Der endgültige Ausfall einer Kapitalforderung i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG in der privaten Vermögenssphäre führt nach Einführung der Abgeltungsteuer zu einem steuerlich anzuerkennenden Verlust nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7, Satz 2, Abs. 4 EStG.
Von einem Forderungsausfall ist erst dann auszugehen, wenn endgültig feststeht, dass keine weiteren Rückzahlungen mehr erfolgen werden. Die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners reicht hierfür in der Regel nicht aus.
BFH Urteil vom 24.10.2017 – VIII R 13/15 BFH/NV 2018, 280
Sachverhalt:
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die im Streitjahr (2012) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Der Kläger gewährte einem Dritten mit Vertrag vom 11. August 2010 ab dem 12. August 2010 ein mit 5 % zu verzinsendes Darlehen in Höhe von insgesamt 24.274,34 EUR. Seit dem 1. August 2011 erfolgten die vereinbarten Rückzahlungen nicht mehr. Über das Vermögen des Darlehensnehmers wurde am 1. August 2012 das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Kläger meldete die noch offene Darlehensforderung in Höhe von 19.338,66 EUR zur Insolvenztabelle an.
Mit der Einkommensteuererklärung für 2012 machte der Kläger den Ausfall der Darlehensforderung als Verlust bei den Einkünften aus Kapitalvermögen geltend. Mit Bescheid vom 14. November 2013 wurde die Einkommensteuer durch den Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt –FA–) ohne Berücksichtigung dieses Verlusts festgesetzt.
Der hiergegen erhobene Einspruch und die Klage vor dem Finanzgericht (FG) blieben erfolglos. Das FG stützte sich in seinem Urteil vom 11. März 2015 7 K 3661/14 E darauf, dass Aufwendungen, die das Kapital eines Darlehens betreffen, nicht von § 20 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr anzuwendenden Fassung (EStG) erfasst würden.
Mit der vom FG zugelassenen Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Insbesondere sei unter § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG nicht nur die Veräußerung von sonstigen Kapitalforderungen jeder Art, sondern auch der Vermögensabfluss im Falle des Totalverlusts der Kapitalforderung zu erfassen. Eine Differenzierung zwischen Veräußerung und Totalverlust verstoße jedenfalls gegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes.
Die Kläger beantragen, das angefochtene Urteil des FG aufzuheben und die Einkommensteuerfestsetzung 2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 10. Oktober 2014 unter Berücksichtigung weiterer negativer Einkünfte aus Kapitalvermögen in Höhe von 19.338,66 EUR abzuändern.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Es ist der Meinung, der Forderungsausfall sei kein Surrogat für die Veräußerung, es handle sich nicht um eine finale Folge der Kapitalüberlassung, sondern um einen Vermögensschaden.
Begründung:
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der finanzgerichtlichen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). Das FG ist rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass der streitbefangene Forderungsausfall nicht zu einem steuerlich zu berücksichtigenden Verlust i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 i.V.m. Satz 2 und Abs. 4 EStG führt. Es hat aus seiner Sicht zu Recht keine hinreichenden Feststellungen getroffen, die dem Senat eine abschließende Entscheidung ermöglichen, ob und in welcher Höhe der Verlust im Streitjahr entstanden ist. Die Sache wird daher zur Nachholung der erforderlichen Feststellungen an das FG zurückverwiesen.
Nach Auffassung des Senats führt auch der endgültige Ausfall einer Kapitalforderung i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG in der privaten Vermögenssphäre zu einem steuerlich anzuerkennenden Verlust nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7, Satz 2, Abs. 4 EStG.
Mit der Einführung der Abgeltungsteuer im Unternehmensteuerreformgesetz 2008 vom 14. August 2007 (BGBl I 2007, 1912) sollte eine vollständige steuerrechtliche Erfassung aller Wertveränderungen im Zusammenhang mit Kapitalanlagen erreicht werden. Dafür wurde die traditionelle quellentheoretische Trennung von Vermögens- und Ertragsebene für Einkünfte aus Kapitalvermögen aufgegeben. Für nach Einführung der Abgeltungsteuer angeschaffte Kapitalanlagen gilt dies auch unabhängig von der Übergangsvorschrift des § 52a Abs. 10 Satz 7 EStG, da die “theoretisch mögliche Unterscheidung zwischen Ertrags- und Vermögensebene […] im Rahmen der Abgeltungsteuer für neu angeschaffte Kapitalanlagen ohnehin wegfällt”.
Nach Auffassung des Senats ist Folge dieses Paradigmenwechsels, dass nach Einführung der Abgeltungsteuer der endgültige Ausfall einer Kapitalforderung i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG zu einem gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7, Satz 2, Abs. 4 EStG steuerlich zu berücksichtigenden Verlust führt. Insoweit ist eine Rückzahlung der Kapitalforderung, die ohne Berücksichtigung der in § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG gesondert erfassten Zinszahlungen unter dem Nennwert des hingegebenen Darlehens bleibt, dem Verlust bei der Veräußerung der Forderung gleichzustellen, wenn endgültig feststeht, dass (über bereits gezahlte Beträge hinaus) keine weiteren Rückzahlungen (mehr) erfolgen werden. Inwieweit dies auch für einen Forderungsverzicht gilt, kann vorliegend dahinstehen.
