Der Anscheinsbeweis im Rahmen der 1 % Regelung kann durch Darstellung der tatsächlichen Lebensführung entkräftet werden. Ein Nachweis wird von dem Gericht nicht gefordert.
Hessische Finanzgericht Urteil vom 10.02.2011 ,3 K 1679/10
Begründung:
Im Streitfall war die private Nutzung des Fahrzeugs grundsätzlich möglich. Die Kläger waren in der Lage, auf das betriebliche Fahrzeug des Klägers zuzugreifen. Damit greift der Anscheinsbeweis ein.
Der auf Erfahrungssätzen beruhende Anscheinsbeweis kann durch den sog.Gegenbeweis entkräftet oder erschüttert werden. Hierzu bedarf es – worauf der Senat an dieser Stelle ausdrücklich hinweist – nicht des Beweises des Gegenteils. Es genügt vielmehr, dass ein Sachverhalt dargelegt wird, der die ernstliche
Möglichkeit eines anderen als des der allgemeinen Erfahrung entsprechenden Geschehensablaufs ergibt. Der Auffassung des Finanzamts, wonach der Anscheinsbeweis nur dann erschüttert ist, wenn Unterlagen vorgelegt werden, aus denen sich der betriebliche Zweck jeder Fahrt sowie der Kilometerstand ergibt, schließt sich das Gericht nicht an. Faktisch würde die Aufzeichnung der vorgenannten Daten auf die Führung eines Fahrtenbuchs hinauslaufen. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung kann das Fehlen einer Privatnutzung auch anders als durch die Führung eines Fahrtenbuchs bewiesen werden (vgl. BFH-Urteil vom 10.04.2008 VI R 38/06, BStBl II 2008, 768). Diese Sichtweise wird vom erkennenden Senat geteilt.
Die Kläger haben einen Sachverhalt dargelegt, bei dem die ernstliche Möglichkeit eines anderen als des der allgemeinen Erfahrung entsprechenden Geschehensablaufs besteht. Sie haben nachvollziehbar ausgeführt, dass der Citroën nicht für Privatfahrten genutzt wurde. In diesem Kontext haben sie bis in die Einzelheiten dargelegt, wie private Erledigungen vorgenommen wurden. So hat der Kläger vorgetragen, dass er die gemeinsame Tochter in der Regel morgens um kurz vor 8:00 Uhr mit dem Firmenwagen seiner Frau zur Schule gebracht hat. Die Klägerin tritt ihren Dienst erst gegen 8:45 Uhr an, so dass ihr der Wagen bis dahin wieder zur Verfügung stand. Einmal pro Woche, in der Regel montags, hat der Kläger die Klägerin mit ihrem Firmenwagen zur Arbeit gefahren und diesen dann wieder mit nachhause genommen. Auf dem Rückweg wurden von ihm die Einkäufe für die laufende Arbeitswoche getätigt. In diesem Zusammenhang hat er eine detailreiche Sachverhaltsschilderung vorgenommen (z.B. das Anfahren mehrerer Einkaufsmärkte zwecks Einkaufs von Sonderangeboten, die in Angebots-Prospekten in der Zeitung vom Wochenende angepriesen wurden), die schlüssig erscheint.
Zwar ist dem Finanzamt darin Recht zu geben, dass der vorgenannte Sachverhalt nicht der allgemeinen Lebenserfahrung entspricht. Es ist aber zu berücksichtigen, dass die Aufgabenverteilung in der Familie der Kläger nicht ohne weiteres mit allgemeinen Erfahrungssätzen korrespondiert. So hat der Kläger bereits vor vielen Jahren seine (leitende) Stelle in der Rechtsabteilung einer Brauerei aufgegeben, um sich fortan in erster Linie als „Hausmann“ zu betätigen und sich um die Erziehung der Kinder zu kümmern. Als ihm später von einem Bekannten eine Hausmeisterstelle angetragen wurde, hat er diese (quasi nebenberuflich) übernommen. Dem Senat erscheint der Sachvortrag hinsichtlich der Erledigung der Privatfahrten zwar atypisch, vor dem Hintergrund der vorgenannten Umstände und der oben zum Anscheinsbeweis ausgeführten Rechtsgrundsätze aber plausibel.
Hinzu kommt, dass die Kläger, in der mündlichen Verhandlung vom Beklagtenvertreter auf verschiedene – nicht alltägliche – Situationen angesprochen, in denen die private Nutzung eines Kraftfahrzeugs erforderlich ist, durchgehend nachvollziehbare Erklärungen abgegeben haben. So ist unter anderem danach gefragt worden, wie verfahren wird, wenn eines der Kinder plötzlich erkrankt und sich die Klägerin mit dem Firmenwagen an der Arbeit befindet. Darauf hat die Klägerin entgegnet, dass bei ihr keine Dienstreisen anfielen und sie im Notfall auch eine Besprechung verlassen und sofort nachhause fahren könne, soweit es das Wohl ihrer Kinder zwingend erfordere. Weiter wurde danach gefragt, wie größere Gegenstände, z.B. Möbel, transportiert werden. Darauf haben die Kläger geantwortet, dass sie nicht mehr bei Ikea einkauften und sie im Möbelhaus gekaufte Möbel angeliefert bekämen. Auf die Entsorgung von Grünabfällen angesprochen, erklärten die Kläger, dass diese vom Abfall-Entsorger bei ihnen zuhause abgeholt würden.
Auch in wirtschaftlicher Hinsicht ist der klägerische Vortrag nachvollziehbar. Die Klägerin bekommt von ihrem Arbeitgeber einen gehobenen Firmenwagen zur Verfügung gestellt, den nicht nur sie selbst, sondern auch die mit ihr in häuslicher Gemeinschaft lebenden Personen privat nutzen dürfen. Sämtliche Kosten für den Pkw, einschließlich der Kosten für Benzin, werden vom Arbeitgeber der Klägerin getragen. Zur Abgeltung der Privatnutzung werden monatlich 0,4 % des Fahrzeug(neu)preises von ihrem Gehalt einbehalten. Dabei handelt es sich um eine Pauschale, die unabhängig vom tatsächlichen Umfang der Privatnutzung in Rechnung gestellt wird. In Anbetracht dessen ist es wirtschaftlich sinnvoll, sämtliche privaten Fahrten mit dem Firmenwagen der Klägerin durchzuführen und den Citroën Berlingo nicht privat zu nutzen. Privatfahrten mit dem Citroën würden zu einer wirtschaftlichen Schlechterstellung der Kläger führen. Denn es käme zu einer Besteuerung nach der 1 %-Regelung, was eine jährliche Mehrsteuer von mehreren hundert Euro nach sich ziehen würde. Selbst bei Außerachtlassung dieser steuerlichen Komponente wäre die private Nutzung des Citroën für die Kläger von Nachteil. Zum einen würde diese zu einer schnelleren Abnutzung und damit zu einem höheren Wertverzehr des Autos führen, zum anderen müssten die Kraftstoffkosten -soweit sie auf Privatfahrten entfallen- vorfinanziert werden.