EuGH-Vorlage zu den Voraussetzungen der Steuerfreiheit der Umsätze eines ambulanten Pflegedienstes

Dem EuGH werden folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Erlauben es Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g und/oder Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG dem nationalen Gesetzgeber, die Steuerbefreiung der Leistungen zur ambulanten Pflege kranker und pflegebedürftiger Personen davon abhängig zu machen, dass bei diesen Einrichtungen "im vorangegangenen Kalenderjahr die Pflegekosten in mindestens zwei Drittel der Fälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil getragen worden sind" (§ 4 Nr. 16 Buchst. e UStG)?

Ist es unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Neutralität der Mehrwertsteuer für die Antwort auf diese Frage von Bedeutung, dass der nationale Gesetzgeber dieselben Leistungen unter anderen Voraussetzungen als steuerfrei behandelt, wenn sie von amtlich anerkannten Verbänden der freien Wohlfahrtspflege und der freien Wohlfahrtspflege dienenden Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen, die einem Wohlfahrtsverband als Mitglied angeschlossen sind, ausgeführt werden (§ 4 Nr. 18 UStG)?

BFH Entscheidung vom 2.3.2011, XI R 47/07

Erläuterung des BFH:

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat durch Beschluss vom 2. März 2011 XI R 47/07 dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) Fragen zu den Voraussetzungen der Steuerfreiheit der Umsätze eines ambulanten Pflegedienstes vorgelegt.

Nach § 4 Nr. 16 Buchst. e des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1993 waren steuerfrei u.a. "die mit dem Betrieb … der Einrichtungen zur ambulanten Pflege kranker und pflegebedürftiger Personen eng verbundenen Umsätze, wenn bei Einrichtungen zur vorübergehenden Aufnahme pflegebedürftiger Personen und bei Einrichtungen zur ambulanten Pflege kranker und pflegebedürftiger Personen im vorangegangenen Kalenderjahr die Pflegekosten in mindestens zwei Drittel der Fälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil getragen worden sind".

Der BFH hat dem EuGH die Frage vorgelegt, ob diese Vorschrift mit dem Unionsrecht vereinbar ist und ob unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Neutralität der Mehrwertsteuer für die Antwort auf diese Frage von Bedeutung ist, dass der nationale Gesetzgeber dieselben Leistungen unter anderen Voraussetzungen als steuerfrei behandelt, wenn sie von amtlich anerkannten Verbänden der freien Wohlfahrtspflege und der freien Wohlfahrtspflege dienenden Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen, die einem Wohlfahrtsverband als Mitglied angeschlossen sind, ausgeführt werden (§ 4 Nr. 18 UStG).

In dem vom BFH entschiedenen Fall hatte eine examinierte Krankenschwester ab Anfang 1993 einzelne Patienten selbständig ambulant gepflegt und zum 1. Juni 1993 einen ambulanten Pflegedienst angemeldet. Zum 1. Oktober 1993 wurde sie zu den Krankenkassen zugelassen. Von den Personen, die sie im gesamten Jahr 1993 behandelte, waren 68 % Privatzahler. Daraufhin versagte das Finanzamt (FA) die Steuerfreiheit der von der Klägerin im Jahr 1993 erbrachten Leistungen. Die Steuerfreiheit für die von der Klägerin im Folgejahr erbrachten Leistungen nach § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG versagte das FA, weil die Vorschrift auf die Verhältnisse des Vorjahres abstelle.

Umsätze eines ambulanten Pflegedienstes durch Gestellung von Haushaltshilfen steuerfrei

Umsätze, die eine Einrichtung zur ambulanten Pflege kranker und pflegebedürftiger Personen durch Gestellung von Haushaltshilfen i.S. des § 38 SGB V erzielt, sind, sofern die übrigen Voraussetzungen des § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG erfüllt sind, steuerfrei.

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 30.7.2008, XI R 61/07

Begründung:
Mit Urteil vom 22. April 2004 V R 1/98 (BFHE 205, 514, BStBl II 2004, 849) hatte der V. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) entschieden, dass ein ambulanter Pflegedienst, der Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung gegenüber pflegebedürftigen Personen erbringt, mit seinen Einnahmen von der Umsatzsteuer befreit ist, wenn er als Einrichtung mit sozialem Charakter anzuerkennen ist. Daran schließt nun das Urteil an und erweitert die Steuerbefreiung auf die Umsätze, die ein solcher Pflegedienst als sog. Haushaltshilfe im Sinne des § 38 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) durch die Versorgung und Betreuung von Kindern erzielt, weil der den Haushalt führende Elternteil hierzu krankheitsbedingt nicht in der Lage ist.
Damit ist der BFH nicht der Auffassung des Finanzamts gefolgt, wonach nur solche Leistungen von der Umsatzsteuer befreit seien, die der ambulante Pflegedienst unmittelbar gegenüber dem erkrankten Elternteil erbringt. Er hat das damit begründet, dass die Versorgung und die Betreuung kleiner oder selbst hilfsbedürftiger Kinder eng mit der Pflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung des erkrankten und pflegebedürftigen Elternteils verbunden ist und nach dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften in der Rs. Kinderopvang Enschede die Einnahmen aus der Kinderbetreuung nach Gemeinschaftsrecht von der Umsatzsteuer zu befreien sind, unabhängig davon, aus welchen Gründen die Eltern dazu nicht in der Lage sind (Urteil vom 9. Februar 2006 Rs. C-415/04 Slg. 2006. I-1385).