Bindungswirkung einer tatsächlichen Verständigung

Die tatsächliche Verständigung ist die einvernehmliche Festlegung auf den maßgeblichen Besteuerungssachverhalt, die nicht einseitig widerrufbar ist.

Die Bindungswirkung einer tatsächlichen Verständigung entfällt, wenn sie zu einem offensichtlich unzutreffenden Ergebnis führt.

Die Nichtvornahme strafrechtlicher Ermittlungen ist keine in jedem Fall zu unterstellende Grundlage einer tatsächlichen Verständigung.

BFH Urteil vom 21.09.2009 VIII R 78/06 BFH NV 2010 S. 593ff

Begründung:

Das Rechtsinstitut der "tatsächlichen Verständigung" entspringt einem praktischen Bedürfnis nach Verfahrensförderung, Verfahrensbeschleunigung und Rechtsfrieden. Es ist vom Bundesfinanzhof (BFH) in mittlerweile ständiger Rechtsprechung grundsätzlich anerkannt.

Dabei geht es darum, in Fällen, in denen über den für die Besteuerung maßgeblichen Sachverhalt eine anderweitig nicht einfach zu behebende Unklarheit besteht, den möglichst zutreffenden Besteuerungssachverhalt i.S. des § 88 der Abgabenordnung (AO) einvernehmlich festzulegen und insoweit Unsicherheiten und Ungenauigkeiten zu beseitigen.

Gleich, ob man mit der ganz herrschenden Meinung im Schrifttum in der tatsächlichen Verständigung einen öffentlich-rechtlichen Vertrag erblickt oder eine anderweitige, am Grundsatz von Treu und Glauben zu messende Übereinkunft kommt der Verständigung Bindungswirkung zu.

Unwirksam ist eine tatsächliche Verständigung, die zu einem offensichtlich unzutreffenden Ergebnis führt. Entgegen der Auffassung der Kläger hat das FG ohne Rechtsverstoß kein offensichtlich unzutreffendes Ergebnis angenommen. Die tatsächliche Würdigung des FG ist möglich und damit gemäß § 118 Abs. 2 FGO für den Senat bindend. Das FG konnte die Unterschrift des steuerlichen Beraters des Klägers unter die tatsächliche Verständigung als Umstand werten, der gegen offensichtlich unzutreffende Einnahmeerhöhungen spricht, ebenso wie den weiteren Umstand, dass die sachliche Unrichtigkeit des Verständigungsergebnisses erstmals rd. zweieinhalb Jahre nach der Verständigung gerügt wurde. Die im erstinstanzlichen Verfahren erhobenen Einwendungen, es habe an einer Plausibilitätsprüfung bezüglich der Einnahmeerhöhungen gefehlt, es dürfe nicht verwerflich sein, private Gelder auf das Geschäftskonto einzuzahlen, Eingänge in Höhe von 116.000 DM seien "erklärbar" und als Privateinlagen "zu werten", musste das FG nicht als Beleg für eine offensichtliche Unrichtigkeit des Verständigungsergebnisses werten.

Ein einseitiger Widerruf der eigenen Verständigungserklärung ist grundsätzlich nicht möglich (Klein/Rüsken, a.a.O., § 162 Rz 33), und zwar auch dann nicht, wenn der Steuerpflichtige bei Abschluss der tatsächlichen Verständigung nicht steuerlich beraten war. Es bedarf deshalb keiner weiteren Auseinandersetzung mit dem von den Klägern nunmehr betonten Umstand, dass ihr damaliger Steuerberater das Mandat erst zwei Monate zuvor übernommen habe und deshalb angeblich mit dem Sachverhalt noch nicht vertraut gewesen sei.