Änderungsmöglichkeit nach § 174 Abs. 4 AO und Entgeltvereinnahmung nach Abtretung

Der Begriff “bestimmter Sachverhalt” erfasst nicht nur einzelne steuererhebliche Tatsachen, sondern auch den einheitlichen, für die Besteuerung maßgeblichen Sachverhaltskomplex, sofern die ihn bildenden Sachverhaltselemente einen inneren Zusammenhang aufweisen.

Der leistende Unternehmer vereinnahmt ein Entgelt auch dann, wenn der Leistungsempfänger nach Abtretung des Vergütungsanspruchs an den Abtretungsempfänger zahlt.

BFH  Urteil vom 12.2.2015, V R 38/13

Begründung:

Das FG ist rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen für eine Änderung der bestandskräftigen Umsatzsteuerbescheide 1999 bis 2001 nach § 174 Abs. 4 AO nicht vorgelegen hätten. Die Umsatzsteuerbescheide 1997 und 1998, in denen das FA die Zahlungen der H-GmbH an den Kläger als steuerpflichtige Umsätze behandelt und der Umsatzsteuer unterworfen hatte, beruhten auf einer rechtlich irrigen Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts. Nachdem diese Bescheide aufgrund eines Rechtsbehelfs des Klägers aufgehoben wurden, war das FA berechtigt, durch den Erlass der streitgegenständlichen Umsatzsteuerbescheide die zutreffenden steuerlichen Folgen zu ziehen.

Ist aufgrund irriger Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts ein Steuerbescheid ergangen, der aufgrund eines Rechtsbehelfs oder sonst auf Antrag des Steuerpflichtigen durch die Finanzbehörde zu seinen Gunsten aufgehoben oder geändert wird, so können nach § 174 Abs. 4 Satz 1 AO aus dem Sachverhalt nachträglich durch Erlass oder Änderung eines Steuerbescheids die richtigen steuerlichen Folgerungen gezogen werden. Dies gilt gemäß § 174 Abs. 4 Satz 2 AO auch dann, wenn der Steuerbescheid durch das Gericht aufgehoben oder geändert wird. Der Ablauf der Festsetzungsfrist ist unbeachtlich, wenn die steuerlichen Folgerungen innerhalb eines Jahres nach Aufhebung oder Änderung des fehlerhaften Steuerbescheids gezogen werden (§ 174 Abs. 4 Satz 3 AO). Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall vor.

Das FA ging im Anschluss an eine Außenprüfung zunächst davon aus, dass die Zahlungen der H-GmbH in Höhe von 2.000.000 DM in den Jahren des Zuflusses (1997 und 1998) zu erfassen seien, da es sich um Vorauszahlungen der H-GmbH für die Übertragung der künftigen Autorenvergütung des Klägers gegenüber der GEMA handele.

Diese Beurteilung erwies sich als unrichtig. Bei zutreffender Beurteilung des Sachverhalts stellen die Zahlungen der H-GmbH lediglich eine Darlehensgewährung ohne umsatzsteuerrechtliche Konsequenzen dar, während es sich bei den Lizenzgebühren des Klägers aus Ausschüttungen der GEMA um die Gegenleistung für steuerbare und steuerpflichtige Duldungsleistungen i.S. des § 3 Abs. 9 Satz 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) handelt, die dem ermäßigten Steuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. c UStG unterliegen.

Die GEMA ist eine Verwertungsgesellschaft in der Rechtsform eines wirtschaftlichen Vereins, der die Urheberrechte der Komponisten, Textdichter und Musikverlage an Werken der Musik wahrnimmt. Das Wahrnehmungsrecht schließt das Recht ein, die Nutzung der Werke in allen Ländern zu gestatten, die Wiedergabe zu überwachen und die Tantiemen einzuziehen. Zur Erfüllung dieser Aufgaben wird ihr das Recht zur Aufführung, Rundfunksendung und Vervielfältigung übertragen. Die Übertragung dient dem Zweck, die den Urhebern zustehenden Rechte wirtschaftlich zu verwerten. Dies geschieht dadurch, dass die Werke Dritten gegen Entgelt zur Wiedergabe zur Verfügung gestellt werden. Wesentlicher Inhalt der Leistung der jeweiligen Urheber ist daher das Dulden der Wiedergabe ihrer Werke (BFH-Urteil vom 10. März 1966 V 7/63, BFHE 85, 257, BStBl III 1966, 302; Husmann in Rau/Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. c Rz 65). Die den Urhebern zufließenden Anteile am Reinertrag der Verwertungsgesellschaft sind als Entgelt für die Einräumung von Nutzungsrechten nach § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. c UStG begünstigt.

