Zufluss von Zinsen aus einem Lebensversicherungsvertrag nach Änderung des Vertrages mit Festlegung eines späteren Fälligkeitszeitpunkts

Wird ein Lebensversicherungsvertrag vor Ablauf der Versicherungslaufzeit durch Änderung von Laufzeit, Versicherungssumme, Versicherungsprämie und Prämienzahlungsdauer geändert, ohne dass eine solche Vertragsänderung von vornherein vertraglich vereinbart war oder einem Vertragspartner bereits im ursprünglichen Vertrag eine Option auf eine Änderung der Vertragsbestandteile eingeräumt worden ist, liegt hinsichtlich der Änderungen in ertragsteuerlicher Hinsicht ein neuer Vertrag vor.
Erfolgt die Änderung des Vertrages vor Fälligkeit der vertragsgemäß geschuldeten Versicherungsleistung unter (neuer) Vereinbarung eines späteren einheitlichen Fälligkeitszeitpunkts für die dem Steuerpflichtigen als Versicherungsnehmer zustehenden Zinsen (auch hinsichtlich des Zeitraums vor Änderung des Vertrages), entsteht die Zahlungspflicht des Versicherungsunternehmens erst zu diesem Zeitpunkt; erst mit dem dann veranlassten tatsächlichen Eingang der Zahlungen fließen die Zinsen dem Steuerpflichtigen nach Maßgabe des § 11 EStG zu.
BFH Urteil vom 27.09.2016 – VIII R 66/13 BFH/NV 2017, 646
Sachverhalt:
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die im Streitjahr (2001) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden.
Der Kläger hatte am 15. Oktober 1981 –rückwirkend ab 1. Juli 1979– mit einer Laufzeit bis zum 1. Juli 1993 eine sog. Bankdarlehen-Tilgungsversicherung bei einer Lebensversicherungsgesellschaft abgeschlossen und die erste Prämienzahlung –einschließlich einer sogenannten Reservenachzahlung für den Zeitraum 1. Juli 1979 bis 15. Oktober 1981– am 12. November 1981 sowie in der Folgezeit die jeweils fälligen Jahresprämien geleistet.
Anlässlich einer in den Jahren 1986/1987 durchgeführten Außenprüfung wies der Prüfer den Kläger darauf hin, dass der Versicherungsvertrag eine Laufzeit von weniger als 12 Jahren habe und daher die künftigen Erträge aus der Versicherung zu versteuern seien.
Begründung:
Zu Recht hat das FG die Auffassung des FA bestätigt, dass die streitigen Zinserträge in Höhe von 625.875 DM bei den Einkünften des Klägers aus Kapitalvermögen in der Einkommensteuerveranlagung der Kläger für das Streitjahr zu berücksichtigen sind. Denn sie sind erst in diesem Jahr und nicht bereits im Zeitpunkt der 1989 vorgenommenen Vertragsänderungen zugeflossen. Außerdem erfüllen sie nicht die Voraussetzungen der Steuerfreiheit gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 2 EStG.
Zinsen aus den Sparanteilen, die in den Beiträgen zu Versicherungen auf den Erlebens- oder Todesfall enthalten sind, unterliegen nach § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 1 i.V.m. § 52 Abs. 36 EStG der Steuerpflicht. Nach Satz 2 der Vorschrift gilt dies nicht für Zinsen aus Versicherungen i.S. des § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG, die mit Beiträgen verrechnet oder im Versicherungsfall oder im Fall des Rückkaufs des Vertrages nach Ablauf von 12 Jahren seit dem Vertragsabschluss ausgezahlt werden. Zu den Versicherungen i.S. des § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG gehören u.a. Kapitalversicherungen gegen laufende Beitragsleistung mit Sparanteil, wenn der Vertrag für die Dauer von mindestens 12 Jahren abgeschlossen worden ist. Die Beiträge zu den Versicherungen i.S. des § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG konnten mit den in Abs. 2 derselben Vorschrift aufgeführten Einschränkungen als Sonderausgaben abgezogen werden.
Werden Versicherungsverträge vor Ablauf der Zwölfjahresfrist geändert, so ist die Frage, ob sie nach Inhalt und wirtschaftlichem Gehalt unverändert geblieben sind oder ob aufgrund der Änderungen Neuverträge vorliegen, im Wesentlichen nach den den Vertrag prägenden Merkmalen, nämlich Laufzeit, Versicherungssumme, Versicherungsprämie und Prämienzahlungsdauer zu beurteilen. Danach liegt ein neuer Vertrag –mit der Folge einer ab dem Änderungszeitpunkt neu laufenden Zwölfjahresfrist i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 2 EStG– vor, wenn der zuvor abgeschlossene Versicherungsvertrag u.a. hinsichtlich der Merkmale Laufzeit, Versicherungssumme, Versicherungsprämie und Prämienzahlungsdauer nachträglich geändert wird, ohne dass eine solche Vertragsänderung von vornherein vertraglich vereinbart war, oder dass einem Vertragspartner bereits im ursprünglichen Vertrag eine Option auf eine Änderung der Vertragsbestandteile eingeräumt worden.
