Zur Steuerfreiheit von Leistungen eines Sozialtrainers

Die Leistungen eines selbständigen Sozialtrainers können nach § 4 Nr. 25 Buchst. b Doppelbuchst. bb UStG steuerfrei sein, wenn der Träger der öffentlichen oder freien Jugendhilfe diese Leistungen im vorangegangenen Kalenderjahr ganz oder zum überwiegenden Teil unmittelbar oder mittelbar (durchgeleitet) vergütet hat.
Ist dieser Sozialtrainer als Subunternehmer für einen Hauptunternehmer (z.B. eine psychologische Praxis) tätig und vergütet der Kostenträger Leistungen des Hauptunternehmers, ohne die Kosten für den Subunternehmer ausdrücklich zu übernehmen, so werden die Leistungen des Subunternehmers nicht von einem Träger der öffentlichen oder freien Jugendhilfe, sondern nur vom Hauptunternehmer vergütet.
BFH Urteil vom 30.112016 – VR 10/16 BFH/NV 2017, 627
Sachverhalt:
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist freiberuflich als Sozialtrainer tätig. Er ließ sich als Kommunikationstrainer ausbilden und wurde für Volkshochschulen, Unternehmen und Verbände praktisch tätig. Seit 1993 arbeitet er mit Personen, die unter Autismus leiden und bildet auf diesem Spezialgebiet auch Trainer aus.
Nachdem der Kläger seinen Gewinn zur Einkommensteuer zunächst unter Berücksichtigung von Umsatzerlösen, Eigenverbrauch und vereinnahmter Umsatzsteuer ermittelt hatte, erklärte er steuerfreie Umsätze und setzte die Umsatzsteuer in seiner Jahreserklärung 2009 mit 0 EUR an. Hingegen setzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) mit unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Bescheid vom 16. August 2011 die Umsatzsteuer 2009 unter Abzug der Vorsteuerbeträge mit… EUR fest.
Begründung:
Das Urteil ist aufzuheben, weil es die Steuerfreiheit der Leistungen allein von der Voraussetzung abhängig macht, ob der Kläger seine Vergütungen vom Träger der Jugendhilfe oder des Sozialamtes unmittelbar erhalten hat. Damit hat das FG § 4 Nr. 25 Buchst. b Doppelbuchst. bb UStG verletzt.
Die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 25 Buchst. b Doppelbuchst. bb UStG setzt voraus, dass Leistungen erbracht werden, die im vorangegangenen Kalenderjahr ganz oder zum überwiegenden Teil entweder durch Träger der öffentlichen Jugendhilfe (Alternative 1) oder durch Einrichtungen nach Buchst. a (Alternative 2) vergütet wurden. Der Senat legt § 4 Nr. 25 Buchst. b Doppelbuchst. bb UStG unionsrechtskonform dahingehend aus, dass eine Vergütung durch Träger der öffentlichen Jugendhilfe nicht nur im Falle einer unmittelbaren, sondern auch bei einer nur mittelbaren (durchgeleiteten) Kostentragung. Diese Auslegung entspricht dem Zweck der Steuerbefreiung, die begünstigten Leistungen durch Kostensenkung zugänglicher zu machen.
Das bedeutet aber nicht, dass jede nur mittelbare Kostentragung ausreicht, um die Voraussetzungen des § 4 Nr. 25 Buchst. b Doppelbuchst. bb UStG zu erfüllen. Denn nach dem ausdrücklichen Wortlaut dieser Vorschrift muss es sich um Leistungen handeln, die im vorangegangenen Kalenderjahr vergütet wurden. Das heißt: Der Träger der öffentlichen oder freien Jugendhilfe muss die Leistung des Unternehmers vergüten.. Dort wurde dem Jugendamt unter Mitteilung des jeweiligen Subunternehmers ein Kostenvoranschlag unterbreitet, worauf das Jugendamt den Auftrag mündlich erteilte. Es sagte in Kenntnis der Person des Subunternehmers zu und übernahm die Kosten. Damit hatte es die Durchführung der Maßnahme durch den jeweiligen Subunternehmer. Vergütet der Kostenträger aber Leistungen eines Unternehmers, ohne die Kosten für den Subunternehmer ausdrücklich zu übernehmen, so werden die Leistungen des Subunternehmers gerade nicht, wie es § 4 Nr. 25 Buchst. b Doppelbuchst. bb UStG verlangt, von einem Träger der öffentlichen oder freien Jugendhilfe vergütet. Es bleiben dann lediglich Leistungen an den Hauptunternehmer (den Auftraggeber), die dieser vergütet.
