Anwendung von Schätzungsmethoden und Ihre Wiederlegung

Die Berücksichtigung einer Gewerbesteuerrückstellung auf hinterzogene Mehrsteuern durch das Finanzgericht erfordert tatsächliche Feststellungen und rechtliche Erwägungen u.a. zu der Frage, ob der Steuerpflichtige zum Bilanzstichtag mit der Aufdeckung der Steuerhinterziehung rechnen musste.

Die Schätzung von Besteuerungsgrundlagen gehört zu den vom Finanzgericht zu treffenden Tatsachenfeststellungen, die auch die Schätzungsmethode erfassen. Allein mit der Rüge einer vermeintlich unzutreffenden Tatsachenwürdigung kann die Zulassung der Revision nicht erreicht werden.

Zu den Anforderungen an die Darlegung eines Gehörsverstoßes, einer Verletzung der Sachaufklärungspflicht und eines Verstoßes gegen den klaren Inhalt der Akten.

BFH Beschluss vom 30.07.2013 – IV B 107/12 BFHNV 2013 S. 1928 ff

Begründung:

Die Klägerin hält als Rechtsfrage für grundsätzlich bedeutsam und nicht geklärt, ob fehlende Belege über die Höhe der Bareinnahmen und fehlende Z-Bons (nach Angaben der Klägerin Nullsummenbons) trotz ordnungsgemäßer Aufzeichnung der täglichen Bareinnahmen eine Zuschätzung für den fünf Kalenderjahre umfassenden Prüfungszeitraum auf der Grundlage der Nachkalkulation eines Kalenderjahres rechtfertigen oder ob nicht die Unsicherheit durch einen Zuschlag zu beseitigen ist, der für jeden Tag, an dem Mängel bei der Kassenführung festgestellt werden, vorgenommen wird, wobei der Zuschlag die Differenz zwischen der höchst denkbaren Bareinnahme eines Tages zu den tatsächlichen Bareinnahmen eines Tages nicht überschreiten darf. Damit legt die Klägerin schon keine abstrakte Rechtsfrage dar.

Vielmehr wendet sie sich im Kern gegen die Schätzung von Besteuerungsgrundlagen durch das FG, die zu den vom FG zu treffenden Tatsachenfeststellungen gehört; diese erfassen auch die Schätzungsmethode.

Des Weiteren hält die Klägerin als Rechtsfrage für grundsätzlich bedeutsam, ob die für ein Kalenderjahr eines Prüfungszeitraums erstellte Nachkalkulation auf die übrigen Jahre dieses Prüfungszeitraums übertragen werden kann und insoweit eigene Nachkalkulationen des Steuerpflichtigen abgelehnt werden können. Auch damit legt die Klägerin die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO nicht hinreichend dar. Das FG hat in seiner angegriffenen Entscheidung u.a. ausgeführt, dass nach seiner Auffassung nur für das Jahr 2002 der Gewinn kalkuliert werden könne und es mangels einer anderen Schätzungsmethode der Ermittlung des Gewinns für die Jahre 1998 und 1999 den sich für das kalkulierte Jahr 2002 ergebenden Rohgewinnaufschlagsatz zugrunde lege.

Zur Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO) obliegt es dem Gericht u.a., den Beteiligten Gelegenheit zur Äußerung zu geben und ihre Ausführungen sowie Anträge zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen, nicht jedoch, der von den Beteiligten vertretenen Rechtsansicht zu folgen. Die Rüge einer Verletzung des rechtlichen Gehörs wird, wenn sich der Verstoß auf einzelne Feststellungen bezieht, nur dann ordnungsgemäß vorgebracht, wenn der Beschwerdeführer darlegt, was er vorgetragen hätte, wenn sein Anspruch auf rechtliches Gehör nicht verletzt worden wäre und dass bei Berücksichtigung dieses zusätzlichen Vortrags eine andere Entscheidung des FG in der Sache möglich gewesen wäre.

