Wiedereinsetzung in den vorigen Stand durch Erkrankung des Prozessbevollmächtigten

Ein prozessbevollmächtigter steuerlicher Berater (§ 62 Abs. 2 FGO), der die Frist zur Einlegung oder Begründung eines Rechtsmittels bis zum letzten Tag ausschöpft, hat wegen der damit erfahrungsgemäß verbundenen Risiken erhöhte Sorgfalt aufzuwenden, um die Einhaltung der Frist sicherzustellen.

Zur Begründung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist eine vollständige, substantiierte und in sich schlüssige Darstellung aller entscheidungserheblichen Tatsachen erforderlich, welche die unverschuldete Säumnis belegen sollen. Dazu gehören bei einer plötzlich und unvorhergesehen eingetretenen Erkrankung des Prozessbevollmächtigten nicht nur Angaben zu Art und Schwere der krankheitsbedingten Verhinderung, sondern regelmäßig auch die Darlegung der für diesen Fall getroffenen Notfallvorsorge.

Ist nach den glaubhaft gemachten Tatsachen nicht auszuschließen, dass die Fristversäumnis verschuldet war, kann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden. Dies ist u.a. dann der Fall, wenn bei einer Erkrankung am letzten Tag der Rechtsmittelbegründungsfrist (hier: der gemäß § 116 Abs. 3 S. 1 und 4 FGO verlängerten Frist zur Begründung der NZB) keine Angaben zum Bearbeitungsstand der Begründungsschrift gemacht werden.

BFH Beschluss vom 27.07.2015 – X B 107/14 BFH/NV 2015, 1431

Sachverhalt

Die verheirateten Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) wurden in den Streitjahren 1998 bis 2001 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger erzielte im Wesentlichen Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit sowie aus der Vermietung verschiedener Objekte. Die Klägerin betrieb ein Unternehmen, aus dem sie in den Streitjahren durch Betriebsvermögensvergleich ermittelte negative gewerbliche Einkünfte erklärte. In Streit stehen diverse, von den Klägern zum Teil erst nachträglich geltend gemachte Werbungskosten bzw. Betriebsausgaben, die der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt –FA–) im Anschluss an eine steuerliche Außenprüfung aufgrund der vorgelegten Belege bzw. unter Anwendung der Fremdvergleichsgrundsätze nicht anerkannte. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist erst nach Fristablauf eingegangen.

Begründung:

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil sie nicht fristgerecht begründet worden ist und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden kann.

Die (verlängerte) Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde endete mit Ablauf des 20. Oktober 2014 (Montag), § 116 Abs. 3 Sätze 1 und 4, § 54 Abs. 2 FGO i.V.m. § 222 Abs. 1 und 2 der Zivilprozessordnung (ZPO), §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB). Die Beschwerdebegründung ging am 24. November 2014 –und damit verspätet– beim BFH ein.

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht gewährt werden. Die Kläger haben weder den ihnen obliegenden Darlegungsanforderungen Genüge getan (dazu unter II.2.a) noch die versäumte Rechtshandlung fristgerecht nachgeholt (dazu unter

Nach § 56 Abs. 1 FGO ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Dabei handelt es sich auch bei der nach § 116 Abs. 3 Satz 4 FGO verlängerten Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde um eine „gesetzliche” Frist, weil sie auf Antrag durch prozessleitende Verfügung nur auf einen verlängerten Zeitraum konkretisiert wird.

Nach § 56 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 FGO ist der Wiedereinsetzungsantrag bei Versäumung der Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen und zu begründen. Zur Begründung ist eine vollständige, substantiierte und in sich schlüssige Darstellung aller entscheidungserheblichen Tatsachen erforderlich, welche die unverschuldete Säumnis belegen sollen. Verschuldet ist die Fristversäumnis, wenn die gebotene und den Umständen nach zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen wurde. Jedes Verschulden –also auch einfache Fahrlässigkeit– schließt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus.

Die Erkrankung eines Prozessbevollmächtigten stellt nach diesen Maßstäben nur dann eine unverschuldete Verhinderung dar, wenn sie plötzlich und unvorhersehbar auftritt und so schwerwiegend ist, dass es für diesen unzumutbar ist, die Frist einzuhalten oder rechtzeitig einen Vertreter zu bestellen Ein schlüssiger Wiedereinsetzungsantrag erfordert demgemäß auch die Darlegung einer geeigneten Notfallvorsorge, die die Funktionsfähigkeit des Büros auch bei einer unvorhersehbaren Verhinderung gewährleistet. Denn eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist ausgeschlossen, wenn die Fristversäumnis auf einem,den Klägern gemäß § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden Organisationsverschulden ihres Prozessbevollmächtigte. Von der Darlegungspflicht umfasst sind außerdem diejenigen Tatsachen, aus denen sich Art und Schwere der Erkrankung des Prozessbevollmächtigten in der Weise ergeben, dass sie die Annahme erlauben, dass es aufgrund der Schwere der Erkrankung unmöglich war, einen fristwahrenden Schriftsatz rechtzeitig einzureichen. Es muss schlüssig dargetan und glaubhaft gemacht werden, dass die konkrete Erkrankung in verfahrensrelevanter Form Einfluss auf die Entschluss-, Urteils- und Handlungsfähigkeit des Beschwerdeführers bzw. seines Prozessbevollmächtigten genommen hat.

Besteht nach den glaubhaft gemachten Tatsachen zumindest die Möglichkeit, dass die Fristversäumnis im vorgenannten Sinne verschuldet war, kann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden.So liegt die Sache hier.

Nach dem Vortrag der Kläger ist nicht ausgeschlossen, dass die Fristversäumnis im Streitfall durch zureichende organisatorische Vorkehrungen ihres Prozessbevollmächtigten hätte vermieden werden können. Ein prozessbevollmächtigter steuerlicher Berater (§ 62 Abs. 2 FGO), der die Frist zur Einlegung oder Begründung eines Rechtsmittels bis zum letzten Tag ausschöpft, hat wegen des damit erfahrungsgemäß verbundenen Risikos erhöhte Sorgfalt aufzuwenden, um die Einhaltung der Frist sicherzustellen. Auf einen krankheitsbedingten Ausfall muss er sich zwar auch in diesem Fall nur dann durch konkrete Maßnahmen vorbereiten, wenn er einen solchen Ausfall realistischerweise vorhersehen kann. Er ist daher selbst dann, wenn er eine Frist bis zum letzten Tag ausschöpfen will, nicht gehalten, für den Fall einer plötzlichen Erkrankung vorsorglich einen Vertreter zu bestellen. Allerdings muss er organisatorisch sicherstellen, dass auch bei einer unvorhergesehenen Erkrankung alle dann noch möglichen und zumutbaren Maßnahmen zur Fristwahrung ergriffen werden. Der krankheitsbedingte Ausfall des Steuerberaters am –wie hier– letzten Tag der Frist rechtfertigt für sich genommen deshalb eine Wiedereinsetzung noch nicht. Vielmehr fehlt es an einem Verschulden des Prozessbevollmächtigten nur dann, wenn infolge der Erkrankung weder kurzfristig ein Vertreter eingeschaltet noch ein Fristverlängerungsantrag gestellt oder ähnliche Maßnahmen ergriffen werden konnten.

Dies betrifft –vorbehaltlich der Grenzen des Möglichen und Zumutbaren (s. dazu Toussaint, NJW 2014, 200, 201, mit zahlreichen weiteren Nachweisen)– auch die Begründung von Rechtsmitteln.

Dies lässt sich anhand des Wiedereinsetzungsantrags im Streitfall nicht abschließend beurteilen. Denn nach der allgemein gehaltenen und auch im Folgenden nicht weiter konkretisierten Formulierung „war es mir (…) unmöglich die Begründungsfrist einzuhalten” ist es nicht ausgeschlossen, sondern –im Gegenteil– eher naheliegend, dass die umfangreiche Beschwerdebegründung am letzten Tag der Frist bereits einen Bearbeitungsstand erreicht hatte, der es trotz der Erkrankung des Prozessbevollmächtigten an einer akuten Magen-Darm-Infektion gestattete, den Schriftsatz fristwahrend bei Gericht einzureichen. Nach den Angaben im Wiedereinsetzungsantrag bleibt vollkommen offen, ob beispielsweise nur noch die Reinschrift der im Übrigen bereits fertig gestellten Beschwerdebegründung auszufertigen oder gar alleine noch die Faxversendung des Schriftsatzes an den BFH durch den verantwortlichen Berater oder einen dazu bevollmächtigten Vertreter hätte verfügt werden müssen. Beides hätte nicht nur durch entsprechende organisatorische Maßnahmen (Notfallanweisungen für das Kanzleipersonal; Einschaltung eines Vertreters, wozu im Streitfall ausdrücklich Vollmacht erteilt war) veranlasst werden können, sondern ist der Sache nach ohne Weiteres mit derjenigen Konstellation vergleichbar, dass die Fristversäumnis durch einen (im Fall des § 116 Abs. 3 Satz 4 FGO ausgeschlossenen) Antrag auf erneute Fristverlängerung zu vermeiden war.

Umgekehrt ergibt sich weder aus dem Wiedereinsetzungsantrag noch aus der –außerhalb der Frist des § 56 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2, Satz 2 FGO liegenden und damit ohnedies unbeachtlichen Replik der Kläger auf die Stellungnahme des FA zur Beschwerdebegründung, dass der erkrankte Prozessbevollmächtigte mit der Bearbeitung der Nichtzulassungsbeschwerdebegründung bis zum letzten Tag der Frist gewartet hätte bzw. ob und wenn ja, inwieweit die Begründung zu diesem Zeitpunkt noch inhaltlich unvollendet war. Eine gesetzliche Grundlage, diese –dann– unter Umständen nicht mehr durch organisatorische Vorkehrungen zu bereinigende Situation.

Dem steht der von den Klägern zum Beleg ihrer gegenläufigen Auffassung herangezogene BFH-Beschluss icht entgegen. Denn sie haben weder Umstände dargetan noch glaubhaft gemacht, aus denen sich ergibt, dass die dort beurteilte Konstellation –Versäumung der Klagefrist in eigener Sache aufgrund akuter, zu Bettlägerigkeit führender Nierenkolik eines im Übrigen nur beratend tätigen Rechtsanwalts– mit dem Streitfall vergleichbar wäre. Dies wäre aber notwendig gewesen, da der BFH in diesem Beschluss zwischen den organisatorischen Anforderungen an eine Büroorganisation für den Fall einer Erkrankung des Berufsträgers, der in eigener Sache tätig ist, und der notwendigen Organisation eines Berufsträgers in fremden Rechtsangelegenheiten differenziert hat.