Der Zufluss der nach § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 1 EStG steuerbaren Zinsen richtet sich nach § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG. Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH sind Einnahmen zugeflossen, sobald der Steuerpflichtige wirtschaftlich über sie verfügen kann. Geldbeträge fließen dem Steuerpflichtigen in der Regel dadurch zu, dass sie bar ausgezahlt oder einem Konto des Empfängers bei einem Kreditinstitut gutgeschrieben werden. Auch die Hingabe eines (gedeckten) Schecks führt zum Zufluss des entsprechenden. Geldbetrages.
Ebenso kann eine Gutschrift in den Büchern des Verpflichteten den Zufluss bewirken, wenn in der Gutschrift nicht nur das buchmäßige Festhalten einer Schuldverpflichtung zu sehen ist, sondern darüber hinaus zum Ausdruck gebracht wird, dass der Betrag dem Berechtigten von nun an zur Verwendung zur Verfügung steht. Der Gläubiger muss allerdings in der Lage sein, den Leistungserfolg ohne weiteres Zutun des im Übrigen leistungsbereiten und leistungsfähigen Schuldners herbeizuführen.
Danach kann ein Zufluss durch Gutschrift in den Büchern des Verpflichteten grundsätzlich nur in Betracht kommen, wenn und soweit eine Zahlungsverpflichtung besteht.
Der Zufluss kann zudem durch eine gesonderte Vereinbarung zwischen Schuldner und Gläubiger, nach der der Betrag fortan aus einem anderen Rechtsgrund geschuldet sein soll, bewirkt werden. In einer solchen Schuldumwandlung (Novation) kann eine Verfügung des Gläubigers über seine bisherige Forderung liegen, die einkommensteuerrechtlich so zu werten ist, als ob der Schuldner die Altschuld durch Zahlung beglichen und der Gläubiger den vereinnahmten Betrag in Erfüllung des neu geschaffenen Verpflichtungsgrundes dem Schuldner sofort wieder zur Verfügung gestellt hätte.
Die Novation stellt sich dann als eine bloße Verkürzung des Leistungswegs dar und setzt mithin eine Zahlungspflicht des Schuldners voraus. Fehlt eine solche Zahlungspflicht, ist die Annahme einer Schuldumschaffung nicht veranlasst.
Die Novation muss sich zudem als Folge der Ausübung der wirtschaftlichen Verfügungsmacht des Gläubigers über den Gegenstand der Altforderung darstellen, also auf seinem freien Entschluss beruhen. Ein nicht geltend gemachter (bestehender) Anspruch kann deshalb mangels Ausübung für sich genommen noch nicht zu einem Zufluss führen.
Dementsprechend hat der BFH den Verzicht auf Teilzahlungsansprüche aus einer Lebensversicherung nicht als Schuldumschaffung, sondern allenfalls als Stundung angesehen Auch das Schrifttum geht in einem solchen Fall “verschobener Auszahlung” vor Fälligkeit durch Änderung eines Versicherungsvertrages von einem fehlenden Zufluss aus, weil der Sachverhalt grundsätzlich –vorbehaltlich eines besonderen eigenen Interesses an einer späteren und deshalb höheren Auszahlung– nicht anders zu werten sei als derjenige, in dem eine Auszahlung von vornherein (schon bei Begründung des Versicherungsvertrages) erst später vorgesehen sei.
Eine zum Zufluss führende Novation kann auch vorliegen, wenn der Steuerpflichtige die Wahl zwischen Auszahlung und Wiederanlage bereits vor der Entstehung und Fälligkeit der Kapitalerträge getroffen hat.
Eine entsprechende Vereinbarung wirkt als Vorausverfügung auf die Zeitpunkte der späteren Wiederanlage fort. Eine Vorausverfügung über (zukünftige) Einkünfte stellt lediglich eine –an der Zurechnung der Einkünfte nichts ändernde.