Die vor dem FG fachkundig vertretene Klägerin macht geltend, die Nachkalkulation des gerichtseigenen Prüfers sei ihrem Vertreter mit Fax vom 22. Juni 2012 und damit "2 Arbeitstage" vor der mündlichen Verhandlung am 28. Juni 2012 zur Kenntnis gegeben worden. Aus zeitlichen Gründen habe keine Möglichkeit bestanden, deren Richtigkeit mit der Klägerin zu besprechen und Gegenargumente vorzutragen. Die Klägerin hat indes nicht dargetan, was sie bei ausreichender Gewährung des rechtlichen Gehörs noch vorgetragen hätte und dass dieser Vortrag zu einer anderen Entscheidung hätte führen können. Der nicht näher substantiierte Hinweis, dass es der Klägerin bei einer angemessenen Frist gelungen wäre, "die nunmehr um 65.000,00 EUR höhere Kalkulationsdifferenz zu widerlegen", genügt insoweit nicht.

Auch soweit die Klägerin rügt, das FG habe die von ihr benannten Rohgewinnaufschlagsätze von fünf "Vergleichsbetrieben" nicht gewürdigt, legt sie keinen Verfahrensmangel dar. Insbesondere ist nicht erkennbar, inwieweit sich dem FG unter Berücksichtigung seines Rechtsstandpunkts die Notwendigkeit einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts (§ 76 Abs. 1 FGO) hätte aufdrängen müssen. Denn das FG hat in seiner angefochtenen Entscheidung ausgeführt, dass es nicht habe feststellen können, dass die benannten "Vergleichsbetriebe" mit der Klägerin hinsichtlich Struktur, Preisen und Warensortiment vergleichbar seien und ob jene Betriebe ihre Erlöse vollständig erfasst hätten. Im Übrigen ist aus dem Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 28. Juni 2012 nicht ersichtlich, dass die Klägerin in der mündlichen Verhandlung neben ihrem "Hinweis" auf die Rohgewinnaufschlagsätze der Vergleichsbetriebe konkrete Beweisanträge gestellt hätte.

Das FG ist nach § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO verpflichtet, sich bei seiner Entscheidung auf das Gesamtergebnis des Verfahrens zu stützen. Dazu hat es den Inhalt der ihm vorliegenden Akten vollständig und einwandfrei zu berücksichtigen. Neben dem Akteninhalt gehört hierzu auch das Vorbringen der Beteiligten. Das FG verletzt seine Pflicht zur vollständigen und zutreffenden Berücksichtigung des Streitstoffs, wenn es eine nach den Akten klar feststehende Tatsache oder einen bestimmten Tatsachenvortrag erkennbar unberücksichtigt lässt, obwohl dieser auf der Basis seiner materiell-rechtlichen Auffassung entscheidungserheblich sein kann.

Die Klägerin rügt, das FG habe die höheren Mengen bei der Personalbeköstigung und für die Eiszubereitung bei Kaffee und Kakao nicht berücksichtigt, die sie die Klägerin gegenüber den Ansätzen des gerichtseigenen Prüfers geltend gemacht habe. Das FG ist davon ausgegangen, dass es hinsichtlich der behaupteten höheren Mengen an konkretem und nachvollziehbarem Vortrag der Klägerin mangele und deren Angabe ebenfalls auf einer Schätzung beruhe. Damit hat es den genannten Vortrag der Klägerin ausdrücklich beschieden. Wenn die Klägerin im Kern geltend macht, das FG habe aus ihrem Vortrag die falschen Schlüsse gezogen, macht sie wiederum materiell-rechtliche Fehler geltend, die keine Zulassung der Revision rechtfertigen. Einen Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten legt die Klägerin auch nicht dar, wenn sie behauptet, ein solcher sei deshalb gegeben, weil das FG ihre Behauptung, der eingekaufte Sekt/ Prosecco sei ausschließlich für Sorbets und Eisgetränke verwendet worden, für falsch erachtet habe.