Bilanzierung von Verbindlichkeiten bei Rangrücktritt

Der Senat hält daran fest, dass eine Verbindlichkeit, die nach einer im Zeitpunkt der Überschuldung getroffenen Rangrücktrittsvereinbarung nur aus einem zukünftigen Bilanzgewinn und aus einem etwaigen Liquidationsüberschuss zu tilgen ist, dem Passivierungsverbot des § 5 Abs. 2a EStG unterliegt und der hierdurch ausgelöste Wegfallgewinn, sofern er auf dem Gesellschaftsverhältnis beruht, durch den Ansatz einer Einlage in Höhe des werthaltigen Teils der betroffenen Forderungen zu neutralisieren ist (Bestätigung des Senatsurteils vom 15. April 2015 I R 44/14, BFHE 249, 493, BStBl II 2015, 769).

BFH Urteil vom 10.08.2016 – I R 25/15 (NV) (veröffentlicht am 21.12.2016)

Begründung:

Die Revision hat nur teilweise Erfolg. Sie ist, soweit das FG über die Streitjahre 2000 und 2001 entschieden hat, nicht begründet. Im Übrigen (Verlustfeststellungsbescheide 2002) ist die Revision begründet und die Sache mangels Spruchreife zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.

Die Revision bleibt ohne Erfolg, soweit das FG der Klage gegen die Feststellungen der gewerbe- und körperschaftsteuerlichen Verlustvorträge auf das Ende der Streitjahre 2000 und 2001 sowie gegen die Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags 2001 stattgegeben hat.

Hierbei ist die Vorinstanz zu Recht davon ausgegangen, dass die Klägerin durch die Verlustfeststellungsbescheide, mit denen jeweils um die gewinnerhöhende Auflösung der Gesellschafterdarlehen gekürzte Verlustbeträge festgestellt worden sind, beschwert ist und ihre gegen diese Bescheide gerichtete Klage zulässig war. Ihrer Klagebefugnis steht nicht entgegen, dass die angefochtenen Verlustfeststellungen auf den 31. Dezember 2001 auf jeweils 0 DM (EUR) lauten und der Senat mit Urteil vom 11. November 2014 I R 51/13 (BFH/NV 2015, 305) ausgesprochen hat, dass auch ein auf 0 EUR lautender Steuerbescheid angefochten werden kann, wenn die Festsetzung auf einem Verlustrücktrag beruht und geltend gemacht wird, durch den Ansatz weiterer Betriebsausgaben sei das Verlustrücktragsvolumen geringer. Abgesehen davon, dass das Gewerbesteuerrecht keinen Verlustrücktrag kennt, sind die vorgenannten Grundsätze bereits deshalb nicht geeignet, das Klagerecht der Klägerin einzuschränken, weil diese nach ihrer materiellen Beurteilung in allen Streitjahren (2000 bis 2002) nur negative Einkommen erzielt hat und deshalb auch die auf den 31. Dezember 2001 festzustellenden Verluste (§ 10d Abs. 4 EStG i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG) nicht durch einen intertemporalen Verlustausgleich beeinflusst werden können.
Das FG hat der Klage gegen die vorgenannten –zu den Streitjahren 2000 und 2001 ergangenen– Bescheide im Ergebnis zu Recht stattgegeben. Dabei ist allerdings nicht darauf einzugehen, ob die im Streitfall getroffenen Rangrücktrittsabreden nach der ertragsteuerrechtlichen Sondervorschrift des § 5 Abs. 2a EStG dazu führen, dass die von den Abreden betroffenen Gesellschafterdarlehen in der Steuerbilanz der Klägerin nicht ausgewiesen werden dürfen (s. hierzu nachfolgend zu II.2.b der Gründe). Hierauf ist für die Streitjahre 2000 und 2001 deshalb nicht einzugehen, weil –was das FA offensichtlich nicht beachtet hat– die Rangrücktritte, so die bindenden Feststellungen des FG, erst 2002 vereinbart worden sind und deshalb nach dem Stichtagsprinzip des § 242 Abs. 1 des Handelsgesetzbuchs –HGB– (s. hierzu Senatsurteil vom 2. Juli 2014 I R 46/12, BFHE 246, 339, BStBl II 2014, 979: Bilanzierung nach den Verhältnissen des jeweiligen Bilanzstichtags), das zu den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung gehört und damit –mangels einer anderslautenden Regelung in § 5 Abs. 2a EStG– gemäß dem Maßgeblichkeitsgrundsatz auch ertragsteuerrechtlich zu beachten ist (§ 5 Abs. 1 EStG i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG und § 7 des Gewerbesteuergesetzes), frühestens zum 31. Dezember 2002 den steuerbilanziellen Ausweis der hiervon betroffenen Darlehen beeinflussen konnten. Demgemäß waren die Gesellschafterdarlehen für die zuvor endenden Wirtschaftsjahre (Streitjahre 2000 und 2001) ungeachtet dessen zu passivieren, ob die Klägerin über ein hinreichendes Vermögen verfügt, um diesen und ihren weiteren Verpflichtungen nachzukommen (ständige Rechtsprechung, z.B. Senatsurteil vom 15. April 2015 I R 44/14, BFHE 249, 493, BStBl II 2015, 769).
Soweit sich die Revision gegen das vorinstanzliche Urteil zu den auf den 31. Dezember 2002 ergangenen Verlustfeststellungsbescheiden richtet, ist sie begründet und die Sache an die Vorinstanz zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO).

