angebracht, die über die Bedeutung des Badeortes im Hinblick auf die Lehren, Therapien und… informieren. Schließlich ließ die Klägerin einen Wasserlauf mit zwei Brunnen erstellen, den Platz entsprechend befestigen, gärtnerisch gestalten und teilweise umzäunen. Im Zuge der Baumaßnahmen wurde auf dem an den Marktplatz angrenzenden Kurpark eine öffentliche Toilettenanlage errichtet.
Nach Abschluss der Baumaßnahmen (Frühjahr 2010) wurde der Marktplatz im Rahmen eines Bürgerfestes am … eingeweiht. In ihren am 9. September 2011 (Umsatzsteuer 2009) und 27. Juli 2012 (Umsatzsteuer 2010) eingereichten Umsatzsteuererklärungen machte die Klägerin den Abzug der auf die Umbaukosten für den Marktplatz in 2009 (120.541,65 EUR) und in 2010 (10.462,34 EUR) entfallenen Vorsteuerbeträge geltend.

Nach den Feststellungen einer die Streitjahre betreffenden Umsatzsteuer-Sonderprüfung wurde der Platz in den Sommermonaten 2010 für die Ausrichtung eines Weinfestes, für “public viewing” zur Fußballweltmeisterschaft 2010 sowie für verschiedene Open-Air-Konzerte mit freiem Eintritt genutzt, nicht aber für Zwecke des –jeweils am Dienstag an anderer Stelle stattfindenden– Wochenmarktes. Hieraus folgerte der Prüfer, dass der Marktplatz nicht für eine steuerpflichtige wirtschaftliche Tätigkeit (Kurbetrieb der Klägerin) verwendet werde und deshalb kein Anspruch auf Vorsteuerabzug bestehe.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) schloss sich dieser Auffassung an und versagte mit den Umsatzsteuerbescheiden vom 3. Januar 2012 (2009) sowie vom 26. November 2012 (2010) den Vorsteuerabzug für die Kosten des Marktplatzes. Die dagegen eingelegten Einsprüche wies das FA im Wesentlichen als unbegründet zurück; lediglich für das Jahr 2009 wurden weitere Vorsteuerbeträge von 1.870,45 EUR zum Abzug zugelassen. Diese betreffen die Anschaffung und Anbringung von einzelnen Wirtschaftsgütern, die dem Betrieb gewerblicher Art “Kurverwaltung” dienten bzw. in einem objektiven wirtschaftlichen Zusammenhang mit diesem stünden (Basaltsäulen, Symbole, Infotafel, Colortafel).
Die dagegen erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2017, 244 veröffentlichten Urteil ab. Nach den Feststellungen des FG wurde der Platz sowohl von Kurgästen (gegen Kurbeitrag) als auch von Nicht-Kurgästen (unentgeltlich) und damit “gemischt” genutzt. Der unternehmerische Bereich der Klägerin (Kurverwaltung) beinhalte das Bereitstellen von Einrichtungen des Fremdenverkehrs gegen die Entrichtung von Kurbeiträgen. Daneben sei die Klägerin im Rahmen der ihr obliegenden öffentlichen Aufgaben als Straßenbaulastträger (Errichtung von Straßen und Plätzen zur allgemeinen Nutzung) hoheitlich tätig geworden. Dieses Tätigwerden vollziehe sich innerhalb des nichtunternehmerischen Bereichs. Der Marktplatz stelle eine allgemeine und kostenfrei von “jedermann” nutzbare städtische Einrichtung dar. Da der Platz öffentlich zugänglich sei, werde er auch von den einheimischen Bewohnern sowie sonstigen Besuchern der Gemeinde (Tagestouristen) besucht.

Der Vorsteuerabzug scheide bereits mangels rechtzeitiger Dokumentation der Zuordnungsentscheidung aus. Die Klägerin habe es unterlassen, bei Bezug der Eingangsleistungen eine Zuordnungsentscheidung zu treffen und diese in den bis 31. Mai 2010 bzw. 31. Mai 2011 abzugebenden Umsatzsteuererklärungen zu dokumentieren. Denn diese Steuererklärungen seien erst im September 2011 (2009) bzw. im Juli 2012 (2010) beim FA eingereicht worden.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin Verletzung materiellen Rechts und trägt zur Begründung vor:
Das FG habe nicht berücksichtigt, dass ein Zuordnungswahlrecht bei nichtwirtschaftlichen Tätigkeiten ausschließlich für den Sonderfall einer Privatentnahme bestehe. Da es sich bei der nichtwirtschaftlichen Tätigkeit der Klägerin um eine Verwendung für Hoheitszwecke handele, sei sie, die Klägerin, zum anteiligen Vorsteuerabzug berechtigt.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen. Im Hinblick auf die gemischte Nutzung des Marktplatzes gelte das Aufteilungsgebot des § 15 Abs. 4 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) analog. Danach sei der unternehmerische Nutzungsanteil im Wege einer sachgerechten und vom FA überprüfbaren Schätzung zu ermitteln.
Die geltend gemachten Vorsteuerbeträge könnten nicht berücksichtigt werden, weil die unternehmerische Verwendungsabsicht im Zeitpunkt des Leistungsbezugs nicht nachgewiesen worden sei. Es fehle an einem hinreichenden objektiven Zusammenhang der Nutzung des Marktplatzes im Rahmen des Betriebs gewerblicher Art “Kurbetrieb”. Der Kurbeitrag sei aufgrund der Neugestaltung des Marktplatzes nicht erhöht worden, obwohl es sich bei der Kurtaxe um eine Kommunalabgabe eigener Art handele, die neben beitrags- auch gebührenrechtliche Merkmale aufweise und der Deckung des Aufwands diene, welcher der Gemeinde für die Herstellung und Unterhaltung von zu Kur- und Erholungszwecken bereitgestellten Einrichtungen entstehe. Ein Nachweis, nach dem die Kalkulation des Kurbeitrags den Aufwand für die Herstellung oder Unterhaltung des Marktplatzes beinhalte, sei nicht vorgelegt worden.
Begründung:

Die Revision der Klägerin ist begründet. Das Urteil des FG ist aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). Das FG hat den Vorsteuerabzug zu Unrecht mit der Begründung versagt, dass es an einer rechtzeitigen Dokumentation der Zuordnungsentscheidung fehle und damit § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 4 Satz 1 UStG verletzt. Der Senat kann mangels tatsächlicher Feststellungen die Sache nicht selbst entscheiden.
Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG kann der Unternehmer die gesetzlich geschuldete Steuer für Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuer abziehen. Ausgeschlossen ist der Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG für Leistungen, die der Unternehmer für steuerfreie Umsätze verwendet. Verwendet der Unternehmer einen für sein Unternehmen gelieferten Gegenstand oder eine von ihm in Anspruch genommene sonstige Leistung nur zum Teil zur Ausführung von Umsätzen, die den Vorsteuerabzug ausschließen, so ist der Teil der jeweiligen Vorsteuerbeträge nicht abziehbar, der den zum Ausschluss vom Vorsteuerabzug führenden Umsätzen wirtschaftlich zuzurechnen ist (§ 15 Abs. 4 Satz 1 UStG).
Der Vorsteuerabzug erfordert –entgegen dem FG-Urteil– im Streitfall keine zeitnahe Dokumentation einer Zuordnungsentscheidung. Eine zeitnahe Zuordnungsentscheidung hat der Unternehmer für Zwecke des Vorsteuerabzugs nur dann zu treffen und zu dokumentieren, wenn ein Zuordnungswahlrecht besteht. Das Zuordnungswahlrecht besteht jedoch nicht für jede gemischte Nutzung eines Gegenstands, sondern nur für die gemischte Nutzung im Rahmen des “Sonderfalls einer Privatentnahme”, bei der ein Unternehmer den gemischt wirtschaftlich und privat verwendeten Gegenstand voll dem Unternehmen zuordnen und dann aufgrund der Unternehmenszuordnung in vollem Umfang zum Vorsteuerabzug berechtigt sein kann.
Das FG geht davon aus, dass eine gemischte Nutzung des Marktplatzes vorliege, weil die Klägerin diesen Platz im Rahmen ihres Kurbetriebs unternehmerisch und im Rahmen ihrer öffentlich-rechtlichen Aufgabe als Straßenbaulastträger (Errichtung von Straßen und Plätzen zur allgemeinen Nutzung) nichtunternehmerisch nutzt. In diesem Fall hat die Klägerin nicht die Möglichkeit, gemischt genutzte Gegenstände insgesamt ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit zuzuordnen, sondern kann den Vorsteuerabzug nur anteilig geltend machen. Anders ist es nur bei einer gemischten Verwendung für wirtschaftliche und private Zwecke. Private Zwecke in diesem Sinne sind nur Entnahmen für den privaten Bedarf des Unternehmers als natürliche Person und –unabhängig von der Rechtsform des Unternehmens– für den privaten Bedarf seines Personals, nicht dagegen eine Verwendung für den Hoheitsbereich einer juristischen Person des öffentlichen Rechts.
Im Streitfall betrifft die weitere Verwendung des Marktplatzes den Hoheitsbereich der Klägerin und nicht deren private Zwecke, sodass ihr kein Wahlrecht zugunsten einer Zuordnung des gesamten Gegenstands zu ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit zusteht und damit auch kein Zuordnungserfordernis besteht. Das Urteil des FG widerspricht den o.g. Rechtsprechungsgrundsätzen und ist daher aufzuheben.

