Keine Berücksichtigung von Vorsteuerbeträgen als Werbungskosten bei Rechtsmissbräuchlichkeit des Vorsteuerabzugs

Ein Vorsteuerbetrag, der bei der Umsatzsteuer abgezogen werden kann (§ 9b Abs. 1 Satz 1 EStG), liegt nicht vor, wenn das FG im Verfahren wegen Umsatzsteuer rechtskräftig entschieden hat, dass die Inanspruchnahme des Vorsteuerabzugs i.S. von § 42 AO rechtsmissbräuchlich und der Vorsteuerabzug deshalb zu versagen ist.

Die Feststellung, ob der Steuerpflichtige beabsichtigte, langfristig Einkünfte aus dem Bausparvertrag zu erzielen, hat das FG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu treffen. Diese Feststellung ist als Frage der Tatsachen- und Beweiswürdigung vom Revisionsgericht nur daraufhin zu prüfen, ob sie gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstößt. Die Schlussfolgerungen des FG haben Bestand und sind daher bindend, wenn sie nur möglich, d.h. vertretbar sind; sie müssen nicht zwingend sein.

BFH Urteil vom 12.04.2016 – VIII R 60/14 BFH/NV 2016, 1455

Sachverhalt.

Streitig ist, ob der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) es zu Recht abgelehnt hat, bei der Einkommensteuerfestsetzung für das Jahr 1997 und bei der Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zur Einkommensteuer zum 31. Dezember 1997 und zum 31. Dezember 1998 Vorsteuerbeträge im Zusammenhang mit dem Erwerb von zwei Immobilienobjekten als Werbungskosten zu berücksichtigen. Hinsichtlich der Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zur Einkommensteuer zum 31. Dezember 1999 ist streitig, ob das FA zu Recht die Berücksichtigung der Abschlussgebühr für einen Bausparvertrag als Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen abgelehnt hat.

Begründung:

Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). Zutreffend hat das FG die Vorsteuerbeträge für den Erwerb der Gewerbeeinheiten in den Objekten J und C den Anschaffungs- und Herstellungskosten zugeordnet (dazu 1.). Das FG hat auch die Nichtabziehbarkeit der Abschlussgebühr für den Bausparvertrag als Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise mit einem Fehlen der Einkünfteerzielungsabsicht begründet (dazu 2.).

Das FG hat zu Recht die Vorsteuerbeträge den Anschaffungs- und Herstellungskosten der Objekte J und C zugeordnet.

Nach § 9b Abs. 1 Satz 1 EStG gehört der Vorsteuerbetrag nach § 15 des Umsatzsteuergesetzes (UStG), soweit er bei der Umsatzsteuer abgezogen werden kann, nicht zu den Anschaffungs- oder Herstellungskosten des Wirtschaftsguts, auf dessen Anschaffung oder Herstellung er entfällt. Nach § 9b Abs. 1 Satz 2 EStG braucht der Teil des Vorsteuerbetrags, der nicht abgezogen werden kann, den Anschaffungs- oder Herstellungskosten des Wirtschaftsguts, auf dessen Anschaffung oder Herstellung der Vorsteuerbetrag entfällt, nicht zugerechnet zu werden, wenn er 25 v.H. des Vorsteuerbetrags und 500 DM nicht übersteigt (Nr. 1 der Vorschrift) oder wenn die zum Ausschluss vom Vorsteuerabzug führenden Umsätze nicht mehr als 3 v.H. des Gesamtumsatzes betragen (Nr. 2 der Vorschrift).

Wird ein Mietobjekt errichtet, das zur Erzielung von Vermietungseinkünften genutzt werden soll, so ist die dem Bauherren in Rechnung gestellte Umsatzsteuer im Jahr ihrer Zahlung nach § 9b Abs. 1 Satz 1 EStG als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung abziehbar, sofern auf die Steuerfreiheit für Vermietungsumsätze verzichtet wird. Die Abziehbarkeit von Vorsteuerbeträgen hängt mithin von der nach Umsatzsteuerrecht zu beurteilenden Berechtigung des Steuerpflichtigen zum Vorsteuerabzug nach § 15 UStG ab. Mit der Abziehbarkeit der Vorsteuerbeträge soll erreicht werden, dass sich diese ähnlich wie durchlaufende Posten erfolgsneutral auswirken.

