Die Erfüllung der Mittelvorsorgepflicht setzt Kenntnis der voraussichtlichen Entstehung von Steuerverbindlichkeiten voraus

Die Frage, ob für eine Kapitalgesellschaft auch dann eine Mittelvorsorgepflicht besteht, wenn ihr im Zeitpunkt der Entstehung einer Steuerforderung weder deren Höhe noch deren Grund bekannt gewesen ist, kommt keine Klärungsbedürftigkeit zu.

Die Pflicht eines GmbH-Geschäftsführers, finanzielle Mittel zur Entrichtung geschuldeter Steuern bereitzuhalten, besteht unabhängig von der Fälligkeit der Steuern. Allerdings setzt sie voraus, dass dem gesetzlichen Vertreter überhaupt Umstände bekannt sind, die auf eine bevorstehende Entstehung von Steuern schließen lassen.

BFH Beschluss vom 11.11.2015 – VII B 74/15

Sachverhalt:

Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) war bis … Dezember 2008 und erneut ab dem … Oktober 2009 Geschäftsführer einer GmbH, die persönlich haftende Gesellschafterin und Geschäftsführerin einer GmbH & Co. KG (KG) war. Am 5. November 2009 wurden für die KG für die Monate Mai bis Juli und September 2009 korrigierte Voranmeldungen abgegeben. Für den Monat Oktober 2009 wurde am 10. November 2009 erstmalig eine Voranmeldung abgegeben. Die fälligen Beträge wurden von der KG nicht entrichtet. Nachdem die KG am 23. November 2009 einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen gestellt hatte, wurde am 26. November 2009 eine vorläufige Insolvenzverwalterin bestellt. Im Februar 2010 wurde das Insolvenzverfahren über die Vermögen der KG und der GmbH eröffnet.

Mit der Begründung, der Kläger hafte aufgrund schuldhafter Verletzung der ihm obliegenden steuerlichen Pflichten als gesetzlicher Vertreter der GmbH nach § 191 Abs. 1, § 34 und § 69 der Abgabenordnung (AO) für ausgefallene Umsatzsteuern, nahm der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt –FA–) den Kläger mit Bescheid vom 20. November 2012 als Haftungsschuldner in Anspruch. Das Einspruchsverfahren führte zu einer Verringerung der Haftungssumme infolge einer Herabsetzung der Tilgungsquote. Die Klage hatte keinen Erfolg.

Begründung:

Die Beschwerde ist als unbegründet zurückzuweisen. Der von ihr aufgeworfenen Frage kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu. Zudem werden die behaupteten Verfahrensmängel nicht schlüssig dargelegt, wie dies nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO erforderlich ist.

Nach diesen Grundsätzen kommt der von der Beschwerde aufgeworfenen Frage keine grundsätzliche Bedeutung zu. Denn die Frage, ob für eine Kapitalgesellschaft auch dann eine Mittelvorsorgepflicht besteht, wenn ihr im Zeitpunkt der Entstehung einer Steuerforderung weder deren Höhe noch deren Grund bekannt war, ist im Streitfall nicht entscheidungserheblich und bedarf damit keiner Klärung. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH kann sich ein gesetzlicher Vertreter bereits vor Fälligkeit einer Steuer der Verletzung seiner Pflicht zur Bereithaltung von Mitteln schuldig machen. Denn von ihm ist zu verlangen, dass er vorausschauend plant und insbesondere in der Krise finanzielle Mittel zur Entrichtung der geschuldeten Steuern bereithält. Vom Eintritt der Fälligkeit der Steuern ist diese Pflicht unabhängig. Sollen die Steuerschulden durch Erteilung einer Einzugsermächtigung beglichen werden, hat der Geschäftsführer einer GmbH dafür Sorge zu tragen, dass von der Einzugsermächtigung auch Gebrauch gemacht werden kann und dass das Konto eine Deckung aufweist.

Im Streitfall beruht die Haftung des Klägers darauf, dass er die im November 2009 fällig gewordenen Umsatzsteuern nicht entrichtet hat. Da die entsprechenden Voranmeldungen am 5. November 2009 und somit während seiner Amtszeit als Geschäftsführer abgegeben worden sind, kann er sich nicht darauf berufen, ihm sei weder Grund noch Höhe der Umsatzsteuerforderungen, für die er nun haftet, bekannt gewesen. Nur in Bezug auf die Tilgungsquote hat das FG darauf hingewiesen, dass die Schätzung des FA nicht zu beanstanden sei, weil der Kläger seiner Pflicht zur Mittelvorsorge –zumindest ab Mitte Oktober 2009– nicht nachgekommen sei. Bei diesem Befund bedarf die Frage keiner Klärung, ob eine Kapitalgesellschaft verpflichtet ist, Mittel für die Begleichung unbekannter Steuerschulden bereitzuhalten. Denn wie bereits ausgeführt, geht es bei der haftungsbegründenden Pflichtverletzung i.S. des § 69 AO nicht um die steuerlichen Pflichten der vom Haftenden vertretenen Gesellschaft, sondern um die persönliche Pflicht des gesetzlichen Vertreters der Gesellschaft. Auch waren im Streitfall die Höhe und der Grund der Forderung in dem für die Haftung entscheidenden Zeitpunkt der Verletzung der dem Kläger obliegenden Entrichtungspflicht bekannt