Der Umsatzsteuerpflicht steht nicht entgegen, dass die Lizenzeinnahmen dazu dienen sollten, das Darlehen des Klägers zurückzuzahlen und der Kläger seine Lizenzansprüche sicherungshalber an die H-GmbH abgetreten hatte.

Der Unternehmer, der eine Leistung erbringt, hat diese auch dann zu versteuern, wenn er seinen Anspruch auf die Gegenleistung abgetreten hat. Auf den Rechtsgrund der Abtretung kommt es dabei nicht an. Da sich die Höhe und der Umfang des Entgelts nach dem zwischen den Parteien des Leistungsaustausches bestehenden Rechtsverhältnis –im Streitfall zwischen dem Kläger und der GEMA– bestimmen, ist eine Abtretung des dem Leistenden zustehenden Entgeltanspruchs an einen Forderungserwerber für die Bestimmung des Entgelts ohne Bedeutung. Denn durch eine Vereinbarung, an der der Leistungsempfänger nicht beteiligt ist, kann das zwischen dem Leistenden und dem Leistungsempfänger bestehende Rechtsverhältnis nicht geändert werden (BFH-Urteil vom 6. Mai 2010 V R 15/09, BFHE 230, 252, BStBl II 2011, 142; BFH-Beschluss vom 29. Oktober 2010 V B 123/09, BFH/NV 2011, 663). Ist die Abtretung des Vergütungsanspruchs für die Besteuerung des Leistenden ohne Bedeutung, “erhält” dieser den an einen Dritten ausgezahlten Betrag für die von ihm erbrachte Leistung.

Die Umsatzsteuerbescheide 1997 und 1998 wurden auch aufgrund eines Rechtsbehelfs des Steuerpflichtigen durch die Finanzbehörde zu seinen Gunsten geändert, da diese Änderung im Rahmen des vom Kläger betriebenen Klageverfahrens erfolgte. Dass die Bescheide nicht durch ein Gerichtsurteil geändert wurden, sondern das FA dem Klagebegehren bereits aufgrund eines Erörterungstermins des Berichterstatters abgeholfen hat, steht dem nicht entgegen. Denn es reicht insoweit aus, dass der Kläger spezifisch die Änderung der angefochtenen Bescheide veranlasst hat.

Bei Erlass der geänderten Umsatzsteuerbescheide 1999 bis 2001 am 18. Oktober 2010 war deren Festsetzungsfrist bereits abgelaufen. Aufgrund der die Streitjahre betreffenden Außenprüfung wurden am 12. Mai 2010 geänderte Umsatzsteuerbescheide 1999 bis 2001 erlassen und zugleich der Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben. Mit der Bekanntgabe dieser Bescheide sind diese unanfechtbar und somit nicht mehr änderbar geworden.  Der Ablauf der Festsetzungsfrist ist aber unbeachtlich, da die steuerlichen Folgen innerhalb eines Jahres nach Aufhebung oder Änderung des fehlerhaften Steuerbescheids gezogen wurden: Im Streitfall sind die fehlerhaften Umsatzsteuerbescheide 1997 und 1998 am 11. Oktober 2010 geändert worden. Die hier streitigen Umsatzsteuerbescheide 1999 bis 2001 sind bereits am 18. Oktober 2010 und damit binnen Jahresfrist erlassen worden.

Die Änderungsbefugnis ist im Streitfall auch nicht durch § 174 Abs. 4 Satz 4 AO eingeschränkt. Danach ist eine Änderung nur unter den weiteren Voraussetzungen des § 174 Abs. 3 Satz 1 AO zulässig, wenn die Festsetzungsfrist bereits abgelaufen war, als der später geänderte Steuerbescheid erlassen wurde. Die später geänderten Umsatzsteuerbescheide 1997 und 1998 wurden im Anschluss an eine Außenprüfung am 20. Juli 2004 erlassen. Zu diesem Zeitpunkt war wegen der Ablaufhemmung der Außenprüfung (§ 171 Abs. 4 AO) noch keine Festsetzungsverjährung eingetreten. Liegen damit die Voraussetzungen des § 174 Abs. 4 AO vor, durfte das FA die richtigen steuerlichen Folgerungen aus dem “bestimmten Sachverhalt” ziehen. Da der Begriff des “bestimmten Sachverhalts” nicht periodenbezogen einschränkend auszulegen ist, sind die richtigen steuerlichen Folgerungen ohne Rücksicht auf den Besteuerungszeitraum zu ziehen (BFH-Urteil in BFH/NV 2013, 690). Demnach umfasst die Änderung sämtliche Besteuerungszeiträume, die vom “bestimmten Sachverhalt” betroffen sind. Vorliegend sind das 1999 bis 2001.