Feststellung des Werts eines bereits von der Erblasserin gekündigten Kommanditanteils aus Billigkeitsgründen

Es gibt aus Billigkeitsgründen keinen abweichenden niedrigeren Buchwert einer KG Beteiligung trotz vorliegender Kündigung im Zeitpunkt des Erbfalls.

FG Münster Urteil vpm 19.03.2015, 3 K 735/14 F

Sachverhalt:

Am 29.03.2008 verstarb Frau J K  (Erblasserin). Sie wurde testamentarisch von der Klägerin und ihrem Bruder, Herrn I K als Miterben zu je 1/2 beerbt. Zum Nachlass gehörte eine Kommanditbeteiligung an der F & Co. KG (fortan: KG). Diese hatte die Erblasserin am 12.12.2006 mit gesellschaftsvertraglicher Wirkung zum Ablauf des 31.12.2008 gekündigt. Nach § 17 Abs. 2 des Gesellschaftsvertrages traten die Klägerin und ihr Bruder als Erben in die Gesellschafterstellung der Erblasserin ein.

Am 09.06.2008 erklärten beide Erben gegenüber der KG, dass sie die geerbte Beteiligung nicht fortsetzen wollten. Die Kündigung möge bereits zum Todestag wirksam werden. Dem stimmte die KG mit Schreiben vom 16.09.2008 zu und teilte den Erben Einzelheiten zur Höhe der Abfindung und zu den Auszahlungsmodalitäten mit.

Begründung:

Der angefochtene Ablehnungsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 101 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die begehrte abweichende Wertfestsetzung aus Billigkeitsgründen.

Nach § 163 AO können Steuern niedriger festgesetzt werden und einzelne Besteuerungsgrundlagen bei der Festsetzung der Steuern unberücksichtigt bleiben, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre.

Sachlich unbillig ist die Festsetzung einer Steuer, wenn sie zwar äußerlich dem Gesetz entspricht, aber den Wertungen des Gesetzgebers im konkreten Fall derart zuwiderläuft, dass die Erhebung der Steuer als unbillig erscheint. So verhält es sich, wenn nach dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers angenommen werden kann, dass der Gesetzgeber die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage, wenn er sie als regelungsbedürftig erkannt hätte, im Sinne der beabsichtigten Billigkeitsmaßnahme entschieden hätte. Eine für den Steuerpflichtigen ungünstige Rechtsfolge, die der Gesetzgeber bewusst angeordnet oder in Kauf genommen hat, rechtfertigt dagegen keine Billigkeitsmaßnahme.

Die Entscheidung über die abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen ist eine Ermessensentscheidung der Finanzverwaltung i. S. d. § 5 AO, die gemäß § 102 FGO nur eingeschränkter gerichtlicher Nachprüfung unterliegt. Stellt das Gericht eine Ermessensüberschreitung oder einen Ermessensfehler fest, ist es grundsätzlich auf die Aufhebung der angefochtenen Verwaltungsentscheidung beschränkt. Nur wenn der Ermessensspielraum im konkreten Fall derart eingeengt ist, dass nur eine Entscheidung als ermessensgerecht in Betracht kommt (sog. Ermessensreduzierung auf Null), ist es befugt, seine Entscheidung an die Stelle der Ermessensentscheidung der Verwaltungsbehörde zu setzen und eine Verpflichtung zum Erlass auszusprechen.

Der Zweck des § 163 AO liegt darin, sachlichen und persönlichen Besonderheiten des Einzelfalles, die der Gesetzgeber in der Besteuerungsnorm nicht berücksichtigt hat, durch eine nicht den Steuerbescheid selbst ändernde Korrektur des Steuerbetrags insoweit Rechnung zu tragen, als sie die steuerliche Belastung als unbillig erscheinen lassen (ständige Rechtsprechung; vgl. zum Ganzen BFH, Urteile 22. 10.2014 II R 4/14, BFH/NV 2015, 116; vom 17.04.2013 II R 13/11, BFH/NV 2013, 1383; vom 20.09.2012 IV R 29/10, BStBl. II 2013, 505; vom 04.02.2010 II R 25/08, BStBl. II 2010, 663; Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 227 AO Rz. 40; jeweils m. w. N.).

