Haushaltsnahe Dienstleistungen sind für Aufwendungen für ein Notrufsystem in einer Seniorenresidenz

Für ein mit der Betreuungspauschale abgegoltenes Notrufsystem, das innerhalb einer Wohnung im Rahmen des “Betreuten Wohnens” Hilfeleistung rund um die Uhr sicherstellt, kann die Steuerermäßigung nach § 35a Abs. 2 Satz 1 EStG in Anspruch genommen werden.

BFH  Urteil vom 3.9.2015, VI R 18/14

Begründung:

Der VI. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) hat mit Urteil vom 3. September 2015 VI R 18/14 entschieden, dass Aufwendungen für ein Notrufsystem, das innerhalb einer Wohnung im Rahmen des “Betreuten Wohnens” Hilfeleistung rund um die Uhr sicherstellt, als haushaltsnahe Dienstleistungen gemäß § 35a Abs. 2 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) die Einkommensteuer ermäßigen können.

Der Kläger bewohnt eine Drei-Zimmer-Wohnung im Rahmen des “Betreuten Wohnens” in einer Seniorenresidenz. Neben dem Mietvertrag mit dem Eigentümer der Wohnung schloss er mit dem Betreiber der Residenz einen Seniorenbetreuungsvertrag ab. Darin verpflichtete sich der Betreiber u.a. dazu, dem Kläger 24 Stunden pro Tag ein Notrufsystem zur Verfügung zu stellen, einschließlich des für die Nachtwache und die Soforthilfe im Notfall erforderlichen Fachpersonals.

In seiner Steuererklärung für das Streitjahr machte der Kläger 1.357 € (76 % der Betreuungspauschale) als Aufwendungen für haushaltsnahe Dienstleistungen nach § 35a EStG geltend. Das Finanzamt gewährte dem Kläger nur eine Steuerermäßigung in Bezug auf die Aufwendungen für den Hausmeister und die Reinigung.

Der BFH bestätigte die Vorinstanz und hat entschieden, dass es sich bei den Aufwendungen für das mit der Betreuungspauschale abgegoltene Notrufsystem um solche für eine haushaltsnahe Dienstleistung i.S. des § 35a Abs. 2 Satz 1 EStG handelt. Durch die Rufbereitschaft werde sichergestellt, dass ein Bewohner, der sich im räumlichen Bereich seines Haushalts aufhalte, im Notfall Hilfe erhalten könne. Eine solche Rufbereitschaft leisteten typischerweise in einer Haushaltsgemeinschaft zusammenlebende Familien- oder sonstige Haushaltsangehörige. Es handele sich damit um haushaltsnahe Dienstleistungen im Sinne der Vorschrift. Diese würden nach Auffassung des BFH auch in dem Haushalt des Steuerpflichtigen erbracht. Da der Leistungserfolg in der Wohnung des Steuerpflichtigen eintrete, werde die Leistung auch im räumlichen Bereich des Haushalts erbracht. Ohne Bedeutung ist insoweit, dass die Notrufzentrale sich außerhalb des Haushalts des Steuerpflichtigen befindet.

Kosten des Mittagessens im Wohnstift als haushaltsnahe Dienstleistung

Bei der Zubereitung und dem Servieren von Speisen handelt es sich um haushaltsnahe Dienstleistungen i.S. des § 35a Abs. 2 EStG.

FG Baden-Württemberg Urteil vom 12.9.2012, 3 K 3887/11

Leitsatz

Nach § 35a Abs. 2 Satz 1 EStG ermäßigt sich u.a. für die Inanspruchnahme von haushaltsnahen Dienstleistungen, die nicht Dienstleistungen i.S. des § 35a Abs. 3 EStG sind, die tarifliche Einkommensteuer, vermindert um die sonstigen Steuerermäßigungen, auf Antrag um 20%, höchstens 4 000 EUR, der Aufwendungen des Steuerpflichtigen. Haushaltsnahe Dienstleistungen in diesem Sinne sind Tätigkeiten, die gewöhnlich durch Mitglieder des privaten Haushalts oder entsprechend Beschäftigte erledigt werden.