Die Regelung des § 9b Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 EStG zielt als Ausnahmevorschrift darauf, Komplikationen insbesondere für solche Unternehmen zu vermeiden, die nahezu ausschließlich zum Vorsteuerabzug berechtigende Umsätze tätigen und ohne die Regelung der Nr. 2 wegen geringfügiger “schädlicher” Umsätze die Einbeziehung der nicht als Vorsteuer abziehbaren Umsatzsteuer in die Anschaffungskosten umsetzen müssten

Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das FG zutreffend die Vorsteuer für den Erwerb der Gewerbeeinheiten in den Objekten J und C den Anschaffungs- und Herstellungskosten zugeordnet.

Ein Vorsteuerbetrag, der bei der Umsatzsteuer abgezogen werden kann (§ 9b Abs. 1 Satz 1 EStG), liegt nicht vor, wenn die Inanspruchnahme der Vorsteuer nach § 42 AO rechtsmissbräuchlich ist.

Bereits nach dem Wortlaut der Vorschrift (abgezogen werden “kann”) ist die Frage der Berechtigung des Steuerpflichtigen zum Vorsteuerabzug nach materiellem Umsatzsteuerrecht (§ 15 UStG) zu beantworten. Wie der BFH in den Fällen der Zwischenvermietung bereits entschieden hat, kommt ein Werbungskostenabzug der Vorsteuerbeträge gemäß § 9b Abs. 1 Satz 1 EStG nicht in Betracht, wenn die Abziehbarkeit der Vorsteuer wegen eines Missbrauchs von Gestaltungsmöglichkeiten (§ 42 AO) zu versagen ist.

Ein solches Verständnis des § 9b Abs. 1 Satz 1 EStG, nach dem die Abziehbarkeit von Vorsteuerbeträgen i.S. der Vorschrift fehlt, wenn der Vorsteuerabzug nach § 42 AO entfällt, entspricht auch dem Zweck der Vorschrift. Denn ein Bedürfnis dafür, die Vorsteuerbeträge –dem Ziel des § 9b Abs. 1 Satz 1 EStG entsprechend– im Ertragsteuerrecht ähnlich einem durchlaufenden Posten erfolgsneutral zu behandeln, ist nur gegeben, wenn umsatzsteuerrechtlich überhaupt die Möglichkeit besteht, die Vorsteuer abzuziehen (vgl. BTDrucks V/2185, S. 6 f.). Fehlt es hieran, weil die Inanspruchnahme wegen eines Missbrauchs der Gestaltungsmöglichkeiten (§ 42 AO) zu versagen ist, und trägt der Steuerpflichtige damit die Kostenlast für die Vorsteuer, besteht kein Anlass, diesen Aufwand ausnahmsweise nicht den Anschaffungs- und Herstellungskosten des jeweiligen Wirtschaftsguts zuzuordnen.

Auch wenn die für § 9b Abs. 1 Satz 1 EStG erhebliche Berechtigung zum Vorsteuerabzug allein nach Umsatzsteuerrecht zu beurteilen ist, ist es nicht entscheidend, ob sich der Vorsteuerabzug in einem Umsatzsteuerbescheid ausgewirkt hat.

Umgekehrt gilt aber, dass die Qualifikation eines Betrags als Vorsteuerbetrag, der bei der Umsatzsteuer wegen eines Rechtsmissbrauchs nicht abgezogen werden kann (§ 9b Abs. 1 Satz 1 EStG), der Behandlung im Rahmen der umsatzsteuerrechtlichen Steuerfestsetzung jedenfalls dann folgt, wenn hierüber rechtskräftig entschieden ist. Das über die Anwendung von § 9b Abs. 1 Satz 1 EStG entscheidende Gericht ist insoweit nach § 110 FGO an eine rechtskräftige Entscheidung über die nicht bestehende Berechtigung zum Vorsteuerabzug gebunden. Gemäß § 110 Abs. 1 FGO binden rechtskräftige Urteile, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist, u.a. die Beteiligten. Durch die Rechtskraftwirkung ist hinsichtlich des tenorierten Inhalts des Urteils –vorbehaltlich der Möglichkeiten eines Restitutions- oder Wiederaufnahmeverfahrens– über den Streitgegenstand abschließend entschieden. Dies gilt unabhängig davon, wie die Frage richtigerweise zu entscheiden gewesen wäre.  Nach diesen Maßstäben ist der Senat hinsichtlich der gemäß § 42 AO nicht gegebenen Berechtigung zum Vorsteuerabzug an das zwischenzeitlich rechtskräftige Urteil des FG Münster in EFG 2007, 1562 gebunden.