Das zum Stichtag anzuwendende BewG 1991 war mit dem Grundgesetz unvereinbar, aber bis zu einer Neuregelung weiter anzuwenden (BVerfG, Beschluss vom 07.11.2006 2 BvL 10/02, BVerfGE 117, 1, BGBl I 2007, 194, BStBl II 2007, 192). Ein Anspruch auf Billigkeitserlass kann daraus nicht hergeleitet werden. Im Übrigen bestehen gegen die hier maßgeblichen Bestimmungen des § 97 Abs. 1 Nr. 5 und Abs. 1a BewG 1991 zur Bewertung eines Kommanditanteils der Erblasserin keine allgemeinen verfassungsrechtlich oder einfach gesetzlich begründeten Bedenken.

Zur Wahrung der Grundrechte kann aber bei generalisierenden und typisierenden Steuertatbeständen ein Billigkeitserlass wegen sachlicher Härte geboten sein, wenn die Regelungen nur deshalb einer verfassungsrechtlichen Prüfung standhalten, weil im Einzelfall oder in Gruppen von Einzelfällen die Möglichkeit besteht, auftretenden Härten durch Billigkeitsmaßnahmen Rechnung zu tragen.

Zu den rechtsstaatlichen Grundsätzen, die von den Behörden und Gerichten gemäß Art. 20 Abs. 3 GG zu beachten sind, gehört u. a. auch das Gebot der Verhältnismäßigkeit (sog. Übermaßverbot). Bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht und der Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Gründe muss die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt bleiben. Darüber kann nur anhand der Eingriffsintensität in Gestalt der Steuerhöhe befunden werden. Die Steuer darf nicht erdrosselnd wirken. Anderenfalls verletzt sie bei Steuergesetzen, die am Grundgesetz zu messen sind, die Eigentums- und Erbrechtsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG sowie den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als tragendes Element des Rechtsstaatsprinzips (vgl. BFH-Urteil vom 30. Mai 2001 II R 4/99, BStBl II 2001, 606).

Das Verfassungsrecht kann unter diesem Gesichtspunkt im Rahmen des § 163 AO den Erlass wegen sachlicher Unbilligkeit beeinflussen. Als Generalklausel ist § 163 AO einer solchen Wertausfüllung zugänglich. Diese Wertausfüllung muss sich stets auf einen atypischen Fall beschränken. Zur Wahrung der Grundrechte kann bei generalisierenden und typisierenden Steuertatbeständen ein Billigkeitserlass wegen sachlicher Härte geboten sein. In diesen Einzelfällen muss kraft Verfassungsrechts auf dem Wege eines Billigkeitserlasses die verfassungswidrige Übermaßbesteuerung korrigiert werden (FG Köln, Urteil vom 05.02.2009 9 K 3686/07, EFG 2009, 1523 m. w. N.; vgl. auch FG Düsseldorf, Urteil vom 10.03.2010 4 K 3000/09 Erb, EFG 2010, 847, mit Anm. Loose, EFG 2010, 848).

Ausgehend von diesen Grundsätzen hat der Beklagte ermessensfehlerfrei entschieden, dass der Wert am Anteil des Betriebsvermögens der Erblasserin zum Stichtag nicht wegen sachlicher Unbilligkeit niedriger festzusetzen ist. Der Senat kann weder einen Gesetzesüberhang noch ein verfassungswidriges Übermaß im Einzelfall feststellen.Der Senat weist darauf hin – auch wenn es nicht Gegenstand des Billigkeitsverfahrens ist –, dass die Anteilsbewertung dem zum Todestag der Erblasserin geltenden Recht entspricht, nämlich den §§ 95 – 99, 103 f., 109 Abs. 1 und 2 sowie § 137 BewG.

