Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts

Einem abweichenden Wertansatz in einem Sachverständigengutachten kann gefolgt werden, wenn der Gutachter diesen hinreichend begründet.

Ein Gutachten ist nicht bereits dann in Gänze zu verwerfen, wenn es eine korrigierbare Lücke oder einen korrigierbaren Mangel enthält.

FG Niedersachsen Urteil vom 27.11.2014, 1 K 77/13

Begründung:

In der Wahl der Mittel zum Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts ist der Steuerpflichtige grundsätzlich frei. Ein solcher Nachweis kann sowohl durch Vorlage eines Gutachtens des örtlich zuständigen Gutachterausschusses oder eines Sachverständigen für die Bewertung von Grundstücken geführt werden als auch durch einen im gewöhnlichen Geschäftsverkehr zeitnah zum maßgeblichen Besteuerungsstichtag erzielten Kaufpreis für das zu bewertende Grundstück. Das vom Steuerpflichtigen gewählte Mittel zum Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts muss allerdings von einer Aussagekraft sein, die der eines Gutachtens des Gutachterausschusses oder eines Sachverständigen bzw. von Kaufpreisen für entsprechende Grundstücke vergleichbar ist. Für jedes der zum Nachweis gewählten Mittel gilt, dass es grundsätzlich der freien Beweiswürdigung des Gerichts unterliegt.

Soll der Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts durch Vorlage des Gutachtens eines Sachverständigen für die Bewertung von Grundstücken geführt werden, muss dieses Gutachten inhaltlich richtig sein und den allgemein anerkannten Grundsätzen der Wertermittlung genügen. Ein Sachverständigengutachten kann nur dann als Nachweis eines niedrigeren Verkehrswerts dienen, wenn der hierin gefundene Wert in jeder Hinsicht nachvollziehbar und hinsichtlich seiner Berechnungsgrundlagen genügend transparent ist . Ob das Gutachten den geforderten Nachweis erbringt, unterliegt der freien Beweiswürdigung des Finanzamts und des Finanzgerichts. Der Nachweis ist erbracht, wenn dem Gutachten ohne Einschaltung bzw. Bestellung weiterer Sachverständiger gefolgt werden kann. Einem Gutachten, das bei Fehlen bewertungsrechtlicher Sonderregelungen den Vorgaben der Wertermittlungsverordnung (WertV) entspricht und plausibel ist, wird regelmäßig zu folgen sein.

Nach Auffassung des Senats ist es ausreichend, wenn sich die vom Gutachter angesetzten Werte im Rahmen des Vertretbaren bewegen. Maßstab für die Beurteilung sind dabei neben der Kommentarliteratur auch die erstmals 1955 für den Bereich der Bundesvermögens- und Bauverwaltung vom Bundesministerium der Finanzen erlassenen Richtlinien für die Ermittlung des Verkehrswerts von Grundstücken (zu Einzelheiten der Geschichte und des Anwendungsbereichs der Richtlinien vgl. Kleiber, Verkehrswertermittlung von Grundstücken, 7. Auflage, 2014, S. 507 Rn. 40 ff). Der Senat ist sich bewusst, dass er in keiner Weise an die bundesministeriellen Richtlinien gebunden ist. Er sieht hierin aber Bewertungsgrundsätze, auf die in der Rechtsprechung – wie schon geschehen (Kleiber, Verkehrswertermittlung von Grundstücken, 7. Auflage, 2014, S. 513 Rn. 57 und Fußnoten 177, 178 mit Nachweisen zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, des Bundesverwaltungsgerichts und des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg) – zurückgegriffen werden kann. Dies ist dadurch gerechtfertigt, dass die „Wertermittlungsrichtlinien in Zusammenarbeit mit Vertretern der zuständigen Bundes- und Landesressorts, den Vertretern der kommunalen Spitzenverbände sowie der Fachkommission „Städtebau“ in der Arbeitsgemeinschaft der für das Bau-, Wohnungs- und Siedlungswesen zuständigen Ministerien der Länder (Argebau) entstanden sind“ (Kleiber, Verkehrswertermittlung von Grundstücken, 7. Auflage, 2014, S. 513 Rn. 57).

Entspricht das Gutachten nicht in jeder Hinsicht den zu stellenden Anforderungen, berechtigt dies nicht ohne weiteres dazu, das Gutachten insgesamt unberücksichtigt zu lassen. Ist etwa ein vorgenommener Abschlag nicht hinreichend begründet, ist lediglich dieser Abschlag zu streichen. Das Finanzgericht kann sich seine Überzeugung von einem niedrigeren gemeinen Wert des zu bewertenden Grundstücks auch dadurch bilden, dass es aus mehreren vom Steuerpflichtigen vorgelegten Gutachten diejenigen Ansätze bezüglich derselben Bewertungsmethode übernimmt, die gemäß der WertV ermittelt und plausibel sind, und diese Ansätze – sofern möglich – zu einem Ganzen zusammenfügt. Etwaige Lücken in einem Gutachten können vom Finanzamt und vom Finanzgericht selbst geschlossen werden, wenn und soweit dies ohne Sachverständige im üblichen Rahmen einer Beweiswürdigung möglich ist