Die Sache ist nicht spruchreif. Die Feststellungen des FG reichen nicht aus, um beurteilen zu können, ob die Klägerin aus den Kosten für die Errichtung und Gestaltung des sog. Marktplatzes einen (anteiligen) Vorsteuerabzug geltend machen kann. Dieser könnte sowohl an der Unternehmereigenschaft der Klägerin als auch am Erfordernis eines direkten und unmittelbaren Zusammenhangs zwischen Eingangs- und Ausgangsumsatz scheitern.

Der Unternehmer ist nach ständiger Senatsrechtsprechung zum Vorsteuerabzug berechtigt, soweit er Leistungen für sein Unternehmen (§ 2 Abs. 1 UStG, Art. 9 Abs. 1 MwStSystRL) und damit für seine
wirtschaftlichen Tätigkeiten zur Erbringung entgeltlicher Leistungen (wirtschaftliche Tätigkeiten) zu verwenden beabsichtigt. Die bisherige Rechtsprechung des Senats geht zwar ebenso wie das Schrifttum davon aus, dass zu den Betrieben gewerblicher Art auch ein sog. Kurbetrieb gehören kann, d.h. die Überlassung von Kureinrichtungen gegen Entgelt in Gestalt von Kurbeiträgen oder Kurtaxen. Diese Rechtsprechung war jedoch im Hinblick auf den Verweis von § 2 Abs. 3 Satz 1 UStG auf § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 4 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) körperschaftsteuerrechtlich geprägt und berücksichtigte noch nicht den Einfluss des Unionsrechts auf die Auslegung des Begriffs “Betrieb gewerblicher Art” in § 2 Abs. 3 UStG.
Nach inzwischen ständiger Rechtsprechung des BFH ist eine juristische Person des öffentlichen Rechts Unternehmer, wenn sie eine wirtschaftliche und damit nachhaltige Tätigkeit zur Erbringung entgeltlicher Leistungen (wirtschaftliche Tätigkeit) ausübt, die sich innerhalb ihrer Gesamtbetätigung heraushebt. Handelt sie dabei auf privatrechtlicher Grundlage durch Vertrag, kommt es auf weitere Voraussetzungen nicht an. Handelt sie dagegen auf öffentlich-rechtlicher Grundlage, ist sie nur Unternehmer, wenn eine Behandlung als Nichtunternehmer zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde.

Das FG hat keine Feststellungen dazu getroffen, ob die Klägerin den Kurbetrieb auf privatrechtlicher oder auf öffentlich-rechtlicher Grundlage betreibt. Sofern die im zweiten Rechtsgang nachzuholenden Feststellungen ergeben, dass die Klägerin auf öffentlich-rechtlicher Grundlage tätig wird, hängt ihre Unternehmereigenschaft davon ab, ob die Behandlung als Nichtsteuerpflichtige zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde. So verhält es sich nicht, wenn es aufgrund der rechtlichen Rahmenbedingungen im Zeitpunkt der Erbringung der Leistungen durch den Staat ausgeschlossen ist, dass private Anbieter Leistungen auf den Markt bringen, die mit den staatlichen Leistungen im Wettbewerb stehen.
Kommt das FG hiernach zu dem Ergebnis, dass die Klägerin im Rahmen ihres Kurbetriebs unternehmerisch tätig wurde, hat es weiter zu prüfen, ob der begehrte Vorsteuerabzug am fehlenden Zusammenhang zwischen den Kosten für die Errichtung/Gestaltung des Marktplatzes und ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit (Kurbetrieb) scheitert.
Das FG hat keine Feststellungen dazu getroffen, ob der sog. Marktplatz (ganz oder teilweise) als öffentliche Straße oder Platz dem Allgemeingebrauch gewidmet wurde. Fehlt es an einer derartigen Widmung zum Allgemeingebrauch, ist festzustellen, ob es sich beim sog. Marktplatz um eine öffentliche Einrichtung i.S. von § 14 Abs. 2 der Gemeindeordnung Rheinland-Pfalz handelt, die ausdrücklich oder zumindest konkludent der Öffentlichkeit zur Nutzung überlassen wurde. In diesem Falle wäre eine Sondernutzung des Marktplatzes durch Kurgäste dann ausgeschlossen, wenn diese den Marktplatz lediglich in Form des Betretens und Besichtigens und damit als Teil der Allgemeinheit nutzen. Gegen einen direkten und unmittelbaren Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Tätigkeit der Klägerin könnte auch sprechen, dass nach den Ausführungen des FA im Revisionsverfahren die Neugestaltung des Marktplatzes keinerlei Einfluss auf die Höhe des Kurbeitrags hatte, obwohl dieser zur Deckung des Aufwands dienen soll, der für die Herstellung und Unterhaltung der zu Kur- und Erholungszwecken bereitgestellten Einrichtungen entsteht.
Kommt das FG im zweiten Rechtsgang zu der Auffassung, dass die Klägerin mit ihrem Kurbetrieb unternehmerisch tätig ist und die Aufwendungen für den Marktplatz in einem unmittelbaren und direkten Zusammenhang mit ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit stehen, liegt eine gemischte Tätigkeit i.S. von § 15 Abs. 4 Satz 1 UStG vor, die zum anteiligen Vorsteuerabzug berechtigt.
Da die Klägerin bislang davon ausgegangen ist, dass die geltend gemachten Vorsteuerbeträge in voller Höhe abziehbar sind, indes allenfalls ein anteiliger Vorsteuerabzug in Betracht kommt, hat sie im zweiten Rechtsgang eine sachgerechte Schätzung des abziehbaren Teils der Vorsteuerbeträge vorzunehmen. Dem FG obliegt sodann die Überprüfung der Schätzung auf ihre Sachgerechtigkeit.
Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass ein prozentual geringfügiger Vorsteuerabzug nicht durch § 15 Abs. 1 Satz 2 UStG ausgeschlossen wäre. Nach dieser Vorschrift gilt die Lieferung nicht als für das Unternehmen ausgeführt, wenn der Unternehmer den Gegenstand zu weniger als 10 % für sein Unternehmen nutzt.
Führt die sachgerechte Schätzung (vgl. 2.c) dazu, dass die Klägerin den Marktplatz ganz überwiegend zur Erfüllung ihrer hoheitlichen Aufgaben und damit nicht im Rahmen ihres Unternehmens (§ 2 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 2 Abs. 3 Satz 1 UStG und § 4 Abs. 5 KStG) verwendet, wäre der Vorsteuerabzug nach nationalem Recht ausgeschlossen, wenn der Anteil der Nutzung für den Kurbetrieb der Klägerin weniger als 10 % beträgt.

Vorsteuerabzug bei gemischter Nutzung eines Marktplatzes

Verwendet eine Stadt ihren Marktplatz sowohl für wirtschaftliche wie auch für hoheitliche Zwecke, kann sie diesen nicht in vollem Umfang ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit zuordnen und ist deshalb nur anteilig zum Vorsteuerabzug berechtigt.