Dem engen Veräußerungsbegriff trägt § 20 Abs. 2 Satz 2 EStG Rechnung, der der Veräußerung verschiedene Ersatztatbestände gleichstellt, um alle Wertveränderungen im Zusammenhang mit Kapitalanlagen zu erfassen. Danach ist u.a. auch die Rückzahlung von privaten Darlehensforderungen nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 i.V.m. Satz 2 EStG steuerbar. Aus dieser Gleichstellung folgt, dass die Fälle der Veräußerung und Rückzahlung im Rahmen der Gewinnermittlung gemäß § 20 Abs. 4 EStG den gleichen Grundsätzen unterliegen.
Eine Veräußerung i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG ist die entgeltliche Übertragung des Eigentums auf einen Dritten. Zwar fehlt es bei einem Forderungsausfall an dem für eine Veräußerung in diesem Sinne notwendigen Rechtsträgerwechsel. Aus der Gleichstellung der Rückzahlung mit dem Tatbestand der Veräußerung einer Kapitalforderung in § 20 Abs. 2 Satz 2 EStG folgt jedoch, dass auch eine endgültig ausbleibende Rückzahlung zu einem Verlust i.S. des § 20 Abs. 4 Satz 1 EStG führen kann.
Dies folgt auch aus dem Gebot der Folgerichtigkeit; denn führt die Rückzahlung der Kapitalforderung über dem Nennwert zu einem Gewinn i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7, Satz 2, Abs. 4 EStG, muss auch eine Rückzahlung unter dem Nennwert zu einem steuerlich zu berücksichtigenden Verlust führen.
Zudem führt auch die Übertragung wertloser Wirtschaftsgüter ohne Gegenleistung zu einem Veräußerungsverlust, so dass auch insoweit eine Gleichstellung des Ausfalls einer Rückzahlung geboten ist. Wirtschaftlich betrachtet macht es keinen Unterschied, ob der Steuerpflichtige die Forderung noch kurz vor dem Ausfall zu Null veräußert, oder ob er sie –weil er keinen Käufer findet oder auf eine Quote hofft– behält. In beiden Fällen erleidet der Steuerpflichtige eine Einbuße seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, die die gleiche steuerliche Berücksichtigung finden muss.
Die etwaige Gefahr einer ausufernden Verlustnutzung bei Berücksichtigung von Forderungsausfällen steht derjenigen beim Verkauf einer Darlehensforderung gleich und wird im Übrigen schon durch die nach § 20 Abs. 6 EStG beschränkte Verrechenbarkeit von Verlusten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen begrenzt.
Wie die Veräußerung ist die Rückzahlung ein Tatbestand der Endbesteuerung. Danach liegt ein steuerbarer Verlust aufgrund eines Forderungsausfalls erst dann vor, wenn endgültig feststeht, dass (über bereits gezahlte Beträge hinaus) keine (weiteren) Rückzahlungen (mehr) erfolgen werden. Die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners reicht hierfür in der Regel nicht aus. Etwas anderes gilt, wenn die Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse abgelehnt worden ist oder aus anderen Gründen feststeht, dass keine Rückzahlung mehr zu erwarten ist.
Im Zeitpunkt der Tatbestandsverwirklichung errechnet sich die Höhe des Rückzahlungsverlusts nach § 20 Abs. 4 EStG als Unterschied zwischen den Einnahmen aus den Rückzahlungen nach Abzug der Aufwendungen, die im unmittelbaren sachlichen Zusammenhang mit dem Ausfall der Forderung stehen, und den Anschaffungskosten.
Die Entscheidung des FG beruht auf anderen Rechtsgrundsätzen. Sie ist daher aufzuheben.
Das Darlehen des Klägers war auf Rückzahlung angelegt und somit eine Kapitalforderung i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG. Fällt diese Kapitalforderung endgültig aus, kann die entsprechende Vermögensminderung nach den oben genannten Grundsätzen einen steuerbaren Verlust i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 i.V.m. Satz 2 und Abs. 4 EStG darstellen.
Die Sache ist nicht spruchreif. Ob die streitbefangenen Rückzahlungen bereits im Streitjahr endgültig ausgeblieben sind und die oben dargelegten Voraussetzungen für die Berücksichtigung des Verlusts des Klägers erfüllt sind, kann der Senat auf Grundlage der Feststellungen des FG, das hierzu von seinem Standpunkt aus keine Feststellungen treffen musste, nicht überprüfen. Das FG wird die notwendigen Feststellungen im zweiten Rechtsgang nachzuholen haben.
Eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung (§ 93 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 121 FGO) kommt auch mit Rücksicht auf den Schriftsatz des Klägers vom 6. November 2017 nicht in Betracht. Dem Senat ist es nach § 118 Abs. 2 FGO versagt, neuen Tatsachenvortrag zum Verlustzeitpunkt zu berücksichtigen. In rechtlicher Hinsicht enthält der Schriftsatz weder über die o.g. Entscheidungsgründe hinausgehende Aspekte noch die Rüge fehlerhaften Verfahrens. Daher ergeben sich für den Senat keine Gesichtspunkte, die eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung rechtfertigen könnten.