Berücksichtigung des Verkaufspreises für eine Eigentumswohnung als Nachweis des niedrigeren Werts nach Bestandskraft des Wertfeststellungsbescheids

Die Änderung eines bestandskräftigen Feststellungsbescheids nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO kommt bei einem zeitnahen Verkauf der Wohnung nur in Betracht, wenn die Wohnung schon vor der abschließenden Entscheidung des Finanzamts über die Feststellung verkauft wurde.
Wird der Kaufvertrag erst nach der abschließenden Entscheidung des Finanzamts über die Feststellung abgeschlossen, liegt ein nachträglich entstandenes Beweismittel vor, das nicht zu einer Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO führt.

Der erst nach Eintritt der Bestandskraft der Feststellungsbescheide erfolgte Verkauf der Eigentumswohnung ist kein rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO, das die Änderung der Wertfeststellung rechtfertigt.

BFH Urteil vom 17.05.2017n- II R 60/15 BFH/NV 2017, 1299

Sachverhalt:
Die Klägerinnen und Revisionsklägerinnen (Klägerinnen) erhielten im Wege einer Schenkung mit Wirkung zum 7. Juli 2010 als Miteigentümer jeweils zur Hälfte eine Eigentumswohnung.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) stellte mit Bescheiden vom 16. Juni 2011 den Grundbesitzwert für Zwecke der Schenkungsteuer zum 7. Juli 2010 auf 62.183 EUR gesondert fest und rechnete den Wert den Klägerinnen jeweils zur Hälfte zu. Die Feststellungsbescheide sind bestandskräftig.
Mit notariell beurkundetem Vertrag vom 27. September 2011 veräußerten die Klägerinnen die ihnen zugewendete Eigentumswohnung und eine der Klägerinnen die ihr allein gehörende, im selben Objekt befindliche gleich große Eigentumswohnung zum Gesamtpreis von 100.000 EUR.

Mit Schreiben vom 21. Mai 2014 beantragten die Klägerinnen, für die zugewendete Eigentumswohnung im Hinblick auf den zeitnah erfolgten Verkauf einen Grundbesitzwert von 50.000 EUR festzustellen und die bestandskräftigen Feststellungsbescheide vom 16. Juni 2011 nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO) zu ändern. Das FA lehnte mit Bescheid vom 28. Mai 2014 eine Änderung der Feststellungsbescheide ab, weil die zugewendete Eigentumswohnung erst nach der Feststellung des Grundbesitzwerts veräußert worden und damit keine Tatsache nachträglich bekannt geworden sei. Ein rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO liege ebenfalls nicht vor. Der Einspruch blieb ohne Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2016, 693 veröffentlichten Urteil ab.
Mit der Revision rügen die Klägerinnen eine Verletzung von § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO i.V.m. § 198 des Bewertungsgesetzes in der für 2010 maßgebenden Fassung (BewG).
Die Klägerinnen beantragen, die Vorentscheidung aufzuheben und das FA zu verpflichten, den Ablehnungsbescheid vom 28. Mai 2014 sowie die Einspruchsentscheidung vom 23. Oktober 2014 aufzuheben und die Bescheide vom 16. Juni 2011 über die gesonderte Feststellung des Grundbesitzwerts zum 7. Juli 2010 dahin zu ändern, dass der Wert der Eigentumswohnung mit 50.000 EUR festgestellt und ihnen jeweils zur Hälfte zugerechnet wird.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Begründung:

Die Revision ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). Das FG hat zutreffend entschieden, dass die Voraussetzungen für eine Änderung der bestandskräftigen Feststellungsbescheide nicht vorliegen.
Die Feststellungsbescheide sind nicht nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO zu ändern.

Nach dieser Vorschrift ist ein Steuerbescheid zu ändern, wenn Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden. Die Änderungsnorm gilt sinngemäß auch für Feststellungsbescheide (§ 181 Abs. 1 Satz 1 AO).
Ein Beweismittel ist i.S. von § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO nachträglich bekannt geworden, wenn es beim Erlass des zu ändernden Bescheids zwar bereits existierte, aber dem Finanzamt nicht bekannt war. Dagegen scheidet eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO bei einem nachträglich entstandenen Beweismittel aus.
Weist der Steuerpflichtige nach, dass der gemeine Wert der wirtschaftlichen Einheit am Bewertungsstichtag niedriger ist als der nach den §§ 179, 182 bis 196 BewG ermittelte Wert, so ist dieser Wert anzusetzen (§ 198 Satz 1 BewG). Ein im gewöhnlichen Geschäftsverkehr zeitnah zum maßgeblichen Besteuerungsstichtag erzielter Kaufpreis für das zu bewertende Grundstück kann als Nachweis in diesem Sinne dienen. Zeitnah ist regelmäßig ein Kaufpreis, der auf einem innerhalb eines Jahres vor oder nach dem Besteuerungszeitpunkt zustande gekommenen Kaufvertrag beruht; zu berücksichtigen kann aber auch ein außerhalb dieses Zeitraums erzielter Kaufpreis sein.