Die im Streitfall getroffenen Rangrücktrittsvereinbarungen, nach denen die Gesellschafterforderungen “hinter die Forderungen anderer Gläubiger (mit Ausnahme der Mitgesellschafter) zurücktreten (und) ihre Befriedigung nur aus einem künftigen Bilanzgewinn oder aus einem etwaigen Liquidationsüberschuss (verlangt werden) kann”, stimmen in ihren entscheidungserheblichen Passagen mit dem Wortlaut der Abreden überein, die dem Senatsurteil in BFHE 249, 493, BStBl II 2015, 769 zugrunde lagen. Der Senat hat hierzu ausgeführt, dass eine Verbindlichkeit, die nach einer im Zeitpunkt der Überschuldung getroffenen Rangrücktrittsvereinbarung nur aus einem zukünftigen Bilanzgewinn und aus einem etwaigen Liquidationsüberschuss zu tilgen ist, dem Passivierungsverbot des § 5 Abs. 2a EStG 2002 unterliegt; er hat hiermit zugleich sein Urteil vom 30. November 2011 I R 100/10 (BFHE 235, 476, BStBl II 2012, 332) bestätigt.
Dem Urteil in BFHE 249, 493, BStBl II 2015, 769 ist im Schrifttum teilweise zugestimmt worden (z.B. Schmidt/Weber-Grellet, EStG, 35. Aufl., § 5 Rz 315 und Rz 550 “Gesellschafterfinanzierung…”; Blümich/Krumm, § 5 EStG Rz 762; Blumenberg/Neumann, Die Unternehmensbesteuerung –Ubg– 2016, 181; Dötsch, jurisPR-SteuerR 45/2015 Anm. 2; Gosch, BFH/PR 2015, 287; Wacker, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2016, 108; derselbe, Nationale und internationale Unternehmensbesteuerung in der Rechtsordnung, Festschrift für Dietmar Gosch, 2016, S. 415; zweifelnd –u.a.– Schnitger, Der Betrieb 2015, 1989; offen Kamchen/Kling, Neue Wirtschaftsbriefe 2015, 2863; K. Schmidt, Betriebs-Berater –BB– 2016, 2). Andere Autoren sind der Entscheidung aus unterschiedlichen Gründen entgegengetreten (hierzu nachfolgend). Der Senat hält auch nach erneuter Überprüfung an seiner Auffassung fest.

Die Ansicht, der Bundesfinanzhof (BFH) habe die Vermögenslosigkeit zum Nicht-Passivierungskriterium gekürt (Briese, GmbH-Rundschau –GmbHR– 2015, 884; ähnlich Rätke, Unternehmensteuern und Bilanzen 2015, 771), lässt ganz offensichtlich die tragenden Erwägungen der Rechtsprechung außer Acht. Insbesondere hat der Senat auch im Urteil in BFHE 249, 493, BStBl II 2015, 769 keinen Zweifel daran gelassen, dass mit Rücksicht auf das Gebot des vollständigen Vermögensausweises (§ 246 Abs. 1 HGB) allein die Vermögenslosigkeit des Schuldners nicht dazu führt, eine rechtlich bestehende Verpflichtung aus dem handels- oder steuerrechtlichen Abschluss auszubuchen, und Gleiches für den Fall gilt, dass eine Rangrücktrittsvereinbarung die Verpflichtung bestehen lässt, die subordinierten Gesellschafterforderungen aus dem nach Begleichung der vorrangigen Ansprüche verbleibenden sog. freien Vermögen zu tilgen. Demgemäß ist ein steuerrechtliches Passivierungsverbot erst dann zu bejahen, wenn der Rangrücktritt nach Maßgabe der Tatbestandsvoraussetzungen des § 5 Abs. 2a EStG –einer den Maßgeblichkeitsgrundsatz durchbrechenden ertragsteuerrechtlichen Sondervorschrift– in dem Sinne spezifiziert wird, dass die hiervon betroffenen Verpflichtungen nur zu erfüllen sind, soweit künftig Einnahmen oder Gewinne anfallen, und deshalb –so die Rechtsfolge der Vorschrift– deren Passivierung daran gebunden ist, dass die Einnahmen oder Gewinne angefallen sind.