BFH Urteil vom 03.08.2017 – V R 62/16 BFH/NV 2018, 301

Sachverhalt:
Die Beteiligten streiten um den Vorsteuerabzug aus den Kosten für die Errichtung und Gestaltung eines sog. Marktplatzes durch die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin). Klägerin ist die Stadt X. Diese erhielt bereits im Jahre … die staatliche Anerkennung als Heilbad und das Recht, die Bezeichnung “Bad” im Stadtnamen zu führen.
In den Streitjahren (2009 und 2010) errichtete die Klägerin in der Stadtmitte auf dem Gelände eines ehemaligen Supermarktes einen als “Marktplatz” bezeichneten Platz, bestehend aus einer Bühnenanlage mit Zuschauertribüne, Ruhebänken sowie einem Geräte- und Abstellraum. Weiterhin wurden Basaltsäulen errichtet und Hinweistafeln angebracht, die über die Bedeutung des Badeortes im Hinblick auf die Lehren, Therapien und… informieren. Schließlich ließ die Klägerin einen Wasserlauf mit zwei Brunnen erstellen, den Platz entsprechend befestigen, gärtnerisch gestalten und teilweise umzäunen. Im Zuge der Baumaßnahmen wurde auf dem an den Marktplatz angrenzenden Kurpark eine öffentliche Toilettenanlage errichtet.

Nach Abschluss der Baumaßnahmen (Frühjahr 2010) wurde der Marktplatz im Rahmen eines Bürgerfestes am … eingeweiht. In ihren am 9. September 2011 (Umsatzsteuer 2009) und 27. Juli 2012 (Umsatzsteuer 2010) eingereichten Umsatzsteuererklärungen machte die Klägerin den Abzug der auf die Umbaukosten für den Marktplatz in 2009 (120.541,65 EUR) und in 2010 (10.462,34 EUR) entfallenen Vorsteuerbeträge geltend.

Nach den Feststellungen einer die Streitjahre betreffenden Umsatzsteuer-Sonderprüfung wurde der Platz in den Sommermonaten 2010 für die Ausrichtung eines Weinfestes, für “public viewing” zur Fußballweltmeisterschaft 2010 sowie für verschiedene Open-Air-Konzerte mit freiem Eintritt genutzt, nicht aber für Zwecke des –jeweils am Dienstag an anderer Stelle stattfindenden– Wochenmarktes. Hieraus folgerte der Prüfer, dass der Marktplatz nicht für eine steuerpflichtige wirtschaftliche Tätigkeit (Kurbetrieb der Klägerin) verwendet werde und deshalb kein Anspruch auf Vorsteuerabzug bestehe.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) schloss sich dieser Auffassung an und versagte mit den Umsatzsteuerbescheiden vom 3. Januar 2012 (2009) sowie vom 26. November 2012 (2010) den Vorsteuerabzug für die Kosten des Marktplatzes. Die dagegen eingelegten Einsprüche wies das FA im Wesentlichen als unbegründet zurück; lediglich für das Jahr 2009 wurden weitere Vorsteuerbeträge von 1.870,45 EUR zum Abzug zugelassen. Diese betreffen die Anschaffung und Anbringung von einzelnen Wirtschaftsgütern, die dem Betrieb gewerblicher Art “Kurverwaltung” dienten bzw. in einem objektiven wirtschaftlichen Zusammenhang mit diesem stünden (Basaltsäulen, Symbole, Infotafel, Colortafel).

Die dagegen erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2017, 244 veröffentlichten Urteil ab. Nach den Feststellungen des FG wurde der Platz sowohl von Kurgästen (gegen Kurbeitrag) als auch von Nicht-Kurgästen (unentgeltlich) und damit “gemischt” genutzt. Der unternehmerische Bereich der Klägerin (Kurverwaltung) beinhalte das Bereitstellen von Einrichtungen des Fremdenverkehrs gegen die Entrichtung von Kurbeiträgen. Daneben sei die Klägerin im Rahmen der ihr obliegenden öffentlichen Aufgaben als Straßenbaulastträger (Errichtung von Straßen und Plätzen zur allgemeinen Nutzung) hoheitlich tätig geworden. Dieses Tätigwerden vollziehe sich innerhalb des nichtunternehmerischen Bereichs. Der Marktplatz stelle eine allgemeine und kostenfrei von “jedermann” nutzbare städtische Einrichtung dar. Da der Platz öffentlich zugänglich sei, werde er auch von den einheimischen Bewohnern sowie sonstigen Besuchern der Gemeinde (Tagestouristen) besucht.

Der Vorsteuerabzug scheide bereits mangels rechtzeitiger Dokumentation der Zuordnungsentscheidung aus. Die Klägerin habe es unterlassen, bei Bezug der Eingangsleistungen eine Zuordnungsentscheidung zu treffen und diese in den bis 31. Mai 2010 bzw. 31. Mai 2011 abzugebenden Umsatzsteuererklärungen zu dokumentieren. Denn diese Steuererklärungen seien erst im September 2011 (2009) bzw. im Juli 2012 (2010) beim FA eingereicht worden.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin Verletzung materiellen Rechts und trägt zur Begründung vor:
Das FG habe nicht berücksichtigt, dass ein Zuordnungswahlrecht bei nichtwirtschaftlichen Tätigkeiten ausschließlich für den Sonderfall einer Privatentnahme bestehe. Da es sich bei der nichtwirtschaftlichen Tätigkeit der Klägerin um eine Verwendung für Hoheitszwecke handele, sei sie, die Klägerin, zum anteiligen Vorsteuerabzug berechtigt.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen. Im Hinblick auf die gemischte Nutzung des Marktplatzes gelte das Aufteilungsgebot des § 15 Abs. 4 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) analog. Danach sei der unternehmerische Nutzungsanteil im Wege einer sachgerechten und vom FA überprüfbaren Schätzung zu ermitteln.

Die geltend gemachten Vorsteuerbeträge könnten nicht berücksichtigt werden, weil die unternehmerische Verwendungsabsicht im Zeitpunkt des Leistungsbezugs nicht nachgewiesen worden sei. Es fehle an einem hinreichenden objektiven Zusammenhang der Nutzung des Marktplatzes im Rahmen des Betriebs gewerblicher Art “Kurbetrieb”. Der Kurbeitrag sei aufgrund der Neugestaltung des Marktplatzes nicht erhöht worden, obwohl es sich bei der Kurtaxe um eine Kommunalabgabe eigener Art handele, die neben beitrags- auch gebührenrechtliche Merkmale aufweise und der Deckung des Aufwands diene, welcher der Gemeinde für die Herstellung und Unterhaltung von zu Kur- und Erholungszwecken bereitgestellten Einrichtungen entstehe. Ein Nachweis, nach dem die Kalkulation des Kurbeitrags den Aufwand für die Herstellung oder Unterhaltung des Marktplatzes beinhalte, sei nicht vorgelegt worden.
Begründung:
Die Revision der Klägerin ist begründet. Das Urteil des FG ist aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). Das FG hat den Vorsteuerabzug zu Unrecht mit der Begründung versagt, dass es an einer rechtzeitigen Dokumentation der Zuordnungsentscheidung fehle und damit § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 4 Satz 1 UStG verletzt. Der Senat kann mangels tatsächlicher Feststellungen die Sache nicht selbst entscheiden.
Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG kann der Unternehmer die gesetzlich geschuldete Steuer für Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuer abziehen. Ausgeschlossen ist der Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG für Leistungen, die der Unternehmer für steuerfreie Umsätze verwendet. Verwendet der Unternehmer einen für sein Unternehmen gelieferten Gegenstand oder eine von ihm in Anspruch genommene sonstige Leistung nur zum Teil zur Ausführung von Umsätzen, die den Vorsteuerabzug ausschließen, so ist der Teil der jeweiligen Vorsteuerbeträge nicht abziehbar, der den zum Ausschluss vom Vorsteuerabzug führenden Umsätzen wirtschaftlich zuzurechnen ist (§ 15 Abs. 4 Satz 1 UStG).
Der Vorsteuerabzug erfordert –entgegen dem FG-Urteil– im Streitfall keine zeitnahe Dokumentation einer Zuordnungsentscheidung. Eine zeitnahe Zuordnungsentscheidung hat der Unternehmer für Zwecke des Vorsteuerabzugs nur dann zu treffen und zu dokumentieren, wenn ein Zuordnungswahlrecht besteht. Das Zuordnungswahlrecht besteht jedoch nicht für jede gemischte Nutzung eines Gegenstands, sondern nur für die gemischte Nutzung im Rahmen des “Sonderfalls einer Privatentnahme”, bei der ein Unternehmer den gemischt wirtschaftlich und privat verwendeten Gegenstand voll dem Unternehmen zuordnen und dann aufgrund der Unternehmenszuordnung in vollem Umfang zum Vorsteuerabzug berechtigt sein kann.