Auch die Ausnahmeregelungen des § 9b Abs. 1 Satz 2 EStG greifen nicht ein.

Nr. 1 der Vorschrift scheidet bereits aus, da die Vorsteuerbeträge in Höhe von 40.956,52 DM (Gewerbeeinheit Objekt J) und 53.793,10 DM (Gewerbeeinheit Objekt C) die maßgeblichen Werte jeweils überschreiten.

Die nicht abziehbaren Vorsteuerbeträge aus dem Erwerb der Gewerbeeinheiten der Objekte J und C fallen auch nicht unter die Ausnahmeregelung in Nr. 2 der Vorschrift. § 9b Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 EStG erfasst nicht den Fall, dass die Inanspruchnahme der Vorsteuer nach § 42 AO als rechtsmissbräuchlich abzulehnen ist. Sie knüpft vielmehr an einen teilweisen Vorsteuerabzug, insbesondere eine Vorsteueraufteilung nach der Regelung des § 15 Abs. 4 UStG, an.

Soweit das FG hinsichtlich des Bausparvertrags das Fehlen einer Einkünfteerzielungsabsicht der Kläger mit der Folge angenommen hat, dass die Abschlussgebühr für den Bausparvertrag nicht als Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen abziehbar sei, hält dies einer revisionsrechtlichen Prüfung stand.

Nach § 9 Abs. 1 i.V.m. § 20 EStG sind Aufwendungen in vollem Umfang Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen, wenn sie durch die Erzielung von Einnahmen im Rahmen dieser Einkunftsart veranlasst sind

Einnahmen und Werbungskosten im Zusammenhang mit Bauspardarlehen führen grundsätzlich zu Einkünften aus Kapitalvermögen (§ 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG), sofern sie nicht nach § 20 Abs. 3 EStG einer anderen Einkunftsart zuzurechnen sind, weil sie mit dieser in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen. Voraussetzung hierfür ist, dass aus dem Bausparvertrag ein Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten erwartet werden kann. Dabei ist die Überschusserzielungsabsicht nach ständiger Rechtsprechung für jede einzelne Kapitalanlage gesondert zu beurteilen.

Die Feststellung, ob der Steuerpflichtige beabsichtigte, langfristig Einkünfte aus dem Bausparvertrag zu erzielen, hat das FG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu treffen. Diese Feststellung ist als Frage der Tatsachen- und Beweiswürdigung vom Revisionsgericht nur daraufhin zu prüfen, ob sie gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze.  Die Schlussfolgerungen des FG haben Bestand und sind daher bindend, wenn sie nur möglich, d.h. vertretbar sind; sie müssen nicht zwingend sein.

Nach diesen Maßstäben ist das FG zu Recht davon ausgegangen, dass die Abschlussgebühr für den Bausparvertrag infolge des Zusammenhangs mit dem Erwerb der nicht vermieteten Wohnung in N grundsätzlich (nur) bei den Einkünften aus Kapitalvermögen als Werbungskosten berücksichtigt werden könnte, soweit die Kläger im Hinblick auf den Bausparvertrag mit der Absicht gehandelt hätten, einen Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten zu erzielen.

Das FG hat im Streitfall das Vorliegen einer Überschusserzielungsabsicht der Kläger in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise verneint. Das FG verstößt nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze, wenn es ausschließt, dass der vereinbarte Zinssatz auf die Bauspareinlage bei den festgestellten niedrigen monatlichen Einzahlungsraten nicht ausreichend hoch sei, um bei einer Laufzeit von 15 Jahren einen Überschuss der Zinserträge über die Abschlussgebühr zu erwirtschaften. Diese Annahme des FG ist angesichts der Vielzahl unterschiedlicher Bausparvertragstarife zumindest möglich; die Kläger haben es trotz mehrfacher Aufforderung durch das FG unterlassen, die in ihrer Sphäre liegenden Unterlagen über die Höhe des Zinssatzes auf die Bauspareinlage vorzulegen.