Tragend ist mithin auch im Rahmen dieser Beurteilung nicht das wirtschaftliche Unvermögen, für die Schulden aufkommen zu können, sondern der rechtliche Gehalt der vereinbarten Durchsetzungssperre. Den Anforderungen des § 5 Abs. 2a EStG ist aber nicht nur genügt, wenn der Rangrücktritt eine Tilgung nur aus zukünftigen Jahresüberschüssen oder Steuerbilanzgewinnen vorsieht. Vielmehr hat der Senat hierzu auch eine im Zeitpunkt der Überschuldung getroffene Abrede gerechnet, nach der Forderungen aus zukünftigen handelsrechtlichen Bilanzgewinnen zu begleichen sind; dass in den Bilanzgewinn auch Kapitalrücklagen eingehen können, hat der Senat nicht nur wirtschaftlich, sondern –und vor allem– auch bei rechtlicher Beurteilung der Abrede als unmaßgeblich erachtet, weil solche Rücklagen vorrangig mit den Verlustvorträgen zu verrechnen sind (vgl. § 268 Abs. 1 Satz 2 HGB; Senatsurteil in BFHE 249, 493, BStBl II 2015, 769; Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, 6. Aufl., HGB § 268, Rz 15; Winnefeld, Bilanz-Handbuch, 5. Aufl., G Rz 440). Der Senat sieht keine Veranlassung, von dieser Wertung –d.h. der rechtlichen Gleichstellung mit Vereinbarungen, die nur auf den handelsrechtlichen Jahresüberschuss abstellen– abzurücken. Demgemäß erübrigt sich auch eine Stellungnahme dazu, ob –unabhängig von der Frage der Überschuldung und der hierdurch bedingten Verwendungsbeschränkung der Kapitalrücklagen– allein der Zukunftsbezug einer Rangrücktrittsabrede, die eine Schuldentilgung aus künftigen handelsrechtlichen Bilanzgewinnen vorsieht, das steuerrechtliche Passivierungsverbot des § 5 Abs. 2a EStG auslöst (so z.B. Blumenberg/Neumann, Ubg 2016, 185; Weber-Grellet, BB 2016, 43, 46).

Nicht durchgreifen kann ferner der Einwand des Schrifttums, die auch im Streitfall vereinbarte Tilgung aus einem Liquidationsüberschuss belaste das aktuelle Vermögen des Schuldners (Oser, BB 2015, 1906). Der Senat hat hierzu bereits in seinem Urteil in BFHE 249, 493, BStBl II 2015, 769 ausführlich Stellung genommen; bisher nicht berücksichtigte Gesichtspunkte kann er nicht erkennen. Er verweist deshalb auch insoweit –zur Vermeidung von Wiederholungen– auf die vorgenannte Entscheidung.

Nicht zu folgen ist schließlich der Ansicht, der Wegfallgewinn (Ausbuchung der Gesellschafterforderung in der Steuerbilanz) sei im Falle seiner Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis durch eine Einlage zu kompensieren, die entgegen dem Senatsurteil in BFHE 249, 493, BStBl II 2015, 769 nicht nach dem Teilwert der Gesellschafterforderungen, sondern nach deren Nennwert bemessen werden müsse (z.B. W. Müller, BB 2016, 491; Altrichter-Herzberg, GmbHR 2015, 1121). Das Urteil in BFHE 249, 493, BStBl II 2015, 769 fußt auf der durch den Großen Senat des BFH begründeten und zwischenzeitlich in ständiger Rechtsprechung vertretenen Beurteilung, dass bei einem auf dem Gesellschaftsverhältnis beruhenden Verzicht eines Gesellschafters auf seine nicht mehr vollwertige Forderung gegenüber seiner Kapitalgesellschaft die Einlage in Höhe des Teilwerts der Forderung anzusetzen ist (Beschluss des Großen Senats des BFH vom 9. Juni 1997 GrS 1/94, BFHE 183, 187, BStBl II 1998, 307; Senatsurteil vom 12. Juli 2012 I R 23/11, BFHE 238, 344). Demgemäß kann für den Fall eines Rangrücktritts nichts anderes gelten. Auch ist nicht erkennbar, weshalb eine Einlage deshalb mit dem Buchwert bewertet werden müsste, weil ein Rangrücktritt –im Gegensatz zu einem Verzicht (ggf. mit Besserungsabrede)– den Bestand der zurückgetretenen Forderung unberührt lässt.