Das FG geht davon aus, dass eine gemischte Nutzung des Marktplatzes vorliege, weil die Klägerin diesen Platz im Rahmen ihres Kurbetriebs unternehmerisch und im Rahmen ihrer öffentlich-rechtlichen Aufgabe als Straßenbaulastträger (Errichtung von Straßen und Plätzen zur allgemeinen Nutzung) nichtunternehmerisch nutzt. In diesem Fall hat die Klägerin nicht die Möglichkeit, gemischt genutzte Gegenstände insgesamt ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit zuzuordnen, sondern kann den Vorsteuerabzug nur anteilig geltend machen. Anders ist es nur bei einer gemischten Verwendung für wirtschaftliche und private Zwecke. Private Zwecke in diesem Sinne sind nur Entnahmen für den privaten Bedarf des Unternehmers als natürliche Person und –unabhängig von der Rechtsform des Unternehmens– für den privaten Bedarf seines Personals, nicht dagegen eine Verwendung für den Hoheitsbereich einer juristischen Person des öffentlichen Rechts.
Im Streitfall betrifft die weitere Verwendung des Marktplatzes den Hoheitsbereich der Klägerin und nicht deren private Zwecke, sodass ihr kein Wahlrecht zugunsten einer Zuordnung des gesamten Gegenstands zu ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit zusteht und damit auch kein Zuordnungserfordernis besteht. Das Urteil des FG widerspricht den o.g. Rechtsprechungsgrundsätzen und ist daher aufzuheben.
Die Sache ist nicht spruchreif. Die Feststellungen des FG reichen nicht aus, um beurteilen zu können, ob die Klägerin aus den Kosten für die Errichtung und Gestaltung des sog. Marktplatzes einen (anteiligen) Vorsteuerabzug geltend machen kann. Dieser könnte sowohl an der Unternehmereigenschaft der Klägerin als auch am Erfordernis eines direkten und unmittelbaren Zusammenhangs zwischen Eingangs- und Ausgangsumsatz scheitern.

Der Unternehmer ist nach ständiger Senatsrechtsprechung zum Vorsteuerabzug berechtigt, soweit er Leistungen für sein Unternehmen (§ 2 Abs. 1 UStG, Art. 9 Abs. 1 MwStSystRL) und damit für seine wirtschaftlichen Tätigkeiten zur Erbringung entgeltlicher Leistungen (wirtschaftliche Tätigkeiten) zu verwenden beabsichtigt. Die bisherige Rechtsprechung des Senats geht zwar ebenso wie das Schrifttum davon aus, dass zu den Betrieben gewerblicher Art auch ein sog. Kurbetrieb gehören kann, d.h. die Überlassung von Kureinrichtungen gegen Entgelt in Gestalt von Kurbeiträgen oder Kurtaxen. Diese Rechtsprechung war jedoch im Hinblick auf den Verweis von § 2 Abs. 3 Satz 1 UStG auf § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 4 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) körperschaftsteuerrechtlich geprägt und berücksichtigte noch nicht den Einfluss des Unionsrechts auf die Auslegung des Begriffs “Betrieb gewerblicher Art” in § 2 Abs. 3 UStG.
Nach inzwischen ständiger Rechtsprechung des BFH ist eine juristische Person des öffentlichen Rechts Unternehmer, wenn sie eine wirtschaftliche und damit nachhaltige Tätigkeit zur Erbringung entgeltlicher Leistungen (wirtschaftliche Tätigkeit) ausübt, die sich innerhalb ihrer Gesamtbetätigung heraushebt. Handelt sie dabei auf privatrechtlicher Grundlage durch Vertrag, kommt es auf weitere Voraussetzungen nicht an. Handelt sie dagegen auf öffentlich-rechtlicher Grundlage, ist sie nur Unternehmer, wenn eine Behandlung als Nichtunternehmer zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde.

Das FG hat keine Feststellungen dazu getroffen, ob die Klägerin den Kurbetrieb auf privatrechtlicher oder auf öffentlich-rechtlicher Grundlage betreibt. Sofern die im zweiten Rechtsgang nachzuholenden Feststellungen ergeben, dass die Klägerin auf öffentlich-rechtlicher Grundlage tätig wird, hängt ihre Unternehmereigenschaft davon ab, ob die Behandlung als Nichtsteuerpflichtige zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde. So verhält es sich nicht, wenn es aufgrund der rechtlichen Rahmenbedingungen im Zeitpunkt der Erbringung der Leistungen durch den Staat ausgeschlossen ist, dass private Anbieter Leistungen auf den Markt bringen, die mit den staatlichen Leistungen im Wettbewerb stehen.

Kommt das FG hiernach zu dem Ergebnis, dass die Klägerin im Rahmen ihres Kurbetriebs unternehmerisch tätig wurde, hat es weiter zu prüfen, ob der begehrte Vorsteuerabzug am fehlenden Zusammenhang zwischen den Kosten für die Errichtung/Gestaltung des Marktplatzes und ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit (Kurbetrieb) scheitert.

Das FG hat keine Feststellungen dazu getroffen, ob der sog. Marktplatz (ganz oder teilweise) als öffentliche Straße oder Platz dem Allgemeingebrauch gewidmet wurde. Fehlt es an einer derartigen Widmung zum Allgemeingebrauch, ist festzustellen, ob es sich beim sog. Marktplatz um eine öffentliche Einrichtung i.S. von § 14 Abs. 2 der Gemeindeordnung Rheinland-Pfalz handelt, die ausdrücklich oder zumindest konkludent der Öffentlichkeit zur Nutzung überlassen wurde. In diesem Falle wäre eine Sondernutzung des Marktplatzes durch Kurgäste dann ausgeschlossen, wenn diese den Marktplatz lediglich in Form des Betretens und Besichtigens und damit als Teil der Allgemeinheit nutzen. Gegen einen direkten und unmittelbaren Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Tätigkeit der Klägerin könnte auch sprechen, dass nach den Ausführungen des FA im Revisionsverfahren die Neugestaltung des Marktplatzes keinerlei Einfluss auf die Höhe des Kurbeitrags hatte, obwohl dieser zur Deckung des Aufwands dienen soll, der für die Herstellung und Unterhaltung der zu Kur- und Erholungszwecken bereitgestellten Einrichtungen entsteht.

Kommt das FG im zweiten Rechtsgang zu der Auffassung, dass die Klägerin mit ihrem Kurbetrieb unternehmerisch tätig ist und die Aufwendungen für den Marktplatz in einem unmittelbaren und direkten Zusammenhang mit ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit stehen, liegt eine gemischte Tätigkeit i.S. von § 15 Abs. 4 Satz 1 UStG vor, die zum anteiligen Vorsteuerabzug berechtigt.
Da die Klägerin bislang davon ausgegangen ist, dass die geltend gemachten Vorsteuerbeträge in voller Höhe abziehbar sind, indes allenfalls ein anteiliger Vorsteuerabzug in Betracht kommt, hat sie im zweiten Rechtsgang eine sachgerechte Schätzung des abziehbaren Teils der Vorsteuerbeträge vorzunehmen. Dem FG obliegt sodann die Überprüfung der Schätzung auf ihre Sachgerechtigkeit.
Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass ein prozentual geringfügiger Vorsteuerabzug nicht durch § 15 Abs. 1 Satz 2 UStG ausgeschlossen wäre. Nach dieser Vorschrift gilt die Lieferung nicht als für das Unternehmen ausgeführt, wenn der Unternehmer den Gegenstand zu weniger als 10 % für sein Unternehmen nutzt.