Dass es sich bei dem Bewertungsgegenstand um einen schon von der Erblasserin mit Wirkung zum 31.12.2008 gekündigten Gesellschaftsanteil handelt, ist unerheblich. Der Wortlaut der genannten Normen sowie der § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 12 Abs. 5 ErbStG in der Fassung vor dem 01.01.2009 gibt hierfür nichts her. § 12 Abs. 1 ErbStG ist wegen des Abs. 5 Satz 1 der Norm nicht anwendbar. Gerade das in §§ 11, 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG verankerte Stichtagsprinzip ist ein tragender Grundsatz des ErbStG. Er schließt den Rückbezug nachfolgender Ereignisse auf den Stichtag aus (BFH, Urteil vom 18.10.2000 II R 46/98, BFH/NV 2001, 420; Beschluss vom 22.09.1999 II B 130/97, BFH/NV 2000, 320). Es darf – von wenigen normierten, hier nicht gegebenen Sonderfällen abgesehen (vgl. dazu auch BFH in BFH/NV 2015, 116, Rz. 23) – allein die Sach- und Rechtslage zum Todestag betrachtet werden. § 5 BewG wird von § 98a BewG verdrängt.

10 Abs. 10 ErbStG ist erst mit Wirkung zum 01.01.2009 in Kraft getreten (Art. 6 Abs. 1 ErbStRG). Ohnehin erfasst diese Norm den vorliegenden Fall nicht, da der Gesellschaftsvertrag der Beigeladenen zu 2. eine Fortsetzungsklausel enthält. § 3 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 ErbStG sowie § 7 Abs. 7 ErbStG in der Fassung des StEntlG 1999/2000/2002 treffen ebenfalls den Streitfall nicht (vgl. nur Hübner, Erbschaftsteuerreform 2009, München 2009, Teil 3. A. 5. S. 396 ff., insbes. S. 397).

Sachliche Billigkeitsgründe gebieten die begehrte abweichende Festsetzung auf den Betrag des Abfindungsguthabens nicht.

Die gesonderte Wertfeststellung läuft im Streitfall den Wertungen des Gesetzgebers nicht zuwider. Der Beklagte hat ermessensfehlerfrei angenommen, dass der Gesetzgeber nach seinem erklärten oder mutmaßlichen Willen die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage nicht im Sinne der Klägerin geregelt hätte.

Mit der Übernahme der Steuerbilanzwerte für die unter Ziff. 2. a) der Entscheidungsgründe genannten Bewertungsvorschriften in der Fassung vor dem 01.01.2009 als Grundlage der Erbschaft- und Schenkungsteuer gem. § 12 Abs. 5 Satz 2 ErbStG wollte der Gesetzgeber mittelständische Unternehmen entlasten und zugleich eine eigene Wertermittlung für Zwecke der Erbschaft- und Schenkungsteuer entbehrlich machen. Der beabsichtigte Vereinfachungszweck schließt es aus, für einzelne Wirtschaftsgüter andere, realitätsnahe Werte anzusetzen (vgl. BT-Drucks. 12/1108, 36, 72; BFH in BFH/NV 2013, 1383 m. w. N.). Der Gesetzgeber hat also die sich aus der Verknüpfung zwischen Ertragsteuerrecht und Erbschaftsteuerrecht ergebenden Härten bzw. Friktionen – insbesondere im Interesse der Steuervereinfachung – bewusst in Kauf genommen (Urteil des erkennenden Senats vom 27.01.2011 3 K 3094/10, juris, ErbStB 2011, 162). Dies gilt auf Grund des Stichtagsprinzips selbst dann, wenn der nach den gesetzlichen Vorgaben zum Todestag ermittelte Wert sich wegen der Kündigung der Beteiligung mit Wirkung zum 31.12.2008 erheblich, nämlich auf das Abfindungsguthaben reduziert. Ein Wertverfall nach dem Stichtag rechtfertigt im  Regelfall keine Billigkeitsmaßnahme (BFH in BFH/NV 2013, 1383 m. w. N.; BFH, Beschluss vom 22.09.1999 II B 130/97, BFH/NV 2000, 320; vgl. auch FG München, Urteil vom 24.07.2002 4 K 558/02, EFG 2002, 1493 mit Anm. Fumi, EFG 2002, 1494). Der Senat sieht keinen Anlass, für diesen Streitfall von dieser Auffassung abzuweichen.