Ob eine solche Vorausverfügung vorliegt, ist grundsätzlich anhand der für die Annahme einer Novation geltenden Maßstäbe zu prüfen, wobei die Interessenlage der Vertragspartner als Indiz weniger Gewicht hat, wenn die Modalitäten einer Auszahlung bzw. Verrechnung im Vorhinein vereinbart werden
Ob der Steuerpflichtige im Einzelfall tatsächlich die wirtschaftliche Verfügungsmacht erlangt und ausgeübt hat und ob eine Schuldumschaffung im alleinigen oder überwiegenden In-teresse des Gläubigers lag, ist eine Frage der Tatsachenfest-stellung und -würdigung, die dem FG obliegt. Hierbei hat das FG alle Umstände des Einzelfalles zu prüfen. Entscheidend kommt es auf den Zeitpunkt des mutmaßlichen Zuflusses an.
Im Ausgangspunkt ist das FG zu Recht davon ausgegangen, dass die im Jahr 1989 vereinbarten Änderungen des Versicherungsvertrages vom 15. Oktober 1981 steuerlich zu einem neuen Vertrag zwischen den Vertragsbeteiligten geführt haben und deshalb sowohl für den Alt- wie für den Neuvertrag gesondert zu prüfen ist, ob jeweils die Voraussetzungen für eine Steuerfreiheit der daraus erzielten Zinserträge nach § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 2 EStG gegeben sind.
Dies rechtfertigt den Schluss des FG, dass in steuerlicher Hinsicht ab dem Änderungszeitpunkt hinsichtlich der vorgenommenen Änderungen ein neuer Vertrag mit einer neu laufenden Zwölfjahresfrist i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 2 EStG vorliegt.
Auf dieser Grundlage wird der alte Vertrag (hier der Vertrag vom 15. Oktober 1981) durch die späteren Änderungen nicht obsolet, sondern nur hinsichtlich seiner Laufzeit bis zum Zeitpunkt dieser Änderungen begrenzt. Er ist deshalb hinsichtlich seiner Merkmale und der vertraglichen Ansprüche nach den Verhältnissen in diesem Zeitpunkt (insbesondere hinsichtlich der für die Steuerfreiheit nach § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 2 EStG zu wahrenden –hier aber im maßgeblichen Zeitpunkt der Änderung nicht gewahrten– Mindestlaufzeit und der in jenem Zeitpunkt erwirtschaften Zinsen) zu beurteilen.
Danach ist die für eine Steuerfreiheit erforderliche Mindestlaufzeit von 12 Jahren (§ 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 2 EStG) mit Blick auf das ursprünglich vereinbarte Laufzeitende 1. Juli 1993 nicht gewahrt. Denn für die Bemessung der Mindestlaufzeit kommt es allein auf die Zeitspanne zwischen Abschluss des Vertrages (hier 15. Oktober 1981) und dem vereinbarten Endzeitpunkt (hier 1. Juli 1993) an; auf die vereinbarte Rückdatierung des Vertrages in das Jahr 1979 können sich die Kläger wegen der Maßgeblichkeit des Abschlussdatums des Vertrages für die Mindestlaufzeit nicht berufen.
Hinsichtlich des mit den unter dem 17. August 1989 vereinbarten Änderungen abgeschlossenen Neuvertrages fehlt es ebenfalls an der Einhaltung der Zwölfjahresfrist des § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 2 EStG, weil insoweit die von der Vorschrift vorausgesetzte zwölfjährige Beitragspflicht mangels laufender Beitragszahlungen nicht gewahrt wurde, nachdem die Versicherung am 5. Juli 1990 (rückwirkend ab dem 1. Juli 1990) bis zum Vertragsablauf am 1. Juli 2001 beitragsfrei gestellt und die Versicherungssumme herabgesetzt wurde
Zugeflossen sind die streitigen Zinserträge erst mit Ablauf eines neu vereinbarten und gleichermaßen für
Für die Annahme eines Zuflusses im Zeitpunkt der 1989 vereinbarten Änderung des Lebensversicherungsvertrages fehlt es schon an einer in diesem Zeitpunkt bestehenden Zahlungspflicht des Gläubigers; denn die Vertragsänderung erfolgte noch vor Fälligkeit der Zinszahlungen nach Maßgabe des Altvertrages und bezweckte lediglich, die Voraussetzungen der Steuerfreiheit gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 2 EStG zu erreichen. Eine vorzeitige wirtschaftliche Verfügungsmacht des Klägers über die Zinserträge sollte damit nicht verbunden sein. Vielmehr sollte die wirtschaftliche Verfügungsmacht über die Zinserträge zur Einhaltung der Mindestlaufzeit gerade länger als ursprünglich vereinbart hinausgeschoben werden.