Führt die sachgerechte Schätzung (vgl. 2.c) dazu, dass die Klägerin den Marktplatz ganz überwiegend zur Erfüllung ihrer hoheitlichen Aufgaben und damit nicht im Rahmen ihres Unternehmens (§ 2 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 2 Abs. 3 Satz 1 UStG und § 4 Abs. 5 KStG) verwendet, wäre der Vorsteuerabzug nach nationalem Recht ausgeschlossen, wenn der Anteil der Nutzung für den Kurbetrieb der Klägerin weniger als 10 % beträgt.

Die Zuordnungsentscheidung ist eine materielle Voraussetzung des Rechts auf Vorsteuerabzug

Zu den für das Recht auf Vorsteuerabzug erforderlichen materiellen Voraussetzungen gehört gemäß Art. 168 Buchst. a MwStSystRL, dass der Anspruchsberechtigte Steuerpflichtiger im Sinne der MwStSystRL ist und dass er bereits im Zeitpunkt des Leistungsbezugs als Steuerpflichtiger handelt.

Deshalb erfordert die Zuordnung eines Gegenstands zum Unternehmen bereits im Zeitpunkt der Anschaffung oder Herstellung des Gegenstands eine durch Beweisanzeichen gestützte Zuordnungsentscheidung des Unternehmers.
Die materielle Voraussetzung “Zuordnungsentscheidung” muss als innere Tatsache “zeitnah” nach außen dokumentiert werden, d.h. spätestens bis zur gesetzlichen Abgabefrist für Steuererklärungen.

Das Erfordernis einer zeitnahen Dokumentation macht die Zuordnungsentscheidung nicht zu einer formellen Voraussetzung des Vorsteuerabzugs.

BFH Beschluss vom 14.03.2017 – VB 109/16 BFH/NV 2017, 922

Begründung:

Die Frage, ob gesetzlich nicht normierte Fristen für Zuordnungsentscheidungen zulässig sind und ob sich durch die Einführung des § 15 Abs. 1b des Umsatzsteuergesetzes (UStG) hieran etwas geändert hat, hat keine grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO).

Die Frage nach dem Zeitpunkt der Zuordnungsentscheidung und deren Dokumentation nach außen ist durch die Rechtsprechung des BFH geklärt. Die Zuordnung eines Gegenstands zum Unternehmen erfordert eine durch Beweisanzeichen gestützte Zuordnungsentscheidung des Unternehmers. Aus dem Grundsatz des Sofortabzugs der Vorsteuer folgt, dass die Zuordnungsentscheidung schon bei Anschaffung oder Herstellung des Gegenstands zu treffen ist. Gleichwohl kann die Zuordnungsentscheidung spätestens und mit endgültiger Wirkung in einer “zeitnah” erstellten Umsatzsteuererklärung für das Jahr, in das der Leistungsbezug fällt, nach außen dokumentiert werden. Eine “zeitnahe” Dokumentation der Zuordnungsentscheidung liegt dabei nur dann vor, wenn diese bis zur gesetzlichen Abgabefrist für Steuererklärungen dem Finanzamt gegenüber abgegeben wurde.

Zwar hat der EuGH entschieden, dass das Grundprinzip der Mehrwertsteuerneutralität verlangt, dass der Vorsteuerabzug gewährt wird, wenn die materiellen Anforderungen erfüllt sind, selbst wenn der Steuerpflichtige bestimmten formellen Bedingungen –im Falle des EuGH-Urteils Senatex bestimmten Rechnungsanforderungen– nicht genügt hat.
Die Folgen eines Verstoßes gegen formelle Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs sind aber im Streitfall nicht entscheidungserheblich. Denn die Zuordnungsentscheidung ist keine formelle, sondern materielle Voraussetzung des Vorsteuerabzugs. Bei richtlinienkonformer Auslegung wird für das Unternehmen i.S. des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG eine Leistung daher nur bezogen, wenn sie zur (beabsichtigten) Verwendung für Zwecke einer nachhaltigen und gegen Entgelt ausgeübten Tätigkeit bezogen wird, die im Übrigen steuerpflichtig sein muss, damit der Vorsteuerabzug nicht nach § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG ausgeschlossen ist.

Dass die materielle Voraussetzung “Zuordnungsentscheidung im Zeitpunkt des Leistungsbezugs” nach außen dokumentiert werden muss, liegt in ihrer Eigenschaft als innere Tatsache begründet. Das Erfordernis einer zeitnahen Dokumentation macht die Zuordnungsentscheidung deshalb nicht zu einer formellen Voraussetzung des Vorsteuerabzugs.

Anforderungen an zum Vorsteuerabzug berechtigende Anschrift des Leistungsempfängers

Dem EuGH werden folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Enthält eine zur Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug nach Art. 168 Buchst. a i.V.m. Art. 178 Buchst. a MwStSystRL erforderliche Rechnung die “vollständige Anschrift” i.S. von Art. 226 Nr. 5 MwStSystRL, wenn der leistende Unternehmer in der von ihm über die Leistung ausgestellten Rechnung eine Anschrift angibt, unter der er zwar postalisch zu erreichen ist, wo er jedoch keine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt?

Steht Art. 168 Buchst. a i.V.m. Art. 178 Buchst. a MwStSystRL unter Beachtung des Effektivitätsgebots einer nationalen Praxis entgegen, die einen guten Glauben des Leistungsempfängers an die Erfüllung der Vorsteuerabzugsvoraussetzungen nur außerhalb des Steuerfestsetzungsverfahrens im Rahmen eines gesonderten Billigkeitsverfahrens berücksichtigt? Ist Art. 168 Buchst. a i.V.m. Art. 178 Buchst. a MwStSystRL insoweit berufbar?

BUNDESFINANZHOF Beschluss (EuGH-Vorlage) vom 6.4.2016, XI R 20/14

Begründung:

In der Sache geht es um die Frage, ob die von einem Unternehmer geltend gemachten Vorsteuerbeträge aus Rechnungen auch dann abziehbar sind, wenn es sich unter der in den Rechnungen angegebenen Anschrift des Lieferers lediglich um einen “Briefkastensitz” gehandelt hat, oder ob nur die Angabe derjenigen Anschrift des leistenden Unternehmers zum Vorsteuerabzug berechtigt, unter der der leistende Unternehmer seine wirtschaftlichen Aktivitäten entfaltet.

Im Fall des V. Senats erwarb der Kläger, ein KFZ-Händler, von Z, der seinerseits Fahrzeuge im Online-handel vertrieb, PKWs. In den Rechnungen des Z war eine Anschrift angegeben, an der Z zwar Räumlichkeiten angemietet hatte, die aber nicht geeignet waren, um dort geschäftliche Aktivitäten zu entfalten.

Beide Senate sehen als klärungsbedürftig an, ob eine zum Vorsteuerabzug erforderliche Rechnung die “vollständige Anschrift” bereits dann enthält, wenn der leistende Unternehmer in der von ihm über die Leistung ausgestellten Rechnung eine Anschrift angibt, unter der er zwar postalisch zu erreichen ist, oder ob der Vorsteuerabzug die Angabe einer Anschrift des Steuerpflichtigen voraussetzt, unter der er seine wirtschaftlichen Tätigkeiten entfaltet.

Die Vorlagen sind erforderlich geworden, weil das Urteil des EuGH vom 22. Oktober 2015 C-277/14 (PPUH Stehcemp, EU:C:2015:719, UR 2015, 917) möglicherweise den Schluss zulässt, dass es für den Vorsteuerabzug nicht auf das Vorliegen aller formellen Rechnungsvoraussetzungen ankommt oder zumindest die vollständige Anschrift des Steuerpflichtigen keine Anschrift voraussetzt, unter der wirtschaftliche Tätigkeiten entfaltet wurden. Der V. Senat hat Zweifel, ob seine bisherige ständige Rechtsprechung, nach der die formellen Rechnungsvoraussetzungen die Angabe der zutreffenden Anschrift des leistenden Unternehmers voraussetzt, unter der er seine wirtschaftlichen Aktivitäten entfaltet, mit dieser Rechtsprechung des EuGH in Einklang steht. Nach Ansicht des XI. Senats des BFH ist nach der Entscheidung des EuGH im Hinblick auf das Vorsteuerabzugsrecht des Leistungsempfängers möglicherweise nicht entscheidend, ob unter der in der Rechnung angegebenen Adresse i.S. von Art. 226 Nr. 5 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem eine wirtschaftliche Tätigkeit des Leistenden ausgeübt wird.

