Aufwendungen für einen Kuraufenthalt und alternative Behandlungsmethoden können als außergewöhnliche Belastung anerkannt werden.
BUNDESFINANZHOF Urteil vom 5.10.2011, VI R 49/10
Begründung:
Nach § 33 Abs. 1 EStG wird die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands (außergewöhnliche Belastung) erwachsen. Zwangsläufig erwachsen dem Steuerpflichtigen Aufwendungen dann, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG). Ziel des § 33 EStG ist es, zwangsläufige Mehraufwendungen für den existenznotwendigen Grundbedarf zu berücksichtigen, die sich wegen ihrer Außergewöhnlichkeit einer pauschalen Erfassung in allgemeinen Freibeträgen entziehen. Aus dem Anwendungsbereich des § 33 EStG ausgeschlossen sind dagegen die üblichen Aufwendungen der Lebensführung, die in Höhe des Existenzminimums durch den Grundfreibetrag abgegolten sind.
Für die mitunter schwierige Trennung von echten Krankheitskosten einerseits und lediglich gesundheitsfördernden Vorbeuge- oder Folgekosten andererseits forderte der BFH bislang regelmäßig die Vorlage eines zeitlich vor der Leistung von Aufwendungen erstellten amts- oder vertrauensärztlichen Gutachtens bzw. eines Attestes eines anderen öffentlich-rechtlichen Trägers, aus dem sich die Krankheit und die medizinische Indikation der den Aufwendungen zugrundeliegenden Behandlung zweifelsfrei entnehmen lässt. Auch bei Aufwendungen für Maßnahmen, die ihrer Art nach nicht eindeutig nur der Heilung oder Linderung einer Krankheit dienen können und deren medizinische Indikation deshalb schwer zu beurteilen ist, wie regelmäßig auch bei Kurmaßnahmen , verlangte der BFH diesen oder einen vergleichbaren formalisierten Nachweis. An dem Erfordernis einer vorherigen amts- oder vertrauensärztlichen Begutachtung (oder einem vergleichbaren Zeugnis) zum Nachweis der medizinischen Notwendigkeit einer Maßnahme, die auch zu den nicht abziehbaren Kosten der Lebensführung (§ 12 Nr. 1 EStG) gehören könnte, hält der erkennende Senat jedoch seit dem Senatsurteil vom 11. November 2010 VI R 17/09 (BFHE 232, 40) nicht länger fest.
Das FG wird im zweiten Rechtsgang zu prüfen haben, ob die Kuraufenthalte in A und in B aufgrund der Erkrankungen der Kläger medizinisch angezeigt waren. In einem solchen Fall können die geltend gemachten Aufwendungen unmittelbare Krankheitskosten sein. Bei dieser Prüfung hat sich das FG zugleich zu vergegenwärtigen, dass Aufwendungen für die eigentliche Heilbehandlung typisierend als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden, ohne dass es im Einzelfall der nach § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG an sich gebotenen Prüfung der Zwangsläufigkeit des Grundes und der Höhe nach bedarf, wenn die Maßnahmen medizinisch indiziert sind. Weiter ist zu beachten, dass nicht nur das medizinisch Notwendige im Sinne einer Mindestversorgung von der Heilanzeige erfasst wird. Medizinisch indiziert (angezeigt) ist vielmehr jedes diagnostische oder therapeutische Verfahren, dessen Anwendung in einem Erkrankungsfall hinreichend gerechtfertigt (angezeigt) ist (Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 259. Aufl., Indikation). Dieser medizinischen Wertung hat die steuerliche Beurteilung zu folgen.
Dies gilt auch für die Kosten der Sauerstofftherapie und für den Erwerb des Wasserionisierers. Der Umstand, dass es sich bei der Sauerstofftherapie (Sauerstoffresonanztherapie und hämatogene Oxidationstherapie) möglicherweise um wissenschaftlich nicht allgemein anerkannte Heilverfahren handelt, steht einem Abzug der Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung nicht entgegen. Die Aufwendungen hierfür können jedoch nur nach § 33 EStG abgezogen werden, wenn diese Behandlungsmethode auf einem nach medizinischen Erkenntnissen nachvollziehbaren Ansatz beruht, der die prognostizierte Wirkweise der Behandlung auf das angestrebte Behandlungsziel zu erklären vermag, diese Wirkweise sonach zumindest wahrscheinlich macht. Dabei kann es allerdings nicht darauf ankommen, ob die gewählte Behandlungsmethode und die sie tragenden medizinischen Erwägungen von schulmedizinischen Erkenntnissen bestimmt werden oder ob sie auf Erkenntnissen aufbauen, die in der sogenannten alternativen Medizin entwickelt worden sind. Entscheidend ist insoweit vielmehr, ob aus naturheilkundlicher Sicht die gewählte Behandlungsmethode anerkannt und nach den für die Naturheilkunde geltenden Grundsätzen als medizinisch notwendig anzusehen ist. Dabei versteht es sich von selbst, dass es für die auch hier maßgebliche medizinische Notwendigkeit nicht auf eine Betrachtung aus schulmedizinischer Sicht ankommen kann. Maßstab ist vielmehr insoweit nur die naturheilkundliche Lehre selbst (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs vom 10. Juli 1996 IV ZR 133/95, BGHZ 133, 208, m.w.N.). Darüber hinaus hat das Gericht festzustellen, ob der Erwerb des Wasserionisierers medizinisch angezeigt oder lediglich der Förderung des allgemeinen Wohlbefindens geschuldet war.