Der BFH sieht den Begriff "haushaltsnah" als sinnverwandt mit dem Begriff "hauswirtschaftlich" an. Haushaltsnahe Tätigkeiten sind z.B. die Zubereitung von Mahlzeiten im Haushalt, die Reinigung der Wohnung des Steuerpflichtigen, die Gartenpflege und die Pflege, Versorgung und Betreuung von Kindern, Kranken, alten Menschen und pflegebedürftigen Personen. Sie können auch von einem Wohnstift an dessen Bewohner erbracht werden. Verrichtungen, die zwar im Haushalt des Steuerpflichtigen ausgeübt werden, aber keinen Bezug zur Hauswirtschaft haben, zählen hingegen nicht zu den haushaltsnahen Dienstleistungen.

Ausgehend davon stellen die Beteiligten zu Recht nicht in Frage, dass die mit dem „Entgeltbestandteil Speisen“ abgegoltene Zubereitung von Speisen nebst Servieren zu den haushaltsnahen Dienstleistungen zählen.

Die Steuerermäßigung nach § 35a Abs. 2 kann gemäß § 35a Abs. 4 Satz 1 EStG nur in Anspruch genommen werden, wenn die Dienstleistung in einem in der Europäischen Union (EU) oder dem Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) liegenden Haushalt des Steuerpflichtigen erbracht wird. Das 49 m² große Appartement des Klägers, in dem der Kläger seinen Haushalt selbständig führt, verfügt über zwei Zimmer, Bad, Diele und Balkon, ist abschließbar und zur selbstständigen Haushalts- und Wirtschaftsführung geeignet. Dass das Appartement, entgegen der Annahme des FA in der Einspruchsentscheidung,  nach § 1 der Änderung des Wohnstiftsvertrags vom 2. Februar 2003  „nur“ über eine Kochmöglichkeit und nicht über eine Küche verfügt, ist unschädlich; denn ein selbständiger Haushalt kann auch dort geführt werden, wo keine Küche, sondern nur eine Kochgelegenheit vorhanden ist.

Entgegen der Auffassung des FA erfolgten sowohl die Zubereitung als auch das Servieren der Speisen i.S. des § 35a Abs. 4 EStG im Haushalt des Klägers. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus § 3 Abs. 1 Nr. 4 des Wohnstiftvertrags sowie § 1 A Nr. 7 der Ergänzungsvereinbarung. Der Speisesaal steht dem Kläger als Bewohner ausdrücklich als Gemeinschaftseinrichtung während der Öffnungszeiten uneingeschränkt zur Verfügung; der Speisesaal ist deshalb seinem Haushalt mit zuzurechnen. Der Kläger kann den Speisesaal während der Öffnungszeiten jederzeit betreten oder verlassen, ohne dass es dazu einer Einladung o.ä. durch Dritte bedarf. Deshalb gilt für Dienstleistungen im Speisesaal dasselbe wie für Dienstleistungen des Empfangs, in den Aufenthaltsräumen, in der Bibliothek, in den Clubräumen, im Musikzimmer, in der ökumenischen Hauskapelle, im Wohnstiftstheater, im Schwimmbad, in den Pflegebädern, in der Gymnastikhalle, im Werkraum, in der Weinstube, auf der Kegelbahn, im Garten oder auf den übrigen Außenanlagen (z.B. Parkplatz).

Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus § 1 B Nr. 3 der Ergänzungsvereinbarung, wonach der Kläger (auch) Anspruch darauf hat, dass sein Mittagessen „in der hauseigenen Küche“ zubereitet wird. Der Kläger weist insoweit zu Recht sinngemäß darauf hin, dass sich die Betreiberin ihm gegenüber dazu verpflichtet hat, auch diese Dienstleistung in räumlicher Nähe zum Appartement auf demselben Grundstück zu erbringen. Die Küche ist aufgrund dieser Vereinbarung Teil der Wohnanlage und deren Leistungen kommen –wie jedem anderen Bewohner– auch dem Kläger zugute. Zubereitung und Servieren des warmen Mittagessens sind Regelleistungen (§ 2 Abs. 1 Wohnstiftsvertrag), die der Kläger nicht (ab-)wählen kann (vgl. auch § 5 des Wohnstiftsvertrags, der eine Rückvergütung des Rohverpflegungssatzes nur bei räumlicher Abwesenheit zulässt). Für Dritte gehört bei dieser Sachlage (auch) die Küche nach der Verkehrsanschauung zu der Wohnanlage, in der der Kläger seinen Haushalt führt.