Fehlen formelle Rechnungsvoraussetzungen, kann nach der Rechtsprechung des BFH der Vorsteuerabzug unter bestimmten Voraussetzungen in einem gesonderten Billigkeitsverfahren aus Vertrauensschutzgesichtspunkten gewährt werden. Beide Senate haben den EuGH in ihren Vorabentscheidungsersuchen insoweit um Klärung der Voraussetzungen für effektiven Vertrauensschutz gebeten.

EuGH-Vorlage zu den Anforderungen an eine zum Vorsteuerabzug berechtigende Rechnung,

Dem EuGH werden folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Setzt Art. 226 Nr. 5 MwStSystRL die Angabe einer Anschrift des Steuerpflichtigen voraus, unter der er seine wirtschaftlichen Tätigkeiten entfaltet?

Für den Fall, dass Frage 1. zu verneinen ist:

a) Reicht für die Angabe der Anschrift nach Art. 226 Nr. 5 MwStSystRL eine Briefkastenadresse?

b) Welche Anschrift ist von einem Steuerpflichtigen, der ein Unternehmen (z.B. des Internethandels) betreibt, das über kein Geschäftslokal verfügt, in der Rechnung anzugeben?

Ist für den Fall, dass die formellen Rechnungsanforderungen des Art. 226 MwStSystRL nicht erfüllt sind, der Vorsteuerabzug bereits immer dann zu gewähren, wenn keine Steuerhinterziehung vorliegt oder der Steuerpflichtige die Einbeziehung in einen Betrug weder kannte noch kennen konnte oder setzt der Vertrauensschutzgrundsatz in diesem Fall voraus, dass der Steuerpflichtige alles getan hat, was von ihm zumutbarer Weise verlangt werden kann, um die Richtigkeit der Rechnungsangaben zu überprüfen?

BUNDESFINANZHOF Beschluss (EuGH-Vorlage) vom 6.4.2016, V R 25/15

 Begründung:

Die beiden Umsatzsteuersenate des Bundesfinanzhofs (BFH) haben mit zwei am selben Tag getroffenen Vorabentscheidungsersuchen den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) um die Klärung der Anforderungen gebeten, die im Umsatzsteuerrecht an eine ordnungsgemäße Rechnung zu stellen sind, damit der Leistungsempfänger zum Vorsteuerabzug berechtigt ist.

In der Sache geht es um die Frage, ob die von einem Unternehmer geltend gemachten Vorsteuerbeträge aus Rechnungen auch dann abziehbar sind, wenn es sich unter der in den Rechnungen angegebenen Anschrift des Lieferers lediglich um einen “Briefkastensitz” gehandelt hat, oder ob nur die Angabe derjenigen Anschrift des leistenden Unternehmers zum Vorsteuerabzug berechtigt, unter der der leistende Unternehmer seine wirtschaftlichen Aktivitäten entfaltet.

Soweit der XI. Senat in seinem Verfahren den EuGH anruft, ging es um einen KFZ-Händler, der von D Fahrzeuge erwarb. Unter der von D in ihren Rechnungen angegebenen Anschrift befand sich zwar ihr statuarischer Sitz; es handelte sich hierbei jedoch um einen “Briefkastensitz”, unter der D lediglich postalisch erreichbar war und wo keine geschäftlichen Aktivitäten stattgefunden haben.

Beide Senate sehen als klärungsbedürftig an, ob eine zum Vorsteuerabzug erforderliche Rechnung die “vollständige Anschrift” bereits dann enthält, wenn der leistende Unternehmer in der von ihm über die Leistung ausgestellten Rechnung eine Anschrift angibt, unter der er zwar postalisch zu erreichen ist, oder ob der Vorsteuerabzug die Angabe einer Anschrift des Steuerpflichtigen voraussetzt, unter der er seine wirtschaftlichen Tätigkeiten entfaltet.

Die Vorlagen sind erforderlich geworden, weil das Urteil des EuGH vom 22. Oktober 2015 C-277/14 (PPUH Stehcemp, EU:C:2015:719, UR 2015, 917) möglicherweise den Schluss zulässt, dass es für den Vorsteuerabzug nicht auf das Vorliegen aller formellen Rechnungsvoraussetzungen ankommt oder zumindest die vollständige Anschrift des Steuerpflichtigen keine Anschrift voraussetzt, unter der wirtschaftliche Tätigkeiten entfaltet wurden. Der V. Senat hat Zweifel, ob seine bisherige ständige Rechtsprechung, nach der die formellen Rechnungsvoraussetzungen die Angabe der zutreffenden Anschrift des leistenden Unternehmers voraussetzt, unter der er seine wirtschaftlichen Aktivitäten entfaltet, mit dieser Rechtsprechung des EuGH in Einklang steht. Nach Ansicht des XI. Senats des BFH ist nach der Entscheidung des EuGH im Hinblick auf das Vorsteuerabzugsrecht des Leistungsempfängers möglicherweise nicht entscheidend, ob unter der in der Rechnung angegebenen Adresse i.S. von Art. 226 Nr. 5 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem eine wirtschaftliche Tätigkeit des Leistenden ausgeübt wird.

 

Fehlen formelle Rechnungsvoraussetzungen, kann nach der Rechtsprechung des BFH der Vorsteuerabzug unter bestimmten Voraussetzungen in einem gesonderten Billigkeitsverfahren aus Vertrauensschutzgesichtspunkten gewährt werden. Beide Senate haben den EuGH in ihren Vorabentscheidungsersuchen insoweit um Klärung der Voraussetzungen für effektiven Vertrauensschutz gebeten.

Vorsteuerabzug einer geschäftsleitenden Holding

Einer geschäftsleitenden Holding, die an der Verwaltung einer Tochtergesellschaft teilnimmt und insoweit eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, steht für Vorsteuerbeträge, die im Zusammenhang mit dem Erwerb von Beteiligungen an dieser Tochtergesellschaft stehen, grundsätzlich der volle Vorsteuerabzug zu.

  • 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG kann in einer mit Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG zu vereinbarenden Weise richtlinienkonform dahingehend ausgelegt werden, dass der Begriff “juristische Person” auch eine GmbH & Co. KG umfasst.

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 1.6.2016, XI R 17/11

Begründung:

Mit zwei Beschlüssen vom 11. Dezember 2013 hat der Bundesfinanzhof (BFH) dem Gerichtshof der Europäischen Union drei Fragen zum Vorsteuerabzug einer sog. Führungsholding und zur Organschaft vorgelegt.

Bei einer Führungsholding handelt es sich um eine Gesellschaft, die über das Halten von Beteiligungen an Tochtergesellschaften hinaus auch aktiv in das laufende Tagesgeschäft dieser Tochtergesellschaften eingreift. In den Streitfällen erbrachten die Führungsholdings an ihre Tochter-Personengesellschaften entgeltliche administrative und kaufmännische Dienstleistungen. Zur Finanzierung ihrer Geschäftstätigkeit und des Erwerbs der Anteile an den Tochtergesellschaften bezogen die Holdings ihrerseits Dienstleistungen von anderen Unternehmen (wie z.B. die Erstellung eines Ausgabeprospekts und Rechtsberatungsleistungen). Die Holdings begehrten für diese mit Umsatzsteuer belasteten Dienstleistungen den vollen Vorsteuerabzug. Weil das reine Halten von Anteilen an Tochtergesellschaften nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt, war das Finanzamt dagegen der Auffassung, dass der Vorsteuerabzug nur anteilig gewährt werden kann. Unklar ist jedoch, nach welchen unionsrechtlichen Kriterien eine solche Aufteilung vorzunehmen ist. Dies soll mit der ersten Vorlagefrage geklärt werden.