Die Vorentscheidung ist aufzuheben, weil sie den in II.1. dargestellten Maßstäben nicht entspricht und lediglich darauf abgestellt hat, ob die Leistungen des Klägers direkt von den zuständigen Kostenträgern vergütet wurden. Darüber hinaus fehlen jegliche Feststellungen zu den entscheidenden Verhältnissen des Vorjahres. Deshalb kann der erkennende Senat nicht selbst entscheiden. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG wird in einer neuen Verhandlung und Entscheidung die notwendigen Feststellungen nachzuholen haben.
Der Kläger hat Leistungen der Jugendhilfe nach § 2 Abs. 2 Sozialgesetzbuch (SGB) VIII erbracht. Gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 5 SGB VIII umfasst die Jugendhilfe u.a. die “Hilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche und ergänzende Leistungen nach § 35a bis 37”. Nach § 35a SGB VIII ist Kostenersatz zu leisten für Maßnahmen der Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche, wobei diese “in ambulanter Form, in Tageseinrichtungen für Kinder oder in anderen teilstationären Einrichtungen durch geeignete Pflegepersonen und in Einrichtungen über Tag und Nacht sowie in Wohnform geleistet” werden. Nach der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung gehören zu den Kosten der Eingliederungshilfe auch Aufwendungen für autistische Kinder und Jugendliche einschließlich Kosten des –durch den Kläger geleisteten– Sozialtrainings (Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 15. Oktober 2013 10 B 1254/13). Denn Autismus ist eine seelische oder psychische Erkrankung der Wahrnehmung und Informationsverarbeitung, die sich in schweren Kontaktstörungen äußert (vgl. Stähr in Hauck/Noftz, Kommentar zum Sozialgesetzbuch, § 35a SGB VIII Rz 27f).
Es kommt auch in Betracht, dass der Kläger als “Einrichtung” anzusehen ist, der Leistungen erbringt, die im vorangegangenen Kalenderjahr ganz oder zum überwiegenden Teil durch Träger der öffentlichen Jugendhilfe oder Einrichtungen nach Buchstabe a vergütet wurden. Hierbei fallen unter den Begriff der “Einrichtung”, da das nationale Recht an die Begrifflichkeit des Unionsrechts anknüpft (BTDrucks 16/6290, S. 78), nicht nur juristische, sondern auch natürliche Personen wie der Kläger (vgl. z.B. EuGH-Urteil Les Jardins de Jouvence vom 21. Januar 2016 C-335/14, EU:C:2016:36, Rz 39, m.w.N.). Weitere unternehmerbezogene Voraussetzungen im Sinne eines akademischen Abschlusses oder einer Fachausbildung verlangt § 4 Nr. 25 Buchst. b Doppelbuchst. bb UStG nicht. Die Eigenschaft als “Einrichtung mit sozialem Charakter” ergibt sich nach dem Gesetzeswortlaut (“Einrichtungen mit sozialem Charakter sind”…) ausschließlich daraus, dass Leistungen erbracht werden, die im vorangegangenen Kalenderjahr ganz oder zum überwiegenden Teil nach den unter II.1. und 2. dargestellten Grundsätzen vergütet wurden. Im Übrigen werden auch sozialrechtlich nach § 35a Abs. 2 SGB VIII für Leistungen der Wiedereingliederungshilfe keine besonderen fachlichen Anforderungen gestellt. Soweit die Leistungen in einer Pflege bestehen, wird lediglich eine “geeignete Pflegeperson” vorausgesetzt (§ 35a Abs. 2 Nr. 3 SGB VIII), bei Hilfen in ambulanter Form nach § 35a Abs. 2 Nr. 1 SGB VIII werden keine Einschränkungen gefordert. Für eine entsprechende Eignung des Klägers zur Durchführung der ambulanten Hilfen in Form des Sozialtrainings von Autisten spräche seine jahrelange praktische Erfahrung.
Soweit es um Leistungen des Klägers an erwachsene Autisten geht, wird das FG außerdem § 4 Nr. 16 Buchst. k UStG a.F. zu prüfen haben. Diese Steuerbefreiung setzt voraus, dass im vorangegangenen Kalenderjahr die Betreuungs- oder Pflegekosten in mindestens 40 % der Fälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder der Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil vergütet worden sind.
Hinzu kommt Folgendes: Da sich der Kläger –wie sich den Akten entnehmen lässt– im Vertrag mit der Praxis… e.V. zum gesonderten Ausweis von Umsatzsteuer verpflichtet und nach seiner Gewinnermittlung Umsatzsteuer tatsächlich vereinnahmt hat, muss der Kläger durch Vorlage der Rechnungen oder Gutschriften nachweisen, dass er Rechnungen ohne Umsatzsteuer gestellt oder Gutschriften ohne Umsatzsteuerausweis entgegengenommen hat, um eine Steuerschuld bereits wegen unberechtigten Umsatzsteuerausweises nach § 14c Abs. 1 UStG zu vermeiden. Die Feststellungslast für das Vorliegen der Voraussetzungen der Steuerbefreiungen trägt der Kläger.