Hat ein Steuerpflichtiger einen hinreichend deutlichen Antrag auf Gestattung der Istbesteuerung (§ 20 UStG) beim FA gestellt, dann hat die antragsgemäße Festsetzung der Umsatzsteuer den Erklärungsinhalt, dass der Antrag genehmigt worden ist.
Ein hinreichend deutlicher Antrag auf Gestattung der Istbesteuerung (§ 20 UStG) liegt vor, wenn der Steuerpflichtige in den von ihm abgegebenen Voranmeldungen und Jahreserklärungen die Umsatzsteuer nach vereinnahmten Entgelten berechnet hat und dies für das FA erkennbar war.
BFH Urteil vom 18.11.2015 – XI R 38/14
Sachverhalt:
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betrieb ab dem 1. September 2007 einen Gewerbebetrieb zur Erbringung von Handwerkerleistungen in der Rechtsform einer GbR. Ihre Gesellschafter waren M mit einer Beteiligung von 80 % und dessen Sohn N mit einer Beteiligung von 20 %.
Im „Fragebogen zur steuerlichen Erfassung” gab die Klägerin am 7. September 2007 gegenüber dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt –FA–) durch Ankreuzen folgende Erklärung ab: „Wir berechnen die Steuer nach vereinnahmten Entgelten. Wir beantragen hiermit die Istversteuerung.” Ihren Gesamtumsatz schätzte sie im Fragebogen auf „ca. 10.000 EUR” für das Jahr der Betriebseröffnung und „ca. 40.000 EUR” für das Folgejahr. Die nach Aufnahme des Betriebs ausgeführten Gesamtumsätze der Klägerin lagen jeweils unterhalb der in § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) für eine Berechnung der Steuer nach vereinnahmten Entgelten bestimmten Höchstgrenzen.
Das FA beschied diesen Antrag der Klägerin auf Gestattung der „Istversteuerung” (zunächst) nicht.
Begründung:
Das FG ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Klägerin die Umsatzsteuer nach vereinbarten Entgelten zu berechnen hatte. Seine bisher getroffenen Feststellungen erlauben keine Entscheidung darüber, ob das FA der Klägerin die Berechnung der Steuer nach vereinnahmten Entgelten gestattet hat. Zudem hat es seine Ermessenserwägungen an die Stelle derer des FA gesetzt und damit die Grenzen der ihm durch § 102 FGO eingeräumten Überprüfungsbefugnis überschritten.
Die Umsatzsteuer entsteht bei der Berechnung der Steuer nach vereinbarten Entgelten, die gemäß § 16 Abs. 1 Satz 1 UStG den gesetzlichen Regelfall darstellt, für Lieferungen und sonstige Leistungen mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem die Leistungen ausgeführt worden sind (§ 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a UStG –sog. Sollbesteuerung–). Bei der Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten entsteht die Steuer dagegen mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem die Entgelte vereinnahmt worden sind.
Das Finanzamt kann gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 UStG a.F. auf Antrag gestatten, dass ein Unternehmer,
- dessen Gesamtumsatz (§ 19 Abs. 3 UStG) im vorangegangenen Kalenderjahr nicht mehr als 500.000 EUR betragen hat, oder
- der von der Verpflichtung, Bücher zu führen und auf Grund jährlicher Bestandsaufnahmen regelmäßig Abschlüsse zu machen, nach § 148 AO befreit ist, oder
- soweit er Umsätze aus einer Tätigkeit als Angehöriger eines freien Berufs i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes ausführt,
die Steuer nicht nach den vereinbarten Entgelten (§ 16 Abs. 1 Satz 1 UStG), sondern nach den vereinnahmten Entgelten berechnet.
Gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 UStG a.F. ist für die Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten anstelle der Regelbesteuerung nach vereinbarten Entgelten mithin ein Antrag notwendig, auf Grund dessen das FA nach pflichtgemäßem Ermessen die Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten gestattet haben muss. Nach der Rechtsprechung des BFH handelt es sich bei der Gestattung nach § 20 UStG durch das FA um den Erlass eines begünstigenden Ermessens-Verwaltungsaktes i.S. der §§ 130, 131 AO. Dieser Verwaltungsakt muss nicht ausdrücklich, sondern kann auch stillschweigend bekanntgegeben werden. Da die Gestattung einer Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten (§ 20 UStG) und die hierauf beruhende Umsatzsteuerfestsetzung (§ 155 AO) zwei verschiedene Verfahren betreffen, kann die Umsatzsteuerfestsetzung nur dann als konkludente Gestattung der Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten ausgelegt werden, wenn mit ihr nach außen erkennbar auch eine Entscheidung über den entsprechenden Antrag getroffen wurde. Hieran dürfen aber keine übersteigerten Anforderungen gestellt werden. Vielmehr ist der Empfängerhorizont der Beteiligten entscheidend. Hat ein Steuerpflichtiger einen konkludenten Antrag auf Genehmigung der Istbesteuerung beim FA gestellt, dann hat die antragsgemäße Festsetzung der Umsatzsteuer den Erklärungsinhalt, dass der Antrag genehmigt worden ist.
Das FG hat zwar zutreffend entschieden, dass die Klägerin nicht allein deshalb von einer Gestattung durch das FA ausgehen konnte, weil sie im „Fragebogen zur steuerlichen Erfassung”, der von der Finanzverwaltung eigens hierfür vorgesehen ist, einen eindeutigen Antrag gestellt.
Es hat jedoch sodann seine Prüfung beendet und keine Feststellungen dazu getroffen, ob –soweit keine ausdrückliche Gestattung erfolgt ist– die Klägerin auf Grund des Verhaltens des FA in den Besteuerungszeiträumen 2007 bis 2009 von einer konkludenten Gestattung ausgehen konnte. Das wäre dann der Fall, wenn die Klägerin in den von ihr in diesen Besteuerungszeiträumen abgegebenen Voranmeldungen und Jahreserklärungen die Umsatzsteuer nach vereinnahmten Entgelten berechnet hat und dies für das FA erkennbar war. Anhaltspunkte hierfür könnten sich nach dem Vorbringen der Klägerin insbesondere aus den bislang nicht beigezogenen Feststellungsakten ergeben.
Auch soweit das FG entschieden hat, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Gestattung der Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten, kann sein Urteil keinen Bestand haben. Liegen die Voraussetzungen des § 20 Abs. 1 Satz 1 UStG a.F. vor, „kann” das Finanzamt die Istbesteuerung gestatten. Die Gestattung wird somit in das pflichtgemäße Ermessen (§ 5 AO) des Finanzamts.
Dies hat das FG nicht beachtet und nach den Ausführungen in den Entscheidungsgründen im Streitfall eigene Ermessenserwägungen angestellt. So wird dort formuliert, es „muss der Senat” für das Streitjahr 2010 von einer Gefährdung des Steueranspruchs ausgehen. Ferner lässt die Formulierung, „[s]chon in der insofern über längere Dauer zu erwartenden Zinsbeeinträchtigung sieht das Gericht einen hinreichenden Grund für die Versagung der Gestattung”, erkennen, dass das FG eigene Ermessenserwägungen angestellt und nicht nur die des FA überprüft hat. Auf die Zinsbeeinträchtigung hat das FA weder in der Einspruchsentscheidung vom 21. Oktober 2013 abgestellt, noch hat es dies im finanzgerichtlichen Verfahren vorgetragen.