Die zweite Vorlagefrage bezieht sich auf die Regelungen zur sog. Organschaft. Bei einer Organschaft ist eine Organgesellschaft in das Unternehmen eines Organträgers eingegliedert. In den Streitfällen begehren die Holdings jeweils hilfsweise eine solche Eingliederung der Tochter-Personengesellschaften in ihr Unternehmen anzunehmen, um die Vorsteuerbeträge in voller Höhe abziehen zu können. Nach nationalem Recht ist dies jedoch nicht möglich, da nur juristische Personen Organgesellschaften sein können.

In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob der unionsrechtliche Grundsatz der Neutralität zur Folge hat, dass entgegen der nationalen Regelung auch Personengesellschaften Organgesellschaften sein können.

 

Für den Fall eines etwaigen Verstoßes gegen das Unionsrecht möchte der vorlegende XI. Senat des BFH mit der dritten Vorlagefrage wissen, ob sich die Holdings unmittelbar auf das für sie günstigere Unionsrecht berufen können.

Vorsteuerabzug aus Dauerschuldverhältnissen

Bei Dauerschuldverhältnissen erfüllt ein Vertrag nur dann die Funktion einer Rechnung, wenn in dem Vertrag die Umsatzsteuer offen ausgewiesen ist und zudem ergänzende Zahlungsbelege vorgelegt werden, aus denen sich die Abrechnung für einen bestimmten Zeitraum ergibt.

Die Rechtsfrage, wer bei einer Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA) die Feststellungslast für die den Vorsteuerabzug begründenden Tatsachen trägt, ist nicht von grundsätzlicher Bedeutung.

BFH Beschluss vom 03.02.2016 – V B 35/15 BFH/NV 2016, 794

Begründung:

Die Beschwerde ist unbegründet. Im Ergebnis hat das Finanzgericht (FG) das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO) nicht dadurch verletzt, dass es davon ausgegangen ist, der Vorsteuerabzug für das Streitjahr 2009 aus der Tätigkeitsvergütung des Komplementärs sei mangels Vorlage weiterer Rechnungen zu versagen, ohne sich mit dem Einwand der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) auseinanderzusetzen, dass es bei Dauerleistungen keiner Vorlage weiterer Rechnungen bedürfe.

Dies ist zwar zutreffend. Doch ist die Vorentscheidung wegen eines Verfahrensfehlers nicht aufzuheben, wenn kein anderes Ergebnis in Betracht kommt. Dies ist der Fall; denn die Versagung des Vorsteuerabzugs ist im Ergebnis zutreffend, weil auch bei einem Vertrag über ein Dauerschuldverhältnis, in dem der monatliche Entgeltbetrag unter Angabe eines Umsatzsteuerbetrags vereinbart wird, erforderlich ist, dass ergänzende Zahlungsbelege vorgelegt werden, aus denen sich eine Abrechnung für einen bestimmten Zeitraum ergibt Nur dann werden Vertrag und Zahlungsbeleg der Funktion einer Rechnung gerecht.

Im Übrigen scheitert ein Vorsteuerabzug nicht nur an der Vorlage ergänzender Zahlungsbelege, sondern auch an einem ausreichenden Ausweis der Umsatzsteuer im Dauerleistungsvertrag vom 24. September 2007. Danach soll neben dem Nettogehalt die „jeweils gültige gesetzliche Umsatzsteuer” geschuldet werden, was nicht für die erforderliche Ausweisung des auf das Entgelt entfallenden „konkreten” Steuerbetrags genügt (§ 14 Abs. 4 Nr. 8 des Umsatzsteuergesetzes).

Das FG hat den Vorsteuerabzug aus den geltend gemachten Rechts- und Beratungskosten trotz der vorgelegten Beratungsrechnungen versagt, weil die Klägerin keinen Zusammenhang dieser Kosten mit einer wirtschaftlichen Tätigkeit substantiiert dargelegt habe. Denn die Klägerin trage die Feststellungslast für den begehrten Vorsteuerabzug. Es sei aber zweifelhaft, ob sie die behinderten Menschen nicht für ein ernsthaft betriebenes wirtschaftliches Projekt, sondern allein deshalb angestellt habe, um einen Teil der für die Arbeitnehmer erschlichenen Fördergelder für sich abzuzweigen. Dies folgert das FG aus der Verurteilung des Geschäftsführers der Klägerin zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe wegen Betruges, der darin bestehe, „Fördermittel von 106.500 EUR erschlichen” zu haben (FG-Urteil S. 11). An Feststellungen des Strafgerichtes darüber, ob es sich nur um eine Scheinaktivität handele, fehle es allerdings, weil es das Verfahren nach § 154 der Strafprozessordnung (StPO) aus prozessökonomischen Gründen eingestellt habe (FG-Urteil S. 5).

Zwar verstößt die Feststellung über die Erschleichung von Fördermitteln gegen den klaren Inhalt der Akten, weil das Landgericht den Geschäftsführer der Klägerin nicht wegen Betrugs zu Lasten der Bundesrepublik Deutschland wegen Erschleichung von Fördermitteln, sondern wegen Betruges zu Lasten der eingestellten behinderten Arbeitnehmer verurteilt hat, weil der Geschäftsführer die Arbeitnehmer zu einem teilweisen Barlohnverzicht gegen zusätzliche Überlassung von Bezugsrechten der GmbH und Co. KGaA überredete, die aber wirtschaftlich wertlos waren.

Gleichwohl kann ausgeschlossen werden, dass das FG ohne diesen Irrtum über die Person des Geschädigten zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre, weil es die Versagung des Vorsteuerabzugs aus Zweifeln über die wirtschaftliche Tätigkeit der Klägerin hergeleitet hat und diese zu Recht auch aus dem Urteil des Strafgerichtes herleitet, in dem es zur Einstellung des Strafverfahrens wegen Umsatzsteuerhinterziehung heißt:

„Nach wie vor besteht der Verdacht, dass es sich bei diesem Projekt um bloße Scheinaktivitäten handelt, mittels derer sich der Angeklagte in betrügerischer Absicht Fördermittel aus öffentlicher Hand erschleichen wollte. Die Kammer ist diesem Verdacht nicht weiter nachgegangen, weil insofern das Verfahren nach Maßgabe des § 154 StPO eingestellt wurde.”

Vorsteuerabzug für privat genutzten Gebäudeteil (“Seeling” Altfall)

Wird ein von einer GmbH bebautes Grundstück teilweise dem Geschäftsführer zu Wohnzwecken überlassen, so scheidet ein Vorsteuerabzug für den Wohnteil gemäß § 15 Abs. 2 UStG aus, wenn dieser steuerfrei vermietet wurde.

Das Recht zur Nutzung zu Wohnzwecken aufgrund des Arbeitsvertrags des Geschäftsführers kann Teilentgelt für seine Arbeitsleistung darstellen.

BFH Urteil vom 18.2.2016, V R 23/15

Begründung:

Das FG hat zu Recht entschieden, dass die Klägerin die auf die Herstellungskosten des privat genutzten Wohnteils entfallende Umsatzsteuer nicht als Vorsteuer abziehen kann. Die Einordnung der Überlassung des Wohnteils an den Geschäftsführer als steuerfreie Vermietung ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG in der im Streitjahr geltenden Fassung kann der Unternehmer die in Rechnungen i.S. des § 14 UStG gesondert ausgewiesene Steuer für Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuer abziehen. Ausgeschlossen ist der Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG für Leistungen, die der Unternehmer für steuerfreie Umsätze verwendet.

Ausgehend davon ist die Klägerin im Streitjahr nur dann zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt, wenn sie das Gebäude insgesamt für steuerpflichtige Ausgangsumsätze zu verwenden beabsichtigt. Das ist indes nicht der Fall: Die Klägerin erbringt steuerbefreite Vermietungsleistungen, indem sie dem Geschäftsführer einen Teil des Gebäudes entgeltlich zur Nutzung (Vermietungsleistung) überlässt. Nach der EuGH-Rechtsprechung ist die private Nutzung eines Gebäudes durch den Unternehmer keine (steuerfreie) Vermietung i.S. des Art. 13 Teil B Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG, weil es u.a. an einer Mietzahlung fehlt (EuGH-Urteil Seeling vom 8. Mai 2003 C-269/00, EU:C:2003:254, BStBl II 2004, 378, Rz 51 f.). Demgegenüber kann eine juristische Person (Unternehmerin) –anders als eine natürliche Person, die keine Verträge mit sich schließen kann– einen ihr gehörenden Gegenstand (z.B. Gebäude) einem ihrer Gesellschafter oder einem Vertretungsorgan auf vertraglicher Grundlage entgeltlich oder unentgeltlich überlassen.