Ferner lassen nach Auffassung des Senats die Tatbestände der schon zum Stichtag geltenden § 3 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2, § 7 Abs. 7 ErbStG sowie die ab 01.01.2009 wirksame Neufassung des § 10 Abs. 10 ErbStG gerade den Willen des Gesetzgebers erkennen, nur die dort geregelten Sachverhalte abweichend zu regeln. Für sonstige gesellschaftsrechtliche Fallgestaltungen sollte es – im Umkehrschluss – bei der Regelungstypik bleiben, die der Beklagte im Streitfall auch angewendet hat. Der Senat geht davon aus, dass der Gesetzgeber auch Abfindungsklauseln wie die im Gesellschaftsvertrag der Beigeladenen zu 2. erfassen wollte, sind doch derartige Abfindungsbeschränkungen stets gebräuchlich gewesen.

Ob die Klägerin und der Beigeladene zu 1. sich nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auf eine Unwirksamkeit der Abfindungsklausel hätten berufen können (vgl. Urteile vom 07.04.2008 II ZR 181/04, DB 2008, 1485; vom 07.04.2008 II ZR 3/06, DB 2008, 1203; vom 20.09.1993 II ZR 104/92, BGHZ 123, 281; vom 24.05.1993 II ZR 36/92, GmbHR 1993, 505; vom 29.01.1962 II ZR 172/60, juris, BB 1962, 465; jeweils m. w. N.) und warum sie bejahendenfalls davon abgesehen haben, ist für das vorliegende Verfahren im Hinblick auf die eigenständig bewertungsrechtliche Berechnung des Steuerwerts für Erbschaftsteuerzwecke unerheblich.

Verfassungsgründe gebieten, wie der Beklagte ebenfalls frei von Ermessensfehlern entschieden hat, nur in extrem atypischen Fällen eine Billigkeitsmaßnahme. Hier liegen solche nicht vor. Der vom FG Köln (in EFG 2009, 1523) entschiedene Fall weist Besonderheiten auf, die ihn mit dem vorliegenden nicht vergleichbar machen, worauf der Beklagte in der Einspruchsentscheidung auch zutreffend hingewiesen hat. Vorliegend sind jedenfalls sowohl der Wert des Kommanditanteils als auch der des Abfindungsguthabens positiv. Eine erdrosselnde Wirkung der gesonderten Wertfeststellung für Zwecke der Erbschaftsteuer kann bei einer derartigen Sachlage nicht festgestellt werden. Die Ausführungen des Beklagten sind nachvollziehbar. Zu Recht weist der Beklagte auch darauf hin, dass die Zahlung der anfallenden Erbschaftsteuer aus der Abfindung möglich ist. Die Prozentrechnungen der Klägerin rechtfertigen keine Annahme von Ermessensfehlern.

Persönliche Billigkeitsgründe hat die Klägerin nicht vorgetragen. Sie sind aus den vorliegenden Akten auch nicht ersichtlich.

Ob der Senat bei Abwägung aller Umstände ebenfalls zu dem vom Beklagten vertretenen Ergebnis gelangt wäre, ist angesichts der ihm durch § 102 FGO auferlegten Grenzen der Ermessensüberprüfung nicht entscheidungsrelevant.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO, die zu den außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aus § 139 Abs. 4 FGO.

Die Revision ist aus Gründen der Rechtsfortbildung zur Wirkung von Abfindungsbeschränkungen im Bewertungsrecht und Gesellschaftsrecht auf der Ebene der Billigkeitsmaßnahme nach § 163 AO zuzulassen.