Der zeitnahe Verkauf einer zugewendeten Wohnung ist ein Beweismittel i.S. von § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO, das generell geeignet ist, Rückschlüsse auf den Wert dieser Wohnung zuzulassen. Die Änderung eines bestandskräftigen Feststellungsbescheids nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO kommt jedoch nur dann in Betracht, wenn der Verkauf der Wohnung schon vor der abschließenden Entscheidung des Finanzamts über die Feststellung stattgefunden hat. In diesem Fall kann der beim Verkauf erzielte Kaufpreis ein nachträglich bekannt gewordenes Beweismittel i.S. von § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO sein. Wird der Kaufvertrag dagegen erst nach der abschließenden Entscheidung über die Feststellung abgeschlossen, liegt ein nachträglich entstandenes Beweismittel vor, das nicht zu einer Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO führt.

Der Wert der Eigentumswohnung ist auch keine nachträglich bekannt gewordene Tatsache i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO. Wird eine Wohnung nach der Wertfeststellung verkauft und ist der erzielte Verkaufspreis niedriger als der festgestellte Wert, wird der Wert der Wohnung aus dem später abgeschlossenen Kaufvertrag abgeleitet. Schlussfolgerungen aller Art sind jedoch keine Tatsachen i.S. von § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO. Als neue Tatsachen können deshalb auch nicht die wertbegründenden Eigenschaften der Wohnung angesehen werden.

Danach sind die bestandskräftigen Bescheide über die gesonderte Feststellung des Grundbesitzwerts zum 7. Juli 2010 nicht wegen nachträglich bekannt gewordener Beweismittel oder Tatsachen zu ändern. Die Eigentumswohnung ist mit notariell beurkundetem Vertrag vom 27. September 2011 und damit erst nach der Feststellung des

Eine Änderung der Feststellungsbescheide gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 181 Abs. 1 Satz 1 AO scheidet ebenfalls aus.
Nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist ein Steuerbescheid zu ändern, wenn ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis).
Ein rückwirkendes Ereignis liegt vor, wenn der nach dem Steuertatbestand rechtserhebliche Sachverhalt sich später anders gestaltet und sich steuerlich in der Weise in die Vergangenheit auswirkt, dass nunmehr der veränderte anstelle des zuvor verwirklichten Sachverhalts der Besteuerung zugrunde zu legen ist. Eine andere rechtliche Beurteilung des unverändert bleibenden Sachverhalts genügt insoweit nicht.

Ob einer nachträglichen Änderung des Sachverhalts rückwirkende steuerliche Bedeutung zukommt, also bereits eingetretene steuerliche Rechtsfolgen mit Wirkung für die Vergangenheit sich ändern oder vollständig entfallen, ist den Normen des materiellen Steuerrechts zu entnehmen. Beweismittel, die ausschließlich dazu dienen, eine steuerrechtlich relevante Tatsache zu belegen, und die als solche keinen Eingang in eine materielle Steuerrechtsnorm gefunden haben, sind selbst dann kein rückwirkendes Ereignis, wenn sie erst nach Bestandskraft eines Bescheids beschafft werden können.
Der im Streitfall erst nach Eintritt der Bestandskraft der Feststellungsbescheide erfolgte Verkauf der Eigentumswohnung ist kein rückwirkendes Ereignis. Der Verkauf und der erzielte Verkaufspreis sind keine materiell-rechtliche Voraussetzung für den Ansatz eines niedrigeren Grundbesitzwerts. § 198 Satz 1 BewG sieht für Grundvermögen zwar den Nachweis eines gemeinen Werts vor, der niedriger ist als der nach den §§ 179, 182 bis 196 BewG ermittelte Wert. Für den Nachweis ist aber –anders als z.B. beim Zuwendungsnachweis für Spenden nach § 50 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung– kein bestimmtes Beweismittel gesetzlich vorgeschrieben. Der Steuerpflichtige kann den Nachweis durch verschiedene Beweismittel führen. Ist die Art des Nachweises nicht als materiell-rechtliche Tatbestandsvoraussetzung gesetzlich festgelegt, sind vom Steuerpflichtigen vorgelegte Unterlagen bloße Beweismittel.