Voraussetzung ist, dass zwischen der Leistung (z.B. Nutzungsüberlassung) und der Gegenleistung (z.B. Vergütungsleistung in Form einer Arbeitsleistung) ein unmittelbarer Zusammenhang besteht. Ein solcher Zusammenhang besteht regelmäßig, wenn die unternehmerisch tätige juristische Person mit ihrem Vertretungsorgan einen Mietvertrag geschlossen oder die Nutzungsüberlassung im Rahmen eines Anstellungsvertrags vereinbart haben.

Nachdem im Streitfall eine steuerfreie Vermietung der Klägerin an den Geschäftsführer vorliegt, sind die auf die Herstellung des Gebäudes entfallenden Vorsteuerbeträge nur insoweit abziehbar, soweit sie mit steuerpflichtigen Ausgangsumsätzen in Zusammenhang stehen (§ 15 Abs. 4 Satz 1 UStG). Der auf die private Gebäudenutzung (55,1 %) entfallende anteilige nichtabziehbare Vorsteuerbetrag ist zwischen den Beteiligten unstreitig.

Vorsteuerabzug einer geschäftsleitenden Holding

Einer geschäftsleitenden Holding, die an der Verwaltung einer Tochtergesellschaft teilnimmt und insoweit eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, steht für Vorsteuerbeträge, die im Zusammenhang mit dem Erwerb von Beteiligungen an dieser Tochtergesellschaft stehen, grundsätzlich der volle Vorsteuerabzug zu.

Steuerfreie Einlagen bei Kreditinstituten, die zur Haupttätigkeit des Unternehmers gehören, sind keine “Hilfsumsätze” i.S. des § 43 Nr. 3 UStDV.

§ 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG kann in einer mit Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG zu vereinbarenden Weise richtlinienkonform dahingehend ausgelegt werden, dass der Begriff “juristische Person” auch eine GmbH & Co. KG umfasst.

BFH Urteil vom 19.1.2016, XI R 38/12

Begründung:

Der XI. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) hat mit Urteil vom 19. Januar 2016 XI R 38/12 mehrere Rechtsfragen zum Vorsteuerabzug einer Führungsholding (geschäftsleitenden Holding) und zur umsatzsteuerrechtlichen Organschaft geklärt.

 I. Vorsteuerabzug einer Führungsholding

 Im Streitfall erbrachte die Klägerin, eine Holding, an ihre Tochter-Personengesellschaften in der Rechtsform der GmbH & Co. KG entgeltliche administrative und kaufmännische Dienstleistungen. Daneben legte sie u.a. Kapital verzinslich bei einer Bank an. Zur Finanzierung ihrer Geschäftstätigkeit und des Erwerbs der Anteile an den Tochtergesellschaften bezog die Klägerin ihrerseits Dienstleistungen von anderen Unternehmen (wie z.B. die Erstellung eines Ausgabeprospekts und Rechtsberatungsleistungen).

 Die Klägerin begehrte für die auf die Dienstleistungen entfallende Umsatzsteuer den vollen Vorsteuerabzug.

 Der BFH hat im Anschluss an das EuGH-Urteil vom 16. Juli 2015 C-108/14 und C-109/14, Larentia + Minerva und Marenave Schiffahrt (EU:C:2015:496) entschieden, dass der Klägerin für Vorsteuerbeträge, die im Zusammenhang mit dem Erwerb von Beteiligungen an dieser Tochtergesellschaft stehen, grundsätzlich der volle Vorsteuerabzug zusteht. Allerdings ist die verzinsliche Anlage eines Teils des eingeworbenen Kapitals bei einer Bank ein umsatzsteuerfreier Umsatz, so dass die mit der Kapitalanlage in Zusammenhang stehende Vorsteuer (anteilig) nicht abziehbar ist. Auf die erforderliche Vorsteueraufteilung kann auch nicht aufgrund der Vereinfachungsregelung des § 43 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung verzichtet werden, weil die verzinsliche Anlage von Kapital zur Haupttätigkeit der Klägerin gehört. Der BFH hat die Sache deshalb an das Finanzgericht (FG) Hamburg zurückverwiesen.

II. Umsatzsteuerrechtliche Organschaft

 Ein zweiter Schwerpunkt der Entscheidung ist die Frage, ob eine GmbH & Co. KG im Rahmen einer umsatzsteuerrechtlichen Organschaft Organgesellschaft sein kann.

 Besteht eine Organschaft, sind die im Inland gelegenen Unternehmensteile des Organträgers und seiner Organgesellschaften als ein Unternehmen zu behandeln und der Organträger wird Steuerschuldner für alle Leistungen, die der Organkreises gegenüber Dritten erbringt. Liegt eine Organschaft vor, wirkt sich dies deshalb auf die Höhe der gegenüber dem Organträger festzusetzenden Umsatzsteuer aus.

Voraussetzung hierfür ist nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG, dass eine juristische Person nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert ist, was nach bisherigen deutschem Verständnis ein Verhältnis der Unterordnung der Organgesellschaft unter den Organträger voraussetzt.

Der BFH ist im Anschluss an das EuGH-Urteil vom 16. Juli 2015 C-108/14 und C-109/14, Larentia + Minerva und Marenave Schiffahrt (EU:C:2015:496) zu dem Ergebnis gelangt, dass § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG jedenfalls insoweit unionsrechtswidrig ist, als die Vorschrift vorsieht, dass eine GmbH & Co. KG allein aufgrund ihrer Rechtsform nicht Organgesellschaft sein kann. Dieser Ausschluss ist weder zur Verhinderung missbräuchlicher Praktiken oder Verhaltensweisen noch zur Vermeidung von Steuerhinterziehung oder umgehung erforderlich und angemessen. Weiter hat der BFH entschieden, dass § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG richtlinienkonform dahingehend ausgelegt werden kann, dass der Begriff “juristische Person” auch eine GmbH & Co. KG umfasst. Er knüpft dabei an Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts an, die dieselbe Auslegung in anderem Zusammenhang bereits ebenfalls vorgenommen haben.

Ob das weitere Erfordernis des § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG, dass die Organgesellschaft nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert sein muss, mit Unionsrecht vereinbar ist, ließ der XI. Senat des BFH aufgrund fehlender tatsächlicher Feststellungen des FG offen. Der V. Senat des BFH hat dazu mit Urteil vom 2. Dezember 2015 V R 15/14 die Auffassung vertreten, es sei weiter daran festzuhalten, dass der Organträger über die Mehrheit der Stimmrechte bei der Organgesellschaft verfügen muss und dass zudem im Regelfall eine personelle Verflechtung über die Geschäftsführung der Organgesellschaft bestehen muss (vgl. Pressemitteilung Nr. 4/2016 vom 27. Januar 2016).

Einfuhrumsatzsteuer und Vorsteuerabzug

Der Betreiber eines Zolllagers ist nicht zum Abzug der Einfuhrumsatzsteuer als Vorsteuer berechtigt.

BFH Urteil vom 11.11.2015, V R 68/14

Begründung:

Nach ständiger Rechtsprechung des BFH setzt der Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG voraus, dass dem Unternehmer die Verfügungsmacht an dem eingeführten Gegenstand zusteht. Daran fehlt es z.B., wenn ein ausländischer Unternehmer einem inländischen Unternehmer einen Gegenstand zur Nutzung überlässt, ohne ihm die Verfügungsmacht an dem Gegenstand zu verschaffen. Hieran hat sich durch die in 2004 in Kraft getretene Neuregelung nichts geändert. Sowohl nach alter als auch nach neuer Rechtslage kommt es auf eine Einfuhr für das Unternehmen des Abzugsberechtigten an.