Schätzung der Ertragsaussichten im Stuttgarter Verfahren

Eine von der Anordnung in R 99 Abs. 1 Satz 3 ErbStR 1999 abweichende Schätzung der Ertragsaussichten kann geboten sein, wenn nach den Verhältnissen des Stichtages offensichtlich ist, dass in Zukunft ein erheblich höherer Ertrag zu erwarten ist. Das FA durfte daher im Streitfall die Anschaffungskosten für "geringwertige Wirtschaftsgüter" wieder zum körperschaftsteuerlichen Einkommen hinzurechnen, weil durch das anschließende Zurückverleasen der Wirtschaftsgüter ein erheblicher Ertrag zu erwarten war.

BFH Urteil vom 12.01.2011 – II R 38/09 BFHNV 2011 S. 765

Begründung:

Das vom FA der Bewertung zugrunde gelegte Stuttgarter Verfahren ist ein auch für die Erbschaft- und Schenkungsteuer geeignetes, wenn auch die Gerichte nicht bindendes, Schätzungsverfahren. Mit Rücksicht auf die Gleichmäßigkeit der Besteuerung und die Praktikabilität ist von diesem grob typisierenden Schätzverfahren nur abzuweichen, wenn es in Ausnahmefällen aus besonderen Gründen des Einzelfalls zu nicht tragbaren, d.h. offensichtlich unrichtigen Ergebnissen führt. Da es auf die Umstände des Einzelfalles ankommt, ist insoweit eine weitere abstrakte Konkretisierung weder möglich noch aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten.

Nach dem Stuttgarter Verfahren ist bei der Regelbewertung der gemeine Wert unter Berücksichtigung des Vermögenswerts (R 98 ErbStR 1999) und des Ertragshundertsatzes der Kapitalgesellschaft (R 99 ErbStR 1999) zu ermitteln (R 96 Abs. 2 Satz 1 ErbStR 1999). Die Ertragsaussichten der Gesellschaft bestimmen sich nach dem künftigen ausschüttungsfähigen Ertrag. Die Anteilsbewertung nach dem Stuttgarter Verfahren geht davon aus, dass der Betrieb in wirtschaftlich gleichem Umfang weitergeführt wird. Dies rechtfertigt im Allgemeinen den Schluss, dass sich auch die Ertragslage in den nächsten Jahren nicht wesentlich ändern wird. Bei der Schätzung des voraussichtlichen künftigen Jahresertrags kann daher der in der Vergangenheit tatsächlich erzielte, nach R 99 Abs. 3 ErbStR 1999 gewichtete Durchschnittsertrag als wichtige Beurteilungsgrundlage herangezogen werden (R 99 Abs. 1 Satz 2 ErbStR 1999). Er ist möglichst aus den Betriebsergebnissen der letzten drei vor dem Besteuerungszeitpunkt abgelaufenen Wirtschaftsjahre herzuleiten (Satz 3 der Vorschrift).

Zur Ermittlung der Betriebsergebnisse ist jeweils von dem der Körperschaftsteuer unterliegenden zu versteuernden Einkommen der Gesellschaft auszugehen (Satz 4 der Vorschrift), das nach den Vorgaben des Satzes 5 der Vorschrift durch Hinzurechnungen und Abzüge korrigiert wird. Zu den hinzuzurechnenden Beträgen gehören u.a. Sonderabschreibungen, erhöhte Absetzungen, Bewertungsabschläge, Zuführungen zu steuerfreien Rücklagen sowie Teilwertabschreibungen, ferner Absetzungen auf den Geschäfts- oder Firmenwert oder firmenwertähnliche Wirtschaftsgüter, Verlustabzüge, einmalige Veräußerungsverluste, steuerfreie Vermögensmehrungen und Investitionszulagen. Abzuziehen sind demgegenüber einmalige Veräußerungsgewinne, gewinnerhöhende Auflösungsbeträge steuerfreier Rücklagen und ertragsteuerrechtlich nicht abziehbare Ausgaben. Die Zurechnungs- und Abrechnungsbeträge haben insgesamt das Ziel, den nachhaltig erzielbaren Jahresertrag frei von Sondereinflüssen zu ermitteln, die für das Betriebsergebnis keine Aussagekraft haben.

Eine von der Anordnung in R 99 Abs. 1 Satz 3 ErbStR 1999 abweichende andere Schätzung der Ertragsaussichten kann nur geboten sein, wenn es nach den Verhältnissen des Stichtags offensichtlich ist, dass in Zukunft ein erheblich niedrigerer oder höherer Ertrag zu erwarten ist.

Dabei können Verhältnisse und Gegebenheiten berücksichtigt werden, die im Bewertungszeitpunkt zwar noch nicht eingetreten, aber so hinreichend konkretisiert sind, dass mit ihnen zu diesem Zeitpunkt objektiv als Tatsachen zu rechnen ist.