Versagung der Tarifbegrenzung gemäß § 32c EStG a.F. nach Aufhebung des Gewerbesteuermessbescheids

Wird der Gewerbesteuermessbescheid aufgrund eines Rechtsbehelfs aufgehoben, weil der Steuerpflichtige eine selbständige Tätigkeit i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG ausübt, ist das FA nach § 174 Abs. 4 AO im Grundsatz berechtigt, den Einkommensteuerbescheid durch Versagung der Tarifbegrenzung gemäß § 32c EStG a.F. zu ändern.

In diesem Fall beruhen beide steuerlichen Folgerungen –sowohl die Aufhebung des Gewerbesteuermessbescheids als auch die Versagung der Tarifbegrenzung nach § 32c EStG a.F.– auf der rechtlichen Qualifikation der vom Steuerpflichtigen ausgeübten Tätigkeit und damit auf dem gleichen “bestimmten Sachverhalt” i.S. des § 174 Abs. 4 Satz 1 AO.

Weder der Gewerbesteuermessbescheid noch der Gewerbesteuerbescheid sind Grundlagenbescheide für die Tarifbegrenzung nach § 32c EStG a.F.

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 4.2.2016, III R 12/14

Sachverhalt:

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Rechtsanwalt und vorwiegend auf dem Gebiet der Insolvenzverwaltung tätig. Er wurde im Jahr 1998 zusammen mit seiner damaligen Ehefrau und in den Jahren 1999 und 2000 einzeln zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger übte seine Tätigkeit als Rechtsanwalt und Insolvenzverwalter aus.

Infolge einer im Dezember 2002 angeordneten und im selben Monat beim Kläger begonnenen Außenprüfung, die sich u.a. auf die Einkommensteuer und Gewerbesteuer 1998 bis 2000 erstreckte, kam die Prüferin zu dem Ergebnis, dass der Kläger aus seiner Tätigkeit als Insolvenzverwalter gewerbliche Einkünfte i.S. des § 15 EStG erzielt habe. Daraufhin erließ das FA mit Datum vom 19. Juli 2005 erstmals Bescheide über den Gewerbesteuermessbetrag 1998 bis 2000; es erfasste die Einkünfte des Klägers aus der Insolvenzverwaltertätigkeit als Gewinn aus Gewerbebetrieb. Zudem gewährte das FA für diese Einkünfte eine Tarifbegrenzung für gewerbliche Einkünfte gemäß § 32c EStG in der für die Streitjahre 1998 bis 2000 geltenden Fassung.

Der Bundesfinanzhof (BFH) gab der Revision des Klägers mit Urteil vom 15. Dezember 2010 VIII R 13/10 (BFH/NV 2011, 1309) statt und hob das Urteil des FG sowie die Gewerbesteuermessbescheide 1998 bis 2000 vom 19. Juli 2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung auf. Der BFH führte aus, die Einkünfte des Klägers aus seiner Tätigkeit als Insolvenzverwalter seien zu Unrecht wegen der Beteiligung fachlich vorgebildeter Angestellter als gewerblich angesehen und deshalb der Gewerbesteuer unterworfen worden. Die Einkünfte seien als solche aus sonstiger selbständiger Tätigkeit i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG zu erfassen und unterlägen nicht der Gewerbesteuerpflicht. An der Rechtsprechung zur sog. Vervielfältigungstheorie werde im Anwendungsbereich des § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG nicht länger festgehalten. Mit Bescheiden vom 27. April 2011 hob das FA die Gewerbesteuermessbescheide 1998 bis 2000 auf.

Am 10. Juni 2011 ergingen geänderte Einkommensteuerbescheide 1999 und 2000 sowie am 22. Juni 2011 ein geänderter Einkommensteuerbescheid 1998, die auf § 174 Abs. 4 der Abgabenordnung (AO) gestützt wurden. In diesen Bescheiden wurden die Einkünfte des Klägers aus der Insolvenzverwaltertätigkeit als solche aus selbständiger Arbeit erfasst und die zuvor gewährte Tarifbegrenzung für gewerbliche Einkünfte nach § 32c EStG a.F. versagt.

Der Kläger beantragt, die gewerbliche Tarifbegrenzung wegen fehlender Änderungsmöglichkeit zu gewähren.

Begründung:

Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). Das FG hat zu Recht entschieden, dass die Einkommensteuer-Änderungsbescheide 1998 bis 2000 vom 10. und 22. Juni 2011 rechtmäßig sind. Das FA war berechtigt, die Änderung der Einkommensteuerbescheide 1998 bis 2000 auf § 174 Abs. 4 AO zu stützen. Einer Änderung standen auch sonstige Gründe nicht entgegen.

Ist aufgrund irriger Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts ein Steuerbescheid ergangen, der aufgrund eines Rechtsbehelfs oder sonst auf Antrag des Steuerpflichtigen durch die Finanzbehörde zu seinen Gunsten aufgehoben oder geändert wird, so können nach § 174 Abs. 4 Satz 1 AO aus dem Sachverhalt nachträglich durch Erlass oder Änderung eines Steuerbescheids die richtigen steuerlichen Folgerungen gezogen werden. Dies gilt gemäß § 174 Abs. 4 Satz 2 AO auch dann, wenn der Steuerbescheid durch das Gericht aufgehoben oder geändert wird. Nach § 174 Abs. 4 Satz 3 AO ist der Ablauf der Festsetzungsfrist unbeachtlich, wenn die steuerlichen Folgerungen innerhalb eines Jahres nach Aufhebung oder Änderung des fehlerhaften Steuerbescheids gezogen werden. War die Festsetzungsfrist bereits abgelaufen, als der später aufgehobene oder geänderte Bescheid erlassen wurde, gilt dies nur unter den Voraussetzungen des Abs. 3 Satz 1 (§ 174 Abs. 4 Satz 4 AO.

Die Gewerbesteuermessbescheide 1998 bis 2000 sind aufgrund einer irrigen Beurteilung ergangen. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen berechtigte das FA nach § 174 Abs. 4 Satz 1 AO, die auf der irrigen Annahme der Erzielung gewerblicher Einkünfte beruhenden Einkommensteuerbescheide 1998 bis 2000 zu ändern und die richtigen steuerlichen Folgerungen aus dem Sachverhalt durch Versagung der Tarifbegrenzung nach § 32c EStG a.F. zu ziehen