Die von der Finanzverwaltung vorgesehenen Pauschbeträge für den Betriebsausgabenabzug bei Auslandsübernachtungen sind zur Vermeidung einer offensichtlich unzutreffenden Besteuerung nicht anzuwenden, wenn der Steuerpflichtige nicht im Hotel, sondern bei nahen Angehörigen übernachtet.
Eine bestandskräftige Einkommensteuerfestsetzung kann geändert werden, wenn nachträglich Tatsachen bekannt werden, die zu dem sicheren Schluss führen, dass die Anwendung der Pauschbeträge für Auslandsübernachtungen eine offensichtlich unzutreffende Besteuerung darstellen würde.
BFH Beschluss vom 19.10.2011 – XR 29/10 BFHNV 2012 S. 227ff.
Begründung:
In revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise hat das FG die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO als erfüllt angesehen. Danach sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen. Tatsache i.S. des § 173 Abs. 1 AO ist jeder Lebenssachverhalt, der Merkmal oder Teilstück eines gesetzlichen Tatbestands sein kann, also Zustände, Vorgänge, Beziehungen, Eigenschaften materieller oder immaterieller Art. Schlussfolgerungen und Schätzungsergebnisse sind demgegenüber keine Tatsachen in diesem Sinne.
Das FG hat ausgeführt, maßgebender nachträglich bekannt gewordener Lebenssachverhalt sei, dass der Kläger bei seiner Mutter übernachtet und diese hierfür kein Entgelt gefordert habe. Es könne offenbleiben, ob es sich bei dem Umstand, dass die Übernachtungen nicht im Hotel, sondern bei der Mutter durchgeführt worden seien, lediglich um eine Hilfstatsache handele, da diese jedenfalls einen sicheren Schluss auf die Haupttatsache, das Nichtanfallen der als Betriebsausgaben abgesetzten Übernachtungskosten zulasse.
Danach sind Betriebsausgaben die Aufwendungen, die durch den Betrieb veranlasst sind. Der Abzug von Betriebsausgaben setzt daher stets das Vorliegen, in Fällen der Gewinnermittlung durch Einnahmen-Überschuss-Rechnung den Abfluss (§ 11 Abs. 2 EStG), von Aufwendungen voraus. Daran fehlt es, wenn anlässlich von Übernachtungen bei der Mutter des Klägers nicht die vom Kläger angesetzten Kosten von 108 EUR bzw. 152 EUR täglich, sondern gar keine oder jedenfalls wesentlich geringere Aufwendungen angefallen sind.
Allerdings beruft sich der Kläger im Ausgangspunkt zu Recht auf R 40 Abs. 2 Satz 2 der Lohnsteuer-Richtlinien in der in den Streitjahren geltenden Fassung (LStR 2004), wonach bei Übernachtungen im Ausland die Übernachtungskosten ohne Einzelnachweis der tatsächlichen Aufwendungen mit Pauschbeträgen angesetzt werden dürfen, die vom Bundesministerium der Finanzen (BMF) bekannt gemacht werden.
Der Senat kann offenlassen, ob diese Pauschalierung auf eine hinreichende Rechtsgrundlage gestützt werden kann. In den genannten BMF-Schreiben wird insoweit zwar die Vorschrift des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 EStG herangezogen. Satz 4 dieser Regelung ermächtigt das BMF allerdings lediglich zur Festlegung von Pauschbeträgen für Verpflegungsmehraufwand, nicht hingegen für Übernachtungskosten.
Auch ist zweifelhaft, ob die Pauschbeträge auf die, unter dem Gesichtspunkt des "steuerlichen Massenverfahrens" dem Grunde nach gegebene, allgemeine Typisierungsbefugnis der Finanzverwaltung gestützt werden können. Denn es ist nicht ersichtlich, weshalb gerade ein Nachweis der Kosten von im Ausland durchgeführten Hotelübernachtungen für die Steuerpflichtigen wesentlich schwieriger zu erbringen ist als der Nachweis sonstiger Betriebsausgaben, für die die Finanzverwaltung aber keine Pauschalierungen vorsieht. Dementsprechend lässt die Finanzverwaltung ab 2009 einen Abzug von Übernachtungskosten beim Betriebsinhaber ausschließlich im Falle des Einzelnachweises zu und wendet die Pauschbeträge nur noch auf Erstattungen durch den Arbeitgeber an.
Jedenfalls steht die Anwendung der Pauschalen bereits nach der eigenen Auffassung der Finanzverwaltung unter dem Vorbehalt, dass sie nicht im Einzelfall zu einer offensichtlich unzutreffenden Besteuerung führt, was bei einer vom Normaltypus abweichenden Art der Reise der Fall sei (H 40 LStR 2004 "Übernachtungen im Ausland"). Dies entspricht auch der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung.